Protocol of the Session on January 30, 2014

diese Unterschiedlichkeit wahrzunehmen und nicht nur zu sor tieren.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Abg. Georg Wacker CDU: Von was reden Sie jetzt?)

Das Sortieren, Herr Wacker, ist gescheitert. Deshalb wird auch Ihr bildungspolitischer Ansatz, den Sie haben, scheitern, weil Sie die Unterschiedlichkeit, die Heterogenität, die unter schiedlichen Begabungen der einzelnen Schüler in Ihren bil dungspolitischen Vorstellungen nicht wahrnehmen.

(Zuruf des Abg. Georg Wacker CDU)

Es ist klar, die Oberstufe einer Gemeinschaftsschule braucht – das wissen Sie auch – 60 Schüler. Das heißt, das ist eine dreizügige Schule. Auf der Gemeinschaftsschule gibt es Schü ler, die einen gymnasialen Weg gehen. Es ist natürlich auch klar und folgerichtig, dass in der Gemeinschaftsschule die Oberstufe ein integraler Bestandteil sein muss.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wievielzügig muss die Gemeinschaftsschule denn sein, Herr Lehmann?)

Eltern entscheiden sich – das ist z. B. in Konstanz so – für Kinder mit einer Gymnasialempfehlung ganz bewusst für die Gemeinschaftsschule. Warum wollen Sie den Eltern das Recht vorenthalten, ihr Kind für die Oberstufe in die Gemeinschafts schule zu schicken? Da zeigt sich das Gedankengebäude Ih rer Bildungspolitik deutlich. Sie wollen es den Menschen vor schreiben. Ich glaube, das ist mit dieser Legislaturperiode der Bildungspolitik vorbei.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Die Eltern lassen sich das nicht mehr vorschreiben. Sie wol len diese neuen Freiheiten haben, und die werden sie auch durchsetzen. Auch Ihre CDU-Bürgermeister vor Ort werden das durchsetzen. Deswegen gibt es da kein Zurück mehr. Des wegen ist das wahrscheinlich wirklich eine der letzten Debat ten um die Frage der Gemeinschaftsschule.

Die beruflichen Gymnasien – da sind wir uns einig, Herr Wa cker – sind Schulen des sozialen Aufstiegs.

(Beifall des Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP – Zuruf: Gut!)

Die werden das immer bleiben, weil Schüler, für die die Ober stufe des Gymnasiums zu anspruchsvoll ist, über das berufli che Gymnasium mit ihrem beruflichen Profil einen adäquaten Zugang zur Hochschulreife erlangen können.

Wir haben uns in der Enquetekommission aber auch darüber verständigt, dass der Rechtsanspruch auf einen barrierefreien Übergang von der Sekundarstufe I in die Oberstufe, den wir eigentlich brauchen, wichtig ist. Das wird auch bleiben. In dieser Hinsicht befinden sich die beruflichen Gymnasien wie alle anderen Schulen natürlich in einem Bildungsmarkt. Ich meine, da müssen wir auch von den Eltern und den Schülern her denken und nicht aus der Sicht staatlich dirigierter Bil dungspolitik, dass man alles verteilt. Darum geht es nicht.

(Beifall bei den Grünen – Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordneter, ge statten Sie zwei Zwischenfragen, eine von Herrn Abg. Röhm und eine von Herrn Abg. Müller?

Ja, gern.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ich lasse Herrn Abg. Müller den Vortritt!)

Bitte schön, Herr Abg. Müller.

Kurze Frage: Sie haben die „Hür de 60“ angesprochen. Wir wissen von der „Hürde 40“ bei der Einrichtung einer Gemeinschaftsschule, und wir wissen, dass diese unter Hinweis darauf, dass man leider mit Prognosen operieren müsse, in einem erheblichen Teil der Fälle unter schritten wird. Zwischen 30 und 40 % der Schulen haben we niger Schüler als die 40, die sie eigentlich haben müssten.

Bei der Oberstufe wäre es jetzt so, dass man dann nicht mit einer Prognose arbeitet; denn die Schüler, um die es geht, sind ja dann an der Schule bereits vorhanden.

Würden Sie die Schlussfolgerung teilen, dass in diesem Fall – ich lasse einmal alle übrigen Erwägungen weg – die 60 wirk

lich nachgewiesen sein müssen, oder würden Sie auch in die sem Fall argumentieren, man operiere mit einer Prognose, die man dann locker wieder unterlaufen könne?

Herr Kollege Müller, hin sichtlich der Zahl 60 – Herr Wacker, die Frage, die Sie gestellt hatten, zeigt das ja auch – und hinsichtlich dessen, wie die Oberstufe zustande kommt, gibt es offensichtlich eine falsche Vorstellung. Nicht jede Gemeinschaftsschule wird eine Ober stufe haben. Das wird aus dieser Zahl auch schon deutlich.

Wir haben das klare Ziel, dass die Oberstufe der Gemein schaftsschule in der vollen Breite gymnasialen Standard hat, weil sie eben zum gleichen Abitur führt. Das muss auch so sein. Wir wollen kein „Abitur light“, analog dazu, wie Sie mit der Werkrealschule einen „Realschulabschluss light“ gemacht hätten. Wir wollen ein echtes Abitur. Das wird über die Ge meinschaftsschule gewährleistet. Deswegen war uns klar, dass diese Zahl 60 ein hartes Kriterium dafür sein wird, dass eine Oberstufe zustande kommt. Nicht jede zweizügige oder drei zügige Gemeinschaftsschule wird dieses Kriterium erfüllen. Dazu muss ich gar nicht die Mathematik bemühen.

(Zuruf der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)

Es wird also Schulen geben, die nur die Sekundarstufe I an bieten, aber es wird auch Schulen geben, die auch die Sekun darstufe II anbieten. Das ist auch richtig und gut so, weil es sich bei der Oberstufe entgegen der Annahme, die Sie in Ih rem Antrag getroffen haben, eben nicht um ein Ressourcen vergeudungskonzept handelt. Vielmehr handelt es sich um ei nen vernünftigen Umgang mit den Ressourcen, weil es auch fachlich erforderlich ist, dass die Oberstufe vernünftig aufge setzt wird.

Kollege Lehmann, ich bit te Sie um eine Prognose. Wievielzügig muss eine Gemein schaftsschule der Zukunft sein, damit die Zahl 60 erreicht wer den kann?

Ich habe Ihnen schon ge sagt: Meine Prognose ist, dass eine dreizügige Gemeinschafts schule dieses Kriterium in der Regel nicht erreichen kann, es sei denn, in der Region – das ist das Thema der regionalen Schulentwicklung – findet eine Abstimmung statt. Natürlich wird man sich darüber verständigen. Es war auch eine Frage, wann das festgelegt werde. Das können wir jetzt noch nicht festlegen. Wir werden die Entwicklung abwarten und dann im Rahmen der regionalen Schulentwicklung die Entscheidung treffen, wo diese Oberstufen eingerichtet werden. Ganz klar.

Dann wird natürlich jeder Schüler, der die Sekundarstufe I an der Gemeinschaftsschule abgeschlossen hat, entscheiden, wo hin er möchte. Diese Freiheit ist auch richtig. Auch ein Schü ler der Gemeinschaftsschule wird sich möglicherweise für ein berufliches Gymnasium entscheiden, weil er beabsichtigt, ein Studium in einer bestimmten Richtung aufzunehmen. Dann ist er natürlich stärker an einem beruflichen Gymnasium ori entiert. Wenn er eher ein gleichwertiges Abitur anstrebt, wird er auch an einer Gemeinschaftsschule oder sogar an einem all gemeinbildenden Gymnasium die Oberstufe besuchen. Auch das ist eine Freiheit, die wir zulassen. Das ist auch gut so.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Für die Fraktion der SPD erteile ich Herrn Kollegen Bayer das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich – und nicht nur ich – habe den Eindruck, dass für diese Debatte eigentlich die inhaltli che Grundlage fehlt, wenn man die Überschrift ernst nimmt. Wir haben im Augenblick keinerlei Genehmigungen für Ober stufen an Gemeinschaftsschulen. Es gibt keinerlei seriöse Da ten für vernünftige Prognosen. Im Augenblick besuchen Zehn- bis Zwölfjährige die Gemeinschaftsschulen. Wenn dann Ober stufen eingerichtet werden, sind sie auch Bestandteil der re gionalen Schulentwicklungsplanung, in die die beruflichen Schulen dann natürlich einbezogen werden.

Damit könnte man die Debatte eigentlich beenden, wenn – ja wenn – sie nicht Bestandteil eines politischen Szenarios wä re, das am ehesten mit „Kreuzzug gegen die Gemeinschafts schule“ zu umschreiben ist.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Ich möchte daran erinnern, wie das Ganze begonnen hat, näm lich mit einer Verunglimpfung des Namens. Es war die Rede von „sogenannten Gemeinschaftsschulen“ und „sogenannten gesamtschulähnlichen Gemeinschaftsschulen“.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: „Einheitsschu le“! „Sozialistische Einheitsschule“!)

Es ging weiter mit einem Lächerlichmachen des pädagogi schen Konzepts und der pädagogischen Philosophie,

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

und jetzt endet es mit Gefährdungsszenarien, die völlig unre alistisch sind. Das hat mit seriöser Bildungspolitik nichts zu tun.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

In diesen Reigen gehört auch der Versuch, Schularten gegen einander auszuspielen, wie es in der Verwendung Ihrer dimapUmfrage sichtbar wird. Ich sage Ihnen einmal, wie das drau ßen ankommt. Der Schulleiter einer Gemeinschaftsschule hat seinem Ärger in einem Brief an die regionale Presse Luft ge macht. Er sprach von „Stimmungsmache gegen Gemein schaftsschule“, von „Verunsicherung der Eltern“, und vor al lem schrieb er – jetzt möchte ich wörtlich zitieren –:

Diese Art, Politik zu machen, demoralisiert engagierte und motivierte Kolleginnen und Kollegen sowie die Schul leitungen aller Schularten und verursacht damit einen volkswirtschaftlichen Schaden, der leider nicht messbar ist. Durch Angstmache erzielt man keinen Fortschritt, sondern Stillstand.

Recht hat er, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Zuruf des Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD)

Eltern und Lehrkräfte an allen Schulen verdienen Lob und An erkennung – nicht Spott und Häme.

Mit einem gegenseitigen Ausspielen der unterschiedlichen Schularten kommt man der Frage nicht näher, die eigentlich bildungspolitisch ansteht, nämlich die, wie man einer verän derten Schülerschaft gerecht wird. Es kommt nicht auf den Namen einer Schulart an, sondern darauf, wie man auf die re alen Herausforderungen reagiert:

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Aber auf die Inhal te kommt es an!)

auf die Herausforderung ganztägiger Betreuung, auf die He rausforderung immer heterogener werdender Schülerschaften,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

auf die Herausforderung, Inklusion zu verankern – und zwar als Strukturprinzip –, auf die Herausforderung, zieldifferent zu unterrichten, auf die Herausforderung, Kinder und Jugend liche mit unterschiedlichen Lerngeschwindigkeiten zum je weils besten Lernabschluss zu führen, und auf die Herausfor derung, Beruflichkeit fest zu verankern und stärker ins Zent rum zu stellen.