Es ist kein Zufall, dass die Landesregierung dieser Tage den Fahrplan für die Volksabstimmung zu Stuttgart 21 verkündet. Daher ist es mehr als durchsichtig, dass jetzt noch schnell die Verfassung geändert werden soll, um die „Erfolgsbedingun gen“ zu verbessern.
Für die CDU-Fraktion steht fest: Wer im Wahlkampf mit „Volksabstimmung jetzt!“ plakatiert, muss eigentlich wissen, wie die Spielregeln aussehen. Daher werden wir uns nicht an solch durchsichtigen Manövern beteiligen, während eines sol
chen Prozesses plötzlich und nur aus diesem Grund die Spiel regeln zu verändern. Die Frage einer nachhaltigen Bürgerbe teiligung kann nicht in einem Hauruckverfahren entschieden werden.
Sie hatten am 16. Dezember 2010 die Gelegenheit, gemein sam mit uns eine moderate Senkung des Quorums zu beschlie ßen. Sie haben diese Gelegenheit damals aus wahltaktischen Gründen verstreichen lassen. Jetzt erwarten Sie, dass wir Ih nen Ihre Wahlversprechen erfüllen, obwohl Sie bei den Bür gerinnen und Bürgern ganz allein im Wort stehen.
Was Ihnen beim Thema Bürgerbeteiligung fehlt, ist ein stim miges Gesamtkonzept. Denn Bürgerbeteiligung darf eben nicht auf die Frage von Volksabstimmungen reduziert werden. Mit Ihrem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf tun Sie aber ge nau dies.
Sie stellen damit einen Gegensatz zwischen der repräsentati ven parlamentarischen Demokratie und der direkten Demo kratie her. Was wir aber brauchen, ist eine deutlich höhere Be teiligung der Bürgerinnen und Bürger in unserem System der repräsentativen parlamentarischen Demokratie.
Diese Vereinbarkeit stellen Sie gerade nicht her. Sie erwecken den Eindruck, allein mit der Senkung eines Quorums bei Volksabstimmungen wäre die Frage nach den demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten beantwortet. Mitwirkung bedeu tet aber eben nicht, erst am Ende eines Prozesses zwischen ei nem einfachen Ja oder Nein entscheiden zu können. Mitwir kung bedeutet doch, an einem Prozess aktiv teilzunehmen, sich einzubringen, Alternativen zu entwickeln und Meinun gen abwägen zu können.
Stuttgart 21 ist ein Beispiel hierfür. Wenn es zu einer Volks abstimmung kommt, geht es nicht darum, zwischen S 21 und K 21 oder zwischen S 21 und einer ganz anderen Alternative zu entscheiden. Es geht auch nicht darum, ob alle Projektpart ner – Bund, Bahn, Land, Region und Stadt – zum Ausstieg ge zwungen werden. Es geht lediglich um die Frage, ob sich das Land aus seinen vertraglichen Verpflichtungen zurückzieht oder nicht. Wären Sie ehrlich, würden Sie dies den Bürgerin nen und Bürgern klar sagen.
Ihre Transparenz beschränkt sich aber auf Plakatparolen. Die ses Beispiel zeigt doch deutlich, dass Volksabstimmungen eben nicht in jedem Fall konkrete Fragen beantworten kön nen. Sie wecken damit Erwartungen, die sich schlichtweg nicht erfüllen lassen. Damit wird aber auch der Keim für ei ne neue Unzufriedenheit gelegt. Das werden wir als CDUFraktion verhindern.
Die Frage der Bürgerbeteiligung im 21. Jahrhundert ist kom plex. Einfache und schnelle Antworten sind da fehl am Platz. Ein Blick über die Grenzen ist dabei manchmal ganz hilfreich. In einem Demokratieranking der Universität Zürich lag die Schweiz deutlich hinter Deutschland. Ein Grund dafür ist die
mangelnde Beteiligung an Volksabstimmungen. Trotz vorhan dener Möglichkeiten beteiligt sich nur eine Minderheit. Nach Angaben des Schweizer Bundesamts für Statistik lag die Be teiligung an Volksabstimmungen zwischen den Jahren 2000 und 2009 im Durchschnitt bei 45,2 %. Bei den Abstimmen den – das ist soziologisch ganz interessant – handelt es sich mehrheitlich um Wohlhabende, um Ältere, um Gebildete und um überproportional viele Männer.
Wenn also Volksabstimmungen nur die Präferenzen bestimm ter Gruppen darstellen, stellt sich sehr wohl die Frage, ob da bei das Gewünschte, nämlich das breite Meinungsbild der ge samten Gesellschaft, abgebildet wird.
Der Politikwissenschaftler Gabriel führt in einem heute in den „Stuttgarter Nachrichten“ veröffentlichten Interview aus, es sei das Verdienst der Sozialdemokratie gewesen – das will ich ein Stück weit unterstreichen –, dass sie im 19. und 20. Jahr hundert das Demokratieprinzip grundsätzlich allen Bürgerin nen und Bürgern ermöglicht hat. Wenn Sie, wie Sie es derzeit tun, die Bürgerbeteiligung einfach nur auf die Volksabstim mung reduzieren, führen Sie genau dieses Demokratieprinzip wieder ein Stück weit zurück.
Herr Kollege Hauk, Sie haben ex plizit als Beispiel die Schweiz genannt und hinsichtlich der jenigen, die an Abstimmungen teilnehmen, auf eine einseiti ge soziologische Zusammensetzung verwiesen. Ich kenne mich da ein bisschen aus.
Können Sie sich vorstellen, dass dieses Haus als Teil der re präsentativen Demokratie soziologisch genauso zusammen gesetzt ist wie die Bevölkerung in der Schweiz, die an den Volksabstimmungen teilnimmt?
Herr Kollege Winkler, es geht nicht darum, wer Repräsentant einer repräsentativen Demokratie ist, sondern es geht darum, dass man eine möglichst breite Be teiligung der Bürgerinnen und Bürger an einem demokrati schen Mitwirkungsprozess erreicht. Das ist der entscheiden de Punkt. Mit Volksabstimmungen erreichen Sie gerade das nicht oder nur unzureichend, weil Sie am Ende eines Prozes ses eine Beteiligung herbeiführen, die aber am Anfang von Verfahren notwendig ist. Das ist der entscheidende Punkt.
Meine Damen und Herren, als weiteres Beispiel will ich Ka lifornien nennen. Dort haben verschiedene Referenden über die Einführung von Steuer- und Haushaltskürzungen den Staat an den Rand der Unregierbarkeit gebracht. Letztendlich war das Ergebnis nur eine noch größere Unzufriedenheit der Be
Die Beispiele ließen sich weiterführen. Allen Beispielen ist gemeinsam, dass die Themen Bürgerbeteiligung und „Direk te Demokratie“ viele Facetten haben. Sie bieten sich eben nicht nur für simple Parolen an. Daher haben wir bereits in der vergangenen Legislaturperiode angeregt, eine Enquete kommission zu diesem Thema einzurichten. In dieser können in Ruhe und unabhängig von der Tagespolitik alle Fragen er örtert werden.
Ob dann am Ende des Prozesses Änderungen der Verfassung notwendig sind, wird man sehen. Wir verschließen uns auch nicht grundsätzlich einer Verfassungsänderung – damit das klar ist. Wir verschließen uns dieser Verfassungsänderung nur, weil sie erstens aus tagesaktuellem Grund erfolgt und weil zweitens nicht bereits zu Beginn der Verfahren umfassend ge klärt ist, welche Möglichkeiten zur Stärkung der Bürgerbetei ligung und von Bürgerrechten bestehen, und nicht über ent sprechende Vorschläge gesprochen wird.
Das sind die entscheidenden Bedingungen. Wir sollten jeden falls versuchen, ein solches Gesamtkonzept zu entwickeln, das viele Fragen beantwortet. Sie können hier und jetzt zei gen, worum es Ihnen wirklich geht. Wollen Sie mit der Volks abstimmung als Hintertürchen lediglich Ihren Willen zu Stutt gart 21 durchsetzen und damit den Konflikt innerhalb der So zialdemokratie und den Konflikt innerhalb der Koalition zwi schen SPD und Grünen lösen? Oder geht es, wie Sie stets pro klamieren, tatsächlich darum, die Bürger zu hören und deren Meinung künftig mehr und auch sinnvoll in einem fairen und transparenten Verfahren einzubinden?
Wenn das Zweite der Fall ist, dann ziehen Sie Ihren Antrag und Ihren Gesetzentwurf jetzt zurück, und lassen Sie uns ge meinsam an einem neuen Konzept für eine bessere und um fassendere Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in unse rem Land, in Baden-Württemberg, arbeiten. Wir bieten Ihnen dabei eine offene, auch eine offensive und konstruktive Zu sammenarbeit im Sinne unserer Bürgerinnen und Bürger – im Rahmen unserer Verfassung – an.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Den Keim für neue Unzufriedenheit, Herr Hauk, legen Sie und die CDU heute.
Ich darf Sie daran erinnern, dass Ihre Beschlusslage noch im Januar dieses Jahres war: Wir müssen über Bürgerbeteiligung reden – in einem sehr komplexen Prozess; das ist nicht ein fach zu beantworten –, aber wir können uns außerhalb dieses
Prozesses – egal, ob mit oder ohne Enquetekommission – schon heute auf eine Senkung des Quorums verständigen. Das galt für Sie im Januar, aber das gilt für Sie im Juli nicht mehr.
Die Geschäftsgrundlage war im Januar nicht anders als im Ju li. Auch im Januar wurde bereits über das Thema „Volksab stimmung zu Stuttgart 21“ diskutiert,
und es war klar, dass das ein Weg sein wird, der diesen Kon flikt in einem demokratischen Sinn abschließen wird.
Deshalb kommt nun unser Vorschlag, jetzt den denkbar kleins ten Schritt zu tun und endlich einmal aus den Startlöchern he rauszukommen, in denen wir seit Jahren sitzen, weil uns eine Zustimmung von einer Zweidrittelmehrheit in diesem Haus, die zu einer Verfassungsänderung nötig ist, fehlt.
Es geht um den denkbar kleinsten ersten Schritt mit dem kla ren Signal an die Bürgerinnen und Bürger draußen – vor al lem nach den Erfahrungen der letzten zwei Jahre –: Wir ha ben verstanden; wir machen ein erstes Angebot, und weitere Angebote folgen, wenn wir uns ausführlich darüber verstän digt haben.
Das wäre möglich gewesen. Wir haben Ihnen im Rahmen der Beratungen des Ständigen Ausschusses auch ausdrücklich an geboten, auf Ihren vorherigen Vorschlag, das Quorum auf 25 % zu senken – wobei durchaus Übereinstimmung mit den Voten der kommunalen Landesverbände in der Anhörung be standen hätte –, einzugehen. Das interessiert Sie aber im Kern nicht. Ihnen geht es nicht um eine Stärkung der Bürgerbetei ligung, sondern es geht Ihnen um Blockadepolitik bei Stutt gart 21. Das ist der entscheidende Punkt.
(Beifall bei den Grünen und der SPD – Lachen bei der CDU – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Wir haben den Beschluss demokratisch gefasst! – Weite re Zurufe)
Auf dem Weg zu einer demokratischen Entscheidung über Stuttgart 21 ist die CDU die Blockadepartei in Baden-Würt temberg. So ist das.