Protocol of the Session on July 20, 2011

Das angesprochene Ziel wird sich nur schrittweise erreichen lassen – das ist uns auch klar –, aber wir werden damit anfan gen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Verzichten Sie auf die Gemeinschaftsschulen! Dann wird es gut!)

Wir werden nach fünf Jahren, Herr Röhm, keinen Plan mehr vorlegen, aus dem hervorgeht, dass das strukturelle Unter richtsdefizit mit 4,5 % gleich geblieben ist. Das kann ich Ih nen versprechen. Ich werde mich dafür einsetzen, dass es nicht so kommt.

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Wir werden die Reformen weiter vorantreiben. Ich fordere Sie auf, mit uns den im letzten Jahr begonnenen Weg weiterzuge hen. Wir brauchen die Bündnispartner auch hier im Parlament, damit wir die berufliche Bildung stärken können.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Lassen Sie die Gemeinschafts schule!)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Storz das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, verehrte Kollegin nen und Kollegen! In den vergangenen Wochen demonstrier ten immer wieder Tausende junger Spanierinnen und Spanier auf der Plaza del Sol. Trotz ihrer guten Ausbildung finden vie le junge Menschen in Spanien keinen Arbeitsplatz.

Im gleichen Zeitraum war ich in meinem Wahlkreis auf einer Gewerbeschau des örtlichen Mittelstands. Dort gab es ein ganz anderes Bild: Die Handwerker und die Unternehmer be richteten mir, dass sie nicht genügend Auszubildende haben und dass keine Fachkräfte zur Verfügung stehen. Nun könnte man meinen, die einfachste Lösung wäre, die gut ausgebilde ten jungen Menschen aus Spanien und aus anderen EU-Staa ten nach Deutschland zu holen, um den hiesigen Arbeitsmarkt mit Fachkräften zu versorgen. Aber damit würden wir es uns zu einfach machen.

Unsere Wirtschaft wird zwar auf Zuwanderung angewiesen sein. Da wollen wir, wenn nötig, bestehende Hemmnisse min dern. Dies darf aber nicht dazu führen, dass Beschäftigungs chancen von Menschen, die bereits in unserem Land leben, gemindert werden.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Da haben Sie recht!)

Wir haben hier im Land ein großes, unausgeschöpftes Poten zial an Menschen, die durch entsprechende Qualifizierungen und Umstrukturierung der Rahmenbedingungen dem Arbeits markt als Fachkräfte zur Verfügung stehen können.

Im grün-roten Koalitionsvertrag haben wir uns auf die Etab lierung einer Plattform verständigt, die dies organisieren soll. Unter dem Namen „Allianz für Fachkräfte“ wird die Landes regierung im Dialog mit den Gewerkschaften, der Wirtschaft, der Agentur für Arbeit und den Hochschulen sowie mit den Kommunen einen konkreten Maßnahmenkatalog zur Behe bung des Fachkräftemangels erarbeiten. Sie sehen damit: Wir nehmen dieses Thema ernst.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, einiges davon ge schieht schon heute. Mit dem Vorhaben der Landesregierung,

mehr Geld für den Ausbau der Kleinkindbetreuung zur Ver fügung zu stellen, unternehmen wir bereits einen ersten Schritt zur Bekämpfung des Fachkräftemangels. Viele Frauen, die gern arbeiten würden, können dies aufgrund fehlender Ganz tagsbetreuung für ihre Kinder nicht. Europäische Vergleiche zeigen einen klaren Zusammenhang zwischen dem Angebot an Ganztagsbetreuung für Kinder und dem Arbeitsvolumen von Frauen. Durch den Mangel an entsprechenden Betreu ungsplätzen gehen uns viele und vor allem qualifizierte Fach kräfte verloren.

Die Quote der Frauen mit Abitur in der Altersgruppe der 25- bis 35-Jährigen liegt um drei Prozentpunkte über der entspre chenden Quote der Männer. Trotzdem ist die Erwerbsquote von Frauen bei uns im Vergleich zu anderen Ländern stark un terdurchschnittlich. Ein großer Teil der gut ausgebildeten Frauen bei uns im Land findet also nicht den Weg in den Ar beitsmarkt.

Mit einer flächendeckenden Ganztagsbetreuung ermöglichen wir es den Frauen im Land, ihren Berufen nachzugehen. Wir schlagen damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe; denn langfristig führen die zusätzlichen Investitionen in die früh kindliche Bildung auch dazu, dass Kinder besser ausgebildet sein werden. Das wird dem Fachkräftemangel auf lange Sicht entgegenwirken.

Es ist unumstritten, dass eine gezielte Förderung im frühen Alter im Hinblick auf den Bildungserfolg die größten Effek te bei geringstmöglichen Kosten erzielt. Die Organisatoren in der Wirtschaft haben die frühere Landesregierung immer wie der auf diesen Zusammenhang hingewiesen, aber geschehen ist relativ wenig.

Neben den Investitionen in die frühkindliche Bildung ist die kontinuierliche Verbesserung der Qualität der Schulausbil dung unabdingbar. Unsere Aufgabe für die kommenden Jah re wird es sein, die Ausbildungsfähigkeit der Schulabgänger zu erhöhen und die Schulabbrecherquote zu senken. Auf dem Weg zum ersten berufsqualifizierenden Abschluss darf uns kein Kind verloren gehen; denn die Wirtschaft braucht jeden und jede.

Dabei müssen wir ein besonderes Augenmerk auf die Jugend lichen mit Migrationshintergrund legen. Denn sie erreichen in Baden-Württemberg im Durchschnitt einen niedrigeren Schul abschluss als Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Es war deshalb wichtig, mit dem neuen Integrationsministerium ein Haus zu schaffen, das sich explizit dieser Problematik an nimmt. Denn auch für die Menschen mit Migrationshinter grund gilt: Die Wirtschaft braucht jede und jeden, um auch in Zukunft ausreichend Fachkräfte zur Verfügung zu haben.

Meine Damen und Herren, ohne genügend Fachkräfte werden die großen Unternehmen dazu tendieren, ihre Produktionsbe reiche und Forschungsabteilungen ins Ausland zu verlagern. Dadurch würde auch die gesamte Wertschöpfungskette dort hin abwandern. Das Wachstum fände dann nicht mehr in Ba den-Württemberg statt. Kleine und mittlere Unternehmen be kämen ohne genügend Fachkräfte ein existenzielles Problem. Sie könnten einer wachsenden Auftragslage nicht mehr nach kommen. Im glimpflichsten Fall führt dies zum Stillstand un serer Wirtschaft. Dieser Stillstand ist, wie wir wissen, Rück schritt.

Es hilft nicht, über einen für die Zukunft drohenden Fachkräf temangel zu klagen. Wir müssen heute handeln, und zwar ko ordiniert und konsequent.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Für die Fraktion der FDP/DVP erteile ich Herrn Abg. Grimm das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsi dent, meine Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kol legen! Der CDU-Kollege Georg Wacker hat nach der ersten Zusammenkunft des neuen Parlaments im vergangenen Mai als Mitunterzeichner den vorliegenden Antrag an die neue, grün-rote Regierung gerichtet. Er ist offenbar in Sorge wegen des Fachkräftemangels. Noch im März hätte ihm der Staats sekretär im Kultusministerium Georg Wacker wohl ebenso umfangreich antworten können, wie es jetzt der Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid – auch im Namen von fünf weiteren Ministerien – getan hat.

(Lachen des Abg. Ingo Rust SPD)

Wenn ein neues Steuersystem angeblich auf einen Bierdeckel passen kann, meine Damen und Herren, dann braucht ein ein ziges Wort noch weniger Platz. Sie von der Regierung, sagen Sie einfach Ja. Sagen Sie Ja zum Fordern vor dem Fördern. Sagen Sie Ja zu dem in Deutschland erfolgreichsten Bildungs- und Ausbildungssystem, um das uns die Welt und auch ande re Bundesländer beneiden.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. An drea Lindlohr GRÜNE: Echt?)

Das dreigliedrige Bildungssystem hat dieses Land zu dem ge macht, was es ist. In diesem Land bietet es jedem, der will – seiner Begabung entsprechend –, durch seine Durchlässigkeit die Chance, alle denkbaren Abschlüsse zu erreichen. Auch die Hauptschule hat es nicht verdient, dauernd diskriminiert zu werden. Statt sie abzuwerten, muss ihr Abschluss aufgewer tet werden,

(Abg. Muhterem Aras GRÜNE: Das schafft doch die Bundesregierung schon!)

aber nicht mit „mittlerer Reife light“ oder sogar „Abitur light“.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Keine Herabnivel lierung! Richtig!)

Sagen Sie Ja zum bewährten Ausbildungssystem, von dem Wirtschaft, Schule und Verbände mehr verstehen als die Po litik. Sie von der Regierung, sagen Sie: Ja, es ist gut, aber wir machen es noch besser, indem wir die unterschiedlichsten Be gabungen der Menschen noch individueller unterstützen, und zwar von Anfang an.

(Abg. Andreas Stoch SPD: Das machen wir! – Glo cke des Präsidenten)

Herr Abg. Grimm, ge statten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Lehmann?

Herr Lehmann, ich bin bei meiner Jungfernrede. Ich komme noch nicht einmal zur zwei ten Seite, da bekomme ich schon eine Zwischenfrage.

Herr Abg. Grimm, nur Ja oder Nein.

(Heiterkeit)

Danke, Herr Präsident: Nein.

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Gut.

Sagen Sie: Ja, wir wollen nicht erst etwas tun, wenn Schule und Kind durchgefallen sind. Sagen Sie: Ja, wir wollen, dass kein Schüler die Schule ohne Abschluss verlässt.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja, genau!)

Sagen Sie: Ja, wir wollen, dass kein junger Mensch auf eine Ausbildung verzichtet oder sie abbricht. Sagen Sie: Ja, wir wollen, dass jedes Kind, egal, welcher Nationalität, Deutsch spricht, wenn es eingeschult wird. Sagen Sie Ja zu den Leh rerinnen und Lehrern und zu den Ausbildern. Helfen Sie ih nen, die jungen Menschen auf ein Leben vorzubereiten, das nun einmal nicht nur aus Spiel und Spaß besteht.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja! So ist es!)

Gehen Sie in die Betriebe, in die staatlichen und privaten Aus bildungsstätten und in die Berufsschulen, und Sie werden se hen: Ja, die Praxis funktioniert trotz mancher Hindernisse. Sa gen Sie: Ja, wir helfen, diese oft auch bürokratischen Hinder nisse wegzuräumen. Sagen Sie Ja zur Subsidiarität, und set zen Sie auf Eigenverantwortung vor staatlichem Handeln. Was in Tuttlingen oder in Donaueschingen geregelt werden kann, muss nicht hier im Landtag oder von der Landesregierung ge regelt werden.

Die Zahlen, die Kollege Wacker in seinem Antrag und Minis ter Nils Schmid in seiner Stellungnahme nennen, beziehen sich auf Daten, die, denke ich, schon längst wieder überholt sind. Ging es jüngst noch darum, Ausbildungssuchenden ge nügend Lehrstellen anzubieten, so haben wir schon jetzt mehr Stellen als Bewerber.

Schauen Sie über den Kirchturm, über Landes- und Bundes grenzen hinaus. Sagen Sie Ja zur unbürokratischen Anerken nung gleichwertiger Abschlüsse in Schule, Studium und Be ruf, die nicht in Deutschland gemacht worden sind. Suchen Sie nicht hinter den sieben Bergen nach neuen Fachkräften, wenn sie hier fehlen, sondern öffnen Sie einfach die Tür. Sie stehen davor: in Spanien, in Frankreich, in Italien oder sonst irgendwo in der EU.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU und der Grünen)

Sagen Sie Ja zu einem solidarischen Europa.