Protocol of the Session on July 20, 2011

Der Fachkräftemangel wird zum Konjunkturrisiko Nummer 1. Er gefährdet die wirtschaftliche Entwicklung der Unterneh men massiv, und der demografische Wandel tut sein Übriges dazu.

Klar ist: Wir brauchen qualifizierte Fachkräfte, egal, welchen Geschlechts, egal, welcher sozialen Herkunft, und vor allem egal, welchen Alters.

Darum ist es wichtig und richtig, gemeinsam mit den Bünd nispartnern entsprechende Schwerpunkte zu setzen und Zie le zu vereinbaren.

Für die CDU-Fraktion steht fest, dass wir den richtigen Weg eingeschlagen haben und diese Aufgaben konsequent weiter führen müssen.

(Beifall bei der CDU)

Das Ausbildungsbündnis hat zu einem ganz besonderen En gagement der Bündnispartner geführt. Es konnten zusätzliche Ausbildungsplätze gewonnen und dadurch die Anschlüsse an das duale System optimiert werden.

Zur Bewältigung der vielschichtigen Herausforderungen müs sen neben den quantitativen Zielen weiterhin auch qualitati ve Aspekte einbezogen werden. Die Enquetekommission „Fit fürs Leben in der Wissensgesellschaft – berufliche Schulen, Aus- und Weiterbildung“ hat 50 Handlungsempfehlungen ent wickelt und sie dem Landtag im Dezember des vergangenen Jahres vorgelegt.

Gut ausgebildete junge Menschen sind ein wesentlicher Stand ortvorteil für unser Land und für die Unternehmen in unse rem Land. Dabei gilt: Je früher Schülerinnen und Schüler für die Ausbildung und den Beruf sensibilisiert und darauf vor bereitet werden, desto nachhaltiger sind die Auswirkungen für den Arbeitgeber, desto stärker wird das Bewusstsein der Aus zubildenden für den Betrieb und desto größer sind die Chan cen auf Verwurzelung im Unternehmen.

Die CDU-Fraktion begrüßt es sehr, dass die Landesregierung die Ziele des Ausbildungsbündnisses und die Empfehlungen der Enquetekommission aufnimmt und deren vollständige Umsetzung anstrebt. Wir freuen uns, dass von der grün-roten Landesregierung in ihrer umfangreichen Stellungnahme zu unserem Antrag viele gute CDU-Ideen aufgegriffen wurden,

(Beifall bei der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jawohl! Bravo! – Gegenrufe von der SPD)

so auch die Idee zur intensiven Berufsorientierung.

Allerdings wird auch klar, meine Damen und Herren von der Landesregierung, wie kontraproduktiv Sie arbeiten. Einerseits schafft die Kultusministerin aus ideologischen Gründen die auf zwei Tage pro Woche angelegte, echte, praktische Berufs erfahrung für die Werkrealschüler ab,

(Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Sie ist schon ins Wo chenende abgefahren!)

um an anderer Stelle die Idee einer Berufsorientierung aufzu greifen. Kultusministerin Professorin Dr. Marion Schick hat te bereits im Januar 2011 die Dualisierung des Berufsvorbe reitungsjahrs, des Berufseinstiegsjahrs und des „Vorqualifi zierungsjahrs Arbeit/Beruf“ angekündigt.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Die versteht et was von Wirtschaft!)

Das führen Sie dankenswerterweise auch in Ihrer Stellung nahme zu dem Antrag aus. Dasselbe gilt für die Informations kampagne zur Bekanntmachung von Neuregelungen im Rah men der Studienregelungen. Diese wurde im Herbst 2010 von der CDU-FDP/DVP-geführten Landesregierung erfolgreich auf den Weg gebracht und wird nun von Ihnen beworben.

Ganz und gar nicht neu ist auch Ihr Vorschlag des sogenann ten Sommerkollegs. Sie versuchen damit, ein erfolgreich ge startetes Projekt der Vorgängerregierung als neues, grün-ro tes Projekt zu verkaufen. Das sogenannte Sommerkolleg hieß im vergangenen Jahr noch Sommerschule und geht auf eine bildungspolitische Initiative der CDU-Fraktion zurück.

(Beifall bei der CDU – Abg. Volker Schebesta CDU: Genau! Bravo! – Gegenruf des Abg. Walter Heiler SPD – Abg. Tanja Gönner CDU: Unsere eigenen Ide en! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Zum Teil schon umgesetzt!)

Noch im Dritten Nachtragshaushalt hat die CDU-Fraktion die zur Förderung von Haupt- und Werkrealschulen notwendigen Mittel bereitgestellt. So war es möglich, dass bereits im Som mer 2010 an vier Standorten im Land Sommerschulen statt finden konnten.

Zielsetzung muss weiterhin sein – das möchte ich hervorhe ben –, das Arbeitskräftepotenzial in den MINT-Berufen durch eine Steigerung der Erwerbsbeteiligung von Frauen deutlich zu erhöhen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So machen wir es!)

Es gilt, vorhandenes Potenzial zu qualifizieren, und zwar vor der Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland.

(Beifall bei der CDU)

Ich hoffe, dass die jetzige Regierung in gleicher Weise ihrer Verantwortung für den Wirtschaftsstandort Baden-Württem berg gerecht wird.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Na, na, na! – Abg. Hel mut Walter Rüeck CDU: Hoffen und Harren hält manchen zum Narren!)

Deshalb enttäuscht es mich auch sehr, dass das Ministerium für Finanzen und Wirtschaft uns mit seiner Stellungnahme zu unserem Antrag so lange hat warten lassen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Unglaublich! – Abg. Volker Schebesta CDU: Und das bei zwei Häu sern!)

Es ist wichtig, dass wir in Baden-Württemberg nicht die fal schen Signale an die Wirtschaft und vor allem an die jungen Menschen im Land aussenden.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Bravo! – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Sehr gute Rede!)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich Herrn Abg. Lehmann, der bereits am Redner pult steht, das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Schmid, ich habe, als ich diesen An trag gesehen habe, überlegt, was das jetzt soll. 14 Tage nach dem der Ministerpräsident vereidigt wurde stellen Sie einen Antrag.

(Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Was? – Weitere Zuru fe)

14 Tage danach.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Zeitpunkt der An tragstellung! Passt schon!)

Genau. – 14 Tage nach der Vereidigung stellen Sie also ei nen Antrag, in dem Sie im Kern nichts anderes machen, als zu dokumentieren, dass Sie in den vergangenen Jahren eigent lich nichts getan haben, um z. B. das strukturelle Unterrichts defizit abzubauen,

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Unruhe bei der CDU – Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Wo waren Sie denn?)

14 Tage nachdem die neue Regierung ins Amt gesetzt wurde verlangen Sie einen Stufenplan zum Abbau des strukturellen Unterrichtsdefizits. Super! Wir haben in der letzten Legisla turperiode heftig über diesen Punkt diskutiert, liebe Kollegin nen und Kollegen von der CDU. Es hieß immer – wir hatten ja auch einen Produktplan; Sie haben das in der mittelfristi gen Finanzplanung auch geplant –: 96 % Unterrichtsversor gung an den beruflichen Schulen. Dann haben wir das kriti siert, und dann hat man das einfach als Produkt aus dem Haus halt genommen. Das war Ihre Art, mit diesem Problem um zugehen.

Jetzt möchte ich auf die Enquetekommission verweisen: In dieser Enquetekommission haben wir im letzten Jahr wirklich einen breiten Konsens zwischen allen Fraktionen erreicht und eine breite Palette von Handlungsempfehlungen erstellt. Ich sage Ihnen eines: Wir werden nicht so vorgehen, dass wir sa gen: „Das sind Ihre Handlungsempfehlungen, und das sind unsere.“ Denn wir haben die meisten Handlungsempfehlun gen im Konsens beschlossen. Ich möchte Ihnen das Angebot machen, im Bereich der beruflichen Bildung diesen breiten Konsens fortzuführen. Deshalb haben wir das auch im Koa litionsvertrag so festgehalten. Das sind unsere Handlungsemp fehlungen, die wir gemeinsam erarbeitet haben. Es ist wich tig, dass wir zumindest einen bildungspolitischen Bereich ha ben, bei dem wir uns in den Grundzügen einig sind. Das ist eine hohe Qualität.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Daran werden wir weiterarbeiten. Wir werden aber natürlich auch dort – auch das haben wir in den Koalitionsvertrag ge schrieben –, wo wir keinen Konsens hatten, das von uns Ge wünschte jetzt umsetzen. Wir haben gesagt: Das Bündnis für Ausbildung ist gut; wir brauchen darin aber noch mehr Qua lität. Wenn Sie sich den Bericht für das Jahr 2010, der jetzt vorgelegt wurde, angeschaut haben, stellen Sie fest, dass es in Baden-Württemberg 41 600 Jugendliche in schulischen Aus bildungsgängen ohne berufsqualifizierenden Abschluss oder weiterführenden Schulabschluss gab. Wir hatten 74 000 neue Ausbildungsverträge, und mit Blick auf diese Zahl wird im mer davon gesprochen, wir hätten alle versorgt. Das ist eine Lebenslüge, weil viele junge Menschen eben nicht in eine be rufliche Qualifizierung hineinkommen.

Das ist im Kern die Situation, vor der wir stehen. Wenn wir uns, wie Sie es fordern, zunächst auf die Qualifizierung hier im Land konzentrieren, dann müssen wir uns ernsthaft um die ses Thema kümmern. Wir dürfen es nicht mehr zulassen, dass junge Leute keinen Rechtsanspruch auf eine anerkannte be rufliche Ausbildung haben. Es muss ein politisches Ziel sein, dies zu ändern. Daran werden wir arbeiten. Das haben wir auch in den Koalitionsvertrag geschrieben.

Das heißt natürlich, dass wir uns zu diesem Punkt auch in ei ne ernsthafte Diskussion mit der Wirtschaft begeben. Es wird nicht mehr ausreichen, nur Goodwill-Pressekonferenzen mit den Kammern zu abzuhalten. Vielmehr müssen wir auch sa gen: Die jungen Menschen, die an einer beruflichen Schule eine berufliche Qualifizierung absolviert haben, müssen die se Zeiten ebenfalls als Ausbildungszeiten anerkannt bekom men. Diese Diskussion müssen wir vonseiten der Politik ganz offensiv führen.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: In Ordnung!)

Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf die Studie der Bertelsmann Stiftung hinweisen, die im April dieses Jahres herausgegeben wurde. Die Bertelsmann Stiftung hat ausge rechnet, dass die Kosten durch eine unzureichende Berufsaus bildung pro Altersjahrgang in der Bundesrepublik bei 1,5 Mil liarden € liegen. 1,5 Milliarden €! Und sie hat es weiter hoch gerechnet: Wenn wir hier bis zum Jahr 2020 keine nennens werten Änderungen erreichen, entstehen 15 Milliarden € an Folgekosten. 30 % dieser Kosten werden auf das Land zurück fallen.

Die Bertelsmann Stiftung hat auch sehr eindrücklich darge stellt, was das für Baden-Württemberg bedeutet. In BadenWürttemberg haben 15 % der 25- bis 34-Jährigen eine unzu reichende Bildung und kommen nicht in eine berufliche Aus bildung und nicht in eine Beschäftigung hinein. Das ist ein Problem, vor dem wir stehen. Das hat Kosten von 21 600 € pro Kopf zur Folge.

Das Ganze aber hat für unser Land nicht nur eine statistische, sondern auch eine wirtschaftliche Dimension. Von den 41 000 Jugendlichen, die ich vorhin erwähnt habe, die nicht in eine berufliche Qualifizierung kommen, haben 60 % eine schuli sche Ausbildung durchlaufen, die durchaus anerkannt werden kann. Das sind fast 25 000 junge Leute. Die haben etwas ge leistet, aber man sagt: Das reicht nicht aus, wir erkennen die se Ausbildung nicht an.

Diese Diskussion werden wir im Bündnis für Ausbildung füh ren. Ich finde, das Bündnis für Ausbildung ist jetzt auch rich tig aufgestellt, indem dort nun alle Akteure – auch die Ge werkschaften – an einem Tisch sitzen. Das ist richtig so. Wir müssen im Bündnis für Ausbildung diese Diskussion voran treiben.

Lassen Sie mich noch eines zu den beruflichen Schulen sa gen. Wir haben gesagt: Wir wollen das strukturelle Unter richtsdefizit abbauen. Dazu haben wir uns auch in der En quetekommission bekannt. Alle, die als Bildungspolitiker da ran beteiligt waren, werden darauf achten, dass wir dieses Ziel erreichen. Denn es ist ein untragbarer Zustand, dass Fachkräf te für die Zukunft ausgebildet werden sollen, wir aber in die sem Bereich nicht mehr in der Lage sind, eine hundertprozen tige Unterrichtsversorgung zu gewährleisten.

(Beifall bei den Grünen)

Das angesprochene Ziel wird sich nur schrittweise erreichen lassen – das ist uns auch klar –, aber wir werden damit anfan gen.