Protocol of the Session on January 29, 2014

Wir kommen den Gebräuchen der muslimischen Bestattungs kultur, die sehr ausgeprägt und würdevoll gestaltet ist, res pektvoll entgegen. Auf der anderen Seite werden mit diesem Gesetzentwurf auch keine religiösen Gefühle von Christen verletzt. Es findet auch kein Missbrauch statt. Die „kostenspa rende Bestattung“ ist ausgeschlossen.

Ich möchte mich abschließend ausdrücklich bei den beiden Regierungsfraktionen bedanken. Sie haben nicht im Allein gang einen Gesetzentwurf gemacht; sie hätten diesen ja mit ihrer Mehrheit auf den Weg bringen können. Die Wünsche der CDU-Fraktion wurden ausdrücklich berücksichtigt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen, der SPD und der FDP/DVP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, inzwischen hat eine Delegation aus der Region Ka nagawa in Japan unter der Leitung des Vizepräsidenten des Parlaments der Präfektur Kanagawa, Herrn Takahiro Aihara, im Zuhörerraum Platz genommen. Herr Präsident Aihara ist zu Gesprächen mit dem Landtag und der Landesregierung nach Stuttgart gekommen. Außerdem besucht er während sei nes Aufenthalts in Baden-Württemberg mehrere Wirtschafts unternehmen der Region. Mit der Präfektur Kanagawa ver bindet das Land Baden-Württemberg eine langjährige offizi elle Partnerschaft, die bis in das Jahr 1983 zurückreicht.

Sehr geehrter Herr Präsident Aihara, sehr geehrte Gäste aus Japan, ich heiße Sie in der Plenarsitzung des Landtags von Baden-Württemberg herzlich willkommen und wünsche Ih nen einen informativen und erfolgreichen Aufenthalt in unse rem Land. Herzlich willkommen!

(Beifall bei allen Fraktionen)

Das Wort für die Fraktion GRÜNE erteile ich Herrn Abg. Lucha.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir gewusst hätten, dass heute japanische Gäste unter uns sind, hätten wir uns vielleicht noch ein bisschen mit den dortigen Bestattungsri ten beschäftigt.

(Abg. Walter Heiler SPD: Lieber mit Sushi!)

Aber wir können das ja heute Abend nachlesen. Ich glaube, einige von euch wissen darüber Bescheid.

Zu Beginn sollten wir uns noch einmal die Größenordnung vor Augen führen. Baden-Württemberg hat 10,8 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Davon sind ein Drittel ka tholisch, ein Drittel protestantisch, und knapp ein Drittel der Bürgerinnen und Bürger haben eine andere Religion oder be kennen sich zu keiner eingetragenen Religionsgemeinschaft. Geschätzt sind es 600 000 Bürgerinnen und Bürger mit mus limischem Glauben und 9 000 Bürgerinnen und Bürger mit jüdischem Glauben. Das zeigt die Größenordnung.

Kollege Kunzmann hat vorhin die Sorgen der Bestattungsun ternehmer angesprochen. Diese Sorgen haben eine gewisse ökonomische Natur. Diese können wir, glaube ich, schon auf grund der Größenordnung, über die wir sprechen, ausräumen.

Bislang gab es vor allem für muslimische und jüdische Ver storbene und deren Angehörige keine befriedigende Lösung. Muslime leben zum Teil bereits in der dritten und vierten Ge neration in Baden-Württemberg. Die Mehrheit von ihnen stammt aus der Türkei. Ein beträchtlicher Teil von ihnen hat bis heute sehr teure Versicherungen abgeschlossen, die ge währleisten, dass sie nach ihrem Tod ausgeflogen werden, um in der Türkei gemäß ihren religiösen Riten bestattet werden zu können.

Das mag für die erste Generation durchaus noch eine verständ liche Lösung gewesen sein. Aber für die Muslime, die hier ge boren sind, die Bürgerinnen und Bürger dieser Gesellschaft sind, ist das keine annehmbare Lösung. Sie möchten gern dort bestattet werden, wo sie gelebt haben; Baden-Württemberg ist ihre Heimat.

Aber es geht um noch viel mehr. Es geht um die Anerkennung und die Akzeptanz. Riten sind für die Menschen wichtig. Auch die Vorredner haben es gesagt: Der Umgang mit dem Tod ist für uns sicherlich das Intimste und Sensibelste. Dort kommen all unsere Ängste und Sehnsüchte zum Ausdruck; denken wir an die Grabbeigaben im Altertum. All das findet sich im indi viduellen Umgang, aber auch in unseren äußeren Riten im Umgang mit dem Tod wieder.

In meiner Heimat in der Nähe von Altötting hat man auf dem Weg zur Kirche einen Trauermarsch gespielt, und auf dem Rückweg hat die Blaskapelle, wenn ein älterer Mensch ge storben ist, schon einmal anders intoniert. Das war schon ein erster Weg zur Trauerbewältigung. Das zeigt die ganze Band breite, die sich bei uns widerspiegelt.

Ich glaube, es ist wichtig, darauf Rücksicht zu nehmen. Denn die Riten der Menschen können auch die Identifikation mit ih rem Land, ihr Heimischwerden ermöglichen.

Insofern sind die Aufhebung des Sargzwangs, die Ermögli chung der Bestattung im Leintuch und die Aufhebung der 48-Stunden-Frist Schritte, mit denen wir der gesellschaftli chen Realität, den Bedürfnissen der Menschen entsprechen. Ein Festhalten an der bisherigen Regelung hätte die Integra tion dieser Menschen nicht befördert.

Wir nehmen nun entsprechende Änderungen vor. Es freut uns sehr, dass dies im interfraktionellen Einvernehmen geschieht. Tatsächlich ist nicht nur das Gesetz als Ergebnis, sondern auch der Prozess unserer Debatte – – Sie, lieber Kollege Klenk, ha ben stellvertretend für die CDU-Fraktion und Sie, lieber Kol lege Haußmann, stellvertretend für die FDP/DVP-Fraktion mit uns verhandelt. Es waren gute, sachbezogene Debatten. Wir waren uns in der Sache manchmal nicht einig, aber wir haben signalisiert, eine Lösung hinzubekommen.

Wir haben natürlich wahrgenommen, dass es sehr weitgehen de Vorstellungen von Liberalisierung gibt, bis hin dazu, dass Menschen die Urne bei sich zu Hause unter dem Apfelbaum bestatten wollen. Es gab auch eine Debatte über eine See bestattung am Bodensee, eine Debatte – ich sage das als Halbanrainer am Bodensee –, die wir im Umgang mit den Menschen nicht hätten gewinnen können. Wir haben uns, ob wohl viele von uns einen sehr freiheitlichen Grundsatz haben, bewusst auf die religiösen Riten, auf die Bedürfnisse der Men schen jüdischen und muslimischen Glaubens konzentriert, um auch die Tragweite, diesen Schritt, dieses „Step by step“ zu dokumentieren.

Vielleicht gibt es in zehn Jahren die nächste Debatte, die nächste Kulturentwicklung. Aber derzeit steht der interreligi öse, der kultursensible Umgang der Religionen miteinander, der Respekt vor Religionen als Merkmal kultureller Identität im Vordergrund. Deshalb beschränken wir uns ganz bewusst darauf. Dann können wir auch die meisten Menschen mitneh men. Denn ich denke, der Respekt vor Religion ist etwas, was jede Bürgerin und jeder Bürger in diesem Land hat.

Insofern konzentriert sich der vorliegende Gesetzentwurf auf diesen Personenkreis. Die Novellierung wird dafür sorgen, dass die Menschen, die lange hier gelebt haben, sich auch hier bestatten lassen. Wir werden keinen Eingriff in die kommu nale Selbstverwaltung vornehmen. Nach wie vor richtungwei

send ist der Wille der oder des Verstorbenen selbst. Das ist un sere Maßgabe.

Die Wartefrist von 48 Stunden war historisch bedingt. Sie ist heute nicht mehr zu begründen. Auch zum ewigen Ruherecht wurde klargemacht, dass die bisherigen Vorgaben in dieser Form nicht mehr nötig sind.

Die Aufhebung der Sargpflicht bei Erdbestattung, die Mög lichkeit der Bestattung in Tüchern ist gegeben. Das ist für die muslimischen Bürgerinnen und Bürger sehr wichtig. Während des Transports zur Grabstelle gibt es aus hygienischen Grün den weiterhin die Sargpflicht. Die Gesundheitsbehörde kann zum Infektionsschutz auch weiterhin die Verwendung eines Sarges anordnen. Die Aufhebung der Sargpflicht hat keine Auswirkungen auf die bisherigen traditionellen Bestattungs praktiken der Religionen.

Wir schaffen die Möglichkeit, das Friedhofsverständnis zu er weitern. Wir lassen Kolumbarien in ehemaligen Kirchen zu. Auch das ist, glaube ich, ein wichtiger Beitrag dazu, dort in dividuelle und erweiterte Trauerformen zu ermöglichen.

Alles in allem, liebe Kolleginnen und Kollegen: Bei Themen wie diesem, bei denen wir im Alltag gar nicht so weit ausei nander liegen, denke ich manchmal – auch mit Blick auf die Debatten von heute Vormittag –: Mit der Sensibilität, wie wir da vorgegangen sind, könnten wir manche anderen Themen ebenfalls gemeinsam bearbeiten. Das könnte uns oft guttun.

Herzlichen Dank noch einmal an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, vor allem auch im Sozialministerium, für die ganz profunde technische und verwaltungstechnische Beratung. Hier ist uns etwas wirklich Sensibles gut gelungen.

Danke sehr.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP/DVP)

Für die FDP/DVP-Frak tion erteile ich das Wort Herrn Abg. Haußmann.

Sehr geehrter Herr Prä sident, liebe Kolleginnen und Kollegen! „Was lange währt...“, könnte man sagen. Aber bei diesem wichtigen Thema haben wir, glaube ich, über alle Fraktionen hinweg die angemesse ne Sorgfalt und Sensibilität aufgebracht und haben uns inten siv mit diesem Thema auseinandergesetzt.

Vorausgegangen war eine umfangreiche öffentliche Anhörung am 15. Oktober 2012, die, meine ich, sehr deutlich und sehr fundiert gezeigt hat, dass die Vielfalt der in Baden-Württem berg gelebten Kulturen und Religionen nicht mehr mit dem bestehenden Bestattungsgesetz abgedeckt werden kann.

Max Frisch hat einmal gesagt: „Man hat Arbeitskräfte geru fen, und es kamen Menschen.“ Allein in Baden-Württemberg leben heute beispielsweise über 600 000 Muslime. Für viele ist Baden-Württemberg zur Heimat geworden, und sie wün schen sich hier bei uns in Baden-Württemberg eine Bestat tung, wie es ihre Religion vorschreibt. Es sind nicht nur mus limische, es sind auch jüdische, orthodoxe, buddhistische und hinduistische Mitbürgerinnen und Mitbürger, die ihre Tradi tion bei der Bestattung in Baden-Württemberg pflegen wol len.

Die Neuregelung – das ist uns über alle Fraktionen hinweg wichtig – bedeutet nicht, dass bisher in Baden-Württemberg gepflegte und gelebte Rituale aufgegeben werden müssen. Li berale Politik beginnt mit der Betrachtung der Realitäten, mit der Suche nach vernünftigen Lösungen und der Orientierung am Menschen.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Das ist ja mal was Neues!)

Wir freuen uns, dass die Lebenswirklichkeit in Baden-Würt temberg mit der Vielfalt an Kulturen nun auch Einzug in die Rechtswirklichkeit und in das Bestattungswesen findet. Wir wollen, dass die Menschen, die zu uns gekommen sind und hier gut integriert leben wollen, nach ihrem Tod auch hier nach ihren religiösen Vorschriften beerdigt werden können, ohne dass unsere christliche Bestattungskultur Einschränkungen er fahren müsste. Denn auch wenn zukünftig die Beisetzung in Leichentüchern möglich wird, bleibt die Pietät durch die Pflicht zum Transport der Verstorbenen auf dem Friedhof in einem Sarg bis zum Grab gewahrt.

Die Themen wurden im Detail schon angesprochen. Auf die se will ich im Einzelnen nicht noch einmal eingehen. Aber für uns war auch wichtig, dass die Kommunen weitgehende Aus gestaltungsmöglichkeiten behalten. Es wird nicht jeder Kom mune möglich sein, alle Ausgestaltungsmöglichkeiten anzu bieten. Aber es werden für die Kommunen weitreichende Möglichkeiten der Umsetzung geschaffen. Die Ausgestaltung der Bestattungen wird vernetzt mit dem Dialog vor Ort. Dort werden in der Satzung die entsprechenden Möglichkeiten für die Bestattungsvariationen geschaffen werden können.

Ich sage an dieser Stelle ebenfalls herzlichen Dank an die Mit arbeiterinnen und Mitarbeiter des Sozialministeriums. Wenn man sich mit der Thematik im Vorfeld beschäftigt hat, weiß man, wie detailliert die Regelungen sein müssen, welche Fra gen damit verbunden sind. Insofern sagen wir herzlichen Dank für die Begleitung in der Beratung.

Jetzt gibt es noch eine umfassende, umfangreiche Möglich keit, im Anhörungsverfahren Stellung zu nehmen. Da sind wir, glaube ich, auch in einem sehr offenen Dialog.

Abschließend gestatten Sie mir, einfach persönlich noch die Erfahrungen aus der Anhörung am 15. Oktober 2012 zu schil dern. Für mich persönlich war es sehr bereichernd, an diesem Tag nochmals von den Vertretern der unterschiedlichen Reli gionen sehr umfangreiche Informationen zu bekommen. Das Anhörungsprotokoll mit 69 Seiten ebenso wie sicherlich auch die Stellungnahmen im Rahmen der Anhörung, die jetzt durchgeführt wird, empfehlen sich sicherlich zur Weiterrei chung. Ich habe das selbst schon getan; ich habe das Proto koll beispielsweise meinem örtlichen Pfarrer gegeben. Ich ha be mit Bestattungsunternehmern darüber gesprochen. Das ist auch für diese eine umfassende Information, die sie in dieser Weise bisher nicht zur Verfügung gehabt haben.

Das bietet, glaube ich, auch die Möglichkeit, vor Ort in einen Dialog über ein Thema einzusteigen, über das wir alle doch nur mit Schwierigkeiten sprechen können, also ein Tabuthe ma aktiv anzugehen, indem man beispielsweise mit Pfarrern, aber auch mit den Menschen vor Ort diese Fragen bespricht. Da ist dieses Protokoll eine wirklich hervorragende Möglich keit, sich über dieses Thema detailliert auszutauschen. Ich

kann nur anregen, es einmal durchzulesen; denn das ist eine sehr gute Basis dafür, dass wir uns über dieses Thema gemein sam austauschen.

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU und der Grünen)

Vielen Dank, Herr Abg. Haußmann, auch für die Vorschläge, wie man in den Wahl kreisen Veranstaltungen zu diesem Thema durchführen kann.

Ich darf jetzt für die Landesregierung Frau Sozialministerin Altpeter das Wort erteilen.

Sehr geehrter Herr Präsi dent, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Baden-Württemberg ist ein weltoffenes Land. Wir wollen, dass Menschen aus anderen Nationen zu uns kommen, um an unserem Wohlstand teilzuhaben, aber auch, um daran mitzuwirken.

Die Menschen, die zu uns nach Baden-Württemberg kommen, müssen viele Schritte auf uns zugehen. Nur so können sie sich integrieren. Allerdings ist Integration keine Einbahnstraße, denn auch wir haben die Aufgabe, auf die Menschen aus an deren Kulturkreisen zuzugehen.

Zur Integration gehört daher die Bildung einer neuen Werte gemeinschaft mit dem Einbezug anderer, neuer Wertevorstel lungen. Integration aber ist kein Hebel, den man umlegt, son dern ein lange andauernder und differenzierter Prozess des Zusammenwachsens. Dazu müssen wir alle aufeinander zu gehen.