CDU, der Fraktion GRÜNE, der Fraktion der SPD und der Fraktion der FDP/DVP – Gesetz zur Änderung des Bestattungsgesetzes – Drucksache 15/4543
Ministeriums für Integration – Bestattungsformen an derer Kulturen und Religionen – Drucksache 15/1654 (Geänderte Fassung)
Für die Begründung des Gesetzentwurfs hat das Präsidium ei ne Redezeit von fünf Minuten und für die Aussprache eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt, wobei ge staffelte Redezeiten gelten.
Für die Begründung des Antrags der Fraktion der SPD hat das Präsidium eine Redezeit von fünf Minuten festgelegt. Ich
schlage vor, die Beratung über den interfraktionellen Gesetz entwurf und den Antrag der SPD-Fraktion zusammenzufas sen.
Sehr geehrter Herr Land tagspräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Wer ein Bestattungsgesetz ändert, sollte das auf der Basis einer breiten gesellschaftlichen und auch po litischen Übereinstimmung tun. Dies ist uns in Baden-Würt temberg gelungen.
Uns allen ist bewusst, dass beim Tod eines nahestehenden Menschen die Tiefen der menschlichen Existenz berührt sind. Deshalb sind wir dieses sensible Thema miteinander und mit viel Fingerspitzengefühl angegangen. Die Paragrafen des Ge setzes wirken hinein in die Sterbehäuser. Sie haben Bedeu tung für den Umgang mit Verstorbenen und geben die Regeln für die Bestattung und auch für unsere Friedhofskultur vor.
Dass wir für die Gesetzesänderungen, ja, für alle entsprechen den Gesetzesänderungen, einen Konsens erreicht haben, das ist richtig gut. Es stehen wirklich alle vier Fraktionen hier im Landtag von Baden-Württemberg hinter dem Gesetzentwurf.
Dem ging ein intensiver Verständigungsprozess voraus. Den Ausgangspunkt bildete ein SPD-Antrag zu den Bestattungs formen anderer Kulturen und Religionen, der am 3. Mai 2012 eingebracht wurde. Der runde Tisch „Islam“ unserer Integra tionsministerin Öney bekräftigte den Handlungsbedarf in die ser Sache, und eine gemeinsame öffentliche Anhörung im So zial- und im Integrationsausschuss am 15. Oktober 2012 deu tete große politische Übereinstimmungen an. Vor allem die Stellungnahmen der Kommunen, der christlichen Kirchen, der israelitischen Religionsgemeinschaften und auch der Verbän de der Musliminnen und Muslime gingen in ein und dieselbe Richtung. Danach dauerte es ein gutes Jahr, bis alle Punkte gemeinsam geklärt waren. Dieser Zeitaufwand und diese Sorgfalt haben sich gelohnt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, beim Umgang mit Sterben, Tod und Trauer spielen die religiöse Prägung und die kulturelle Herkunft der Betroffenen eine besondere Rolle. Nir gendwo sonst kommen der Trost und die Hoffnungskraft der Religion so zum Tragen wie beim Tod eines nahestehenden Menschen.
Gerade deshalb haben wir in der Gesetzesänderung dem Re spekt vor dem Religiösen und dem kulturell Geprägten einen herausgehobenen, einen herausragenden Platz eingeräumt. Be standteile der jüdischen und auch der muslimischen Religion und Kultur kommen in den vorgeschlagenen Änderungen deutlicher zum Ausdruck und zum Tragen als bisher. Das be deutet: Toleranz bringt Wertschätzung zum Ausdruck und be wirkt vor allem eines: eine bessere Integration der Menschen, die bei uns als Bürgerinnen und Bürger leben.
Die allermeisten Verstorbenen der ersten Generation von Zu wanderern aus der Türkei werden in ihr Herkunftsland zurück gebracht und dort bestattet. Für die junge Generation ist Ba den-Württemberg aber die Heimat. Für diese neue Generati
on ist es auf Dauer sehr unbefriedigend, die Verstorbenen in der Türkei bestatten zu müssen und bestattet zu wissen.
Traditionelle muslimische und auch jüdische Bestattungen sollen deshalb künftig hier bei uns möglich sein, damit die Be troffenen nach ihren Regeln in ihrer Heimat, also hier in Ba den-Württemberg, bestattet werden können.
Die Integration darf nicht mit dem Tod enden. Die Integrati on muss weitergehen und muss auch auf dem Friedhof mit Le ben erfüllt werden.
Dass es für die Menschen, die bei uns leben, einen Ort der Trauer in der Nähe gibt und nicht irgendwo in den Herkunfts ländern, das muss für uns heute ebenfalls eine Aufgabe der Integration sein.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zu den Veränderun gen im Einzelnen: Von der jüdischen Seite wie auch von der islamischen Seite wurde die bisher vorgeschriebene Wartezeit zwischen dem Todeszeitpunkt und dem Bestattungszeitpunkt als problematisch angesehen. Aus medizinischer Sicht brau chen wir die bisher vorgegebene 48-stündige Wartezeit eigent lich nicht, um den Tod festzustellen und einen Scheintod aus zuschließen. Mit der Abschaffung der 48-Stunden-Wartefrist eröffnen wir neue Möglichkeiten zur gewollten und ge wünschten schnellstmöglichen Bestattung nach islamischer und jüdischer Tradition. Damit räumen wir ein Haupthinder nis für eine kultur- und religionskonforme Bestattung aus dem Weg.
Dasselbe gilt für die Abschaffung der Sargpflicht. Für eine Be stattung ohne Sarg gibt es religiöse Gründe. Es gibt aus hygi enischer Sicht keine grundsätzlichen Bedenken, wenn Ver storbene in Tüchern bestattet werden. Auch Befürchtungen, dass es sich dabei um eine Billigvariante handeln und das Ganze ausufern könnte, können leicht ausgeräumt werden. Die Bestattung in Tüchern ist recht aufwendig und alles an dere als eine Sparversion.
Auch ethische oder ästhetische Bedenken, etwa hinsichtlich der öffentlichen Darstellung der Verstorbenen auf dem Weg von der Aussegnungshalle zum Grab, greifen nicht, weil der Transport zum Grab weiterhin im Sarg erfolgen wird. Also: Keine Angst vor der Bestattung in Tüchern.
Nun komme ich auf das ewige Ruherecht zu sprechen. Bereits heute gibt es auf den meisten Friedhöfen die Möglichkeit ei nes Wahlgrabs. Hier können die Ruhezeiten verlängert wer den, sodass der Wunsch der Juden und Muslime nach dem ewigen Ruherecht umgesetzt werden kann. Hierbei ist durch die kommunalen Satzungen heute schon sehr vieles möglich. Wir regen in der Gesetzesbegründung deshalb an, diesen Weg weiter zu beschreiten und weiter auszubauen.
Sehr geehrte Damen und Herren, damit komme ich zu einem weiteren Änderungskomplex. Dieser bezieht sich auf den ver änderten Sprachgebrauch. Im vorliegenden Gesetzentwurf wird das Wort „Leiche“, wo es geht, durch das Wort „Verstor bene“ bzw. „Verstorbener“ ersetzt. Damit nehmen wir die An regung auf, auch im Gesetz für einen angemessenen Sprach gebrauch zu sorgen.
Des Weiteren wird es möglich sein, reine Urnenfriedhöfe ein zurichten. So können etwa Kirchen, die nicht mehr oder teil weise nicht mehr als Gotteshaus genutzt werden sollen, als Friedhöfe ohne Erdbestattung für Urnen dienen.
Ein letzter Aspekt – auf das, was nicht geändert werden soll, möchte ich im Besonderen aufmerksam machen –: Wir wer den eine wertebasierte und werteorientierte Grenze beim Um gang mit Urnen einhalten. Hier wollen wir keine Privatisie rung. Wir halten also an der Friedhofspflicht fest. Die Trauer ist für uns eine gemeinschaftliche Angelegenheit. Dafür brau chen wir Friedhöfe, Friedhöfe, die allen den Zugang zur Ru hestätte eines Menschen ermöglichen. Am Friedhof als dem zentralen Ort der gemeinschaftlichen Trauer wird also nicht gerüttelt. Mit der Vorstellung einer Urne auf dem Fenstersims oder im Wandschrank oder ausgestreuter Asche im Garten konnten wir uns nicht anfreunden. Damit berücksichtigen wir im Besonderen eine zentrale Forderung und ein zentrales An liegen der christlichen Kirchen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit den vorgesehe nen Änderungen im Bestattungsgesetz wird insgesamt das bis her Übliche weiterhin möglich sein.
Für religiöse Überzeugungen – insbesondere aus dem Juden tum und aus dem Islam – wird die Tür im Sinne von mehr In tegration weit geöffnet.
Dass wir den Gesetzentwurf fraktionsübergreifend erarbeitet haben, ist wirklich ein starkes und ein gutes Signal in unsere Gesellschaft: Integration soll auf dem Friedhof nicht enden.
Jetzt gilt mein Dank dieser interfraktionellen Zusammenar beit. Ich danke dem Sozialministerium, insbesondere der Mi nisterin Katrin Altpeter, und unserer Integrationsministerin Bilkay Öney.
Das schriftliche Anhörungsverfahren folgt nun. Wir hoffen, dass wir mit dem Rückenwind dieses Konsenses die Anregun gen im Sozialausschuss sachlich und gewissenhaft beraten werden, und wir hoffen, dass wir dann bald ein gutes Bestat tungsgesetz für Baden-Württemberg haben.
Bevor Herr Kollege Kunzmann spricht, möchte ich den tür kischen Generalkonsul Ari recht herzlich begrüßen, der offen sichtlich an dieser Debatte zum Bestattungsrecht in BadenWürttemberg Anteil nimmt. Herzlich willkommen!
Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Baden-Württemberg möchte unseren muslimischen Mitbürgern, die ja zum Teil schon in der drit ten Generation hier leben, eine gute Heimat sein. Zur Heimat gehört es, dass sich die Menschen auch wünschen, dort begra ben zu werden, wo sie sich zu Hause fühlen.
Von den muslimischen Mitbürgern lassen sich bislang 4 % hier bestatten; die anderen lassen sich in die alte Heimat – in der Regel in die Türkei – zurückführen.
Das neue Bestattungsrecht, wie es jetzt eingebracht ist, ist ein weiteres Angebot an die hier lebenden Muslime, Baden-Würt temberg als ihre Heimat zu sehen. Ebenso wichtig war es aber auch, bei der Realisierung dieses Bestattungsrechts die Kom munen nicht zu überfordern und sie zu nichts zu zwingen. Die CDU-Fraktion unterstützt diesen Gesetzentwurf, weil beiden Maßgaben gleichermaßen Rechnung getragen wird.
Im Einzelnen ist anzuführen: Die Sargpflicht wird grundsätz lich beibehalten. Bei Geltendmachen von religiösen Gründen sind jedoch Ausnahmen möglich. Ich glaube, das ist die we sentlichste Ausnahme. Uns, der CDU, war wichtig, dass es ei nen religiösen Bezug zu dieser Ausnahme gibt und keine Be liebigkeit einkehrt.
Die Anhörung hat ergeben, dass ein Sarg nicht mehr aus hy gienischen Gründen notwendig ist, sondern nur noch beim Transport.
Wir verstehen viele Bedenken von Bestattungsunternehmern. Wir hoffen, dass in der nun folgenden Anhörung praktikable Lösungsvorschläge gemacht werden.
Die 48-Stunden-Frist zwischen Tod und Bestattung fällt weg. Auf der anderen Seite ergibt sich daraus aber auch kein Rechtsanspruch.
Dem Standesamt müssen weiterhin alle Unterlagen in deut scher Sprache vorliegen. Es gibt auch keine Verpflichtung für die Kommunen, Wochenend- und Feiertagsdienste anzubie ten. In der Regel und in der Praxis wird es hier sicherlich zu interkommunalen Lösungen kommen.
Den christlichen Kirchen wird es möglich gemacht, bisheri ge Kirchenhäuser in Kolumbarien umzuwandeln.
Der Aufhebung der Friedhofspflicht für Urnengräber stimmen wir zu, weil sie ausschließlich auf Träger begrenzt ist, die schon bisher einen Friedhof betreiben konnten. Es gibt also kein „Geschäftsmodell“ für private Träger; Kollege ReuschFrey hat so etwas vorhin als „Privatisierung“ bezeichnet. Das ist ausdrücklich ausgeschlossen.
Wir kommen den Gebräuchen der muslimischen Bestattungs kultur, die sehr ausgeprägt und würdevoll gestaltet ist, res pektvoll entgegen. Auf der anderen Seite werden mit diesem Gesetzentwurf auch keine religiösen Gefühle von Christen verletzt. Es findet auch kein Missbrauch statt. Die „kostenspa rende Bestattung“ ist ausgeschlossen.