Um dies zu erreichen, sehen wir unser Land vor einer doppel ten Aufgabenstellung. Es gilt, die Regelschulen Inklusionsan gebote im engeren Sinn einrichten zu lassen und gleichzeitig die Sonderschulen nicht ins Hintertreffen geraten zu lassen. Denn diese haben sich in ihrer differenzierten Aufstellung ein unverzichtbares Expertentum bei der Förderung von jungen Menschen mit Behinderungen geschaffen.
Weil wir wissen, wie wichtig ein zügiges Regierungshandeln in diesem Bereich für alle Beteiligten wäre, warten wir auch nicht auf das Regierungshandeln, sondern treiben dieses The ma selbst voran. So hat die FDP/DVP-Fraktion genau hier an dieser Stelle am vergangenen Samstag einen großen liberalen Bildungstag durchgeführt, an dem über 100 Teilnehmer aus
Politik, aus Wissenschaft und Forschung, auch aus den Berei chen Kommunen, Landkreise, Sonderschulen, Sonderpäda gogik und Behindertenverbände intensiv über das Thema In klusion beraten haben. So betonte z. B. Professor Hillenbrand von der Universität Oldenburg sehr eindrücklich, dass die Wirksamkeit von pädagogischem Handeln eben nicht in ers ter Linie von der Schulform abhängig sei, sondern vielmehr von der Qualität des Förderangebots.
(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Lachen des Abg. Thomas Poreski GRÜNE – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist ja logisch!)
Wer beim Thema Inklusion hingegen das gegliederte Schul wesen infrage stelle, mache der Inklusion den Garaus, so Pro fessor Hillenbrand in der Diskussion. Das sollten Sie von Grün-Rot sich gut merken.
Sonderschulen sind für die FDP/DVP-Fraktion unverzichtba rer Bestandteil des erfolgreichen gegliederten Bildungswe sens in Baden-Württemberg. Aus diesem Grund, Herr Minis ter Stoch, sollten nach unserer Auffassung die Sonderschulen und die Inklusion so schnell wie möglich Teil der regionalen Schulentwicklungsplanung werden. Aus Sicht der FDP/DVP soll die Inklusion nämlich nicht weniger, sondern mehr Wahl möglichkeiten hinsichtlich der Schule bedeuten, die ein Kind oder ein Jugendlicher mit besonderem Förderbedarf besucht.
Hierfür sollten Inklusionsangebote an den allgemeinen Schu len eingerichtet werden; die Sonderschulen sollten erhalten bleiben und gleichzeitig zu sonderpädagogischen Kompetenz zentren ausgebaut werden, von denen ausgehend die Inklusi onsangebote organisiert und betreut werden.
Ursprünglich hatte die grün-rote Landesregierung das Thema Inklusion einmal zu einem wichtigen Ziel ihrer Politik erklärt. Da ist es umso erstaunlicher, dass Sie, Herr Minister Stoch, nun erklärt haben, dass das entsprechende Gesetz auf das Schuljahr 2015/2016 verschoben werde. Manche Stimmen sa gen gar voraus, dass es mit dem Inklusionskonzept in dieser Legislaturperiode wohl gar nichts mehr werden wird.
Um von ihrer Verantwortung abzulenken, hat die Landesre gierung auch versucht, den Schwarzen Peter für das geschei terte Inklusionskonzept an die Kommunen weiterzureichen. Doch dies ist weder hilfreich noch überzeugend. Im Gegen teil: Der Städtetag und der Landkreistag haben sogar ein be merkenswertes Modell vorgeschlagen, wie die Leistungen für die Inklusion bei jedem Kind mit sonderpädagogischem För derbedarf in einem Inklusionsbudget zusammengefasst wer den könnten. Das könnte nach unserer Auffassung in der Tat ein vielversprechender Ansatz sein, um tatsächlich eine Wahl freiheit zu ermöglichen.
Vonseiten der FDP/DVP-Fraktion schlagen wir Ihnen heute mit unserem Antrag Folgendes vor: Knüpfen wir doch an die Anfangszeiten Ihrer Koalition an, und setzen wir baldmög lichst eine Arbeitsgruppe ein, sozusagen zur Fortsetzung der
gemeinsamen Arbeitssitzung zum Inklusionskonzept mit Ver tretern aller vier Landtagsfraktionen. Beenden Sie den miss lichen Stillstand, und gehen wir das Inklusionskonzept ge meinsam zügig und zugleich mit dem gebotenen Augenmaß an.
Eine letzte Bitte, die mir wichtig ist, Herr Minister: Bitte ka schieren Sie nicht schon wieder ihr Nichtvorankommen in die sem Bereich mit der zwar verständlichen, aber nicht überzeu genden Ausrede, man müsse bei diesem Thema Sorgfalt wal ten lassen. Sorgfalt ja, Herr Minister Stoch, aber Trägheit nein.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Der heute auf der Tagesordnung stehende Antrag der Fraktion der CDU stammt vom Mai vergangenen Jahres. Ich bin schon über rascht, wie die Kollegin von der CDU und der Kollege von der FDP/DVP in einer Weise die Augen vor dem verschließen können, was seither passiert ist, dass man das Gefühl hat, sie lebten nicht in Baden-Württemberg. Denn sonst würden sie nicht erzählen, dass im Bereich der Inklusion nichts passieren würde.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind uns alle da rin einig – deswegen wundert mich auch die Wortwahl und der Stil dieser Debatte –, dass Inklusion ein gesamtgesell schaftlich wichtiges Thema ist, nämlich die Einbindung aller Menschen in unserer Gesellschaft, und zwar in allen Berei chen, auch in der Schule, und eben gerade auch der Menschen mit Behinderung, die in der Vergangenheit in unserer Gesell schaft leider allzu oft ausgegrenzt waren. Deswegen ist das ein Thema, das sich in keiner Weise für parteipolitische Bes serwisserei eignet – schon gar nicht dann, wenn man über Jahrzehnte hinweg die Gelegenheit hatte, hier voranzugehen und etwas zum Besseren zu verändern. Jetzt so zu tun, als müsste man den in Baden-Württemberg tatsächlich relativ ge ringen Stand damit rechtfertigen, dass diese Landesregierung nichts getan habe, ist infam und – es tut mir leid – verlogen.
Wenn Sie sich das, was Kollege Käppeler gesagt hat, noch mals durch den Kopf gehen lassen, dann wissen Sie, dass es, als in Baden-Württemberg zwischen 1992 und 1996 die SPD an der Regierung beteiligt war, noch keine UN-Behinderten rechtskonvention gab. Damals gab es aber eine Überzeugung von Menschen in der Politik, dass Inklusion richtig ist. Da gab es einen Modellversuch an Grundschulen. Dieser Modellver such an Grundschulen wäre nach 1996 für die Sekundarstu fe I der weiterführenden Schulen fortgeführt worden. Das ha ben mir Menschen erzählt, die damals in der politischen De batte dabei waren und die dies tun wollten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dass in diesem Zu sammenhang dann ab 1996, als Sie, CDU und FDP/DVP, an der Regierung waren, nichts mehr, aber auch gar nichts mehr
passiert ist, das ist Ihr Verschulden. Deswegen würde ich sa gen: Es hat überhaupt keinen Sinn, wenn heute von Ihrer Sei te der Stand in Baden-Württemberg angeprangert wird, für den Sie eine riesengroße Verantwortung tragen.
Das weiß ich auch noch nicht. Es kommt auf die Antwort an, ob es mir Freude macht, die Frage zu stellen. – Herr Minister, ist Ihnen Folgendes bekannt? Zu der Zeit, als die UN-Behindertenrechtskonvention verab schiedet worden ist, hat dies in der Öffentlichkeit eine große Rolle gespielt. Ein Fernsehsender hat für eine große Nach richtensendung das Bundesland gesucht, in dem die meisten Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Regel schulen unterrichtet werden. Ist Ihnen bekannt, welches Bun desland deshalb angefragt worden ist, weil es die meisten Be schulungen in der Regelschule hatte, und unter welchem Kul tusminister dies der Fall war? Ist Ihnen bekannt, dass das Ba den-Württemberg war und dass Kultusminister Rau eingela den wurde?
(Beifall bei der CDU – Zuruf von der SPD: Welcher Fernsehsender war das? – Abg. Wolfgang Drexler SPD: War das „ADAC-TV“? – Glocke des Präsiden ten)
(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Ein Ja reicht! – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Sagen Sie doch einfach Ja oder Nein!)
Aber Sie haben in Ihrer Frage die Antwort schon selbst gege ben. Ich hätte auch noch Zahlen angeführt, um Frau Kollegin Stolz nachzuweisen, dass in Baden-Württemberg nicht null als Stand vorhanden ist.
Hören Sie doch einfach zu, wenn Kollege Käppeler über das Thema „Inklusion an Gemeinschaftsschulen“ spricht. Die In klusion ist an jeder Gemeinschaftsschule bereits gelebte Pra xis. Daran können Sie erkennen, dass diese Landesregierung sehr aktiv dabei ist, die Inklusion in die Fläche und an die Schulen zu bringen. An den Gemeinschaftsschulen in BadenWürttemberg sind heute bereits, nachdem dies bei vielen Schulen nur in Klasse 5 bzw. Klasse 6 der Fall ist, 650 Kin der an einer Regelschule in sogenannten inklusiven Settings. Meine sehr geehrten Damen und Herren, daran können Sie er kennen, dass Inklusion ein Prozess ist – da gebe ich Ihnen vollkommen recht –, der wachsen muss.
Jetzt lassen Sie mich einfach einmal ausführen, was diese Re gierung gemacht hat und machen wird, damit klar wird, dass
für dieses Thema parteipolitischer Streit nicht angebracht ist und dass es hier darum geht, für Menschen mit und Menschen ohne Behinderung ein sinnvolles Angebot zu machen.
Die Landesregierung – das haben wir an vielen Stellen nach gewiesen – steht für ein inklusives Bildungssystem und die Inklusion behinderter Menschen. Die Änderung des Schulge setzes ist dabei ein wichtiger Baustein. Aber so zu tun, als ob die Änderung des Schulgesetzes quasi die Verwirklichung und Umsetzung von Inklusion wäre, wäre ein Trugschluss.
Auf dem Weg zu einem inklusiven Bildungssystem gilt es, ei ne Vielzahl äußerst komplexer Zusammenhänge zu berück sichtigen und miteinander in Einklang zu bringen. Einige sind in den bisherigen Wortbeiträgen bereits angesprochen wor den.
Gerade bei der Unterstützung junger Menschen mit Behinde rung geht es um viele verschiedene Unterstützungssysteme, die sich im Rahmen der Inklusion begegnen, die im schuli schen Kontext passgenau zueinandergebracht werden müssen und deren Zusammenspiel damit entsprechend weiterentwi ckelt werden muss.
Die kommunalen Landesverbände – nur als ein Beispiel, das bereits angesprochen wurde – sind natürlich bisher über die Eingliederungs- und Jugendhilfen, die Schüler mit Handicaps unterstützen, wichtige Partner, die bei den Verhandlungen über die Umsetzung von Inklusion mit am Tisch sitzen müssen.
Da komme ich auf das zurück, was Kollege Käppeler bereits sagte. Wir haben in den vergangenen Monaten – seit meinem Amtsantritt im Januar letzten Jahres kann man das durchaus belegen – mit den kommunalen Landesverbänden in sehr sachlicher und konstruktiver Weise wichtige Reformprojekte für unser Schulsystem vorangebracht. Wir haben die Grund lage für die regionale Schulentwicklung gelegt und haben ei ne Einigung über den Ausbau der Ganztagsschulen geschafft. Das alles sind Themen, die schon vor vielen Jahren hätten an gepackt werden müssen.
Für mich ist das nächste wichtige große Thema, das wir gera de auch in engem Schulterschluss mit den kommunalen Lan desverbänden angehen wollen, eine Einigung auf ein von bei den Seiten getragenes Inklusionskonzept. Wenn wir das schaf fen, dann haben wir in Baden-Württemberg in drei zentralen Bereichen des Bildungssystems den notwendigen Schulter schluss zwischen Land, Schulverwaltung und kommunaler Seite.
In diesem Zusammenhang beobachten wir natürlich auch sehr genau die Entwicklung in anderen Bundesländern. Frau Kol legin Dr. Stolz hat bereits angesprochen, was bedauerlicher weise in anderen Bundesländern heute teilweise in der Praxis beobachtet werden kann. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Wer nach den Schilderungen von den Kolleginnen und Kol legen aus anderen Bundesländern glaubt, man könne Inklusi on mit der Brechstange durchsetzen, der geht fehl.
Deswegen, Herr Kollege Dr. Kern, zumal sich gerade wieder Ihre Gesichtsfarbe verändert: Es ist ein Widerspruch, wenn Sie auf der einen Seite beklagen, dass die Schulgesetzände