Der zweite Befund für Deutschland: Diese Befristungsproble matik trifft auf eine starre Personalstruktur im Wissenschafts bereich. Insbesondere das nach wie vor vorherrschende Sys tem der Habilitation bedeutet, dass es sehr lange dauert, bis die jungen Menschen eigenständig forschen und lehren kön nen. In Deutschland beträgt das Alter, in dem man einen ers ten Ruf auf eine Professur erhält, im Durchschnitt 41 Jahre. Das ist nicht sehr attraktiv. Anspruchsvolle junge Leute, die früh erfolgreich und eigenständig forschen und arbeiten wol len, können daraus durchaus die Konsequenz ziehen, für ihre Ambitionen eine Lösung im Ausland zu suchen.
Die dritte Besonderheit betrifft die Promotion und den Cha rakter der Promotion in Deutschland. In einer stärkeren Wei se als in anderen Ländern sind bei uns die jungen Leute, die promovieren, sozusagen die Lastesel des akademischen Be triebs. Auf ihnen ruht eine enorm hohe Arbeitsbelastung. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Phase der wissenschaftlichen Qualifikation attraktiv und qualitätsvoll gestaltet wird.
Es besteht also dringender Handlungsbedarf in Deutschland und auch in Baden-Württemberg. Diese Landesregierung packt das Thema mutig an.
Lassen Sie mich Ihnen deswegen – und um die Wolken, die Herr Abg. Deuschle beklagt hat, ein wenig zu lüften –
sehr konkret sagen, was wir schon getan haben und was wir jetzt mit der anstehenden LHG-Novelle anpacken werden.
Lassen Sie mich vorneweg dazu sagen: Klar ist, dass wir so wohl im Hinblick auf Finanzierungsfragen als auch in Bezug auf den gesetzlichen Rahmen die Bedingungen verbessern müssen. Wir brauchen dabei aber auch die Hochschulen selbst. Denn vieles ist in die Kultur der Hochschulen eingebettet. Nur mit ihnen und nicht gegen sie können wir Verbesserungen er reichen. Deswegen haben wir schon vor zwei Jahren eine Ar beitsgruppe, die AG zur Verbesserung der Rahmenbedingun gen für den wissenschaftlichen Mittelbau, ins Leben gerufen. Wir haben – Sie haben es in Ihrer Rede erwähnt – gute und hilfreiche Empfehlungen erhalten, die wir jetzt sukzessive um setzen wollen.
Es ist wichtig, dass die Hochschulen selbst ihre Schlussfolge rungen aus diesen Empfehlungen ziehen. Es ist gerade schon von Herrn Abg. Schmidt-Eisenlohr gesagt worden: Die ersten Universitäten fangen an, sich mit Selbstverpflichtungen in die sem Bereich eigene Ziele zu setzen, indem sie z. B. die Lauf zeiten der befristeten Arbeitsverträge im Grundsatz an Pro jektlaufzeiten binden, wie es die Universität Hohenheim ge tan hat.
Lassen Sie mich ein paar konkrete Beispiele nennen, was wir schon getan haben und was wir anpacken werden.
Erstens das Thema Juniorprofessur. Es geht bei der Juniorpro fessur darum, junge Menschen möglichst frühzeitig in die Po sition zu bringen, eigenständig zu forschen und zu lehren. Wir wollen die intrinsische Motivation, sich in die Wissenschaft zu begeben und nicht woanders zu arbeiten, die ein junger Mensch hat, früh aufgreifen und eine wissenschaftliche Kar riere ermöglichen, die die Lust auf Forschung und auf Lehre fördert. Die Juniorprofessur ist eine Möglichkeit, transparent und berechenbar eine akademische Karriere zu starten.
Ich möchte noch einmal daran erinnern: Die Einführung der Juniorprofessur, die vor zehn Jahren unter Rot-Grün im Bund erfolgt ist, wurde damals von vielen schwarz bzw. schwarzgelb regierten Ländern bekämpft. Man kann bis heute sehen, dass die Realisierung, die Umsetzung der Juniorprofessur in den Bundesländern sehr unterschiedlich erfolgt ist. Ich glau be, dass damals die Weichen richtig gestellt wurden. Die Ju niorprofessur hat sich im Grundsatz etabliert. In Baden-Würt temberg besteht aber deutlicher Nachbesserungsbedarf. Es gibt hier im Land zurzeit viel weniger Juniorprofessuren als beispielsweise in Berlin.
Wir werden die Juniorprofessur durch verschiedene Maßnah men stärken. Wir stärken die Juniorprofessur erstens, indem wir die Rahmenbedingungen ändern und sie durch zusätzli che Ausstattungsmittel und ein zusätzliches Forschungspro gramm finanziell attraktiver machen.
Zweitens stärken wir sie, indem wir die W-1-Besoldung mit erhöhen. Baden-Württemberg ist bundesweit das einzige Land, das die Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungs gerichts zur Besoldungsregelung in Hessen nicht nur auf die W-2- und W-3-, sondern auch auf die W-1-Besoldung bezieht und sie mit erhöht, um für die junge Wissenschaft ein attrak tives Signal zu setzen.
Wir werden die Besoldung um 300 € monatlich anheben und damit einen bundesweiten Standard setzen. Wir werden zu sätzlich die Möglichkeit eröffnen, die besonders starken Köp fe im Bereich der Juniorprofessoren über Leistungszulagen noch attraktiver auszustatten, indem wir den Spielraum, den die alte Landesregierung auf 600 € pro Monat begrenzt hatte, auf die Höhe eines kompletten Monatsgehalts anheben. Dies werden wir machen, indem wir die Spielräume der Hochschu len selbst erweitern, indem wir den Hochschulen also ein fle xibles Instrument des klugen Personalmanagements zur För derung der Besten an die Hand geben, und nicht, indem wir zusätzliches Geld in die Hand nehmen.
Wir werden – auch dies bundesweit als erstes Bundesland – die Juniorprofessur darüber hinaus stärken, indem wir einen echten Tenure-Track einführen, also jungen Menschen, die sich in der Phase ihrer Juniorprofessur als qualifiziert erwei sen und bewähren, die Möglichkeit bieten, direkt, ohne neue Ausschreibung, auf eine W-3-Professur zu wechseln, also oh ne weitere Hürden, ohne weitere Vorbehalte einen Anschluss in derselben Hochschule zu finden. Das ist ein Signal, das man auch international zur Kenntnis nehmen wird. Dies wird uns
die Möglichkeit geben, die Spitzenkräfte und die Talente schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt an unsere Hochschulen zu binden. Damit werden wir auch Nachwuchskräfte aus dem Ausland zurückholen können. Davon bin ich überzeugt.
Diese Veränderungen werden wir nicht als Konkurrenz zur Habilitation aufsetzen, sondern als zusätzliche Option, die ei ne Hochschule ziehen kann, wenn man dort eine entsprechen de Personalpolitik betreiben will. Dies soll keine Verpflich tung sein; denn wir wollen gewachsene Traditionen und Kul turen respektieren. Wir glauben, dass mit diesem neuen An gebot ein attraktiver neuer Weg etabliert wird, der sich durch setzen kann.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf Folgendes verwei sen: Vor wenigen Tagen – vielleicht haben Sie es auch gele sen – hat der frisch gekürte Nobelpreisträger für Medizin, Thomas Südhof, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein In terview gegeben. Auch er ist ein Abwanderer aus Deutsch land. Er ist gefragt worden, warum er gegangen ist bzw. wa rum er meint, dass es in den USA im Vergleich zu Deutsch land so attraktiv ist, zu forschen. Er hat auf die Befristungen verwiesen, und er hat auf die Bezahlung verwiesen. Er hat aber gesagt, diese beiden Gründe seien nicht die ausschlagge benden; entscheidend seien vielmehr die Kumulation der Gründe und die Kürze der befristeten Verträge. In den USA sind Fünfjahreszeiträume üblich. Damit kann man sich eini germaßen einrichten. Die Kürze der Befristungen ist eine be sondere Problematik in Deutschland. Wir müssen die Situati on gemeinsam verbessern.
Zu Recht haben die Abgeordneten der Regierungsfraktionen darauf hingewiesen, dass wir in dieser Legislaturperiode im Wissenschaftsbereich schon über 1 300 Stellen entfristet ha ben. Das ist ein wichtiger und mutiger Schritt, und diesem Schritt müssen weitere folgen. Der Schlüssel dafür ist natür lich eine gute und verlässliche Grundausstattung und Grund finanzierung unserer Hochschulen. Wir verhandeln zurzeit mit unseren Hochschulen darüber, und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir es schaffen werden, sowohl die Grundfinanzierung zu verbessern als auch das nötige Signal zur Haushaltskonso lidierung zu geben.
Ein weiteres Stichwort im Zusammenhang mit der Verbesse rung der Perspektiven für junge Wissenschaft ist auch schon genannt worden: Das ist die Promotion. Auch insoweit gehen Baden-Württemberg und diese Landesregierung neue Wege und schaffen Standards, die es bundesweit in dieser Form nicht gibt. Wir werden mit dem neuen Landeshochschulge setz die Promotion mit neuen Sicherheiten und Qualitätsstan dards versehen, indem wir verbindliche schriftliche Vereinba rungen für das Promotionsvorhaben vorsehen und indem wir den Promovierenden in Form von Doktorandenkonvents eine Stimme in den Hochschulen geben, sodass sie ihre Stimmen gemeinsam in das Hochschulleben einbringen können. Ich bin überzeugt davon, dass wir damit die junge Wissenschaft in den Hochschulen stärken und einen Schritt in die richtige Richtung gehen, um auch das Plagiieren einzugrenzen und einzudämmen. Denn es geht darum, dass das gute Ansehen der Wissenschaft und der vielen jungen Menschen, die sich ihre Promotion hart erarbeiten, nicht weiter in Misskredit ge bracht wird.
Darüber hinaus werden wir für mehr Transparenz in der Pro motionsstatistik sorgen. Zu meiner großen Verblüffung ist es immer noch so, dass wir nichts Verlässliches darüber wissen, wie viele Menschen überhaupt an unseren Hochschulen pro movieren bzw. wie viele diesen Weg nicht zu Ende bringen, weil es keine systematische Erfassung der Promotionsvorha ben gibt. Wir werden dafür sorgen, dass im Zusammenhang mit den Promotionsvereinbarungen künftig verlässliche Zah len erhoben werden, die uns auch den Vergleich ermöglichen, wo besonders gut und verlässlich gearbeitet wird und wo nicht.
Lassen Sie mich deswegen sagen: In der Kombination der Maßnahmen, die wir in die Wege geleitet haben – mehr Trans parenz, bessere Rahmenbedingungen für Promotionen, eine bessere Bezahlung für Juniorprofessuren und ein echter Tenu re-Track –, ist Baden-Württemberg das Land, das mutig vor angeht und bundesweit Standards setzt. Ich bin mir sicher: Wir geben unseren Hochschulen damit beste Voraussetzungen, um attraktive Angebote für junge Wissenschaftlerinnen und Wis senschaftler zu machen. Ich freue mich, dass es hierüber ei nen so großen Konsens gibt und dass man bereit ist, die Lan desregierung in diesem Bereich weiter zu unterstützen. Ich bin mir sicher, dass sich die Hochschulen bundesweit diesen baden-württembergischen Weg sehr genau anschauen werden.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte ganz kurz auf die Ein lassungen des Kollegen Deuschle reagieren.
Ich fand es irritierend, dass, nachdem ich acht Minuten lang berichtet habe, was wir alles getan haben und was wir ganz konkret beabsichtigen,
der erste Satz, den Sie hier vorn sagten, lautete: „Ich habe ja gar nicht gehört, was Sie tun; es ist ja noch gar nichts pas siert.“ Da habe ich schon gestaunt und habe mir überlegt: Viel leicht liegen der Öffentlichkeit einige Informationen noch nicht vor. Aber Herr Bullinger hat sehr viele Dinge auch in Bezug auf die W-1-Professur benannt. Insofern hätten auch Sie wissen können, wie die W-Besoldung in Zukunft ausge staltet sein soll. Daher bin ich irritiert, dass das, was Sie ge sagt haben, nur heiße Luft war.
(Abg. Andreas Deuschle CDU: Sie haben noch kein Gesetz eingebracht! Aber ich bin gewohnt, mit Ge setzen zu arbeiten und nicht mit Ankündigungen!)
Nun will ich noch auf zwei Dinge eingehen. Zunächst zur W-Besoldung: Es gab ein Gerichtsurteil, das besagt, dass wir die Grundgehälter der Professoren in den Besoldungsgruppen W 2 und W 3 anheben müssen. Das betraf aber nicht den aka demischen Nachwuchs, also nicht die W-1-Besoldung. Was wir gemacht haben, ist –
(Abg. Andreas Deuschle CDU: Sie haben noch gar nichts gemacht! Sie haben angekündigt, dass Sie an heben möchten!)
deswegen habe ich es in die Debatte eingeführt –, im Rahmen der notwendigen Anpassung der W-2- und W-3-Besoldung in Baden-Württemberg als einzigem Bundesland auch die W-1-Besoldung anzuheben und auch dort noch Spielräume zu schaffen. Das ist der große Fortschritt; das ist der Unterschied zu anderen. Außerdem haben wir, wie vom Kollegen Bullin ger gesagt, die Leistungskomponente erhalten. Darüber kön nen andere nur staunen. Sie haben es anscheinend nicht gele sen oder nicht verstanden.
Das Zweite ist das Thema Tenure-Track. Auch hier rate ich Ihnen, sich das einmal anzuschauen. Wir sind dringend auf gerufen, hier etwas zu tun; denn für die Attraktivität ist es noch wichtiger als die Bezahlung an sich, die Chance zu ha ben, als Juniorprofessor oder Juniorprofessorin in einen ge schützten Raum einzusteigen, und dies mit einer echten Op tion, nach einer bestimmten Zeit und nach einem festgelegten Verfahren auf eine richtige Professur zu wechseln. Das gibt es im internationalen Bereich überall. Bei uns war das noch nicht vorgesehen. Wir führen es mit der LHG-Novelle ein. Das ist ein Riesenfortschritt, eine große Chance für die Hoch schulen. Das haben sie alle eingefordert, und dafür gibt es nur Applaus. Es ist schon klar, dass das kommt. Deshalb können Sie nicht sagen, es passiere nichts. Auch das kann ich nicht nachvollziehen.
Ein Letztes noch zu den Hochschulräten – wir werden hier ja noch einmal über die Novelle des Landeshochschulgesetzes diskutieren –: Zur Besetzung der Hochschulräte gab es ein langes Verfahren, viele Gespräche, und wir haben einen gu ten Kompromiss erzielt, mit dem alle leben können. Ich weiß nicht, mit wem Sie gesprochen haben.
Aber ich denke, Sie haben nicht versucht, die große Breite zu erreichen, sondern haben nur mit ganz Wenigen gesprochen. Die große Breite findet den Kompromiss sehr, sehr gut, und dieser lässt mit dem Optionsrecht ja auch noch eine ganze Rei he anderer Möglichkeiten zu.
Bleiben Sie also bitte einmal im Rahmen der Realität. Es ist nun schon vieles erreicht worden, und wir bringen mit der No vellierung viel auf den Weg. Bitte tun Sie nicht immer so, als ob da nichts passiert wäre. Es ist schon ganz, ganz viel da.
Herr Präsident, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Herr Kollege Schmidt-Eisenlohr, ich bin von Haus aus Jurist, und als Jurist ist man gewohnt, mit Gesetzen zu arbeiten und nicht mit Ankündigungen.
Sie haben in diesem Haus noch kein Gesetz vorgelegt. Sie kündigen nur an, auch in Ihren Ausführungen, Frau Ministe rin.
Ich gebe zu: Wir haben Konsens, was die Entfristung von Stel len mit W-Besoldung betrifft. Das habe ich auch angekündigt. Wir haben auch Konsens, was die Vorschläge der Arbeitsgrup pe zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für den wissen schaftlichen Mittelbau betrifft. Auch das habe ich gesagt.