Zu dieser Diskussion lade ich Sie ganz herzlich ein. Ich bin im Grundsatz froh, dass wir bei den vorgelegten Eckpunkten im Kern eine Gemeinsamkeit haben – trotz allen Streits –, nämlich in dem Kern, dass die Reform mit den erwähnten
Eckpunkten, die hier mit den Bündnispartnern aufgesetzt wur de, ein guter Ansatz für eine grundlegende Reform ist.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kolle gen! Kollege Lehmann, ich denke, die Aussage, die Sie und zum Teil auch Herr Hofelich gemacht haben, im Bereich der Wirtschaft würden die Unternehmen nicht genügend tun, um Ausbildungsplätze bereitzustellen, ist konträr zu dem Fach kräftemangel, der in der Presse jeden Tag angeprangert wird.
Eines muss man schon sagen: Ich denke, es ist eine Aufgabe der Politik und nicht der Wirtschaft, für ausbildungsfähige Schulabgänger zu sorgen. Das ist eine Aufgabe der Politik.
Herr Lehmann, hören Sie mir zu: Es ist Aufgabe der Politik, Jugendliche nach vorn zu bringen, Jugendliche heranzubil den, die ausbildungsfähig sind, die reif für eine duale Ausbil dung und auch reif dafür sind, eine weiterführende Schulaus bildung zu absolvieren und zu einem entsprechenden Schul abschluss zu gelangen. Deshalb ist der Schulabschluss ganz wichtig – bevor der Berufsschulabschluss kommt. Das ist der erste Schritt vor dem zweiten.
Das duale Ausbildungssystem – das wissen wir – ist ja mit ein Element, das unser Land prägt. Deshalb ist Baden-Württem berg auch so stark. Nun sagten Sie, Firmen und Betriebe müss ten mehr tun und es müsse auch ein Pädagoge im Betrieb sein. Ich kenne viele Handwerksmeister. Ich weiß nicht, ob die un bedingt die pädagogischen Fähigkeiten haben, die Sie beim Umgang mit Jugendlichen vielleicht voraussetzen, die eben nicht auf dem Stand sind, den man benötigen würde. Aber es gibt genügend Betriebe – darunter auch kleine Betriebe –, die ausbilden. Der größte Teil der Betriebe bildet ja aus. Dort sind eben Handwerker, Facharbeiter tätig. Das sind Spezialisten. Diese Betriebe brauchen ausbildungsfähige Leute, denen sie dann auch weitere Tätigkeiten zuweisen können. Das ist eine Grundvoraussetzung.
Deshalb sage ich: Der Pakt, den Sie geschlossen haben, ist recht und gut. Aber er fängt zu weit oben an. Ich sage auch nicht, dass wir in der Vergangenheit alles gut gemacht haben. Man muss viel weiter unten anfangen. Es darf doch nicht sein, dass es bei uns zwischen dem Abschluss der Schule und der Aufnahme einer Ausbildung diese „Zwischenparkerei“ gibt. Das liegt u. a. auch daran, dass sich angesichts der vorgeleg ten Zeugnisse natürlich der eine oder andere Betrieb nicht traut, jemandem einen Ausbildungsplatz anzubieten. Da nützt es nichts, wenn Sie aufoktroyieren, dass sie diese Ausbildung durchführen sollen.
Für uns, für die Politik ist ein solcher Pakt wichtig. Aber es ist auch wichtig, den Berufsschullehrerverband einzubezie hen – denn die Berufsschullehrer müssen das Ganze letztlich im Theoretischen ausbaden –, genauso wie die Industrie und das Handwerk, damit die jungen Leute so ausgebildet und ent sprechend vorbereitet werden, damit auch den Wünschen al ler Rechnung getragen wird.
Ich komme nur mit einem Wort auf das Thema Gemein schaftsschule zurück. Wenn all das, was Sie im Bereich der Gemeinschaftsschule vorhaben, umgesetzt wird, dann werden sich viele Schüler nicht mehr für eine duale Ausbildung ent scheiden wollen.
Kein Ausbildungsbetrieb hat etwas dagegen, Abiturienten aus zubilden, die sich nach dieser Ausbildung im entsprechenden Bereich weiterbilden. Für den Mittelstand ist es sogar sehr wichtig, dass sehr viele Schulabgänger in den Betrieben ihre Ausbildung anfangen und sich im Anschluss daran weiterqua lifizieren und später vielleicht wieder in die Betriebe zurück gehen.
(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Die Berufsorientie rung ist ein zentraler Bestandteil der Gemeinschafts schule! Wann setzt sich die FDP auch mit dem Kon zept auseinander?)
Deshalb scheuen sich die Betriebe nicht, Abiturienten bzw. höher qualifizierte Jugendliche einzustellen. Vielmehr besteht das Problem darin, dass wir die vorhin erwähnten 15 %, den „Bodensatz“, besser einbinden sollten und die duale Ausbil dung attraktiv belassen und weiterhin ausbauen sollten – Sie haben ein paar Punkte dazu genannt –, sodass es auch für Hö herqualifizierte und Spitzenqualifizierte interessant wird, ei ne duale Ausbildung zu absolvieren und hinterher einen ent sprechenden Studiengang anzustreben. Da sind wir völlig ei nig. Hier haben Sie unsere volle Unterstützung.
Aber, wie gesagt: Die Politik muss unten ansetzen, bereits bei den Kindern, und dafür sorgen, dass daraus ausbildungsfähi ge Jugendliche werden.
Ich denke, dann hat die Wirtschaft nicht mehr den Drang, von Fachkräftemangel zu sprechen. Ich bin davon überzeugt, dass, wenn wir unsere Ressourcen nutzen – –
Vielen Dank, dass Sie mir die Möglichkeit für eine Zwischenfrage gewähren. – Ha ben Sie gesehen, dass zwei wesentliche Punkte in dem Eck punktepapier neu sind? Zum einen wird ein Übergangsma nagement eingerichtet, das eine gute fachliche Beratung, ei ne Berufsorientierung zulässt und die Entscheidung erleich tert, ob „AV Dual“ oder „BQ Dual“ der richtige Weg für je
manden ist. Damit findet eine zielgenaue Orientierung statt. Das zweite sehr wichtige Element dieser Reform ist, dass die Berufs- und Studienorientierung über ein Fach hinausgeht.
Herr Lehmann, das habe ich gesehen. Ich habe aber gesagt, dass die Reform sozusagen zu weit oben anfängt.
Wir müssen weiter unten ansetzen. Wir müssen noch weiter unten ansetzen, damit es möglichst viele ausbildungsfähige Jugendliche gibt. Das wollte ich Ihnen eigentlich erklären.
Ansonsten sind wir mit dem Ausbildungsbündnis in dieser Form – Sie wissen, dass es in der Vergangenheit bereits ähn liche Vereinbarungen mit der Industrie gab – d’accord.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es besteht ein schöner, breiter Konsens über die Notwendigkeit der du alen Ausbildung und über die Notwendigkeit, den Übergangs bereich neu auszurichten. Dennoch möchte ich zwei Informa tionen nachliefern, damit das Bild nicht getrübt ist, liebe Frau Schmid.
Zunächst einmal bin ich völlig einverstanden mit dem, was in dem Ausbildungsbündnis vereinbart worden ist, nämlich dass die betrieblichen Anteile in der Ausbildung erhöht werden. Gerade die Reform des Übergangsbereichs zielt darauf ab, dass diese betrieblichen Anteile in der Ausbildung erhöht wer den. Insofern muss hier irgendwo ein Missverständnis vorlie gen.
Zweitens – da bin ich ernsthaft etwas sauer – haben Sie, Frau Schmid, die Schließung einer Fachklasse in Nagold angespro chen.
Das ist kein gutes Beispiel dafür, dass Ihre Befürchtung zu träfe, wir würden Kleinklassen ohne Sinn und Verstand schlie ßen, sondern es ist genau das Gegenteil. Wir haben im Aus bildungsbündnis nämlich Folgendes vereinbart: Wir haben uns insbesondere die Kleinklassen angeschaut und dann gesagt: Wir wollen, dass die Berufsschulen in der Fläche mit mög lichst vielen Ausbildungsgängen präsent sind. Das heißt, das Kultusministerium verfolgt nicht die Strategie, munter Klein klassen zu schließen, sondern wir wollen im Dialog mit der regionalen Wirtschaft möglichst viele Berufsschulstandorte erhalten.
Genau im Fall der von Ihnen angesprochenen Klasse in Na gold wurde das gemacht. Die Ausbildung an diesem Standort ist nämlich nur für ein Jahr ausgesetzt worden, weil es in die sem Jahr für diesen Bereich nicht genügend Bewerber gab. Man hat die Klasse also nicht dauerhaft dichtgemacht, son
dern das Angebot nur für ein Jahr ausgesetzt, weil man die Chance aufrechterhalten wollte, bei mehr Bewerbern hier wie der anzusetzen.
Man hat die Ausbildung in diesem Jahr an einen nahe gelege nen Standort – nach Calw, wenn ich es richtig weiß; das ist nicht aus der Welt –, verlagert. Das führt nicht dazu, dass man für diese Ausbildung durch das halbe Land reisen müsste.
Genau das angeführte Beispiel zeigt, wie sensibel und prob lembewusst insbesondere die Kultusverwaltung mit diesen Fällen umgeht, auch wenn es sich aufgrund des demografi schen Wandels nicht vermeiden lässt, dass an der einen oder anderen Stelle vielleicht eine Klasse geschlossen wird, wie es in der Vergangenheit übrigens auch getan wurde.
Uns ist sehr bewusst, dass die räumliche Erreichbarkeit für den Stellenwert der dualen Ausbildung wichtig ist. Genau das Beispiel, das Sie genannt haben, ist ein hervorragender Beleg dafür.
Zweite Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz über den Vollzug des Therapieunterbringungs gesetzes in Baden-Württemberg (ThUGVollzG) – Druck sache 15/3643