Protocol of the Session on November 6, 2013

Im Eckpunktepapier, das Sie auch schon angesprochen haben – es wurde diese Woche vorgestellt; das ist bereits erwähnt worden –, steht, dass der Praxisteil in den Betrieben stattfin den soll. Der Minister äußert sich anders, sodass man schon einmal fragen muss: Was gilt jetzt eigentlich?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir bei der Enquete kommission sind, möchte ich gern noch einen anderen Punkt ansprechen – dieser ist eben auch schon angesprochen wor den –, nämlich die Gleichwertigkeit von allgemeiner und be ruflicher Bildung. Das heißt, dass ein Jugendlicher, wenn er die Schulausbildung abgeschlossen hat, frei entscheiden kann, ob er eine duale Ausbildung beginnt oder nach dem Abitur ein Studium aufnehmen möchte. Wenn die Landesregierung aber immer mehr Kleinklassen schließt, dann muss man einfach sagen, dass das keine Gleichbehandlung, sondern eindeutig eine Benachteiligung ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Zuruf des Abg. Claus Schmiedel SPD)

Gerade handwerkliche und mittelständische Unternehmen brauchen ein leistungsstarkes berufliches Bildungsangebot vor Ort, und sie brauchen auch die Nähe zwischen dem Ausbil dungsbetrieb und der Schule. Denn dann gibt es auch einen Kontakt zwischen den Lehrkräften und den Ausbildungsbe trieben. Das wird immer wichtiger.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Ich habe dieser Tage eine Stellungnahme zu einem Antrag be kommen, in dem es um die duale Ausbildung im ländlichen Raum ging. Ich hatte gefragt, ob es eine Korrelation gibt zwi schen der Entfernung des Ausbildungsbetriebs von der Schu le und der Schwierigkeit, junge, qualifizierte Auszubildende zu finden. In der Stellungnahme konnte ich lesen, dem Kul tusministerium sei keine Untersuchung bekannt, die eine Kor relation bestätigt. Aber die Landesregierung hat den Schluss gezogen, dass es keinen negativen Zusammenhang gibt. Doch das, liebe Kolleginnen und Kollegen – das wissen wir alle hier im Saal –, stimmt natürlich nicht. Es ist für Unternehmer na türlich schwieriger, geeignete Auszubildende zu finden, wenn die Schule weit entfernt ist. Für die Auszubildenden ist das in der Regel auch mit höheren Kosten verbunden und macht die Sache für sie unnötig kompliziert.

Ich warne deshalb noch einmal eindringlich davor, sogenann te Kleinklassen unüberlegt zu schließen, vor allem im laufen den Schuljahr.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Wie viel sind denn geschlossen worden?)

Das hatten wir z. B. in Nagold. Dort ist die Klasse Elektro technik/Elektronik im laufenden Betrieb geschlossen worden.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Warum?)

Auch das Handwerk hat sich in einer Pressemitteilung vom 19. April in diese Richtung geäußert. Mit Genehmigung des Präsidenten möchte ich gern zitieren:

Es sei scheinheilig, einerseits gegenüber südeuropäischen Nachbarn die Vorzüge des dualen Ausbildungssystems zu preisen, während im eigenen Land kaum mehr als Lip penbekenntnisse zu vernehmen seien.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Hoppla!)

Ohne wohnort- und betriebsnahe Berufsschulen als star ker Partner drohe der Rückzug vieler Handwerksbetrie be aus der Ausbildung.

Was das bedeutet, brauche ich Ihnen, so glaube ich, nicht nä her zu erklären.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Für die Fraktion GRÜNE spricht Kol lege Lehmann.

Kollege Grimm, es ist ja schon bemerkenswert, wie sich die FDP/DVP hier immer zum Thema „Berufliche Bildung und duales System“ äußert. In den letzten Jahren haben Sie eigentlich nur dadurch geglänzt – auch Ihre Vorgänger –, dass Sie zu diesem Thema relativ we nig beizutragen hatten.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Immer noch mehr als Sie!)

Wenn Ihnen bei dem Thema „Duales System und Problemla ge“ nichts weiter einfällt, als wieder auf die Gemeinschafts schule zu schimpfen oder zu sagen: „Ein Meister ist kein Pä dagoge“, fehlt Ihnen das Grundverständnis für berufliche und für duale Ausbildung.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Mein Ausbilder – ich habe eine duale Ausbildung gemacht – hat in den Siebzigerjahren gesagt: „Ich bin nicht nur fachli cher Ausbilder, sondern auch Pädagoge. Ich habe auch eine Erziehungsfunktion.“

Die Ausbildereignungsprüfung belegt ja auch: Es geht in ei ner beruflichen Ausbildung auch um einen Erziehungsauftrag. Wenn Betriebe es nicht wieder wahrnehmen – ein Grundprob lem in vielen Betrieben ist heute, dass sie dies nicht wahrneh men –, dass sie in der beruflichen Ausbildung auch einen Er ziehungsauftrag haben – diese Aufgabe hat früher jeder Be trieb erfüllt –, werden wir bei diesem Thema nicht weiterkom men. Das ist der zentrale Punkt.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Abg. Günther-Martin Pauli CDU: Sehr pauschal! – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Ein weiterer zentraler Punkt ist, dass die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Ausbildung nicht nur eine Res sourcenfrage ist. Eine solche Diskussion wäre verkürzt. Die Frage ist auch: Inwiefern kann die duale Ausbildung so refor

miert werden – und inwiefern nehmen die Betriebe das auch an –, dass auch höherwertige allgemeinbildende Abschlüsse in der beruflichen Ausbildung möglich werden? Das ist ein zentrales Element.

Der Staat wird nicht dirigieren können: „Ihr müsst dies oder jenes machen.“ Vielmehr ist es die freie Entscheidung von Menschen, welchen beruflichen Bildungsweg sie gehen.

Die Reform des dualen Ausbildungssystems bedarf eben auch des berufsbegleitenden Erwerbs der Fachhochschulreife und einer echten mittleren Reife. Wenn wir dies in der Reform nicht schaffen und die Betriebe nicht bereit sind, sich hier ein zubringen, wird diese Reform nur teilweise gelingen. Das sa ge ich auch ganz klar. In diesem Punkt brauchen wir noch Be wegung.

Ein weiterer Punkt für das Gelingen der Reform ist sicher auch, dass wir das „AV Dual“ und das „BQ Dual“ auch als Ganztagsangebote ausbauen müssen, um die Gleichwertigkeit hinzubekommen. Andernfalls wird das nicht funktionieren.

Frau Schmid, eines muss ich Ihnen noch einmal mitgeben: Die Ausbildungsstatistik der Agentur für Arbeit sagt nur, wie viele Ausbildungsplätze angeboten worden sind und wie vie le nicht besetzt worden sind. Sie sagt aber nicht aus, wie vie le es eigentlich in anderen Bereichen, nämlich im Übergangs bereich, gibt. Das kümmert die Agentur für Arbeit nicht. Es ist zwar strittig, ob es genau 37 000 oder 61 000 sind, aber auf jeden Fall ist diese Zahl viel zu groß.

Es geht darum, das Thema auch wirklich ernst zu nehmen und nicht zu sagen: Es ist ja eigentlich alles in Butter; denn wir haben ca. 5 000 offene Ausbildungsstellen.

Ich muss Ihnen auch sagen: Es ist nicht für jeden jungen Men schen erstrebenswert, in der Gastronomie oder im Hotelge werbe zu arbeiten. Dafür ist vielleicht auch nicht jeder geeig net. Man kann auch jungen Leuten nicht vorschreiben, dass sie dort arbeiten müssen oder dort eine Ausbildung machen müssen.

Daher wird es in diesem Bereich immer eine Deckungslücke geben, die nicht so einfach zu schließen ist. Das muss man klar sagen.

(Glocke des Präsidenten)

Kollege Lehmann, gestatten Sie ei ne Zwischenfrage des Kollegen Paal?

Kollege Lehmann, ich finde es uner träglich, wie Sie hier von „den“ Betrieben und „der“ Wirt schaft sprechen, die ihrer Verantwortung nicht nachkommen würden. Ich weiß nicht, ob Sie, wie ich, in einer Fachkräfte allianz sind, wo man wirklich Kärrnerarbeit leistet. Dabei macht die Wirtschaft mit.

Ich nenne Ihnen nur einige Beispiele für das, was alles läuft: Azubi-Speeddating, Ausbildungsmessen, Berufsorientierungs phasen, Businessknigge, Sondervermittlungsaktionen, Aus wertung von Ausbildungsabbrüchen und Maßnahmen dage gen, Werbung bei Studienabbrechern, Werbung für Berufsbil

der und Modernisierung von Berufsbildern. Ich könnte mit den Beispielen endlos fortfahren.

Stimmen Sie mir zu, dass die Aussage falsch ist, dass „die“ Wirtschaft ihrer Verantwortung nicht gerecht werde? Die Wirt schaft macht nämlich in solchen Fachkräfteallianzen und auch in dem Bündnis mit. Ihre Behauptung nehmen Sie bitte zu rück.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Zwischen uns beiden be steht offensichtlich eine Verständnisschwierigkeit,

(Zuruf des Abg. Claus Paal CDU)

und zwar dahin gehend, dass ich das Engagement der Bünd nispartner und vieler Betriebe überhaupt nicht negiere. Ich bin genug im Thema „Berufliche Ausbildung“ drin, dass ich sehr wohl weiß, dass vor allem die Bündnispartner, viele Betriebe hier sehr viel machen und sich sehr engagieren. Das will ich nicht kleinreden.

Aber es ist bei diesem Thema sicher nicht hilfreich, einfach zu sagen: „Es ist alles in Butter, es ist alles gut.“ Wenn das so wäre, brauchten wir nicht eine Reform des Übergangsbereichs und hätten wir nicht diese Zahlen.

Es hilft wenig, nur einen Teilaspekt zu betrachten und zu sa gen: „Das liegt daran, dass die jungen Leute nicht ausbil dungsreif sind.“ Super, damit können sich beide Seiten aus der Verantwortung stehlen.

Es hilft auch nicht weiter, zu sagen: „Es machen zu viele das Abitur.“ Wir müssen ernsthafte, gute Angebote für eine beruf liche Ausbildung machen und vor allem auch das Recht auf eine berufliche Ausbildung umsetzen. Dazu müssen alle an ei nem Strang ziehen, und über das Bündnis wird das jetzt ge macht.

In dieser historischen Situation wird wirklich ein Paradigmen wechsel eingeleitet. Ich weiß nicht, ob allen klar ist, dass wir hiermit in der beruflichen Qualifizierung einen Umbruch grundlegender Art einleiten. Da wird es noch viele Hürden ge ben, die zu überwinden sind. Aber es bedarf – auch in vielen Betrieben – einer grundsätzlich neuen Einstellung.

Frau Schmid, zum Stichwort Kleinklassen: Es ist ja ein Pro blem, dass auch im ländlichen Raum Betriebe zum Teil zu we nig ausbilden. Wenn es in einem Landkreis für einen Beruf nur noch fünf Auszubildende gibt, stellt sich natürlich die Fra ge: Wie kann eine Fachlichkeit in der Berufsschule gewähr leistet sein? Können wir das mit fünf Auszubildenden noch gewährleisten, oder müssen hier doch Landesfachklassen ge bildet werden? Das ist keine simple Frage, auf die man ein fach nur sagen kann: „Jetzt lassen wir den Berufsschulunter richt eben mit fünf Auszubildenden weiterlaufen.“ Darauf müssen wir Antworten geben, die nicht einfach sind und die auch zu einer fachlichen Qualität führen müssen.

Zu dieser Diskussion lade ich Sie ganz herzlich ein. Ich bin im Grundsatz froh, dass wir bei den vorgelegten Eckpunkten im Kern eine Gemeinsamkeit haben – trotz allen Streits –, nämlich in dem Kern, dass die Reform mit den erwähnten