Protocol of the Session on June 20, 2013

Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:

Zweite Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Änderung des Unterbringungsgesetzes und des Landeskrankenhausgesetzes Baden-Württemberg – Drucksache 15/3408

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ar beit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren – Drucksache 15/3588

Berichterstatter: Abg. Manfred Lucha

Das Präsidium hat für die Allgemeine Aussprache eine Rede zeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Teufel das Wort.

(Unruhe)

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die CDU-Landtagsfrak tion stimmt der Neuregelung zur Änderung des Unterbrin gungsgesetzes und des Landeskrankenhausgesetzes zu. Das Bundesverfassungsgericht hat die bisherige Grundlage für Zwangsbehandlungen in Baden-Württemberg für verfassungs widrig erklärt. Der Landesregierung ist es nach anderthalb Jahren gelungen, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine Neuregelung einzubringen.

Zwangsmedikation ist ein grundlegender Eingriff in die Per sönlichkeitsrechte der Patienten. Deshalb darf die Zwangsme dikation nur in engen Grenzen und unter Einhaltung der ver fassungsrechtlichen Vorgaben durchgeführt werden.

Die vom Bundesverfassungsgericht kritisierten Mängel wer den mit der Neuregelung behoben. Für die Landtagsfraktion der CDU sind folgende fünf Punkte der Neuregelung wichtig: erstens die Verhältnismäßigkeitsprüfung, zweitens die Auf klärungs- und Informationspflicht gegenüber den Patienten, drittens die umfassende Dokumentationspflicht, viertens die Konkretisierung der Voraussetzungen für die Zwangsbehand lungen und fünftens der sogenannte Richtervorbehalt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die CDU-Landtags fraktion wird der Gesetzesvorlage zustimmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU sowie der Abg. Manfred Lucha GRÜNE, Florian Wahl SPD und Jo chen Haußmann FDP/DVP)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich Herrn Abg. Lucha das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Heute befinden wir uns in der zwei ten Lesung des vorliegenden Gesetzentwurfs. In der ersten Lesung und im Ausschuss haben wir schon eine hundertpro zentige Übereinstimmung bei diesem vermeintlichen Randthe ma, das uns gesundheits- und gesellschaftspolitisch bewegt, feststellen können.

Wir haben zu regeln, wie wir einem Menschen, dem es sehr schlecht geht, gegen seinen Willen eine Zwangsbehandlung angedeihen lassen. Diese Situation gibt es; das Ziel ist, sie so gut es geht zu verhindern.

Deshalb freuen wir uns, dass § 8 UBG verfassungskonform ausgestaltet wurde und dass genau geprüft wurde, ob unsere Maßgaben bezogen auf die Einsichtsfähigkeit und Fremdge fährlichkeit – die von uns angedachten stufenweisen Bestim mungen im Hinblick auf Richtervorbehalt, Einsichtsfähigkeit, Vollmachtsfähigkeit und Willensbeurteilung – mit dem Ver fassungsgerichtsurteil im Einklang stehen und tatsächlich grei fen. Sie greifen tatsächlich.

Am vergangenen Donnerstag hatten wir eine sehr gute Tagung zum Thema „Gewalt in der Psychiatrie“. Wir bedanken uns, dass die Frau Ministerin ein sehr feinsinniges Grußwort ge halten hat, in dem klar geworden ist: Gewalt in der Psychiat rie gab es immer. Es gibt immer einmal Situationen, in denen die Gewalt auffallen kann – durch das Verhalten Betroffener gegenüber Dritten und gegen sich selbst in ihrer Not. Das ist ein sehr sensibles Thema, und es steht zwischen Schutz und Eingriff.

Das Problem haben wir juristisch sehr gut gelöst. Aber das kann nicht isoliert stehen. Wir brauchen einen Paradigmen wechsel im Umgang.

Wir, die Koalition, haben die ambulanten Dienste gestärkt. Wir haben Kürzungen von Mitteln zurückgenommen. Wir ha ben ein Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz auf den Weg ge bracht, das Zuwendung, Hilfe und Prävention im besten Sinn des Wortes tatsächlich in den Vordergrund stellt.

Wir brauchen heute als nächsten Schritt eine Kultur, dass Le ben mit Störungen zu dieser Gesellschaft gehört. Wir brau chen einen deutlichen Rückgang der gesetzlichen Betreuung. Wir brauchen Aufklärung bei den Vormundschaftsgerichten. Selbstbestimmtes Leben steht im Mittelpunkt. Wenn selbst bestimmtes Leben im Mittelpunkt steht und die Störung auch als solche erkannt wird und wir mit ihr leben können, ist sie besser integriert, haben wir einen gemeinsamen Blick darauf. Es kommt nicht dazu, dass ein Zustand ständig eskaliert und dann nur noch mit Gewalt zu lösen ist. Das zu verhindern ist unsere Aufgabe.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Florian Wahl SPD)

Ich glaube, wir haben begonnen, die Psychiatrie, die Sozial psychiatrie, die Gemeindepsychiatrie, zu der ja auch der ge samte inklusive Gedanke gehört, zu erfassen.

Ich habe gestern im österreichischen Radio in einer Sendung gehört, dass Blinden in Österreich ihr Kind vom Jugendamt entzogen werden soll. Das geht nicht.

(Beifall bei den Grünen)

Inklusive Gesellschaft heißt, dass Leben mit einer Störung möglich ist. Das bedeutet auch für uns hier: Wir haben ange fangen, ein Schattenthema – das übrigens aber jeden Dritten einmal in seinem Leben betrifft, indem er psychisch erkrankt – in die Mitte unserer gemeinsamen Aufgabe zu stellen. Wir haben die Nöte psychisch Kranker vom Rand der Gesellschaft in die Mitte der Gesellschaft gestellt. Das ist ein ganz großer Erfolg der letzten zwei Jahre. Herzlichen Dank an alle, die da ran beteiligt waren.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Für die SPD-Fraktion er teile ich das Wort Herrn Abg. Wahl.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Da men und Herren! Auch die SPD-Fraktion stimmt mit Freude darüber, dass es jetzt so schnell zu dieser Gesetzesänderung kommt, dem Gesetzentwurf zu. Wir wollen uns an dieser Stel le auch bei der Sozialministerin und beim Sozialministerium bedanken. Denn ich denke, zu dem, was wir jetzt angegangen sind, gehört schon einiges. Das gilt vor allem für die Ge schwindigkeit.

Ich glaube, wir, Baden-Württemberg, sind die Ersten, die das Ganze regeln. Das ist auch gut so, um einerseits Rechtssicher heit zu schaffen für die Ärzte, die Pflegerinnen, die Menschen, die mit der Zwangsmedikation arbeiten. Andererseits sagen wir damit: Zwangsmedikation ist als Ultima Ratio notwendig, aber wir setzen ihr ganz enge Grenzen, indem wir einerseits den Richtervorbehalt haben und andererseits sagen: Wir wol len, dass nach dieser Behandlung wieder ein selbstbestimm tes Leben möglich ist, bzw. Zwangsmedikation setzt voraus, dass bei Nichtbehandlung eine Gefahr für die betroffene Per son oder für andere besteht.

Deswegen freue ich mich auch über die ganz engen Grenzen und über die Einigung, die wir hier im gesamten Haus haben. Das spricht wirklich dafür, dass wir hier an einem Strang zie hen, denn das ist nicht überall in der Gesellschaft so.

Ich möchte an dieser Stelle der Debatte sagen: Mit dem, was wir über das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz auf den Weg bringen, in das das Ganze natürlich auch einfließen wird, stär ken wir die Rechte psychisch Kranker und die Strukturen vor Ort. Wir haben durch die SpDi die Mittel verdoppelt und ver stetigt. Da haben wir unheimlich viel gemacht.

Wenn wir dann von bestimmten Leuten – ich will nicht sagen: von einer schrillen Minderheit – zu hören bekommen: „Psy chiatrie ist Folter, Psychiatrie ist Mord“, und das teilweise sehr massiv, dann weise ich das hier für die SPD-Fraktion und, hof

fe ich, auch für das ganze Haus für die Psychiatrie in BadenWürttemberg nachdrücklich zurück.

Deswegen finde ich es gut, dass wir das Ganze jetzt regeln. Die SPD-Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf zu.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Für die Fraktion der FDP/ DVP erteile ich das Wort Herrn Abg. Haußmann.

Sehr geehrte Frau Prä sidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehr ten Damen und Herren! Schon bei der ersten Lesung und dann auch im Sozialausschuss haben wir seitens der FDP/DVPLandtagsfraktion gesagt, dass wir diesem Gesetzentwurf un eingeschränkt zustimmen können. Ich will das an dieser Stel le gern noch einmal sagen.

Zwangsmedikation bleibt weiterhin nur das letzte Mittel ei ner Behandlung. Es gibt dafür Rahmenbedingungen, die jetzt festgelegt werden und die, glaube ich, nach menschlichem Er messen das darstellen, was man für alle Beteiligten auch so umsetzen kann. Wenn von Lebensgefahr oder einer erhebli chen Gesundheitsgefahr für die untergebrachten Personen aus zugehen ist, steht man vor dieser Herausforderung. Es geht auch darum, die Menschen, die dort arbeiten, sowie Dritte zu schützen. Das ist heute ebenfalls eine sehr wichtige Aufgabe.

Mit der Neuregelung wird festgelegt, dass eine Zwangsbe handlung nur auf ärztliche Anordnung hin stattfinden darf und dass eine vorherige Zustimmung des Betreuungsgerichts not wendig ist. Man respektiert genauso eine vorliegende Patien tenverfügung; diese findet dann entsprechend Beachtung.

Uns war wichtig – darüber haben wir auch in der Ausschuss sitzung noch einmal beraten –, dass man eine Datenerfassung vornimmt, damit Daten und Statistiken vorliegen, die deutlich machen, über welche Zahlen wir hier in Baden-Württemberg sprechen, sodass man die Prozesse dann auch evaluieren kann.

Die FDP/DVP-Landtagsfraktion wird diesem Gesetzentwurf zustimmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU und der Grünen)

Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Altpeter das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsi dentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir heute den Ge setzentwurf zur Zwangsbehandlung in zweiter Lesung bera ten. Ich möchte mich zunächst ganz ausdrücklich bei allen Fraktionen hier im Haus für die einhellige Zustimmung und für die Unterstützung des Gesetzesvorhabens bedanken. Das ist schließlich keine Selbstverständlichkeit.

Es handelt sich hier um ein sensibles, ein schwieriges Thema. Denn Zwangsbehandlungen in der Psychiatrie und im Maß

regelvollzug wecken bei allen zunächst einmal ein Gefühl des Befremdens. Dieses Thema ist kein alltägliches Thema, und es ist auch nicht frei von Emotionen.

Zwang erlebt niemand gern, und Zwang, insbesondere in der Psychiatrie, darf auch niemandem grundlos zugefügt werden. Deshalb muss das neue Gesetz die Gewähr dafür bieten, dass eine Zwangsbehandlung gegen den Willen des Betroffenen nur im alleräußersten Notfall vorgenommen wird.

Wir haben in der Neufassung von § 8 des Unterbringungsge setzes alle Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts eingear beitet. Deshalb wird eine Behandlung zukünftig grundsätzlich nur mit der Einwilligung des untergebrachten Patienten mög lich sein. Eine Zwangsbehandlung gibt es nur in absoluten Ausnahmefällen, die eng begrenzt und klar von uns umrissen sind. Die Behandlung muss von einem Arzt angeordnet wor den sein, und das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist zu beach ten. Dabei darf immer nur das mildeste Mittel gewählt wer den. Gibt es ein anderes Mittel als die Zwangsbehandlung, dann darf die Zwangsbehandlung nicht durchgeführt werden.