Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Heute ist ein guter, ein sehr guter Tag. Es ist nach intensiver eineinhalbjähriger Tätigkeit gelungen, einen Gesetzentwurf vorzulegen, den wir heute in erster Le sung beraten. Im Prinzip wurde unmittelbar nach Bekanntga be des Verfassungsgerichtsurteils der Ball aufgenommen, um einerseits den Menschenrechten und den Selbstbestimmungs rechten der Menschen und andererseits dem Schutzbedürfnis von Menschen, deren Handlungsfähigkeit aufgrund einer Stö rung zumindest situativ eingeschränkt ist, sowie von beteilig ten Dritten mit Augenmaß und unter Wahrung der Verhältnis mäßigkeit mit einer Regelung gerecht zu werden, die genau dem entspricht, was vielleicht auch die moderne Gesellschaft ausmacht, nämlich dass Störung in dieser Gesellschaft dazu gehört, dass es ein Recht auf Anderssein gibt.
Die Verfassungsgerichtsurteile begründen sich auch ein Stück weit aus unserer Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die die Indikati onsstellung sehr eng gewählt hat – wenn man überhaupt ge gen den Willen des Betroffenen eingreifen kann – und etwas sehr Gutes tut. Die UN-Konvention hat definiert, dass wir die Prävention, damit es nicht zu diesen Zuständen kommt, sehr ernst nehmen.
Darum haben wir – da bin ich der Ministerin und dem Sozi alministerium sehr dankbar – vom ersten Tag der Amtszeit dieser Regierung an – ich meine, das ist ein großer sozial-, ge sundheits- und gesellschaftspolitischer Leuchtturm – die Nö te und die Versorgungsqualität von Menschen mit psychischen Erkrankungen und seelischen Behinderungen sowie ihre Selbst bestimmung, ihre Mitwirkung, ihren Platz als Akteure sehr ernst genommen und sie nicht als Abhängige betrachtet.
Wir haben in einer haushaltspolitisch schwierigen Zeit die am bulanten Dienste gestärkt. Wir haben das Anhörungsverfah ren zum Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz mit dem Landesar
beitskreis Psychiatrie, mit 100 agierenden Personen, mit An gehörigen, Psychiatrieerfahrenen, Vertretern von Kliniken und Krankenkassen, mit allen betroffenen Institutionen und Ver bänden durchgeführt und ein Konsenspapier, ein Eckpunkte papier erstellt.
Wir waren uns einig, dass wir § 8 UBG, den wir „schneller“ machen wollten, weil es eben um ein Bürgerrecht geht, im nächsten Jahr, wenn wir das Gesetz verabschieden, in das neue Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz einarbeiten, das ganz klar von der Zielsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention – Teilhabe vor Zwang und Ausgrenzung, frühzeitiges Erkennen einer Notlage, niederschwelliger Zugang zu Hilfesystemen – geprägt ist.
Ich glaube, gerade mit unseren Vorschlägen zu den gemein depsychiatrischen Verbünden und mit den erneuten Stärkun gen – ich führe jetzt nicht wieder die Kürzungsdebatte; das haben wir im letzten Jahr getan – der Sozialpsychiatrischen Dienste – – Wir spüren schon heute, wenn wir vor Ort sind, bei Besuchen in den Wahlkreisen – dort sind die Fallzahlen einfach wieder vorhanden –, dass wir jetzt ein Gesetz geschaf fen haben, das eine wesentliche Stärkung der Rechte psy chisch erkrankter und untergebrachter Personen zur Folge hat. § 8 UBG ist wie ein Sicherheitsgurt im Auto. Wir legen ihn an, er sorgt für Sicherheit, aber wir wollen nicht, dass er zum Einsatz kommt. Genau so ist § 8 UBG angelegt.
Ich muss noch eines sagen – das ist ein großer Dank für die interministerielle Zusammenarbeit –: Wir haben mit dem Jus tizministerium in einer sehr guten, qualifizierten Diskussion auf Arbeitsebene den Richtervorbehalt als wesentliches Qua litätsmerkmal der letzten Stufe vorgesehen.
Wir wissen, die Vormundschaftsgerichte sind belastet. Wir wissen aber auch, dass wir mit diesem Gesetz – eigentlich mit diesen Gesetzen – auch eine Kampagne starten müssen, um zu weniger gesetzlichen Betreuungen, zu mehr Vollmachten, zu mehr Sensibilität für menschliche, therapeutische und per sönliche Nähe zu kommen. Es geht um ein Weniger bei den rechtlichen Instituten.
Wenn wir so nahe an den Menschen sind, werden wir die Ak zeptanz für § 8 UBG erreichen. Bezüglich dieser Regelung gibt es Kritiker. Hier im Haus hatten wir eine Anhörung mit 400 Leuten. Darunter gab es auch welche, die gesagt haben, der Eingriff sei zu tief. Es ist ein Eingriff, aber wir können ihn verantworten, weil wir die Regularien gut gewählt haben. Wir werden die Eingriffe dokumentieren. Wir werden Klinikbe suchseinrichtungen machen. Es wird alles offen sein.
Einen letzten Satz muss ich noch zu dem sagen – da sind wir, glaube ich, auf einer Linie –, was der Bund gerade mit dem Psych-Entgeltgesetz und mit der PEPP-Finanzierungsrege lung macht. Das sage ich Ihnen jetzt als Praktiker. Ich bin in meiner aktiven Zeit in der psychiatrischen Versorgung auch im Nachtdienst – schon vor über 25 Jahren – mit den Psycho tikern einmal getigert, und wir haben nicht sofort Maßnahmen ergriffen, weil sich Spannungen auch wieder abbauen. Wenn wir diese Finanzierungsform, die unglücklicherweise an die DRGs angelehnt ist, so übertragen würden, hätten wir die Kli niken mit diesem Personalbestand so geschwächt, dass diese notwendige deeskalierende und entspannende Maßnahme nicht möglich wäre.
Wir müssen ein gemeinsames Bündnis – ich schaue zur CDU, weil der APK-Vorsitzende, Ihr Kollege Weiß aus Emmendin gen, ein alter Fürstreiter für die Rechte psychisch Kranker ist – schmieden. Wir kämpfen dafür. Personen statt Medikamen te, das muss unser Ziel sein – gerade dann, wenn man manch mal auch eine Regel braucht, um Medikamente einsetzen zu können.
Vielen Dank noch einmal an das Ministerium und die ganze Mitarbeiterebene für den tollen, intensiven Beteiligungspro zess. Das ist Bürgerdemokratie.
Frau Präsidentin, werte Kollegin nen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Auch ich möchte mich zunächst bei der Landesregierung bedanken, dass sie so schnell und praktisch als Erste nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 2011 jetzt die Neuregelung vorlegt. Ich möchte mich bei den Sozialpoliti kern – auch denen von der Opposition – bedanken, dass wir in diesem Haus bei dieser grundlegenden Frage allgemein Konsens haben.
Denn es ist ja keine einfache Debatte. Sie wird außerhalb des Parlaments von verschiedenen Interessengruppen, die an uns alle herantreten, teilweise auch deutlich polarisierter geführt. Das hat die Debatte nicht leicht gemacht. Sicherlich ist es auch eine Debatte, die wir kontrovers führen müssen. Denn es geht um ganz massive Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Menschen.
Mit der vorliegenden guten Novellierung schaffen wir die rechtliche Grundlage und für die behandelnden Mediziner, das Pflegepersonal, die Menschen, die in der Psychiatrie tätig sind, eine Rechtssicherheit, die notwendig ist, damit sie ihren Job gut machen können.
Deswegen begrüßen auch wir von der SPD-Fraktion, dass ei ne Verhältnismäßigkeitsprüfung stattfindet. Das ist uns ganz wichtig. Wenn bei dem Patienten die Einsicht in die Krank heit und in die Behandlungsbedürftigkeit fehlt, kann es eine Gefahr für den Patienten und seine Umwelt sein, wenn nicht behandelt wird. Durch eine Zwangsbehandlung schaffen wir die Grundlage, dass danach wieder ein selbstbestimmtes Le ben möglich ist.
Das Ganze ist praktisch wie eine Sicherheitslinie. Es ist ganz wichtig, dass wir diese „Brandmauer“, den Richtervorbehalt und die Sicherheit haben. Wichtig ist auch, dass sich die Men schen darauf verlassen können, dass das Ganze nicht so ab läuft, wie es oft den Stereotypen von einer Psychiatrie von vielleicht vor 40, 50 Jahren entspricht, als der mündige Bür ger oder der Patient eben rechtelos war. Genau deren Rechte wollen wir an dieser Stelle stärken.
Ich finde es auch gut, dass wir das jetzt sehr zügig gemacht haben. Kollege Lucha hat es schon gesagt: Ich glaube, wir ha ben mit der Entwicklung der Eckpunkte für das PsychischKranken-Hilfe-Gesetz auch im Bereich Psychiatrie einen ganz
wichtigen Schritt geleistet. Wir haben die betroffenen Grup pen umfassend beteiligt, was sich auch in den Eckpunkten zeigt. Das haben wir jetzt herausgelöst und praktisch noch in die alte Regelung genommen, bis dann die neue Regelung greift. Das war notwendig und richtig.
Ich möchte an dieser Stelle noch sagen: Das Psychisch-Kran ken-Hilfe-Gesetz wird auch dem alten Bild, das von der Psy chiatrie teilweise noch herrscht – – Es ist noch einmal veran kert, dass sie sich weiterentwickeln muss und vor Ort auch schon viel weiter ist.
Wesentlicher Inhalt sind der verpflichtende Ausbau der beste henden Strukturen und die Einrichtung gemeindepsychiatri scher Verbünde in allen Stadt- und Landkreisen. Das brauchen wir flächendeckend im Land; momentan sind wir etwa bei 75 %. Für die SPDi’s haben wir gleich am Anfang – auch un ter dem persönlichen Engagement von Manfred Lucha – die Mittel verdoppelt und im Doppelhaushalt verstetigt.
Ich denke, dass wir durch dieses Psychisch-Kranken-HilfeGesetz eine noch bessere Verzahnung von ambulanten und stationären Angeboten erreichen.
Ich möchte in diesem Rahmen von § 8 UBG auch ganz kurz ansprechen: Es ist, glaube ich, ganz wichtig, dass wir Anlauf stellen zum Schutz von Patientinnen und Patienten schaffen, dass Angehörigen- und Patientenrechte gestärkt werden, dass man vor Ort in den Kreisen unabhängige Stellen hat, die vor her beraten, die sagen, was ist, wenn jemandem eventuell Un recht getan wurde oder jemand das Gefühl hat, dass ihm Un recht getan wurde. Man muss dabei Rat und Hilfestellung er halten.
Wichtig ist ferner, dass wir auch auf Landesebene eine unab hängige Ombudsstelle mit juristischer Kompetenz haben, dass wir Berufskommissionen als Kontrollinstanzen haben und dass wir – ich glaube, das ist auch für die Evaluation wichtig – zentrale, standardisierte und anonyme Melderegister gera de für diese freiheitsentziehenden Maßnahmen haben, um auch einen Überblick und eine Kontrolle zu haben.
Eine Zwangsbehandlung im Sinne von § 8 UBG muss die Ul tima Ratio sein. Es kann Fälle geben, in denen sie notwendig ist. Auf der andere Seite stärken wir die Rechte der Patienten. Ich denke, wir haben mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ei ne gute Balance gefunden. Wir hoffen auf eine breite Zustim mung in diesem Haus.
Sehr geehrte Frau Prä sidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf vorweg schicken, dass die FDP/DVP-Landtagsfraktion diesem Ge setzentwurf zustimmen wird.
Ich denke, es ist eine gute Arbeit geleistet worden. Der Ge setzentwurf ist eine gute Grundlage, die notwendig wurde, nachdem das Bundesverfassungsgericht am 12. Oktober 2011 den bestehenden § 8 des Unterbringungsgesetzes für grund gesetzwidrig erklärt hat.
Am 5. Juli 2012 haben wir im Sozialausschuss den Antrag zum Thema „Zwangsweise Unterbringung und Zwangsbe handlung in Baden-Württemberg“ besprochen. Wenn man sich die Entwicklung der Zahlen der letzten Jahre anschaut, dann stellt man fest, dass 2007 in unseren Zentren für Psychiatrie knapp 1 400 Menschen nach dem Unterbringungsgesetz ein gewiesen waren. 2011 waren es etwa ein Drittel mehr, näm lich 1 839 Menschen. Dies ist also ein akutes Thema, mit dem wir uns zu beschäftigen haben.
Wenn man jetzt – wie vielleicht manche gefordert haben – nichts unternimmt, dann würde es bei einer Nichtbehandlung vermehrt zu aggressiven Übergriffen auf das behandelnde Per sonal oder auf Mitpatienten kommen. Ein Anstieg der Zahl der Fixierungen und Isolierungen wäre die Folge. Das wäre ein Rückschritt in eine Verwahrpsychiatrie, was nicht in un serem Interesse sein kann.
Auf Einladung des Betriebsrats des Zentrums für Psychiatrie in Calw hatte ich Gelegenheit, die Einrichtung vor Ort anzu schauen. Ich bin dankbar, dass ich auch in die Akutpsychiat rie schauen durfte. Wenn man berücksichtigt, welche Konse quenzen eine Fixierung oder Isolierung hätte, wird deutlich, dass dies nicht das wäre, was wir heute in Baden-Württem berg für diese Menschen brauchen.
Wir können den Gesetzentwurf unterstützen, weil er, wie ich meine, alle Elemente beinhaltet, die für eine gegebenenfalls not wendige Zwangsbehandlung in den Grenzen, die von meinen Vorrednern beschrieben wurden, erforderlich sind. Die ärztli che Überwachung ist gesichert. Die richterliche Zustimmung ist gesichert. Für die Zwangsbehandlung bestehen daher ganz enge Grenzen. Wir können deshalb diesem Gesetzentwurf zu stimmen.
Uns ist auch wichtig, dass wir eine zentrale Meldedatei ha ben, sodass die entsprechenden Informationen über die An zahl von Zwangsbehandlungen vorliegen und daraus Ablei tungen vorgenommen werden können. Dieser Punkt wird auch wichtig sein, wenn Sie den Gesetzentwurf für das neue Ge setz, das Sie angesprochen haben, vorstellen.
(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU sowie der Abg. Manfred Lucha GRÜNE und Rainer Hinderer SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Da mit ist die Aussprache beendet.
Ich schlage vor, den Gesetzentwurf Drucksache 15/3408 zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Arbeit und Sozial ordnung, Familie, Frauen und Senioren zu überweisen. – Es erhebt sich kein Widerspruch. Damit ist es so beschlossen.