Protocol of the Session on May 15, 2013

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Die konnten Sie gar nicht sehen!)

Wir sollten uns darauf einigen, dass das Thema „Demografi sche Entwicklung“ ein Problem darstellt, das nicht erst 2011 begonnen hat.

(Zuruf: So ist es!)

Ich kann Ihnen dies nachweisen. Entsprechende Grafiken und Statistiken kennen Sie. Ich nenne Ihnen einmal eine Zahl: Im Jahr 2001 hatten wir beim Übergang von der vierten Klasse der Grundschule in die fünfte Klasse der Haupt- und Werkre alschule in Baden-Württemberg noch 40 319 Schüler. Im Jahr 2011 – das war zu Zeiten der Verbindlichkeit der Grundschul empfehlung – waren es noch 23 769 Schüler. Dies sage ich nur, um einmal den Gegenbeweis zu der Behauptung anzutre ten, dass durch den Wegfall der Verbindlichkeit der Grund schulempfehlung ein Prozess erst in Gang gekommen sei.

Ich habe vorhin in meiner Regierungserklärung deutlich zum Ausdruck gebracht, dass diese Entwicklung beschleunigt wur de. Die Fragestellungen und vor allem die Antworten, die von uns verlangt werden, haben jedoch unter den gleichen Aspek ten zu erfolgen, als wenn wir die Verbindlichkeit der Grund schulempfehlung nicht aufgehoben hätten. Der Prozess hat sich jetzt beschleunigt, die Entscheidungssituation hat sich jetzt verschärft. Deswegen müssen wir jetzt handeln. Ich set ze darauf, dass wir gemeinsam handeln werden.

(Abg. Winfried Mack CDU: Herr Fulst-Blei hat et was anderes gesagt! – Glocke des Präsidenten)

Herr Minister, gestat ten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Kern?

Ja, gern.

Herr Minister, ich gestehe gern zu, dass ich Sie in den vergangenen hundert Tagen in haltlich scharf kritisiert habe, weil ich der Meinung bin, dass Ihre Politik inhaltlich nicht in die richtige Richtung geht. In meiner heutigen Rede habe ich bereits gesagt, dass Sie auf in haltliche Kritik manchmal dünnhäutig reagieren.

(Zuruf: Wer ist dünnhäutig?)

Ich habe Sie noch gar nie persönlich angegriffen. In diesen hundert Tagen haben Sie mir jedoch bereits unterstellt, ich würde Drogen nehmen,

(Zurufe von den Grünen und der SPD: Ach was!)

Sie haben mir unterstellt, ich würde morgens rohes Fleisch es sen,

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Stimmt es denn?)

und jetzt gerade haben Sie mir eine Paranoia unterstellt. Hal ten Sie diese persönlichen Angriffe mir gegenüber für richtig? Sie wissen, dass ich recht habe; für einen dieser Vergleiche haben Sie sich nämlich bei mir entschuldigt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Win fried Mack CDU: Das ist Stoch! – Abg. Georg Wa cker CDU: Er ist nicht souverän!)

Bitte, Herr Minister.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, sehr geehrter Herr Kolle ge Dr. Kern, Sie wissen, dass wir im persönlichen Gespräch, im persönlichen Austausch sehr gut miteinander zurechtkom men. Sie wissen und auch ich weiß von Ihnen, dass Sie auch sachlich argumentieren können.

(Lachen bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Können Sie das auch?)

Ich bedaure, dass Sie das hier sehr häufig nicht erkennen las sen.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Da gibt es noch ganz andere!)

Wer so austeilt, wie Sie das tun, der muss auch einstecken können. Wenn Sie sich als Person dadurch angegriffen füh len, dann bedaure ich das und entschuldige mich hier öffent lich bei Ihnen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Staatssekretär Ingo Rust: Da müsste sich Herr Rül ke bei jeder Debatte entschuldigen!)

Wir sollten uns jedoch darüber einig sein, dass ich den Vor wurf der Dünnhäutigkeit jetzt auch erheben könnte, so, wie Sie das getan haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, jetzt noch einmal zu einigen Punkten. Herr Kollege Wacker hat Punkte angespro chen, die legitimerweise genannt wurden. Ich möchte kurz auf das Thema „Berufliche Schulen“ kommen, Herr Kollege Wa cker.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Die beruflichen Schulen sind in Baden-Württemberg ein sehr wichtiger Faktor, ein Garant dafür, dass viele junge Menschen gute Bildungschancen haben, vor allem im Übergang von der Schule in den Beruf. Das ist völlig unbestritten. Die Zahl der Jugendlichen, die an beruflichen Schulen ihr Abitur machen, ist sehr beeindruckend und zeigt die Bedeutung für das Land Baden-Württemberg.

Aber, Herr Kollege Wacker – ich habe es auch vorhin in mei ner Regierungserklärung so ausgeführt –, die beruflichen Schulen haben durch die Vielfalt ihrer Bildungsangebote auch ganz besondere Strukturen. Denken Sie allein an das Thema Fachklassen, an das Thema „Duale Berufsausbildung“, aber auch an weitere Angebote. Diese Angebote passen aufgrund der Details, die dort zu regeln sind, sehr häufig nicht in die Systematik der regionalen Schulentwicklung, die wir für die weiterführenden Schulen insgesamt formulieren. Aber ich kann sie ja nicht außen vor lassen; das wäre völlig falsch.

Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Wenn Sie in einer Planungsre gion in der Frage, an welchen Schulen eine Hochschulreife erlangt werden kann, die beruflichen Schulen aus Ihren Über legungen herauslassen würden, würden Sie einen großen Feh ler begehen.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: A wa!)

Das heißt, man muss bei der Betrachtung, wie die Bildungs wege in den weiterführenden Schulen sind, die beruflichen Schulen – was z. B. das Element der beruflichen Gymnasien angeht – zwingend in die Überlegungen einbeziehen.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Aber wir müssen auch bei der Frage der Beteiligung in den Planungsregionen einen anderen Aspekt mit einbeziehen. Na türlich wird in dem Prozess der regionalen Schulentwicklung für die beruflichen Schulen die heimische Wirtschaft, die In dustrie am Tisch sitzen. Denn diese sind auf der Abnehmer seite natürlich daran interessiert, dass dieser Prozess der regi onalen Schulentwicklung bei den beruflichen Schulen gelingt.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist die Voraus setzung!)

Deswegen ist dies aus meiner Sicht zwingend notwendig. Aber deswegen ist es auch ein gesonderter Prozess. Auch da lade ich Sie ganz herzlich zur Mitwirkung ein. Wir würden ansonsten auch bei den beruflichen Schulen ein Schulsterben im ländlichen Raum haben; kleine, schwächere Standorte wür den in die Gefahr der Existenznot geraten. Das darf nicht pas sieren. Wir müssen die Stärke in der Fläche, auch was die Struktur der beruflichen Schulen angeht, erhalten und ausbau en.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, darüber hinaus wür de ich Sie bitten, keinen künstlichen Gegensatz zwischen pä dagogischen Konzepten herzustellen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Doch, den gibt es aber!)

Denn aus meiner Sicht kann dieser Bereich nicht in Schwarz und Weiß aufgeteilt werden. Ich würde Sie bitten, dies nicht zu tun; denn wenn Sie in das Land blicken, werden Sie sehr schnell merken, dass auf der kommunalen Seite, und zwar über alle Parteigrenzen hinweg, die Bereitschaft sehr groß ist, sich auch mit den Themen „Individuelle Förderung“ und „Neue Lernkonzepte“ zu beschäftigen, und zwar aus guten Gründen.

(Zuruf des Abg. Winfried Mack CDU)

Der Erfolg des baden-württembergischen Schulsystems, den Sie vorhin beschrieben haben, beruht darauf, dass es eine ge nügende Zahl von Schülern gab. Sie alle werden feststellen – es gibt zahlreiche Gutachten zu dieser Frage –, dass bei einem bloßen „Weiter so!“, das heißt bei einer Fortführung des drei gliedrigen Schulsystems – wir haben doch beobachtet, was in den letzten Jahren passiert ist –, Schulen geschlossen werden müssen. In Ihrem Fall wurden die Kommunen gezwungen, diese oftmals sehr schwierige Entscheidung zu treffen. Mir ist es sehr wichtig, dass sich jetzt auch das Land zu dieser Ver antwortung bekennt. Aber das bedeutet für mich, dass die

kommunale Seite – so haben wir das mit den kommunalen Landesverbänden auch verabredet – und die Schulverwaltung, sprich das Land, diese schwierigen Entscheidungen gemein sam treffen, damit es nicht dazu kommt, dass das Schwarzer-Pe ter-Spiel beginnt und die Verantwortung abgeschoben wird.

(Abg. Georg Wacker CDU: Das steht in § 30!)

Das darf in der Zukunft nicht mehr sein. Das war viel zu lan ge im Land Baden-Württemberg Realität.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Georg Wacker CDU: Das steht in § 30!)

Einen letzten Punkt möchte ich noch ansprechen, weil Sie die Zahl 40 im Zusammenhang mit dem Klassenteiler erwähnt haben und dies auch schon in der Presse entsprechend kom mentiert wurde. Wir alle wissen, dass es bei uns noch zahlrei che Schulen gibt, die gerade in diesem Bereich zwischen 16 und 40 Schülern in der Eingangsklasse liegen. Die Zahl 40 fällt im Zusammenhang mit der stabilen Zweizügigkeit nicht vom Himmel; Kollegin Boser und Kollege Fulst-Blei haben das vorhin auch beschrieben. Vor dem Hintergrund, dass die Schülerzahl in den nächsten zehn bis zwölf Jahren um weite re 20 % zurückgehen wird, muss ich mir überlegen: Wenn der Klassenteiler bei 30 liegt, also bei 30 plus 1 Schülern die Zweizügigkeit beginnt, dann kann ich doch nicht bei 31 oder 32 Schülern von Stabilität sprechen. Dann muss ich eine Zahl setzen, die mir zumindest die Gewähr dafür bietet, dass ich die Stabilität und die pädagogische Qualität über einen länge ren Zeitraum, nämlich einen Zeitraum von zehn bis 15 Jah ren, bewahren kann.

Deswegen ist die Zahl 40 eine Zielvorgabe, die im Interesse der Schulträger, im Interesse des Landes, aber auch im Inter esse der Eltern und Kinder sein muss.

(Abg. Georg Wacker CDU: Wie will man die genau berechnen?)

Denn wir wollen, dass Kinder an den Schulen, an denen sie eingeschult werden, auch ihren Bildungsabschluss machen können.

Deswegen sage ich, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wir wollen den Prozess gemeinsam mit allen Akteuren, auch mit Ihnen, gestalten. Wir müssen es schaffen, an den Stand orten, die unter den bisherigen Umständen keine Überlebens chance hätten, die Schulträger und die Kommunen zusam menzubringen, um zu erreichen, dass auch im ländlichen Raum eine gute Struktur an weiterführenden Schulen erhal ten werden kann, die eine Vielfalt an Bildungsabschlüssen bie tet.

Ich lade Sie sehr herzlich ein, dass wir uns auch über die Fra ge der Pädagogik gemeinsam unterhalten,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Streiten müssen wir darüber!)