Protocol of the Session on May 8, 2013

Nein, wir können nicht die Augen vor dem verschließen, was in Ungarn passiert. Nein, wir dürfen die demokratisch gewähl te Regierung nicht als „Betriebsunfall der Geschichte“ abtun und so weitermachen wie bisher. Baden-Württemberg sollte seine Möglichkeiten und Zuständigkeiten – die hat es auch bei der Donauraumstrategie – auch nutzen. Denn gerade mit den vielfältigen, kleinteiligen Projekten im Rahmen der Donau raumstrategie erreichen wir die Bürgerinnen und Bürger vor Ort, die bei der nächsten Wahl eine Entscheidung zu treffen haben. Ich glaube, diese Menschen verstehen unsere Sorgen im Hinblick auf die demokratische Entwicklung in Ungarn vielleicht eher als die derzeitige ungarische Regierung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP, den Grünen und der SPD)

Für die Landesregie rung erteile ich das Wort Herrn Minister für Bundesrat, Euro pa und internationale Angelegenheiten Peter Friedrich.

Herr Präsident, meine sehr ge ehrten Damen und Herren! All dem, was hier bereits erwähnt wurde, was uns mit Ungarn verbindet, möchte ich ausdrück lich zustimmen und beipflichten.

Es gibt eine besondere Beziehung zwischen Baden-Württem berg und Ungarn – insbesondere zwischen den Schwaben in Baden-Württemberg entlang der Donau und Ungarn. Es gibt sowohl im Hinblick auf die Zeit der Wende als auch auf die Entwicklung seit dem Fall des Eisernen Vorhangs einen his torischen Grund für eine große Dankbarkeit gegenüber Un garn.

Es gibt viele aktive, lebendige Städtepartnerschaften. Wir ha ben – ich durfte das vor Kurzem beim Bundesschwabenball mit Deutschen aus Ungarn erleben – ein Signal der Aussöh

nung gesetzt, auch in Baden-Württemberg. Dafür bin ich der Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn ausdrücklich dankbar. Wir haben gezeigt, dass auch die Wunden des Zwei ten Weltkriegs und die Wunden, die der Eiserne Vorhang und der Kommunismus und Sozialismus in Ungarn geschlagen ha ben, überwunden werden können.

Wir haben eine Gemischte Regierungskommission, die, Herr Kollege Reinhart, kein Erfolgsbeispiel war, sondern nach wie vor eines ist. Sie arbeitet, sie ist aktiv, und wir arbeiten auch weiter.

Im Rahmen der Donauraumstrategie haben wir zahlreiche Pro jekte, die wir gern mit Ungarn durchführen. Wir arbeiten gern mit Ungarn zusammen, auch bei der Andrássy-Universität. Beim Aufbau eines Kontaktpunkts der Europäischen Investi tionsbank waren wir erst vor Kurzem aktiv. Wir haben ein Li teraturfestival durchgeführt. Es gibt unzählige gute Kontakte.

Gerade weil das so ist, ist uns, ist mir wichtig, dass klar wird: Ziel all dieser Kontakte, all dieser Unterstützung, der gesam ten Zusammenarbeit ist ein gedeihliches Miteinander. Das darf aber keine Rechtfertigung dafür sein, welcher politische Kurs in Ungarn eingeschlagen wird. Diese Zusammenarbeit ist wichtig und gut, aber sie rechtfertigt in keinster Weise den po litischen Kurs, der momentan von der Regierung in Ungarn eingeschlagen wird. Gerade weil wir diese intensiven Kon takte haben, ist es aber wichtig, dass wir uns mit dem Kurs der dortigen Regierung auseinandersetzen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wenn wir Kritik an Entscheidungen in Ungarn üben – das will ich auch dazusagen –, so ist das ausdrücklich keine Kritik am ungarischen Volk. Es ist auch keine Kritik am ungarischen Pa triotismus. Ich finde es schwierig, wenn die ungarische Re gierung immer wieder jegliche Kritik an ihren Maßnahmen als eine Kritik an Ungarn als solches, an der Bevölkerung, dem Nationalstolz oder dem nationalen Erbe darstellt. Das ist es ausdrücklich nicht. Regierungspolitik in anderen Ländern, gerade in Europa, kann und muss auch kritisiert werden dür fen. Es kommt dabei auf die Tonlage an. Man muss dann aber auch die ganze Bandbreite der Politik dieser Regierung mit benennen. Das kündigt weder Freundschaft auf, noch ist es ein Angriff auf ungarische Identität oder gar die Nation.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wir müssen sehen, dass mit der nach relativ kurzer Zeit vor genommenen Vierten Verfassungsänderung in Rechte, in Rechtsstaatlichkeit in einer Art und Weise eingegriffen wird, die uns im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Justiz, die Pressefreiheit, die Grundrechte bestimmter gesellschaftlicher Gruppen große Sorgen bereiten muss. Es kann nicht sein, dass ein Verfassungsgericht nur noch die Kompetenz hat, formal eine Rechtmäßigkeit zu überprüfen, und keine Aussage zu den Inhalten mehr machen darf.

(Minister Franz Untersteller: Absurd!)

Es kann nicht sein, dass eine vom Ministerpräsidenten per sönlich ernannte Leiterin des Nationalen Justizamts die Voll macht erhält, bestimmte Fälle an bestimmte Gerichte zu ver weisen. Das untergräbt das Recht auf eine unabhängige Jus tiz.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie Abgeord neten der CDU und der FDP/DVP)

Wenn Wahlkampf nur noch in öffentlichen Medien, die gleich zeitig wieder einer starken staatlichen Kontrolle unterliegen, stattfinden kann, dann schränkt dies auch die Möglichkeiten einer demokratischen Wahlkampfauseinandersetzung ein.

Es kann auch nicht sein, dass bestimmte soziale Gruppen – in diesem Fall Obdachlose – rechtmäßig verfolgt werden kön nen, wenn sie sich auf öffentlichen Flächen aufhalten.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wir lehnen einen Eingriff in die Meinungsfreiheit in dem Sinn ab, dass eingegriffen werden darf, wenn die Würde der unga rischen Nation verletzt sei. Wir lehnen es auch ab, dass in die Finanzautonomie der Universitäten bei der Vergabe von Stu dienplätzen – dies wurde schon erwähnt – eingegriffen wer den kann. Aus unserer Sicht ist dies ein schwerwiegender Ein griff in die Freiheit von Wissenschaft und Lehre.

Es ist richtig: Dies wird jetzt überprüft, und es wird sich her ausstellen, ob es eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Ungarn bedarf. In diesem Sinn möchten wir keine Vorverur teilung; da stimme ich Ihnen zu, Kollege Reinhart.

Ich will aber doch sagen, dass es politisch höchst bedenklich ist, wenn sich eine Regierungspartei mit einer solch starken Mehrheit die Verfassung auf den eigenen politischen Leib schneidert. Das ist eine Entwicklung, die wir in keinem Land Europas dulden können und deswegen auch zu Recht kritisie ren.

Es reicht nicht, allein das formal Rechtliche zu überprüfen. Ich finde, wir müssen auch im Blick haben, welche Verände rungen sich in der politischen Kultur in Ungarn gleicherma ßen ergeben. Denn die Rechtsveränderungen sind das eine. Die Frage, ob eine Verfassung dann auch gelebt wird, ob Rechtsstaatlichkeit, Parlamentarismus und Demokratie gelebt werden, ist eine andere. Gerade vor dem Hintergrund unserer eigenen Geschichte wissen wir, dass Parlamentarismus und Verfassung allein nicht auf Dauer Demokratie garantieren, sondern es bedarf auch aktiver Demokratinnen und Demokra ten, die sich für den Erhalt der Demokratie und der Menschen rechte einsetzen und auch einsetzen können.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen sowie des Abg. Leopold Grimm FDP/DVP)

Deswegen ist es gut, wenn Premierminister Orbán beim Jüdi schen Weltkongress klare Aussagen zum Thema Rechtsextre mismus und Antisemitismus macht. Aussagen allein reichen in diesem Fall aber nicht mehr, wenn man sieht, dass gleich zeitig Rechtsextremismus und Antisemitismus bis tief in die Alltagskultur und in die politische Alltagskultur vorgedrun gen sind und es keine Maßnahmen der Regierung und des Par laments dagegen gibt. Wenn im Parlament unwidersprochen gefordert wird, jüdische Mitbürger sollten wieder auf Listen erfasst werden und es solle erfasst werden, welche jüdischen Mitarbeiter in Ministerien und in der Verwaltung arbeiten – das war eine Forderung, es ist kein Beschluss; ich weiß das wohl –, dann bedarf es des politischen Widerspruchs der de mokratisch Gewählten und der Regierung zu solchen Forde rungen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie Abgeord neten der CDU und der FDP/DVP)

Deswegen bitte ich sehr darum und würde mich auch freuen, wenn die ungarische Delegation, über deren Anwesenheit ich mich sehr freue, das weiterberichtet. Es wäre wichtig, dass nicht nur verbale Aussagen gemacht werden, sondern wir auch sichtbare Maßnahmen sehen, die sich gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus in Ungarn wenden, wie wir sie für je des andere europäische Land auch fordern, wo sich solche Tendenzen zeigen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie Abgeord neten der CDU und der FDP/DVP)

Ich halte es auch für sehr schwierig, wenn wir im Rahmen der Donauraumstrategie beraten, wie wir in Europa zu einer ge lingenden, erfolgreichen Romastrategie kommen, und es gleichzeitig offenen Antiziganismus auch durch Regierungs vertreter oder Abgeordnete der Regierungsparteien in Ungarn gibt. Das passt nicht zusammen. Wir wissen, die Roma sind die größte Minderheit in Europa, und es besteht in vielen Län dern – bei Weitem nicht nur in Ungarn – das Problem, dass es zu diskriminierendem, zu ausgrenzendem Verhalten kommt – auch durch Regierungsstellen.

Umso wichtiger ist es, dass gerade eine Regierung, mit der wir erfolgreich und gut in der Donauraumstrategie zusammen arbeiten und auch weiterhin zusammenarbeiten wollen, sich auch klar im eigenen Land zu den Rechten der Minderheiten bekennt und diese Rechte nicht nur für Minderheiten, denen man wohlwollend gegenübersteht, sondern für alle Minder heiten – gerade auch für Sinti und Roma in Ungarn – gelten.

Der Alltag von Sinti und Roma in Ungarn – auch in anderen Ländern, aber gerade auch in Ungarn – ist sehr schwierig. Es kommt tatsächlich zu Übergriffen und zu Diskriminierung, und es ist Aufgabe der Gemeinschaft der Demokraten in Un garn, mit Unterstützung auch Baden-Württembergs im Rah men der Romastrategie, dies zu verhindern und auch Men schen, die zu den Roma, zu den Sinti oder anderen Minder heiten gehören, gleiche Bürgerrechte und gleiche soziale Rechte in Ungarn zu ermöglichen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie Abgeord neten der CDU und der FDP/DVP)

Ich finde es gut, dass wir in der Debatte weit weg von irgend welchen Scherbengerichten sind. Ich finde es auch gut, dass wir weit weg von irgendwelchen parteipolitischen Zuspitzun gen sind, die es immer über Parteifamilien, die auch da sind, gibt.

Ich halte es für wichtig für uns in Baden-Württemberg, dass wir die Zusammenarbeit mit Ungarn weiter intensiv betrei ben. Ich glaube aber auch, dass es notwendig ist, diese Zu sammenarbeit dazu zu nutzen, gerade wenn man es mit Freun den zu tun hat, die Freunde darauf hinzuweisen, dass wir der Überzeugung sind, dass der Weg, den Ungarn momentan geht, kein guter ist. Wir sind der Meinung, dass es gegenüber den jetzigen Vorschlägen und dem jetzigen Verhalten klarer Maß nahmen und Rechtsänderungen durch die ungarische Regie rung bedarf, um die Wertegemeinschaft der Europäischen Uni on auch in Ungarn dauerhaft umzusetzen und Ungarn zu ei nem vollwertigen Mitglied auch in dem Sinn zu machen, dass

die Wertegemeinschaft der Europäischen Union für alle Län der in gleicher Weise und für alle Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union in allen Ländern der Europäischen Uni on gilt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie Abgeord neten der FDP/DVP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung des Antrags Drucksache 15/3378. Der Antrag ist ein reiner Be richtsantrag und kann für erledigt erklärt werden. – Sie stim men zu.

Damit ist Tagesordnungspunkt 3 erledigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Eu ropa und Internationales zu der Mitteilung der Landesre gierung vom 14. März 2013 – Bericht über aktuelle euro papolitische Themen – Drucksachen 15/3238, 15/3248

Berichterstatterin: Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Präsidium hat für die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion festgelegt.

Das Wort erteile ich für die CDU-Fraktion Herrn Abg. Dr. La sotta.

Sehr geehrter Herr Präsi dent, werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben die einma lige Chance, weil der Bericht zur Entwicklungszusammenar beit mit „Bericht über aktuelle europapolitische Themen“ überschrieben ist und das Präsidium diesen Punkt auf die Ta gesordnung genommen hat, an prominenter Stelle über die Entwicklungszusammenarbeit zu diskutieren. Darüber freue ich mich zusammen mit den anderen entwicklungspolitischen Sprechern. Ich glaube, es gibt auch einiges Positive zu berich ten, was sich hier im Land Baden-Württemberg getan hat.

Die entwicklungspolitischen Leitlinien, die aus einem Dialog prozess sehr vieler Gruppen in Baden-Württemberg entstan den sind, liegen dem Parlament jetzt vor. Es hat am 5. Febru ar eine Beschlussfassung im Kabinett gegeben. Zuvor gab es noch Auseinandersetzungen zwischen dem Wirtschaftsminis ter und Herrn Friedrich, inwieweit jetzt eine entwicklungspo litisch freundliche Außenwirtschaftsförderung tatsächlich in die Leitlinien implementiert werden kann. Ich gratuliere Ih nen herzlich, Herr Friedrich, dass Sie sich durchgesetzt ha ben.

Im Übrigen bin ich auch der Meinung, dass die baden-würt tembergische Wirtschaft schon längst weiter ist als der Wirt schaftsminister mit seiner ursprünglichen Auffassung. Ich glaube, Außenwirtschaftsförderung muss sich immer an ent wicklungspolitischen Zielen orientieren, weil der Mittelstand, die Industrie in Baden-Württemberg auch sehr nachhaltig auf gestellt sind und auch zukünftig die Märkte im Blick haben.

Deswegen ausdrücklich herzlichen Glückwunsch! Ich glau be, das ist ein gutes Signal all derjenigen, die sich um das The ma Entwicklungspolitik kümmern.