Herr Präsident, meine sehr verehr ten Damen und Herren! Frau Kollegin Dr. Stolz, ich finde, das Parlament lebt von kontroversen Debatten, wenn man unter schiedlicher Meinung ist. Aber ich meine, gerade ist eine Chance vertan worden, zu zeigen, dass wir auch über die Frak tionen hinweg einen großen Zuspruch in dem Ziel haben, das
wir erreichen wollen. Deswegen war mir nicht ganz schlüs sig, in welche Richtung Ihre Rede führen sollte.
Ein Gesundheitssystem braucht ausreichendes und gut ausge bildetes Fachpersonal. Da sind wir uns einig. Wir haben ein Problem: Wir müssen die Attraktivität der Berufe in der Pfle ge, der Geburtshilfe und anderen Berufsfeldern steigern. Da sind wir uns einig. Ich halte es für dringend geboten, die ge sellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung gegenüber Frauen und Männern, die diesen Dienst machen, zu steigern. Auch da sind wir uns einig. Auch in der Analyse sind wir uns einig. Vor diesem Hintergrund hat der Wissenschaftsrat den Entschluss zur Teilakademisierung der Gesundheitsberufe ge troffen.
Bisher leisten wir uns in Deutschland in der Pflegeausbildung einen gewissen Sonderweg. Denn die Mehrheit der Qualifi kationsabschlüsse in den Mitgliedsstaaten der EU führt zum Bachelor of Nursing. Ich denke, auch da müssen wir etwas machen. Auch da sind wir uns einig.
Daneben darf die dreijährige Ausbildung nach dem Realschul abschluss nicht entwertet werden. Wir müssen etwas Zusätz liches einführen. Auch da, Frau Dr. Stolz, sind wir uns einig. Wir sehen, dass sich in diesem Bereich etwas tun muss. Ge rade am angelsächsischen, aber auch am skandinavischen Pflegesystem, wo der Wechsel schon stattgefunden hat, sehen wir, welche Fortschritte gemacht worden sind. Auch da sind wir uns überfraktionell einig.
Deswegen ist es wichtig, dass wir an dieser Stelle handeln, dass wir Modelle entwickeln, dass wir behutsam vorgehen, dass wir dies evaluieren. Das Problem ist nicht, dass wir den Bedarf nicht erkennen. Das Problem liegt in der Eingruppierung und der Bezahlung in diesen Bereichen. Unterschieden werden muss, ob jemand die Universität besucht hat oder eine dreijäh rige Ausbildung gemacht hat. An dieser Stelle muss etwas pas sieren. Sie haben dies erwähnt. Auch da sind wir uns einig.
Dass in Baden-Württemberg dringender Handlungsbedarf be steht, sehen wir allein an den schnöden Zahlen. Im Studien gang Pflege/Pflegemanagement an der Hochschule Esslingen gab es im Wintersemester 2011/2012 113 Bewerbungen bei 20 Studienplätzen. Daran sieht man, wie groß der Bedarf ist, wie groß auch der Zuspruch ist. Deshalb sind wir auch daran, dies weiterzuentwickeln. Wir müssen die Empfehlungen des Wissenschaftsrats umsetzen: 10 bis 20 % eines Ausbildungs jahrgangs in den Gesundheitsfachberufen sollen einen akade mischen Hintergrund haben.
Das gilt nicht nur in der Pflege, sondern auch in den Berei chen Ergotherapie, Logotherapie, Physiotherapie und Geburts hilfe. Wir müssen jedoch behutsam vorgehen, nicht überstürzt, aber mit einem klaren Ziel vor Augen. Ich bin überzeugt, dass die Landesregierung hier auf dem absolut richtigen Weg ist.
Deswegen möchte ich die Gelegenheit nutzen, Ihnen, liebe Frau Ministerin Bauer, auch namens unserer Fraktion noch mals zur Auszeichnung zur Wissenschaftsministerin des Jah res zu gratulieren.
Das ist doch das Zeichen, dass diese Koalition zusammen mit Ihnen jeden Tag für innovative und attraktive Hochschulen im Land kämpft. Von einer teilweisen Akademisierung der Ge sundheitsfachberufe werden sowohl die Hochschulen in un serem Land als auch die Patientinnen und Patienten profitie ren. Das muss das Ziel sein.
Sehr geehrter Herr Prä sident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die herausragende Stellung des Gesund heitswesens in Baden-Württemberg verdanken wir zunächst einmal den rund 600 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und deren guten Qualifikationen. Ich glaube, dass sich das in Baden-Württemberg sehen lassen kann.
Der Gesundheitssektor hat von allen Bereichen in BadenWürttemberg die meisten sozialversicherungspflichtig Be schäftigten. Der Bereich „Gesundheit und Pflege“ wurde in dem Gutachten „Wirtschaftliche und technologische Perspek tiven der baden-württembergischen Landespolitik bis 2020“ von McKinsey und dem IAW als eines der vier wesentlichen Wachstumsfelder beschrieben. Deswegen, so glaube ich, ist es auch wichtig, dieses Thema immer wieder auf der Agenda zu haben.
Nach der Empfehlung des Wissenschaftsrats vom Juli 2012 sollen künftig 10 bis 20 % eines Auszubildendenjahrgangs in den patientennahen Gesundheitsfachberufen in Bachelorstu diengängen an den Hochschulen ausgebildet werden. Gründe dafür sind die zunehmend komplexeren Anforderungen an die Gesundheitsfachberufe, eine stärker kooperativ organisierte Gesundheitsversorgung und auch die Übernahme von Tätig keiten, die bisher von Ärzten ausgeführt wurden und ihnen vorbehalten waren.
Grundsätzlich sieht die FDP/DVP-Landtagsfraktion zusätzli che Angebote von medizinnahen Studiengängen sehr positiv. Die FDP/DVP hat den Ausbau von Studienplätzen in medizin nahen Studiengängen stets unterstützt, beispielsweise im Rah men des Ausbauprogramms „Hochschule 2012“. Zugleich tre ten wir dafür ein, dass die anspruchsvolle klassische Ausbil dung weiterhin attraktiv bleibt und nicht in den Schatten der akademischen Gesundheitsstudiengänge gerät.
Wichtig scheint uns deshalb eine Weiterbildungsperspektive zu sein. Das heißt, wer eine Ausbildung beginnt, sollte auch die Möglichkeit haben, sich weiterzuqualifizieren. Eine der Stärken Baden-Württembergs ist das System der Durchlässig keit. Das gilt es aufrechtzuerhalten und weiterhin zu fördern.
Integrierte Studiengänge mit berufsqualifizierendem Ab schluss und akademischem Abschluss – im Regelfall der Ba chelor – sind aus Sicht der FDP/DVP sehr zu begrüßen. Sie können die Attraktivität der Gesundheitsberufe stärken.
Allerdings muss man, wenn schon über steigende Anforde rungen gesprochen wird, auch insgesamt über die Differen zierung nachdenken und auch Ausbildungen mit unter drei jähriger Ausbildungszeit für einfache Tätigkeiten anbieten, wie es im Landespflegegesetz für den Bereich der Helfer in der Pflege möglich gemacht wurde.
Die demografische Entwicklung stellt uns vor große Heraus forderungen. Es gibt jetzt etwa 246 000 pflegebedürftige Men schen in Baden-Württemberg, und bis 2030 wird diese Zahl auf etwa 348 000 Pflegebedürftige ansteigen. Der gleiche An stieg um etwa 40 % wird auch für den Bereich der Pflegekräf te gelten, und zwar auf dann 117 000 Pflegekräfte im Jahr 2030.
Insofern teilen wir auch die Sorge, die die Evangelische Heim stiftung im letzten Jahr zum Ausdruck gebracht hat, als sie sagte, eine zunehmende Akademisierung werde nicht zur Ge winnung von Fachkräften führen, denn wer ein Pflegestudi um abschließe, strebe eine Beratungs-, Entwicklungs- oder Leitungsaufgabe an. Die Altenpflege brauche jedoch vor al lem Fach- und Hilfskräfte. Neben der qualifizierten Pflegeaus bildung bedürfe es des Einsatzes angelernter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für standardisierte Aufgaben. Wichtig seien dabei auch standardisierte Anerkennungsverfahren für auslän dische Pflegeabschlüsse.
ebenso einem Automatismus bei der Anrechnung von Leis tungen aus der Ausbildung auf das Studium sowie einer deut lichen Erhöhung der Akademisierung im Bereich der Pflege.
Gefordert sind das Sozial- und das Wirtschaftsministerium, eine Bedarfsermittlung für die gesundheitsnahen Berufe vor zunehmen und Vorschläge zu erarbeiten, wie ein differenzier tes und durchlässiges Aus- und Fortbildungssystem für Ge sundheitsberufe aussehen könnte. Dazu bedarf es insbesonde re des engen Dialogs mit den Einrichtungsträgern und Pflege dienstleistungsanbietern, damit wir die vor uns stehenden ge samtgesellschaftlichen Herausforderungen erfolgreich meis tern.
Das Wort für die Lan desregierung erteile ich Frau Ministerin für Wissenschaft, For schung und Kunst Bauer.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Abgeord neten! Vorweg bedanke ich mich für die freundlichen Glück wünsche zu meiner Wahl zur Wissenschaftsministerin des Jah res. Das hat mich sehr gefreut.
Lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, um zu betonen: Wis senschaftsministerin des Jahres wird man nicht allein, sondern
nur, wenn man ein Ministerium mit aufgeweckten und enga gierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat und wenn ei nen die Fraktionen konstruktiv und kritisch auf dem Weg be gleiten.
Zum Thema: Die Akademisierung der Gesundheitsfachberu fe ist ein gesellschaftspolitisches Thema von enormer Trag weite. Die Diskussion hierüber wird intensiv geführt, insbe sondere seit der Wissenschaftsrat im Sommer des letzten Jah res seine Empfehlungen hierzu vorgelegt hat. Die Diskussion wird nicht nur intensiv geführt, sie ist vielschichtig und kom plex, und sie wird – man hat es gerade ein wenig bei der De batte hier im Haus gemerkt – durchaus kontrovers geführt.
Es gilt einige Aspekte zu bedenken, wenn wir uns in Bezug auf weitere Strategien festlegen. In welchem Umfang soll aka demisiert werden? Der Wissenschaftsrat empfiehlt eine Aka demisierung von 10 bis 20 %. Mit welcher Ausrichtung, in welchen Bereichen soll akademisiert werden? Soll man eher primärqualifizierend oder eher ausbildungsintegrierend aka demisieren? Nach Auffassung des Wissenschaftsrats soll eine primärqualifizierende Akademisierung stattfinden. Die BundLänder-Kommission setzt eher auf ausbildungsintegrierende Ansätze. Nicht zuletzt steht natürlich die Frage im Raum: Wer soll das alles zahlen?
Wir müssen alle diese Aspekte zusammen bedenken. In der Landesregierung wird dies intensiv begleitet. In den Hoch schulen selbst findet diese Diskussion auch statt.
Lassen Sie mich noch einmal kurz zusammenfassen, welches die aktuellen Herausforderungen für die Pflege sind. Im Pfle gebereich, aber auch in den Gesundheitsfachberufen gibt es verstärkt Bestrebungen und Anstrengungen, den Anteil der Akademisierung auszuweiten. Eine Ursache dafür ist der de mografische Wandel; Frau Abg. Mielich hat das gerade ange sprochen. Bei uns gibt es einen wachsenden Bedarf an Pflege und komplexere Versorgungsprozesse. Wir sehen auch die Notwendigkeit, verstärkt in interprofessionellen Teams zu ar beiten,
(Beifall der Abg. Bärbl Mielich und Dr. Kai Schmidt- Eisenlohr GRÜNE – Abg. Dr. Kai Schmidt-Eisenlohr GRÜNE: Ja, genau!)
also mit einem steigenden Anteil an Hilfskräften und an Ärz ten mit unterschiedlichen Hintergründen bei komplexen Sach verhalten zusammenzuarbeiten. Das stellt eine neue Heraus forderung für die Pflegekräfte dar und bedeutet, dass sie auch als Führungskräfte qualifiziert werden müssen, um mehr Ver antwortung zu übernehmen.
Ein letztes Stichwort in diesem Zusammenhang ist der Fach kräftemangel. Diesen spüren wir verstärkt in unseren Kran kenhäusern und Uniklinika und ganz besonders stark in den grenznahen Regionen, wo attraktive Arbeitsplätze im Nach barland, etwa in der Schweiz, direkt vor der Haustür liegen.
Wo stehen wir in Baden-Württemberg? Wir haben versucht, in der Stellungnahme zu dem vorliegenden Antrag noch ein paar aktuelle Zahlen für die Diskussion aufzubereiten. Wir ha ben im Schuljahr 2011/2012 ziemlich genau 23 000 Ausbil dungs- bzw. Schulplätze in Berufsfachschulen zu diesem Be reich vorgehalten, davon über 70 % für die Pflegeberufe und gut 20 % für die therapeutischen Berufe. In den medizinnah en Studienfächern – es gibt sechs Fachrichtungen in diesem Bereich – gab es im Wintersemester 2011 knapp 4 000 Stu dierende in Baden-Württemberg. Das ist ja nicht nichts. Wir haben in den letzten Jahren ein umfangreiches Angebot an me dizinnahen Studiengängen in Baden-Württemberg entwickelt. An 23 Hochschulen – Universitäten, Pädagogische Hochschu len und Hochschulen für angewandte Wissenschaften – in Ba den-Württemberg gibt es 64 medizinnahe Studiengänge.
Darüber hinaus haben wir ein Angebot an der DHBW. Allein an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg wird es im kommenden Studienjahr im Wintersemester 2013/2014 23 Studiengänge in diesem Bereich geben.
Zurzeit finden Planungen für weitere Studiengänge statt, und zwar sowohl an der HAW Mannheim im Bereich der Physio therapie als auch an der DHBW. Wir werden im nächsten Stu dienjahr neue Studienmöglichkeiten anbieten, etwa in Hei denheim in den Bereichen „Medizintechnische Wissenschaf ten“, „Interprofessionelle Gesundheitsversorgung“ und „An gewandte Therapiewissenschaften“ oder in Karlsruhe im Be reich „Angewandte Gesundheitswissenschaften“, in Lörrach in der Physiotherapie – um Ihnen nur die wichtigsten Stich worte zu nennen.
Die Landesregierung steht dem Thema „Akademisierung der Gesundheitsfachberufe“ also grundsätzlich positiv gegenüber; sie hält die Empfehlungen des Wissenschaftsrats für sinnvoll und setzt sich damit konstruktiv auseinander. Wir nehmen uns dieser Fragen gemeinsam an, wollen aber die Komplexität und die Konsequenzen nicht unter den Tisch kehren. Denn es geht in Bezug auf die Frage der finanziellen Auswirkungen natür lich nicht nur darum, was z. B. die Verstetigung unserer vie len, auch im Rahmen des Ausbauprogramms „Hochschule 2012“ geschaffenen Kapazitäten finanziell bedeutet. An die sem Thema sind wir dran und schauen, welche der ausgebau ten Kapazitäten wir dauerhaft im Land anbieten werden.