Die Landesregierung weist zu Recht darauf hin – Frau Lind lohr hat es schon deutlich gemacht –, dass Genossenschaften vor allem im Bereich der Energieversorgung gegründet wer den. Das ist ein wichtiger Hinweis. Denn der notwendige Um bau der Energieerzeugung wird nur gelingen, wenn er auf ei ne breite gesellschaftliche Basis gestützt ist.
Aber auch eine klassische Genossenschaftsform spielt aktu ell wieder eine größere Rolle, nämlich die Konsumgenossen schaft. Zu den größten Strukturproblemen des ländlichen Raums gehört das Verschwinden der Einkaufsmöglichkeiten. In den Dörfern sterben die Läden. Doch die Bürger nehmen das nicht hin: Dorf- und Nachbarschaftsläden übernehmen wichtige Versorgungsfunktionen. Die Genossenschaft ist auch hier eine geeignete Organisationsform.
Gerade das letzte Beispiel zeigt aber auch, dass im deutschen Genossenschaftsrecht weiter Reformbedarf besteht. So brau chen wir Regelungen für Kleinstgenossenschaften; denn ein Dorfladen unterscheidet sich beträchtlich von einer Bank.
Gerade die neuen Genossenschaften im Energie- und Kon sumbereich haben Schwierigkeiten, sich mit Kapital zu ver sorgen. Gründungszuschüsse und Kredite gibt es für Genos senschaften nicht. Nehmen sie Darlehen aus Reihen ihrer Mit glieder auf, müssen die Geschäftsführer die Befähigung zur Leitung einer Bank besitzen. All das führt dazu, dass es weit weniger Neugründungen von Genossenschaften gibt, als dem Potenzial dieser Rechtsform entspricht.
Die Bundestagsfraktion der SPD hat im Dezember vorigen Jahres einen umfangreichen Maßnahmenkatalog vorgelegt, um die Gründung von Genossenschaften zu erleichtern. Ich wünsche mir von der Landesregierung, dass sie diese Ansät ze aufgreift und sie im Bundesrat unterstützt und vorantreibt. Dieser Einsatz lohnt sich, denn Genossenschaften als soziale Unternehmensform sind ein Hort der Nachhaltigkeit.
Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Es war durchaus sinnvoll und gut, dass das Jahr 2012 zum Jahr der Genossenschaften aus gerufen worden ist. Das können wir speziell auch aus baden
württembergischer Sicht sagen; denn die Genossenschaften sind ein außerordentlich segensreiches wirtschaftliches Inst rument in unserem Land. Sie haben die Möglichkeit, sich ganz unterschiedlich in verschiedenen Regionen und in verschie denen Wirtschaftsbereichen dieses Landes – es wurden schon eine ganze Reihe davon aufgezählt; ich brauche das nicht zu wiederholen – zu orientieren und anzupassen. Vor allem ha ben sie auch den Vorteil des direkten Kontakts zu den Men schen und die notwendige große Marktnähe.
Die Genossenschaftsidee gibt es seit über 150 Jahren. Die ein schlägigen Namen – Schulze-Delitzsch, Raiffeisen – sind ja in dieser Debatte schon gefallen. Was uns am Genossen schaftsgedanken besonders gefällt, sind die Prinzipien der Selbsthilfe, der Selbstverantwortung und der Selbstverwal tung.
Aus den Notgemeinschaften früherer Jahrzehnte haben sich mittlerweile leistungsfähige Unternehmen beispielsweise im Bankensektor, aber auch im Gewerbe, in der Agrarwirtschaft, im Energiebereich entwickelt.
Die eingetragene Genossenschaft ist aufgrund der internen Kontrolle durch ihre Mitglieder und der unabhängigen Prü fung durch den Genossenschaftsverband die mit weitem Ab stand insolvenzsicherste Rechtsform in Deutschland. Auch das ist ein Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg unserer mit telständisch geprägten Wirtschaft.
Der Baden-Württembergische Genossenschaftsverband reprä sentiert mittelständische Unternehmen aus Dutzenden von Branchen ganz unterschiedlicher Größe, die aber einen ge meinsamen Nenner haben, nämlich die Rechtsform der ein getragenen Genossenschaft.
Die Genossenschaften werden von mittlerweile fast 3,6 Mil lionen Menschen – Herr Kollege Rüeck hat das, glaube ich, auch schon erwähnt –, also von fast jedem dritten Einwohner Baden-Württembergs, als Einzelmitgliedern getragen. Sie sind insofern eine nicht nur ökonomisch, sondern auch gesell schaftlich bedeutende Kraft in unserem Land.
Die Genossenschaftsbanken und der Verband kämpfen wei terhin dafür, dass mittelständisch geprägte und regional ver wurzelte Kreditinstitute nicht in einen Topf geworfen werden mit den international tätigen Finanzkonzernen. Das ist sehr wichtig. Deshalb ist es auch richtig und gut, nicht nur in Be zug auf die öffentlich-rechtlichen Banken, sondern gerade auch in Bezug auf die Genossenschaftsbanken Basel III ge nau zu überdenken und möglicherweise nicht in der ursprüng lich geplanten Form umzusetzen; denn das würde unter Um ständen die Mittelstandsfinanzierung deutlich verteuern.
Als Konsequenz des Internationalen Jahres der Genossen schaften, sozusagen schon im Vorgriff, hat der BWGV drei Initiativen geplant und auch durchgeführt: die Gründung von Schülergenossenschaften mit Partnergenossenschaften vor Ort, den Jugendkunstpreis Baden-Württemberg mit einem Vi deoclip-Sonderpreis zum Wettbewerbsthema Verbindungen und die Vorbereitung zur Gründung einer Stiftung „Genossen
Auch die alte Landesregierung hat im Vorgriff auf das Jahr der Genossenschaften und weil sie stets der Überzeugung ge wesen ist, dass der Genossenschaftsgedanke ein durchaus zu fördernder Gedanke für unser Land und unsere mittelständisch geprägte Wirtschaft ist, bereits im Jahr 2010, getragen durch das damalige Wirtschaftsministerium und den Genossen schaftsverband, eine Förderung neuer Genossenschaften im Rahmen der Genossenschaftsinitiative möglich gemacht.
Bei der Stabübergabe im Genossenschaftsverband hat der Mi nisterpräsident vor Kurzem davon gesprochen, dass die Ge nossenschaften eine gebührende Unterstützung durch die Lan desregierung verdienen. Insofern wäre die Frage an die Lan desregierung, was damit konkret gemeint war. Handelte es sich um die übliche Sonntagsrede zu einem solchen Anlass, oder haben Sie tatsächlich etwas vor, was zugunsten der Ge nossenschaften und des Genossenschaftswesens von der grünroten Landesregierung in die Wege geleitet wird?
Auch wenn das Geschäftsmodell, die Grundidee von Genos senschaften manchmal, gerade auch vor 2008, als eher lang weilig galt, müssen uns die letzten Jahre – die Finanzkrise und die Folgeerscheinungen – gezeigt haben, wie wichtig, wie not wendig und wie zukunftweisend die Idee der Genossenschaf ten ist. Ich glaube, darüber besteht auch in diesem Haus Kon sens.
Für die Landesregie rung erteile ich dem Herrn Minister für Finanzen und Wirt schaft Dr. Schmid das Wort.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Selten wird in diesem Hohen Haus bei wirtschaftspolitischen Debatten so viel von Genossen und Genossenschaften geredet.
Das hat tiefe historische Wurzeln. Nicht umsonst haben Sie, Herr Kollege Rüeck, und auch andere auf den Satz von Fried rich Wilhelm Raiffeisen hingewiesen: „Was der Einzelne nicht vermag, das vermögen viele.“ Genau dieser Grundgedanke liegt den Genossenschaften bis heute zugrunde. Es geht um Solidarität, um Menschen, die sich zusammenschließen, um gemeinsam Ziele zu erreichen, die für sie allein unerreichbar wären. Sie stehen für wirtschaftliche Nachhaltigkeit statt kurz fristiger Profitgier. Diese langfristige, nachhaltige Orientie rung verdient die volle Unterstützung dieser Landesregierung und des gesamten Landtags.
So haben sich die Genossenschaften auch in der Krise als An ker der Stabilität erwiesen. Ihr Geschäftsmodell beruht auf Mitgliederorientierung, regionaler Verankerung, risikobe wusstem Management und einem vergleichsweise zurückhal tenden Gewinnstreben. All das macht Genossenschaften ein zigartig und zu einem echten Erfolgsmodell auch für die Zu kunft.
Umso mehr freut es mich, dass sich das Genossenschaftswe sen in der gesamten Republik, aber auch in Baden-Württem berg in den letzten Jahren positiv entwickelt hat. Heute wur de bekannt gegeben – Frau Kollegin Lindlohr hat darauf hin gewiesen –: Es gibt inzwischen 900 Genossenschaften im Land, und die zuletzt gegründete ist – Zeichen der Zeit – ei ne Bürgerenergiegenossenschaft, nämlich die Bürgerenergie genossenschaft in Lahr. Das zeigt, wie attraktiv diese Rechts form ist.
Seit der Novelle des Genossenschaftsgesetzes 2006 durch die damalige Große Koalition im Bund ging die Zahl der Neu gründungen von Genossenschaften in Deutschland steil nach oben. Denn die Reform brachte wesentliche Erleichterungen für diese Rechtsform mit sich. So wurde etwa die Rechtsform eG für soziale und kulturelle Zwecke geöffnet, und die Min destmitgliederzahl für die Gründung neuer Genossenschaften wurde von sieben auf drei gesenkt. Für Genossenschaften bis zu einer Bilanzsumme von 1 Million € bzw. einem Umsatz volumen von bis zu 2 Millionen € wurde die Pflicht zur Jah resabschlussprüfung abgeschafft. Dies hat zu einer erhebli chen Kostenentlastung beigetragen. Wir sind gern bereit, wei tere Erleichterungen – die u. a. auch auf Bundesebene vorge tragen werden; auf das Papier der SPD-Bundestagsfraktion ist hingewiesen worden – zu prüfen.
Wir sehen, dass heute im Land, auch durch diese Erleichte rungen bedingt, viel passiert, gerade auch für die Energiewen de. Im vergangenen Jahr wurden unter dem Dach des BadenWürttembergischen Genossenschaftsverbands 37 Genossen schaften neu gegründet, darunter 24 Energiegenossenschaf ten.
Der Verband baden-württembergischer Wohnungs- und Im mobilienunternehmen meldete vier Neugründungen. Darun ter ist übrigens auch eine Energiegenossenschaft in Träger schaft von Wohnungsbaugenossenschaften.
Bundesweit waren im Jahr 2012 von 236 Neugründungen 150 Energiegenossenschaften, also weit mehr als die Hälfte.
An diesen Zahlen sehen Sie, dass sich die Dynamik im Ge nossenschaftsbereich ganz stark auf den Energiesektor kon zentriert. Umso stärker hängt natürlich die weitere Entwick lung vom Ausbau der erneuerbaren Energien ab. Umso mehr muss allen klar sein, dass der unstreitige Reformbedarf beim EEG nicht als Vorwand benutzt werden darf, die Energiewen de auszubremsen. Um es ganz klar zu sagen: Wer die Ener giewende blockiert, der würgt zugleich auch bürgerschaftli ches Engagement ab.
Umso wichtiger ist es, dass wir von Baden-Württemberg aus geschlossen ein Signal nach Berlin senden: Der Bund muss hier endlich für verlässliche Rahmenbedingungen sorgen. Ge rade die Energiewirtschaft ist auf Investitionssicherheit, auf verlässliche Rahmenbedingungen angewiesen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Renaissance der Genossenschaften ist aber zugleich auch eine gute Nachricht für unsere soziale Marktwirtschaft, gera de auch, weil sie für Kooperationen von mittelständischen Un
ternehmen wesentliche Vorteile bietet. Sie ermöglicht es den Mitgliedern, die Größenvorteile eines Verbunds zu nutzen und gleichzeitig eigene unternehmerische Selbstständigkeit zu be wahren.
Dabei eignet sich die genossenschaftliche Organisationsform für alle Teile der betrieblichen Wertschöpfungskette. Moder ne Genossenschaften beschäftigen sich mit den unterschied lichsten Themen: Sie entwickeln Software oder führen kom plexe Grafikdesign- oder Multimediaprojekte durch, sie ent wickeln und produzieren hochwertige Medizinprodukte und vertreiben sie weltweit, oder sie vertreiben gemeinsam Rei sen über das Internet – um nur einige wenige Beispiele zu nen nen.
Unter dem Dach der Genossenschaft können die kooperieren den Unternehmen Aufträge bearbeiten, die für den Einzelnen zu groß oder zu komplex wären. Sie können sich auf ihre spe zifischen Kompetenzen und besonderen Stärken konzentrie ren, zugleich aber über den Verbund ein breites Leistungs- und Produktspektrum anbieten, quasi eine Art virtuellen Konzern bilden. Genossenschaftliche Kooperationen sind für kleine und mittlere Unternehmen deshalb ein probates Mittel, um ih re Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und zu verbessern. Auch das macht sie zu echten Erfolgsmodellen für den Mittelstand hier im Land.
Gerade in der baden-württembergischen Wohnungspolitik spielen Wohnungsbaugenossenschaften eine wichtige Rolle. Ende des Jahres 2012 bewirtschafteten 180 Mitgliedsgenos senschaften unter dem Dach des vbw mehr als 185 000 Woh nungen. Sie nutzen privates Kapital für gemeinwirtschaftli che Projekte und schaffen so bezahlbaren Wohnraum. Gleich zeitig dienen sie auch der Altersvorsorge. Sie stärken das bür gerschaftliche Engagement, stabilisieren Wohnquartiere und tragen zum Erhalt des sozialen Friedens bei.
Aus all diesen Gründen hat sich der dritte Weg, der Weg zwi schen Wohneigentum und Miete, bewährt. Deshalb hat Peer Steinbrück recht, wenn er den genossenschaftlichen Woh nungsbau stärken will.
(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Demonstrativer Beifall des Abg. Claus Schmiedel SPD – Abg. Martin Hahn GRÜNE zu Abg. Claus Schmiedel SPD: Schön geklatscht! – Vereinzelt Hei terkeit – Weitere Zurufe – Unruhe)
Denn gerade das Genossenschaftswesen kann ein Mittel ge gen den Wohnungsmangel und übertrieben hohe Mieten sein.
Deshalb werden wir – damit greifen wir diese Ideen von Peer Steinbrück auf – auch im Land gezielt Förderansätze prüfen, um künftig den Erwerb von Anteilen an Bau- und Wohnge nossenschaften zu fördern, wenn damit zugleich soziale Zie le erreicht werden. Denn eines ist klar, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen: Bezahl barer Wohnraum ist eine zentrale Frage der sozialen Gerech tigkeit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, schließlich sollten wir nicht vergessen, dass die Volks- und Raiffeisenbanken im Land ein unverzichtbarer Finanzierungspartner unserer Wirt schaft, insbesondere von Handwerk und Mittelstand, aber auch unserer Landwirtschaft sind. Das ist schon lange der Fall und hat sich gerade in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 besonders deutlich gezeigt. Die Volks- und Raiff eisenbanken sichern gerade den kleinen und mittleren Unter nehmen ihre Selbstständigkeit.
Wir werden alles daransetzen, dass bei den weiteren Beratun gen der EU-Gremien die Verschiedenheit des deutschen Ban kenwesens und die unterschiedlichen Akzente ausreichend Berücksichtigung finden und dass insbesondere das stabile Dreisäulensystem aus Kreissparkassen, Genossenschaftsban ken und privaten Banken ausreichend Berücksichtigung fin det, wenn wir die Rechtsetzung angehen. Wir werden darauf drängen, dass die gegebenen nationalen Spielräume zuguns ten dieser Art von Banken ausgeschöpft werden.