Protocol of the Session on October 10, 2012

Zum Schluss nenne ich noch einen Punkt, der Sie vielleicht überraschen mag. Ich bitte Sie aber, über diesen Punkt noch einmal nachzudenken. Wir haben uns kürzlich mehrfach zu

Recht die Köpfe heiß geredet, als es um die Berücksichtigung von Frauen bei der Gestaltung von Listen ging. Ich halte die se Doppelkandidaturmöglichkeit für eine reizvolle Variante, um das hinzubekommen, was Sie eigentlich wollen, nämlich dass ausreichend Frauen repräsentiert sind. Wir wissen doch um unser Problem, dass wir gelegentlich zu wenig Frauen ha ben. Warum soll man dann nicht Frauen in zwei Kreisen no minieren und dadurch ihre Chancen vergrößern können?

(Vereinzelt Widerspruch)

Sie schütteln den Kopf, weil Sie gedanklich in einer bestimm ten Richtung unterwegs sind. Ich bitte Sie, hierher zu kom men und zu sagen, was gegen dieses Argument spricht.

(Beifall des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Dadurch würde es uns erleichtert, die Kreistagswahllisten ab wechselnd mit Männern und Frauen zu besetzen, so, wie Sie es vorhaben.

Deswegen sage ich, dass Sie es in dem einen oder anderen Fall wahrscheinlich noch bereuen werden, wenn Sie zum frü heren Rechtszustand zurückkehren. Hindern kann Sie nie mand daran. Das ist klar. Ich glaube aber, dass die Regelung nach wie vor und gerade jetzt richtig ist.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Für die Landesregie rung erteile ich das Wort Herrn Innenminister Gall.

Herr Präsident, werte Kolle ginnen, werte Kollegen! Sehr geehrter Herr Herrmann, im Vorspann und in der Begründung des Gesetzentwurfs, den Sie für die CDU-Fraktion vorgestellt haben, wird ausgeführt, die Regelung, die seinerzeit auf den Weg gebracht wurde, habe sich nicht bewährt. Warum sie sich nicht bewährt hat, haben Sie aber nicht näher ausgeführt. Zumindest im Entwurf ist da von nicht die Rede. Das spricht Bände; denn was sich nicht bewährt hat, muss man auch nicht großartig begründen kön nen, weil vorhersehbar war, was passieren wird.

Ich will jetzt aber nicht über Schnee von gestern diskutieren. Wir haben seinerzeit die Argumente ausgetauscht. Es ist ge nau so eingetreten, wie wir, nämlich Grün und Rot, es seiner zeit formuliert haben. Dies konnte man 2004 bei den Kom munalwahlen nachvollziehen.

Sie haben es noch einmal abgefragt, und wir haben es beant wortet: Die Zahlen waren aufschlussreich. Das ist überhaupt gar keine Frage.

Ich begrüße deshalb – das will ich ausdrücklich betonen –, dass Sie jetzt einsehen, dass das nicht erforderlich war, dass es zu Verwerfungen und Verzerrungen des Wahlergebnisses zugunsten von Splitterparteien geführt hat. Damit meine ich nicht ausschließlich kleine Parteien, sondern auch Parteien, die durchaus fragwürdige Ansätze verfolgen und die durch solch eine Regelung bevorteilt werden. Das ist zwar nicht so zur Geltung gekommen, dass uns dies ein großes Problem be reiten würde und wir uns ernsthafte Sorgen machen müssten. Man weiß aber nicht, was in Zukunft daraus resultieren wür de.

Deshalb will ich ausdrücklich sagen, dass ich Ihre Intention begrüße, die Sie mit diesem Gesetzentwurf zum Ausdruck ge

bracht haben. Ich will auch sagen: Es ist anerkennenswert, dass man, wenn man erkennt, dass etwas nicht richtig war, es auch wieder verändert. Ganz allgemein bin ich nämlich der Meinung, dass man seine eigenen politischen Ansichten im mer wieder einmal auf den Prüfstand stellen und hinterfragen sollte, um herauszufinden, ob man noch richtig unterwegs ist. In diesem Fall spricht das eindeutig für Sie.

Es ist nicht ganz logisch – wenn mir, trotz Übereinstimmung mit dem Kern Ihres Anliegens, dieser Hinweis noch gestattet ist, Herr Herrmann –, dass man – diese Regelung möchten Sie im Gesetz belassen – auch zukünftig nicht im betreffenden Wahlkreis wohnen muss. Das widerspricht ein bisschen der Grundintention Ihres Anliegens. Ich will aber ausdrücklich sa gen, dass man darüber diskutieren kann. Dabei komme ich aber zu dem gleichen Ergebnis, zu dem auch Sie kommen – das will ich ausdrücklich betonen –, weil ein Kreistagsmit glied, in welchem Wahlkreis des Wahlgebiets auch immer es gewählt worden ist, für das gesamte Wahlgebiet verantwort lich ist. Diese Person sollte also nicht nur die Partikularinteres sen ihres Wahlkreises vertreten, sondern auch die Interessen des Landkreises insgesamt. Daher kann man zu diesem Er gebnis kommen.

Nun ganz konkret zu Ihrer Frage und zu Ihrem Angebot – auch das finde ich sehr passabel –: Wir wollen und werden recht zeitig die entsprechenden Änderungen im Kommunalwahl recht vornehmen, sodass diese schon bei der Kommunalwahl 2014 greifen können. Dabei werden wir natürlich auch Ihrer Intention Folge leisten, weil diese auch die unsrige ist. Das ist überhaupt keine Frage. Wir werden dies nach momentanem Stand zwar nicht wortgleich so vornehmen, wie Sie es vorge sehen haben. Im Kern wird das aber auch dazu führen, die Doppelkandidaturmöglichkeit abzuschaffen.

Wir befinden uns gerade – der Entwurf ist im Verfahren – in der Abstimmung der daran beteiligten Häuser. Wir werden den Entwurf im Frühjahr 2013 vorlegen und kommen dann im Prinzip dem nach, was Sie von uns erwarten.

Deshalb gehe ich, wie gesagt, davon aus, dass wir da gemein sam unterwegs sind. Auch hinsichtlich der Frage des Proze deres bis dahin – Sie haben ja Möglichkeiten angedeutet – sind wir, denke ich, sehr schnell beieinander. Im Grunde un terstützen wir den Kern dieses Gesetzentwurfs ausdrücklich.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Für die CDU-Fraktion erteile ich nochmals Herrn Abg. Herrmann das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Minister Gall und Herr Heiler, es ist be kannt, dass die SPD immer gegen die Doppelkandidaturen war. Es ist sehr begrüßenswert, dass die Grünen, die vor zwei Jahren im Innenausschuss noch eine völlig andere Meinung vertreten haben, jetzt die guten Argumente von SPD und CDU übernehmen. Diese Klarstellung war uns heute sehr wichtig. Deshalb können wir so verfahren, wie ich es am Schluss mei ner Rede vorhin geschildert habe, nachdem die Regierungs fraktionen auch den offenbar von der Regierung kommenden Vorschlag übernehmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir liegen jetzt keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aussprache beendet.

Ich gehe davon aus, dass wir den Gesetzentwurf zur weiteren Beratung an den Innenausschuss überweisen, Herr Herrmann,

(Abg. Klaus Herrmann CDU: Ja!)

aber dort so lange nicht behandeln, bis die Regierung und die Fraktionen im Innenausschuss die Diskussion über die Ände rung des Kommunalwahlrechts beginnen.

(Abg. Klaus Herrmann CDU: Korrekt!)

Gut. – Keine weiteren Wortmeldungen. Wer dafür ist, den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU, Drucksache 15/2138, zur weiteren Beratung an den Innenausschuss zu überweisen, der möge bitte die Hand erheben. – Gegen diesen Vorschlag erhebt sich kein Widerspruch. Danke. Dann ist es so beschlos sen und Tagesordnungspunkt 6 erledigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Einführung einer Landesverfassungsbe schwerde – Drucksache 15/2153

Das Wort zur Begründung des Gesetzentwurfs erteile ich Herrn Justizminister Stickelberger.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung – das wissen Sie – hat vor eini ger Zeit beschlossen, auch in Baden-Württemberg eine Lan desverfassungsbeschwerde einzuführen. Den dafür vorgese henen Gesetzentwurf darf ich heute für die Landesregierung in den Landtag einbringen.

Eine solche Landesverfassungsbeschwerde gibt es bereits in zehn anderen Bundesländern: in Bayern, Berlin, Hessen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und in allen fünf neuen Bun desländern. Auch angesichts des 60-Jahr-Landesjubiläums, das wir in diesem Jahr feiern, scheint es angemessen, das de mokratische und rechtsstaatliche Potenzial der baden-würt tembergischen Landesverfassung stärker und besser zu er schließen als bisher.

Nach dieser von uns vorgesehenen Landesverfassungsbe schwerde können landesspezifische Streitigkeiten vor dem Staatsgerichtshof als dem Landesverfassungsgericht entschie den werden. Hierdurch wird der Grundrechtsschutz der Bür ger gestärkt. Wir betrachten die Landesverfassungsbeschwer de auch als einen Mosaikstein in der Politik des Gehörtwer dens in unserem Land, und sie entspricht, wie wir meinen, ei ner modernen Bürgergesellschaft.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Meine Damen und Herren, ich weiß natürlich, dass in der po litischen Diskussion der Bedarf für eine Landesverfassungs beschwerde neben der Möglichkeit der Beschwerde zum Ver fassungsgericht des Bundes teilweise auch in Zweifel gezo gen worden ist. Dabei wird darauf verwiesen, dass unsere Lan desverfassung keinen eigenständigen Grundrechtskatalog ent

hält, sondern auf die Grundrechte des Grundgesetzes Bezug nimmt, die dann auch Prüfungsmaßstab für das Bundesver fassungsgericht sind.

Gleichwohl hält die Landesregierung eine solche spezifische Landesverfassungsbeschwerde für sachgerecht. Die Bürger dieses Landes erhalten wie die Bürger in der Mehrzahl der an deren Länder, die ich genannt habe, eine zusätzliche Rechts schutzmöglichkeit. Sie haben zunächst die Wahl, ihre Grund rechte entweder vor dem Staatsgerichtshof Baden-Württem berg als bewährtem Landesverfassungsgericht oder vor dem Bundesverfassungsgericht geltend zu machen.

Wir meinen, durch die Einführung einer Landesverfassungs beschwerde kann die integrative Kraft unserer Landesverfas sung gestärkt werden. Deren grundrechtliche Substanz wird aktiviert, und die Eigenständigkeit des Landes Baden-Würt temberg, seiner Verfassung und insbesondere auch des Staats gerichtshofs wird stärker als bisher hervorgehoben.

Der verfassungsrechtliche Rechtsschutz wird durch die Lan desverfassungsbeschwerde aber auch tatsächlich erweitert. Ich verweise darauf, dass vor dem Bundesverfassungsgericht nur sich aus dem Grundgesetz ergebende subjektive Rechtsposi tionen gerügt werden können. Nach der Landesverfassungs beschwerde, wie wir sie vorsehen, können vor dem Staatsge richtshof alle sich aus der Landesverfassung ergebenden sub jektiven Rechtspositionen geltend gemacht werden. Das sind mehr als die grundgesetzlichen Rechtspositionen. Insbeson dere gilt dies für den Hochschul- und den Bildungs- und Er ziehungsbereich mit ihren spezifischen Rechtspositionen, wie sie in einigen Artikeln der Landesverfassung normiert sind.

Für Wahlen auf Landesebene gelten nicht die Wahlrechts grundsätze des Artikels 38 des Grundgesetzes, sondern die Regelungen in den Artikeln 26 und 72 unserer Landesverfas sung. Eine Verletzung dieser speziellen landesverfassungs rechtlichen Vorgaben kann vor dem Bundesverfassungsgericht nicht geltend gemacht werden. Eine entsprechende Rechts schutzlücke können wir mit der von uns geplanten Landes verfassungsbeschwerde schließen. Das zeigt, dass auch die ser Landesverfassungsbeschwerde eine eigenständige Bedeu tung zukommt.

Selbstverständlich haben wir zu dem Gesetzesvorhaben ein Anhörungsverfahren durchgeführt. Die Einführung der Lan desverfassungsbeschwerde als zusätzliche Rechtsschutzmög lichkeit ist überwiegend begrüßt worden.

Die Einführung dieser Landesverfassungsbeschwerde kann entweder durch ein einfaches Gesetz oder durch die Änderung der Verfassung erfolgen. Wir haben uns für den Weg des ein fachen Gesetzes entschieden. Die entsprechende Rechtsgrund lage findet sich in der Verfassung, wonach durch einfaches Gesetz bestimmte Angelegenheiten dem Staatsgerichtshof zu gewiesen werden können. Eine Verfassungsänderung mit ent sprechender Zweidrittelmehrheit, wie wir dies kennen, ist des halb für die Verabschiedung des von uns vorgelegten Geset zesvorhabens nicht erforderlich.

Die Landesregierung hat sich für diesen einfacheren und schnel leren Weg entschieden, nicht zuletzt auch deshalb, weil wir im nächsten Jahr das 60-jährige Bestehen unserer Landesver fassung feiern können. Ich glaube, es ist eine gute Gelegen

heit, im Hinblick auf dieses Datum jetzt zügig diese Landes verfassungsbeschwerde einzuführen.

Das schließt freilich nicht aus, dass wir diese Regelung spä ter auch in die Verfassung übernehmen. Ich habe Gelegenheit gehabt, mit der Fraktion der CDU darüber zu sprechen. Da ist mir dieses Anliegen auch noch einmal vermittelt worden. Wir sind selbstverständlich bereit, bei einer Änderung der Verfas sung diese Regelung mit aufzunehmen – ganz selbstverständ lich –, wobei auch die Erwähnung der Verfassungsbeschwer de vor dem Bundesverfassungsgericht im Grundgesetz natür lich nicht erschöpfend ist, um alles zu regeln. Vielmehr be darf es auch dort eines entsprechenden Gesetzes, wie wir es hier vorhaben. Das Gesetz, das wir heute im Entwurf vorle gen – das werden Sie feststellen, wenn Sie es einmal verglei chen –, orientiert sich ja durchaus auch an den Regelungen zur Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht.

Lassen Sie mich die Eckpunkte unseres Gesetzentwurfs kurz benennen. Gegenstand der Landesverfassungsbeschwerde kön nen alle Akte der Staatsgewalt des Landes sein, also Landes gesetze, Akte der Exekutive sowie Entscheidungen der Ge richte des Landes. Beschwerdemaßstab – ich habe in anderem Zusammenhang schon darauf hingewiesen – sind die indivi duellen Rechte der Landesverfassung, also die in der Landes verfassung inkorporierten Grundrechte, die Grundrechte des Grundgesetzes und darüber hinaus die von mir schon ange sprochenen weiter gehenden und andersartigen Rechte in Hoch schul-, Bildungs- und Erziehungsfragen sowie bei den Wahl rechtsgrundsätzen auf Landesebene; denn diese können vor dem Bundesverfassungsgericht gerade nicht geltend gemacht werden.

Natürlich gilt: Das Recht zur Erhebung der Landesverfas sungsbeschwerde ist nicht schrankenlos. Sie ist nur dann zu lässig, wenn der Rechtsweg erschöpft ist. Auch da haben wir uns an die bundesrechtliche Regelung angelehnt.

Zur Vermeidung von Parallelverfahren und divergierenden Entscheidungen soll die Landesverfassungsbeschwerde ge genüber der Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungs gericht subsidiär sein. Die bloße Möglichkeit, eine Verfas sungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht zu erheben, schließt aber eine Landesverfassungsbeschwerde nicht aus. Vielmehr besteht beim Beschwerdeführer bzw. bei der Be schwerdeführerin die Wahlmöglichkeit, die Beschwerde ent weder beim Staatsgerichtshof oder beim Bundesverfassungs gericht einzulegen.