Protocol of the Session on July 18, 2012

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Aber nicht finanziell!)

Eine Zusatzfrage des Abg. Dr. Schmidt-Eisenlohr.

Frau Ministerin, eine kurze Nachfrage: Das Thema „Ausstattung der HAWs“ kam zur Sprache. Wir wissen, dass dadurch, dass der Bache lor der Hauptabschluss an den HAWs ist, diese Hochschulen in den letzten Jahren natürlich einen überproportionalen Aus bau erfahren und einen großen Teil der Überlast aufgenom men haben. Wir wissen, dass die HAWs von der Kompensa tion des Wegfalls der Studiengebühren besonders profitiert ha ben. Wir wissen, dass wir im letzten Haushalt besonders viel Geld für die Forschung der HAWs bereitgestellt haben. Das heißt, die HAWs haben in der letzten Zeit eine große Aufwer tung erfahren.

Wie schätzen Sie die Gesamtrolle der HAWs in der Hoch schullandschaft in Baden-Württemberg ein? Denn sie spielen in der Region eine besondere Rolle. Vielleicht können Sie da zu ein paar Ausführungen machen, weil die HAWs an dieser Stelle schon eine besondere Position im Bildungsangebot ha ben.

Vielen Dank für die Nachfrage. Ich glaube, es ist richtig, auf die Bedeutung der HAWs hinzuweisen. Es ist nach wie vor nicht so, dass die finanzielle Ausstattung in vol lem Umfang damit korrespondiert, welche Ausbauverpflich tungen die HAWs übernommen haben. Es herrscht nach wie vor Nachbesserungsbedarf, und wir arbeiten daran.

Sie haben darauf verwiesen, dass wir im letzten Jahr in einem ersten Schritt mehr Geld in den Ausbau der Forschungsmög lichkeiten gesteckt haben. Die HAWs sind durch ihre Veran

kerung in der Fläche, durch ihre Nähe zu kleinen und mittle ren Unternehmen, durch ihre besondere Anwendungsbezo genheit wirklich wichtige Säulen unserer Hochschulland schaft, und sie können Studierende forschungsnah und sehr praxisbezogen ausbilden. Deswegen müssen wir diese Stät ten, sozusagen die Problemlöser der Zukunft, weiterhin stär ken.

Ich möchte auf einen Bereich verweisen, der nach wie vor dringend der Korrektur bedarf. Wir arbeiten auch daran. Die Hochschulen für angewandte Wissenschaften haben zu wenig Personal im Bereich der Forschungsausstattung und der Mit telbaustellen und insbesondere zu wenig Infrastrukturperso nal, um die Aufwüchse der vergangenen Jahre organisatorisch und verwaltungstechnisch vernünftig bewältigen zu können.

Wir arbeiten mit Nachdruck daran, die vielen befristeten Ar beitsverhältnisse und Konstrukte, die es in den Hochschulen, insbesondere in den HAWs, gibt, durch geregelte, ordentliche, auch unbefristete Arbeitsverhältnisse abzulösen.

Die Regierungsbefra gung ist damit beendet. – Vielen Dank, Frau Ministerin.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jetzt können Sie durchatmen, Frau Ministerin!)

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 2 auf:

Aktuelle Debatte – Der zunehmende Fachkräftebedarf als Wachstumshemmnis und politische Aufgabe – beantragt von der Fraktion der SPD

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtdauer von 40 Minuten festgelegt. Da rauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Red ner in der zweiten Runde gilt jeweils eine Redezeit von fünf Minuten. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu hal ten.

Schließlich darf ich noch einmal auf § 60 Absatz 4 der Ge schäftsordnung hinweisen, wonach im Rahmen der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu führen ist.

Das Wort für die SPD-Fraktion erhält Herr Abg. Storz.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es liegt erst kurze Zeit zurück, dass zwei Bundesminister und der Vorsitzende der Bundesagentur für Arbeit im Bund den Startschuss für eine Kampagne zur Fachkräftesicherung ge geben haben. Diese Kampagne besteht aus zwei Internetsei ten und richtet sich an alle: an potenzielle Fachkräfte, an Un ternehmen, an die breite Öffentlichkeit.

Damit hat das Thema Fachkräfte die Bundesregierung er reicht. Das ist gut, aber es ist auch reichlich spät. Man kann sich fragen: Warum hat das so lange gedauert? Die Statistiker haben uns doch schon lange in übersichtlichen Kurven die Da tenlage präsentiert. Sie haben schon lange deutlich gemacht, wann die heute aktiven Jahrgänge aus dem Arbeitsleben aus scheiden. Sie haben auch deutlich gemacht, dass weniger jun ge Menschen nachrücken.

Aber die Wahrnehmung der Politik war von der Zukunftspro gnose geprägt, dass die Arbeit irgendwann wahrscheinlich ausgehen wird. Dies war vermischt mit der Aussage: Vollbe schäftigung können wir ohnehin nicht erreichen, und deshalb brauchen wir uns auch keine Mühe zu geben, um diese zu er reichen.

Gekommen, meine Damen und Herren, ist es ganz anders. Un serer Gesellschaft geht nicht die Arbeit, sondern gehen die Ar beitskräfte aus. Die fatalen Wirkungen wurden schon oft be schrieben. Unternehmen könnten mehr produzieren und mehr verkaufen. Die fehlenden Arbeitskräfte begrenzen das Wachs tum.

Auf der anderen Seite sehen wir, dass zusätzliche und von der Gesellschaft gefragte soziale Dienste wie mehr Kinderbetreu ung oder mehr Pflege nicht geleistet werden konnten, weil die Fachkräfte fehlen.

Wir erleben dabei absurde Situationen. Absurd ist, was ich bei mir vor Ort dazu erlebt habe, wie in Bereichen des Handwerks um Arbeitnehmer, um Fachkräfte geworben wird. So hat mir ein Elektrohandwerker erzählt, dass der Chef eines anderen Unternehmens auf seine Baustelle gekommen ist und den Ar beitern gesagt hat: „Wer zu mir in den Betrieb kommt, erhält sofort 1 € mehr Stundenlohn auf die Hand.“ Man merkt, der Mangel und das Ringen um Arbeitskräfte haben begonnen.

Absurd ist auch, wie Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen versucht, dem Fachkräftemangel bei den Erzieherin nen und Erziehern zu begegnen. Denn sie sieht gerade 14 000 Arbeitnehmerinnen von Schlecker auf der Straße und denkt, ihnen könnte man doch ein paar Kurse anbieten und somit den Mangel bei der Kinderbetreuung beheben. Aber genau so geht es eben nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen)

Dieser Vorschlag ist nicht nur zynisch gegenüber den ehema ligen Mitarbeiterinnen von Schlecker, deren Wünsche, Fähig keiten und Qualifikationen einfach ignoriert werden, sondern diese Idee ist auch ein Schlag ins Gesicht jeder Erzieherin und jedes Erziehers. Denn deutlicher kann man nicht ausdrücken: „Eure Fähigkeiten, eure Ausbildung und eure Arbeit sind nichts wert und werden von mir relativ wenig geschätzt“ – so nach dem Motto: Es braucht nur ein paar Schnellkurse, und dann kann man das für einen Erzieher Notwendige erlernen.

Vor allem war das, was hier abgelaufen ist, aber ein Bären dienst für die Werbung für den künftigen Mangelberuf des Er ziehers, und viele werden sich überlegen, ob sie in diesen Be ruf einsteigen wollen, wenn er so eine Wertschätzung in un serer Gesellschaft hat.

Tatsache ist: Aktuell fehlen in Baden-Württemberg 200 000 Fachkräfte – etwa 3,5 % aller Arbeitnehmer –, und in weni gen Jahren werden es 350 000 sein. Dann könnte jeder zehn te qualifizierte Arbeitsplatz nicht mehr besetzt werden. Nicht nur in technischen Berufen, z. B. bei den Ingenieuren, fehlt es, auch im sozialen Bereich, in der Pflege, in der frühkindli chen Bildung – das habe ich schon deutlich gemacht – zeich nen sich große Lücken ab. Wenn wir ins Hotel- oder Gaststät tengewerbe blicken – ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in un serem Land –, sehen wir, dass dort schon seit Langem nicht alle Ausbildungsplätze besetzt werden können.

Wer diese Situation beheben oder vermeiden will, muss heu te handeln. Im Gegensatz zur Bundesregierung, die mit ihrer Kampagne in der Öffentlichkeit erst ein Problembewusstsein schaffen will, macht unsere Landesregierung genau dies: Sie handelt und hat schon einiges auf den Weg gebracht. Dabei ist sich die Regierung bewusst: Kein Akteur kann für sich al lein wirksam etwas gegen Fachkräftemangel tun. Wir brau chen ein abgestimmtes und koordiniertes Handeln. Arbeitge ber und Gewerkschaften sind wichtig; Bund, Länder und Kommunen, die Agentur für Arbeit, die Kammern – alle müs sen zusammenarbeiten.

Mit der Allianz für Fachkräfte haben wir ein geeignetes Fo rum dafür ins Leben gerufen. Das Arbeitsprogramm der Alli anz ist ambitioniert. Es handelt sich nicht um einen Debattier klub, sondern die regionalen Allianzen greifen die Themen auf und suchen nach Lösungen, die den Bedürfnissen des Ar beitsmarkts vor Ort und der lokalen Wirtschaft entsprechen.

Auch in meinem Landkreis, dem Landkreis Konstanz, ist kürzlich solch eine Allianz für Fachkräfte ins Leben gerufen worden. Das ist ein wichtiger Schritt für die regionale Wirt schaft, denn gerade bei uns im Süden hat sich durch die Nä he zur Schweiz, wohin viele Fachkräfte abwandern, weil sie dort besser bezahlt werden, der Bedarf noch einmal poten ziert. Auch in anderen Regionen haben sich schon solche Al lianzen für Fachkräfte gebildet.

Das zeigt: Die Initiative des Landes fällt auf fruchtbaren Bo den und wird gern aufgegriffen. Auch der Bund könnte sich daran ein Beispiel nehmen. Baden-Württemberg kann eben nicht nur Maschinen, sondern auch Ideen wie die Fachkräfte allianz exportieren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Wo wollen wir nun weitere Schwerpunkte setzen? Ich möch te ein paar Beispiele nennen, wo wir Fachkräftepotenziale nicht oder nur unzureichend nutzen. Richten wir unseren Blick zuerst auf die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Auch bei guter Qualifikation haben ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer meist schlechte Karten auf dem Arbeits markt. Schon bald können es sich die Unternehmen aber nicht mehr leisten, auf diese Mitarbeiter zu verzichten. Regelmäßi ge Weiterbildung ist da eine Chance für alle Beteiligten; sie ist eine Zukunftsinvestition für die Unternehmen und die ein zelnen Arbeitnehmer. Bislang wird dieses Instrument viel zu wenig genutzt. Hier setzt die Weiterbildungsinitiative des Lan des „Lernen bedeutet Leben“ oder das „Bündnis für lebens langes Lernen“ des Landes ein.

Auch die Kleinkindbetreuung ist ein wichtiger Beitrag. Wir geben den Kommunen viel Geld in die Hand, um den Ausbau der Kinderbetreuung voranzubringen. Wir diskutieren dies hauptsächlich unter dem Aspekt der Bildung und der Chan cengleichheit. Dies ist auch wichtig, weil wir es uns nicht leis ten können, dass ein Mensch ohne Schulabschluss und ohne Ausbildung ins Leben startet. Kinderbetreuung sichert aber auch, dass Familie und Beruf vereinbar bleiben oder verein bar werden, und ist somit eine wichtige Stütze für die Politik für Fachkräfte.

Wer will, dass vor allem qualifizierte Frauen schnell wieder in den Beruf einsteigen, und wer dazu beitragen will, dass der

Kontakt zum Beruf während der Familienphase nicht abreißt, muss weiter in Kinderbetreuung investieren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Dabei zeigen wir vom Land den Unternehmen auch auf, wie sie den Weg in eine familienfreundliche Personalpolitik be schreiten und so ihren Beitrag für die Vereinbarkeit von Er werbstätigkeit und familiären Verpflichtungen leisten können, sei es in der Kinderbetreuung oder – was immer mehr zu nimmt – in der Pflege von Angehörigen. Dazu gehören die beiden Programme „FamilyNET“ oder „kmu4family“, die sich an Unternehmen richten und zur Einführung familien freundlicher Maßnahmen in den Unternehmen motivieren.

Eines der größten ungenutzten Potenziale bei den Fachkräf ten liegt bei den Menschen mit Migrationshintergrund. Wir haben bei uns in Baden-Württemberg einen Anteil von 25 % von Menschen mit Migrationshintergrund, und die Statistik zeigt, dass sie im Durchschnitt niedrigere Bildungsabschlüs se und seltener eine Berufsausbildung haben. Junge Menschen mit Migrationshintergrund finden nur schwer den Weg an die Hochschulen. An der Intelligenz kann es nicht liegen, sondern eben an dieser Kopplung zwischen sozialer Herkunft und Bil dung, die bei uns im Land regiert.

Auch an diesem Punkt setzen zahlreiche Initiativen an, z. B. die Werbung für berufliche Ausbildung, die sich an junge Menschen richtet. Ferner haben aber auch viele Menschen im Ausland Berufsabschlüsse erworben, die in Deutschland nicht oder nur schwer anerkannt werden. Das Integrationsministe rium arbeitet daran, dass diese leichter anerkannt werden kön nen. Dies wurde jahrelang versäumt. Gut, dass wir das nach holen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Meine Damen und Herren, Fachkräfte gewinnt man nicht ein fach mit Internetseiten, sondern durch eine langfristig ange legte Politik. Gemeinsam mit den Partnern der Allianz für Fachkräfte schafft die von den Grünen und der SPD getrage ne Landesregierung heute die Grundlage dafür, dass der Fach kräftebedarf und der drohende Fachkräftemangel in BadenWürttemberg morgen nicht zum Problem werden. Wir sorgen dafür, dass unserem Land nicht die Arbeit und der Arbeit nicht die Fachkräfte ausgehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Dr. Löffler das Wort.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Mit viel „Pomp and Circumstances“ haben Sie diese Allianz für Fachkräfte ins Leben gerufen. Ich frage mich: Ist das jetzt der Stein der Weisen, oder ist das al ter Wein in neuen Schläuchen? Viel spricht für Letzteres; denn in diesem Zehnpunkteprogramm, das Sie vorgestellt haben, sehe ich eigentlich nur eine Umetikettierung dessen, was die alte Landesregierung mit der Fachkräfteinitiative bereits ins Leben gerufen hat. Elemente wie die Wiedereingliederung von Frauen, die Beschäftigung von Migranten und älteren Men

schen in Betrieben, Qualifikation und Weiterbildung, MINTProgramme für junge Frauen – all das ist nichts wesentlich Neues, und flankiert wurde es von uns mit Coaching-Program men für den Mittelstand, die tatsächlich die Ertüchtigung der Unternehmen vorangetrieben haben.

Wir haben es nicht beim Coaching bewenden lassen, sondern es gibt tatsächlich auch ESF-Förderprogramme, die die Um setzung dieses Coachings ermöglicht haben. Das galt für alle mittelständischen Unternehmen; das galt auch für Existenz gründer.

Was mir bei Ihrem Programm aber auffällt, ist diese diffuse Kleinteiligkeit, die Sie hier an den Tag legen. Es ist nicht so, dass hier das Rad völlig neu erfunden würde, sondern Sie ver ästeln sich in Kleinigkeiten. Sie bringen viele Miniinitiativen, viele „Progrämmle“, aber ich vermisse so etwas wie eine kla re Strategie, die ordnende Hand und ein ordentliches Konzept dafür.

(Zuruf des Abg. Walter Heiler SPD)

Nur ein paar Beispiele aus Ihrem Programm: Nehmen Sie die bürokratische Belastung. Künftig sollen mittelständische Un ternehmen altersgerechte Arbeitsplätze schaffen. Was heißt denn das? Muss ich mir als Unternehmer irgendwelche geri atrischen Accessoires beschaffen, und, wenn ja, welche?