Protocol of the Session on June 20, 2012

Aber dieses Meilensteinprojekt scheint zu kippen. Es droht zu scheitern, weil es nicht zu einer nationalen Kraftanstrengung

kommt, bei der sich alle Ebenen in gleichem Umfang beteili gen. Die Zeit wird knapp. Der Bedarf an Betreuungsplätzen ist gerade in den Ballungsgebieten viel höher, als 2007 errech net.

Die vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel für den Aus bau der Betreuungsplätze reichen nicht aus. Das weiß die Bun desregierung natürlich. Sie ist da nicht blind. Aber sie wird ihrer familienpolitischen Verantwortung nicht gerecht. Sonst hätte sie das Ausbauprogramm, das, glaube ich, auf Zahlen von 2007 basiert, längst weiterentwickelt, sonst hätte die Kanzlerin längst auf den Hinweis reagiert, einen zweiten Krip pengipfel einzurichten, an dem die Kommunen und die Län der beteiligt sind.

Die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung nehmen das Scheitern des Kita-Ausbaus billigend in Kauf. Es gibt falsche Annahmen, es gibt eine gravierende Unterfinanzierung, es gibt auch Untätigkeit, und es gibt vor allem eine völlig skurrile Diskussion über das Betreuungsgeld.

Zu diesem Betreuungsgeld hat der neue FDP-Hoffnungsfun ke in NRW eigentlich das Richtige gesagt, nämlich:

Die CSU zwingt die Koalition nun dazu, mit dem Geld, das wir nicht haben, eine Sozialleistung einzuführen, die niemand will.

Genau das ist richtig, meine Damen und Herren, und die Ab lehnungsfront ist nicht schmal, sondern breit. Sie reicht von den Gewerkschaften bis hin zu den Arbeitgebern, zur evange lischen Kirche, zur Bildungsforschung und zu den Wohlfahrts verbänden. Ganz aktuell haben sich heute die Bildungsfor scher mit dem neuen Bund-Länder-Bericht zu Wort gemeldet. Dieser wird erst am Freitag übergeben, aber die dpa berichtet schon darüber. Der Bund-Länder-Bericht warnt vor der Ein führung des Betreuungsgelds.

Diese Ablehnungsfront wächst auch in der Bevölkerung ste tig. Das „Politbarometer“ im ZDF macht das deutlich: Die Ab lehnung lag im vergangenen November bei 53 %, im April dieses Jahres bei 61 %, und mittlerweile lehnen 71 % der Be völkerung dieses Betreuungsgeld ab, quer durch alle Partei en. Bei den CDU-Anhängern sind es weit über 50 %, nämlich 64 %, die sich hierzu ablehnend äußern.

Vor diesem Hintergrund wird eines deutlich: Diese ganze in terne Koalitionsdebatte in Berlin ist von allem gespeist, nur nicht von der Auseinandersetzung mit Inhalten. Sie beinhal tet koalitionsarithmetische Aspekte, vielleicht auch noch ein bisschen bayerisches Fingerhakeln – das mag sein –, aber letztendlich zeigt sie die elendige Verfassung der Koalition in Berlin.

Das möchte ich mit einigen Originalzitaten als Kostproben belegen. Ich habe vier Zitate ausgesucht, die das belegen kön nen.

Nadine Schön von der CDU sagt:

Ich bin gegen das Betreuungsgeld. Wir wollen Wahlfrei heit ermöglichen, aber die ist noch lange nicht Wirklich keit.... Dazu braucht es viel mehr Kitas, die qualitativ gut und zeitlich flexibel sind....

Ich bin nicht der Meinung, dass derjenige, der in den ers ten Jahren für sein Kind zu Hause bleibt, ein Heimchen am Herd ist. Das Betreuungsgeld setzt aber gar nicht an der eigenen Betreuungstätigkeit an, sondern an der Nicht inanspruchnahme einer staatlichen Einrichtung. Das gibt es in keinem anderen Bereich. Oder bekomme ich Geld für mein Privatauto, weil ich nicht mit Bus oder Bahn fah re?

Meine Damen und Herren, schöner als Frau Schön von der CDU könnten auch wir das nicht formulieren.

Schauen wir zur FDP. FDP-Generalsekretär Patrick Döring sagte in diesem Jahr – Zitat –:

Wenn wir die Frauenerwerbstätigkeit erhöhen und die Rückkehr von Frauen in den Beruf erleichtern wollen, sollten wir nicht die Betreuung von Kindern zu Hause ver güten, sondern den Ausbau von Kita-Plätzen fördern. Das Betreuungsgeld passt nicht in die Zeit.

Zum Schluss zwei Zitate aus dem CDU-Umfeld:

Rita Süßmuth, Exfamilienministerin und Exbundestagspräsi dentin, sagt:

Das Betreuungsgeld stößt zu Recht auf Ablehnung. Es be frachtet die Familien- und Kinderpolitik mit neuen Wi dersprüchen, löst weder die Probleme der Frauen noch die der Kinder.

Abschließend Ingrid Sehrbrock, Mitglied des CDU-Bundes vorstands:

Damit der Rechtsanspruch umgesetzt wird, fehlen noch mindestens 230 000 Krippenplätze. Statt 2 Milliarden € in ein Betreuungsgeld zu investieren, sollte ernsthaft der Ausbau der Krippenplätze vorangetrieben werden. Auch gleichstellungspolitisch ist die Einführung eines Betreu ungsgeldes eine Rolle rückwärts. Es fördert nach der Ge burt eines Kindes den längerfristigen Ausstieg der Müt ter aus der Erwerbstätigkeit.

Meine Damen und Herren, massenhaft Argumente von Ihrer Seite – da brauchen wir noch nicht einmal unsere eigenen Vor stellungen zu bemühen, um deutlich zu machen: Wir müssen endlich runter von diesem toten Ross und dürfen es nicht noch einmal neu aufsatteln.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Das ist aber keine Sache des Landtags von Baden-Württemberg! – Ge genruf des Abg. Walter Heiler SPD: Er lebt auch noch!)

Ich komme darauf zu sprechen. Schauen wir nach BadenWürttemberg. In Baden-Württemberg sind die Mittel des In vestitionsprogramms „Kinderbetreuungsfinanzierung“ des Bundes im Augenblick rechnerisch nahezu erschöpft. Das ist doch klar, weil zahlreiche Kommunen, freie Träger, privat wirtschaftliche Träger, Tagespflegepersonen viele Maßnah men beantragt haben. Es gab einen Aufbruch in Baden-Würt temberg.

Wir sind von einer nicht besonders komfortablen Situation aus gestartet. Aber jetzt ist der Bund am Zug. Es müssen dringend

weitere Mittel zur Verfügung gestellt werden, denn sonst ge schieht das, was allzu oft geschieht: Den Letzten beißen die Hunde. Die Kommunen müssen die Zeche zahlen. Sie sind nämlich in der Verpflichtung, die Erfüllung dieses Rechtsan spruchs dann auch wirklich zu garantieren.

Das Land, Herr Zimmermann, ist der Verantwortung nachge kommen.

(Abg. Walter Heiler SPD: Ja!)

Es ist mit dem Pakt für Familien mit Kindern der Verantwor tung richtungweisend nachgekommen. Es werden 315 Milli onen € zusätzlich im Jahr 2012 und 325 Millionen € zusätz lich im Jahr 2013 bereitgestellt. Es ist klar, das hat in Rich tung Bundeszuschüsse eine enorme Dynamik erzeugt. Ich sa ge deswegen noch einmal: Baden-Württemberg ist mit die sem Pakt für Familien mit Kindern gemeinsam mit den Kom munen auf einem guten Weg.

Es kommen weitere wichtige Bausteine dazu, z. B. die Schul fremdenprüfung für Erzieherinnen und Erzieher sowie der Modellversuch „Praxisintegrierte Ausbildung“, für den es im merhin rund 4 000 Bewerberinnen an 17 öffentlichen und 13 privaten Schulen gibt. Das sind Bausteine auf dem Weg zu ei nem quantitativen und qualitativen Ausbau, den wir brauchen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Ich spitze es abschließend noch einmal zu: Wir Sozialdemo kraten setzen beim Kita-Ausbau auf öffentliche Förderung – auch bei der Tagespflege – und nicht auf irgendwelche Fern halteprämien. Wir wollen mehr Plätze, und wir wollen besse re Qualität.

Nun zum Stichwort Qualität. Ich warne auch an dieser Stelle vor einer Absenkung der Standards.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege, bitte kommen Sie allmählich zum Schluss.

Okay. – Auch wenn Tausende von Betreuungsplätzen fehlen, auch wenn Tausende von Er zieherinnen und Erziehern fehlen, darf zur Einlösung des Rechtsanspruchs nicht jedes Mittel recht sein. Man mag bei baulichen Veränderungen das eine oder andere im Einzelfall diskutieren, um bestimmte Schärfen herauszunehmen und Entwicklungsprozesse anzustoßen. Aber die Umschulung von ehemaligen Schlecker-Mitarbeiterinnen zu Hilfserzieherinnen oder der Einsatz von Teilnehmerinnen aus dem Bundesfrei willigendienst dürfen nur eine Ergänzung sein. Das darf nicht dazu führen, dass notwendige Investitionen nicht getätigt wer den.

Ich möchte in diesem Zusammenhang – –

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ziehen Sie mir das dann in der zweiten Runde ab.

Sie haben keine zwei te Runde mehr. Sie haben jetzt schon über zehn Minuten ge redet. Sie haben die ganze Redezeit ausgeschöpft und sind eineinhalb Minuten darüber. Sie müssen jetzt zum Ende kom men.

Okay. Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.

Dann komme ich zum Ende, indem ich einen sehr renommier ten dänischen Kinderpsychologen zitiere – auch ein Beitrag zum Aspekt Qualität. Er sagt: „Wir brauchen einen Betreuer für je vier ein- bis dreijährige Kinder.“ Das ist ein unglaub lich hoher Anspruch. Diesen Anspruch zu erfüllen, wird na türlich teuer. Aber anstatt Kitas laufend besser zu machen, lau fend die Qualität in Kitas zu entwickeln, was machen Sie? Sie pumpen Milliarden in das Betreuungsgeld.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Stellv. Präsident Wolfgang Drexler greift zur Glocke. – Zurufe)

Sie können jetzt nicht mehr weitersprechen. Es tut mir leid.

Das ist eine gigantische Fehl steuerung. Ich kann Sie nur auffordern, das über die Sommer monate zu korrigieren. Die Gelegenheit hierzu haben Ihnen die Ereignisse der letzten Woche gegeben.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Abg. Brunnemer das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Man kann sich schon wundern, dass wir heute schon wieder über ein bundespolitisches Thema debattieren und kurze Zeit nach der letzten Befassung erneut über das Thema Betreuungsgeld und das Thema Kinderbetreuung spre chen, obwohl jetzt wirklich jeder von uns alles weiß und auch jeder weiß, worum es geht. Hier im Landtag sind die Argu mente längst ausgetauscht.

Meine Damen und Herren, ich erinnere nochmals gern daran, wie das Thema Betreuungsgeld überhaupt auf die Tagesord nung kam. Das Kinderförderungsgesetz wurde bereits im De zember 2008 beschlossen, also in der Zeit der Großen Koali tion. CDU/CSU und SPD im Bundestag haben zusammen mit dem Bundesrat diese Regelung auf den Weg gebracht. Nun ist es ein Zeichen des politischen Anstands und der Verlässlich keit, diese Regelung umzusetzen. Dazu stehen wir.

(Beifall bei der CDU)