Protocol of the Session on February 10, 2012

Einmal haben wir über Mindestlöhne debattiert und einmal über die Kapitalerhöhung der EnBW.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Das Wirt schaftsministerium ist auch ein Rumpfministerium!)

Da hat die Regierung, wie weiland Salome, einen Tanz auf geführt, um für die Zustimmung zur Kapitalerhöhung den Kopf des Vorstandsvorsitzenden Villis einzufordern. Das war alles.

Die Kapitalerhöhung bei der EnBW gehört mittlerweile zur Energiepolitik, und diese ist heute nicht mehr beim Wirt schaftsministerium angesiedelt. Für Mindestlöhne sind wir im Land gar nicht zuständig.

In seiner Regierungserklärung theoretisierte der Ministerprä sident über eine „neue Gründerzeit“, über die „ökologische und soziale Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft“, über „dialogorientierte Industriepolitik“ und „New Green Deal“. Mit der Gabe eines großen Ökonomen hat dann der Ministerpräsident seine Wirtschaftsphilosophie niederschwel lig erklärt – es soll ja auch jeder verstehen – und mit den Wor ten „weniger Autos sind besser als mehr Autos“ auf den grü nen Kern gebracht. Dieser legendäre Satz hat mittlerweile Kultstatus.

Immerhin, der Ministerpräsident hat sich der Kritik bei Un ternehmen und Wirtschaftsverbänden gestellt. Das war mutig. Respekt! Aber mehr als dieser Satz kam bislang nicht.

(Lachen des Ministerpräsidenten Winfried Kretsch mann)

Die Strategie des Nichtstuns geht noch auf. Die Wirtschafts politik der Vorgängerregierung hat unser Land zur stärksten

Wirtschaftsregion Europas gemacht. Die Steuereinnahmen sprudeln wie der Geysir Old Faithful im Yellowstone Natio nal Park. Unsere Unternehmen sind stärker aus der Finanzkri se herausgekommen, als sie hineingegangen sind. Die Auf tragsbücher sind prallvoll. Wir haben die höchsten Beschäfti gungszahlen seit der Nachkriegszeit, mehr Ausbildungsplät ze für junge Menschen als Bewerber und nahezu Vollbeschäf tigung.

Unsere Unternehmen sorgen sich um qualifizierte Fachkräf te. Das ist – europäisch gesehen – ein Luxusproblem.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Wir haben auch eine gute Bundesregierung!)

Ja, das auch. – Der Aufschwung wird an Dynamik nachlas sen. Das ist ganz normal. Dennoch wird das Bruttoinlands produkt auch in diesem Jahr noch einmal wachsen. Noch pro fitiert unsere Wirtschaft von der Niedrigzinspolitik der EZB, der Europäischen Zentralbank, dem niedrigen Eurokurs, den Lohnstückkosten, die vorbildlich konstant gehalten wurden und unter denen der PIIGS-Länder liegen, und von der Qua lität ihrer Produkte. Wie lange noch?

Die Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt steigen, und der Stand ortfaktor Energiekosten führt zu Produktionsverlagerungen ins Ausland. Wenn Transportkosten für die heimische Produk tion billiger sind als die Herstellung vor Ort, sollten wir ein mal nachdenken, woran das liegt.

Ich kritisiere es nicht, wenn die jetzige Regierung die Elemen te der Mittelstandsförderung und des Technologietransfers der vorherigen Regierung weiterführt und ökologische Elemente stärker betont. Ich halte es auch für einen richtigen Ansatz, Migrantenökonomie, die Förderung von Frauen in der Wirt schaft und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärker in das Zentrum politischen Handelns zu rücken.

Aber warum haben Sie unsere Anträge, mehr Geld für diese Handlungsfelder zu bewilligen, abgelehnt? Warum vernach lässigen Sie den Binnenmarkt? Gerade für kleine mittelstän dische Unternehmen und für das Handwerk ist der Binnen markt unverzichtbar. Hier die Gelder für die örtlichen Leis tungsschauen mit dem Argument zu streichen, es gäbe Mit nahmeeffekte, ist ein Armutszeugnis

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

und ein Totschlagargument, das bei jeder Subvention vorge bracht werden kann. Der Kollateralschaden, der damit ange richtet wird, zeigt sich in der Stagnation des privaten Kon sums.

(Oh-Rufe von Abgeordneten der SPD – Abg. Andrea Lindlohr GRÜNE: Wie soll man das denn schaffen?)

Es ist eine wichtige Aufgabe, unsere Wirtschaft dabei zu un terstützen, die globalen Herausforderungen zu bewältigen. Mit Ihren regulativen Tendenzen, wie bei Ihrem geplanten Tarif treuegesetz, oder mit Ihrer Steuererhöhungspolitik, wie beim Grunderwerbsteuersatz, werfen Sie unserer Wirtschaft Krä henfüße vor.

(Lachen bei der SPD)

Damit nicht genug. Sie unterstellen unserer Wirtschaft kollek tives Lohndumping, und weil der Wirtschaftsminister in sei ner Rolle als Finanzminister unsere Unternehmen unter den Generalverdacht der Steuerhinterziehung stellt, werden in den Finanzämtern 100 Beamtenstellen für Steuerprüfer und 100 Anwärterstellen geschaffen.

(Zuruf des Abg. Walter Heiler SPD)

Regulierung schafft keine Arbeitsplätze und stimuliert keine Märkte. Beseitigen Sie die wachsenden Planungsunsicherhei ten bei großen gewerblichen und öffentlichen Infrastruktur projekten. Sie wirken sich negativ auf die Wirtschaft aus. Kon solidieren Sie den Haushalt, bauen Sie Staatsschulden ab. Das ist das beste Wirtschaftsprogramm.

(Abg. Walter Heiler SPD: So wie ihr!)

Ministerpräsident Kretschmann, der wegen der wirtschafts politischen Vakanz im Doppelministerium die Rolle des Wirt schaftsministers mit übernimmt, hat EU-Kommissionspräsi dent Barroso gesagt: „Wir brauchen eine Haushaltskonsoli dierung, die wirtschaftspolitisch atmet.“ Mit weniger Staats schulden lässt sich leichter atmen. Zur Verankerung einer Schuldenbremse in der Landesverfassung ist die Regierung aber nicht bereit.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Wer in einem Garten der ökologischen und sozialen Markt wirtschaft von Wirtschaft und Gesellschaft lustwandelt, er kennt nicht, dass sich der Arbeitsmarkt neu aufstellt. Dienst leistungen, die heute noch von Arbeitnehmern erbracht wer den, werden mehr und mehr ins Netz verlagert. Dies sind nicht nur komplexe Softwareentwicklungen, sondern auch triviale Büroaufgaben. Große Unternehmen verzichten zunehmend auf Arbeitnehmer und bauen Stellen ab. Die Personalvorstän de sprechen neudeutsch – wie ich meine, etwas zynisch – von „open generation“ und „liquid generation“. Durch ein soge nanntes Crowdsourcing wird ein neues Human-RelationsKonzept unter Umgehung aller arbeits- und sozialversiche rungsrechtlichen Vorschriften geschaffen, das zu einem neu en interaktiven Wertschöpfungsprozess führt.

Diese Personalstrategie ist nichts anderes als die Tagelöhner arbeit des 19. Jahrhunderts. Das Elend der schlesischen We ber aus der Zeit des Vormärz wird heute ins digitale Netz ver lagert. Das Zeitalter der digitalen Proletarier hat begonnen.

(Zuruf von der SPD: Sag mal! – Gegenruf des Abg. Peter Hauk CDU: Ihr habt es nicht kapiert!)

Dieses Phänomen, das bald unsere reale Arbeitswelt bestim men wird, blenden wir politisch noch völlig aus. Wir blenden es aus, weil unser Finanz- und Wirtschaftsminister es nicht auf seinem Radarschirm hat und weil die Sozialdemokraten traditionell noch immer glauben, dass ein Arbeitnehmer mor gens mit seinem Henkelmann zur Arbeit geht, seinen Mindest lohn bekommt und eine tarifliche Raucherpause macht.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP)

Statt sich dem neuen Problem zu widmen, erhöhen die Regie rungsfraktionen das Budget für die Gründung einer Fachkräf

teallianz sowie die Mittel für Veranstaltungen im Bereich „Wirtschaft und Demografie“. Sie verdoppeln die Ausgaben für Sachverständige und Gutachten, um grün-rote Wohlfühlthe men wiederzukäuen.

Wer ältere Arbeitnehmer in den Arbeitsprozess wiedereinglie dern will, muss das Kündigungsrecht verändern und den Ab schluss befristeter Arbeitsverträge erleichtern. Das will unse re Wirtschaft. Wenn nach der Politik des Gehörtwerdens das Schweigen der Lämmer kommt, ist das zu wenig. Zuhören und anpacken, das ist entscheidend.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Ingo Rust SPD: Bin ich froh, wenn Aschermittwoch ist!)

Das Land fördert den sozialen Wohnungsbau mit 64 Millio nen €.

(Zuruf von der SPD: Das ist richtig!)

Das ist richtig, und das finde ich gut. – Die Mittel für die Landeswohnraumförderung betragen gerade einmal 0,2 % der Steuereinnahmen. Das Fehlen sicherer Anlagemöglichkeiten an den Finanzmärkten macht den Wohnungsbau für private Investoren heute aber attraktiv. Für die Förderung studenti schen Wohnraums stellt die Regierung 2 Millionen € bereit. Beim Affenhaus in der Wilhelma ist man großzügiger.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Wer hat denn das Affenhaus gebaut? – Weitere Zurufe – Unruhe)

Für 20 Millionen € sollen zwei Dutzend Menschenaffen in ei nem Mehrgenerationenhaus zusammen wohnen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Aus lauter Affenliebe wurden im Ausschuss für Finanzen und Wirtschaft auf den letzten Drücker noch schnell 5 Millionen € durchgewunken, weil sich die Wilhelma bei den Baukosten verkalkuliert hatte. Anscheinend gelten beim sozialen Woh nungsbau für Menschenaffen andere Maßstäbe.

Angesichts dieses staatlichen Geldsegens erwäge ich, mir ei nen Schimpansen als Haustier zu halten und bei ihm zur Un termiete zu wohnen.

(Heiterkeit – Abg. Dr. Markus Rösler GRÜNE: Da werden Tierschutzbestimmungen verletzt!)

Die Wirtschaftspolitik der Regierung ist nur mäßig professi onell. Im Haushalt herrscht bei wirklich neuen wirtschaftspo litischen Akzenten Fehlanzeige. Noch übertüncht die starke Wirtschaft die Abwesenheit wirtschaftspolitischer Konzepte. Verdient hat unser Land diese Wirtschaftspolitik nicht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich Frau Abg. Lindlohr das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Lieber Kollege Dr. Löffler, ich glau be, wir wollen jetzt nicht vertiefen, wer was verdient hat und ob dieses Haus diese Rede verdient hatte. Dennoch vielen

Dank für Ihren Parforceritt durch die Jahrhunderte inklusive der Anteile schwarzer Magie wie Krähenfüße und für den Ih nen eigenen Kulturpessimismus. Ich wünsche Ihnen von Her zen alles Gute und auch wieder einmal einen konkreten Be zug zur Wirtschaftspolitik, die wir in der Zwischenzeit hier betreiben.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)