Protocol of the Session on January 27, 2016

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 148. Sitzung des 15. Landtags von Ba den-Württemberg.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Da men und Herren, heute ist ein wichtiges Datum im Jahreslauf unseres öffentlichen Lebens: Heute ist der 27. Januar, Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, Tag einer immerwährenden Mahnung, die uns alle angeht, und damit Tag einer Selbstprüfung, der wir alle uns unterziehen müssen, gerade in der aktuellen politischen Situation. Denn wir erfah ren momentan sehr konkret, wie schwierig es ist, all das glei chermaßen zu leisten, was die Geschichte von uns verlangt: Hilfsbereitschaft, Weltoffenheit, konsequente Rechtsstaatlich keit und demokratische Wehrhaftigkeit.

Die offizielle Gedenkstunde des Landtags, zu der ich Sie alle nochmals herzlich einladen darf, findet um 14 Uhr in Lud wigsburg statt.

Lassen Sie uns aber unabhängig davon auch jetzt, vor Eintritt in unsere Tagesordnung, kurz innehalten. Führen wir uns in Trauer und schmerzender Scham jene apokalyptischen Bilder vor Augen, die sich der Roten Armee heute vor 71 Jahren bei der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz boten: die Bilder der Leichenberge, die Bilder der Massengräber, die Bil der der völlig ausgemergelten Überlebenden. Und bekräftigen wir unter diesem Eindruck: Nur wer weiß, was war und wie es dazu kam, der weiß auch, was nie wieder sein darf.

Terrorherrschaft der Nazis, das hieß: Völkermord, Vernich tungskrieg, Rassenwahn und das scheinlegale Pervertieren von Werten und Tugenden. Abermillionen Menschen wurden planmäßig und bar jeglicher Humanität ausgegrenzt, gejagt, gequält, ermordet. Uns ist aufgegeben, die Erinnerung daran wachzuhalten und so unsere Achtsamkeit für die Gegenwart zu schärfen. „Nie wieder Auschwitz“ gehört zu unser Staats räson.

Unser Grundgesetz ist die Verfassung gewordene Lehre aus der Nazidespotie und deren Vorgeschichte. Die Empathie mit den Opfern trägt unsere Demokratie, unsere Freiheit, unseren Rechtsstaat und unser Menschenbild.

Um dem Versprechen Ausdruck zu verleihen, dass wir in un serem politischen Alltagshandeln stets auch unserer geschicht lichen Verantwortung gerecht werden wollen, bitte ich Sie al le, sich zum stillen Gedenken von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.)

Ich danke Ihnen.

(Die Anwesenden nehmen ihre Plätze wieder ein.)

Wir kommen nun zu den üblichen Bekanntgaben:

Urlaub für heute habe ich Herrn Abg. Ernst Kopp erteilt.

Krankgemeldet ist Herr Abg. Karl-Wolfgang Jägel.

Eine Zusammenstellung der E i n g ä n g e liegt Ihnen vor. – Sie nehmen davon Kenntnis und stimmen den Überwei sungsvorschlägen zu.

Im Eingang befinden sich:

1. Schreiben des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Dezember 2015,

Az.: 1 BvR 176/15 – Verfassungsbeschwerde gegen die Erhebung ei nes Wasserversorgungsbeitrags

Überweisung an den Ständigen Ausschuss

2. Mitteilung der Landesregierung vom 19. Januar 2016 – Entwurf der

Verordnung der Landesregierung zur Änderung der Verordnung über die Arbeitszeit der beamteten Lehrkräfte an öffentlichen Schulen in Baden-Württemberg – Drucksache 15/7955

Überweisung an den Ausschuss für Kultus, Jugend und Sport

3. Mitteilung der Landesregierung vom 18. Januar 2016 – Bericht über

aktuelle europapolitische Themen – Drucksache 15/7981

Überweisung an den Ausschuss für Europa und Internationales

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Große Anfrage der Fraktion der CDU und Antwort der Landesregierung – Sachstandserhebung zu seit 24. Okto ber 2015 geltenden Änderungen des Asylrechts in BadenWürttemberg – Drucksache 15/7689

Dazu rufe ich den Antrag der Fraktion der CDU, Drucksache 15/8004, mit auf.

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Ausspra che eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion und für das Schlusswort der die Große Anfrage stellenden Fraktion eine zusätzliche Redezeit von fünf Minuten festgelegt.

Das Wort für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Fraktions vorsitzendem Wolf.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Asyldebatte, die Frage der Unterbringung von Flüchtlingen, beschäftigt die Menschen in Baden-Würt temberg unverändert. Die furchtbaren Ereignisse der Silves ternacht haben natürlich auch noch einmal zu einem völlig neuen Bewusstsein, zu einem ganz anderen Umgang mit all diesen Fragen geführt. Ja, diese Ereignisse der Silvesternacht waren so etwas wie eine Zeitenwende.

Warum waren sie das? Weil viele Menschen nach den Ereig nissen in Köln, Hamburg, aber auch hier bei uns in Stuttgart das Gefühl haben, dass in dieser Flüchtlingsdebatte die Trans parenz fehlt. Warum sind diese Ereignisse erst Tage später in vollem Umfang ans Licht gekommen? Viele Menschen haben den Eindruck, dass die Risiken der Zuwanderung kleingere det worden sind, und viele Menschen wollen, dass wir jetzt die Probleme mit Asylsuchenden und Flüchtlingen bei all den Chancen, die wir bei dieser Diskussion nicht ausblenden, klar benennen.

Unsere Große Anfrage hat für diese neue Debatte wichtige Fakten geliefert. Herr Ministerpräsident, bei allem, was die se Landesregierung und was auch Sie immer wieder vorge ben, in dieser Frage richtig zu tun, hat diese Große Anfrage natürlich schon bemerkenswerte, ja bedrückende Erkenntnis se an den Tag gebracht.

15 000 Asylbewerber sind aktuell unregistriert in Baden-Würt temberg unterwegs,

(Zuruf von der CDU: Hört, hört!)

Personen, von denen niemand weiß, woher sie kommen, wer sie sind und was sie hier wollen. Das ist einer der Umstände, das ist eine der Entwicklungen, die wir hier in Baden-Würt temberg schnellstmöglich beenden müssen, und das ist die Verantwortung dieser grün-roten Landesregierung.

(Zurufe von der SPD: Nein! – Abg. Wolfgang Drex ler SPD: Das ist die Verantwortung von Deutsch land!)

Die Menschen müssen wissen, wer sich in diesem Land auf hält.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Oder nehmen Sie ein anderes Beispiel: die Duldungen. Das betrifft Personen, die kein Asyl bekommen haben und auch keine Flüchtlinge sind, aber dennoch irgendwie hierbleiben. Ausweislich der Antwort der Landesregierung auf unsere Gro ße Anfrage sind rund 10 000 – exakt 9 638 – dieser gedulde ten Personen in Baden-Württemberg. Sie stammen aus einem sicheren Herkunftsland. Wir fragen uns schon, warum diese Menschen geduldet sind, wenn es bei ihnen daheim sicher ist.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Das wissen Sie doch!)

Herr Kretschmann, Sie haben im TV-Duell treuherzig behaup tet: „Wir schieben die ab, die wir abschieben können.“ Nein, das tun Sie nicht. Eine unverändert hohe und noch wachsen de Zahl von Menschen, auch aus sicheren Herkunftsländern, halten sich hier ohne Aufenthaltstitel auf. Die Landesregie

rung schiebt nicht ab. Das kritisieren wir, Herr Ministerpräsi dent.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Zuruf des Abg. Wolfgang Drexler SPD)

Sie verzögern unverändert die Umstellung von Geld- auf Sachleistungen, obwohl Sie sich doch im Schulterschluss mit der Kanzlerin verständigt haben, all das umzusetzen, was im Paket enthalten ist, das die Große Koalition in Berlin ge schnürt hat. Aber vielleicht gibt es dafür ja auch eine Begrün dung.

Meine Damen und Herren, es ist schon bemerkenswert, wenn man sich nochmals die Rede des Ministerpräsidenten vor Au gen führt, die er im September 2014 im Bundesrat gehalten hat,

(Zuruf des Abg. Alexander Salomon GRÜNE)

als es darum ging, die Zustimmung Baden-Württembergs zum Asylkompromiss I, nämlich zur Einstufung einiger Balkan staaten als sichere Herkunftsländer, zu gewinnen. Damals hat Winfried Kretschmann gesagt – ich zitiere –:

Uns ist es in langen und harten Verhandlungen gelungen, wirklich substanzielle Verbesserungen für die hier leben den Flüchtlinge zu erreichen. Wir konnten durchsetzen, dass die Residenzpflicht für Flüchtlinge deutschlandweit abgeschafft wird. Asylbewerber sind dann nicht mehr ge zwungen, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten.

Dafür haben Sie sich gerühmt: für etwas, bei dem wir heute dringend Veränderungen bräuchten und was heute Teil des Problems ist, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)