Protocol of the Session on November 26, 2015

(Zuruf des Abg. Claus Schmiedel SPD)

Das heißt, die Frage, die uns noch auseinanderhält, ist die Ori entierungsstufe in den Klassen 5 und 6. Liebe CDU, das ist hier im Landtag bereits beschlossen worden.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Drexler SPD)

Ob ab Klasse 7 bzw. – um genau zu sein – in den Klassen 7 und 8 dann in leistungsdifferenzierenden Kursen, Klassen oder binnendifferenziert gearbeitet wird, ist eine Frage, die natür lich an den Schulen beantwortet werden muss.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Die haben Sie doch schon lange entschieden! – Zuruf des Abg. Volker Schebesta CDU)

Dass Sie damals in Ihrer Regierungszeit den Realschulen kei nerlei Mittel in die Hand gegeben haben, um überhaupt zu dif ferenzieren, wirft doch ein schlechtes Licht auf Ihre Bildungs politik, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Wenn Sie dann als eine der wenigen Aussagen in Ihrem Pro gramm, die überhaupt nur im Ansatz Substanz haben, anfü gen, dass es notwendig sei, die Grundschulempfehlung an der weiterführenden Schule vorzulegen, dann sage ich Ihnen: Bei

Gesprächen mit Schulleitern und Lehrkräften an allen Schul arten wird mir gesagt: Innerhalb sehr kurzer Zeit, spätestens mit der Leistungserhebung in Klasse 5 ist jedem Lehrer und jeder Lehrerin klar, wo seine bzw. ihre Schülerinnen und Schüler stehen.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Das heißt, dieses Kreuz, das auf der Grundschulempfehlung steht, quasi zum Qualitätsindikator für das Gelingen oder Scheitern eines Bildungssystems zu machen, ist ein Akt der Hilflosigkeit.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zurufe von der SPD, u. a.: Natürlich!)

Sie führen weiter an, dass das Konzept der regionalen Schul entwicklung, das wir gemeinsam mit den kommunalen Lan desverbänden erarbeitet haben, ein Schulschließungspro gramm sei. Wenn Sie sich einmal Ihre Regierungszeit und die Folgen anschauen, bemerken Sie, dass das effektivste Schul schließungsprogramm doch Ihre Praxis gewesen ist, nämlich nichts zu tun, den Schulen keine Möglichkeiten zu geben und im Rahmen des dreigliedrigen Schulsystems zuzulassen, dass Haupt- und Werkrealschulen vor allem in ländlichen Räumen gestorben sind bzw. geschlossen werden mussten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das, was die CDU und die FDP/DVP in ihren Jahren der Regierungsverantwor tung gemacht haben, war Politik gegen den ländlichen Raum, das war Politik zur Schwächung des ländlichen Raums in Ba den-Württemberg.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf von der CDU)

Wenn Sie dann Vergleiche zwischen Schularten vornehmen, möchte ich Ihnen eines einmal ganz deutlich ins Stammbuch schreiben: Jede Schulart hat heute eine bessere Ausstattung als in Ihrer Regierungszeit.

(Zurufe von den Grünen und der SPD: So ist es! – Sehr richtig!)

Insbesondere die Realschulen, die von Ihnen keinerlei zusätz liche Mittel bekommen haben, haben mit dem neuen Konzept insgesamt zehn Poolstunden für Möglichkeiten der Differen zierung.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Nachdem wir Sie getrieben haben! – Gegenrufe von den Grünen und der SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Die haben auch die heterogenste Schülerschaft!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, seien Sie ehrlich: Wenn Sie die Ungleichbehandlung der Schularten kritisieren, dann wäre es fair, zu sagen, was Sie zu tun gedenken. Denn die Aussagen von Ihnen sind nicht, dass zukünftig alle Schul arten das Ausstattungsniveau der Gemeinschaftsschulen be kommen sollen.

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Nee!)

Habe ich das dann richtig verstanden, dass Sie den Gemein schaftsschulen die dringend notwendigen Ressourcen zur Er

ledigung ihrer Arbeit wegnehmen wollen? Wenn das so ist, dann sagen Sie dies den Leuten. Seien Sie ehrlich zu den Men schen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zurufe von den Grünen und der SPD)

Jetzt kommen wir zum einzig substanziellen Punkt in Ihren Aussagen im Wahlprogramm. Dieser Punkt ist allerdings sehr falsch; er ist in der bildungspolitischen Analyse Baden-Würt tembergs aus meiner Sicht sogar mit riesengroßen Risiken ver bunden. Sie haben in Ihr Wahlprogramm aufgenommen, dass zukünftig im Bereich der allgemeinbildenden Gymnasien Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9 herrschen soll.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieser Euphemismus Wahlfreiheit bedeutet nichts anderes, als dass auf Druck vie ler Eltern eine Situation entstehen würde, dass die allermeis ten Gymnasien im Land Baden-Württemberg zu G 9 zurück kehren würden.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: So ist es! – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Jetzt muss man sich einmal vor Augen führen, dass Sie vor et was mehr als zehn Jahren G 8 verpflichtend an den allgemein bildenden Gymnasien eingeführt haben.

(Zurufe von den Grünen und der SPD, u. a. Abg. Claus Schmiedel SPD: Ohne Vorbereitung!)

Ob wir das damals aus der damaligen Situation heraus ge macht hätten, vermag ich heute nicht mehr zu sagen. Aber ich kann eines sagen: Wenn Sie dieses Rad an dieser Stelle heu te zurückdrehen, werden Sie in der zukünftigen Bildungsland schaft von Baden-Württemberg zu dem Hauptproblem aus Ih rer Regierungszeit zurückkehren, nämlich dem, dass sich das System im Bereich der weiterführenden Schulen im Denken eines Oben und Unten verfestigt.

In Hessen, wo nämlich genau dieser Schritt – Wahlfreiheit von G 9 – gemacht wurde, wurde die Erfahrung gemacht, dass die Übergangsquoten aufs Gymnasium exorbitant gestiegen sind; die Übergangsquoten liegen inzwischen bei über 50 %.

(Abg. Georg Wacker CDU: Das war vorher schon so! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Drexler SPD: Nein!)

Dies ist schwierig für das Gymnasium, und dies ist ruinös für die Schularten, die in der zweiten Säule stehen. Denn sowohl in den Gemeinschaftsschulen als auch in den Realschulen sind heute Schülerinnen und Schüler, die auch das Gymnasium be suchen könnten.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Diese Schülerinnen und Schüler sind in dieser Säule, weil die Eltern bewusst sagen: „Wir wollen für unser Kind ein zusätz liches Jahr auf dem Weg zum Abitur, aber wir wollen uns auch die Möglichkeit offenlassen, einen anderen Schulabschluss zu wählen.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das, was Sie tun, wenn Sie G 9 wieder einführen – zumindest zum jetzigen Zeit

punkt –, führt dazu, dass sowohl die Realschulen als auch die Gemeinschaftsschulen eklatant an Schülern verlieren würden, gerade an Schülern, die diesen Schulen auch besonders gut tun,

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Wer hat denn das G 9 wieder eingeführt? – Gegenruf der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Genau! Lieblingskind!)

und Sie werden auch die beruflichen Schulen nachhaltig schä digen.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Sie haben doch selbst das G 9 wieder eingeführt! – Gegenruf der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Herr Schmie del wollte das!)

Dazu kann ich dann nur zitieren, was ich dieser Tage in einem Zeitungsartikel gelesen habe. Als Kollege Wolf an einer be ruflichen Schule zu Besuch war, wurde er vom Schulleiter die ser beruflichen Schule gefragt, und zwar unter Hinweis auf die Qualität der beruflichen Gymnasien, was es denn für ei nen bildungspolitischen Grund für die Einführung von G 9 gebe,

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Das fragen wir uns schon seit vier Jahren!)

worauf Herr Wolf

(Abg. Walter Heiler SPD: Wer ist denn das?)

die Antwort schuldig blieb und dem Schulleiter eine gewisse Verkrampftheit attestiert hat.

(Lachen bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Zuruf von der SPD: Respektlos!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn man so mit den Menschen umgeht, die tagtäglich Bildung in diesem Land umsetzen, dann braucht man sich nicht darüber zu wundern, wenn viele in diesem Land Angst davor haben, dass Sie ir gendwann wieder Verantwortung für Bildungspolitik in die sem Land haben könnten.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Glocke des Präsidenten)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Zimmermann?

Nein, ich bin gleich fertig. Danke.