Protocol of the Session on November 18, 2015

Meine Damen und Herren, Ziel der terroristischen Barbarei ist es, Hass und Angst zu schüren. Aber wir lassen uns von Terrorismus nicht einschüchtern. Genau das dürfen wir nicht zulassen. Deshalb sind Signale dieser gemeinsamen Debatte so wichtig. Ja, da sind wir geschlossener denn je – im gemein samen Kampf gegen den Terrorismus.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Denn unmissverständlich klar ist und muss sein: Dieses Eu ropa ist ein Ort der Toleranz, der Offenheit und der Freiheit. Aber es ist ebenso der Hort der wehrhaften Demokratie. Das kann nur heißen: Wir können nach einem Tag wie diesem blu tigen Freitag in Paris nicht einfach zur Tagesordnung überge hen, nicht einfach weitermachen. Wir nehmen die Herausfor derung und die Kampfansage der Terroristen an. Wer Europa in seinem Herzen angreift, wer Europas fundamentale Werte durch Schüsse in eine friedliche, feiernde Menschenmenge verhöhnt, für den kann es keine Toleranz und kein Verständ nis geben.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Wir müssen deshalb genau hinsehen und werden erneut poli tisch darüber debattieren müssen, ob unsere Sicherheitsgeset ze ausreichend sind – ausreichend, um diese neue Dimension

des Terrors abzuwehren, um terroristische Netzwerke zu zer schlagen, ihre Strukturen, Logistik, Finanzströme aufzude cken und auszuschalten, ausreichend, um Dschihadisten und Extremisten auch hier bei uns im Land ihr demagogisches Handwerk zu legen.

Wir müssen uns der Frage stellen, ob wir unsere Polizei und unsere Nachrichtendienste mit allem Notwendigen ausgestat tet haben, damit sie Extremismus und Terrorismus wirksam bekämpfen können, ob wir überhaupt auf solche Situationen wie in Paris vorbereitet wären. Und nicht zuletzt müssen wir wieder dafür sorgen, dass islamistische Gewalttäter nicht ein fach unbehelligt in Terrorcamps aus- und nach Deutschland und Europa einreisen können.

Wir wollen entschlossen all denen entgegentreten, die versu chen, den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und unsere Werteordnung mit ihrem Bombenterror und ihren Hasstiraden zu erschüttern. Wir erteilen jeder Form von Fanatismus, Ext remismus und Terrorismus eine klare Absage. Das gilt gera de auch für Menschen, die sich von Deutschland aus auf den Weg in den Nahen Osten machen, um dort Terroristen zu un terstützen oder gar anschließend wieder hierherzukommen. Hier sind unsere Sicherheitsorgane gefragt. Die Devise muss hierbei lauten: null Toleranz.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Abge ordneten der Grünen und der SPD)

Gleichzeitig müssen wir alles dafür tun, dass gerade auch jun ge Menschen davor bewahrt werden, in die Fänge von Anwer bern zu geraten und den islamistischen Hasstiraden zu verfal len. Dazu gehört, dass es in Deutschland keine Gettos, keine Milieus, keine Parallelgesellschaften geben darf, in denen Ra dikale unter sich bleiben können.

Wir in Baden-Württemberg sind zu Recht stolz darauf, dass sich die allermeisten Menschen, die zu uns gekommen sind, integriert haben, integriert in den Arbeitsmarkt, integriert in unsere Städte und Gemeinden und integriert in unsere Gesell schaft. Die Beispiele anderer Staaten zeigen, dass dies nicht selbstverständlich ist. Es kostet uns Mühe, Zeit und Geld. Es braucht Orientierung und vor allem keine Wertebeliebigkeit.

Wir müssen uns in diesen Tagen deutlich zu unserer christ lich-abendländischen Kultur, zum Wertefundament unserer Gesellschaft bekennen, und wir müssen den Menschen, die zu uns kommen, klar sagen, dass Integration nicht nur Sprache, sondern auch Werte beinhaltet. Wer sich mit unserer deutschen Wertekultur nicht anfreunden kann, der kann auf Dauer nicht hierbleiben.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Botschaft heute an unsere Freunde in Frankreich ist: Wir sind in Gedanken bei euch, und wir halten zusammen. Wir wollen signalisieren, dass man auf uns zählen kann, wenn es darum geht, unsere Werte, die Freiheit und die demokratische Grundordnung in Europa zu verteidigen – ohne Kompromisse und gegen jeden, der sich dagegenstellt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Abge ordneten der Grünen und der SPD)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich das Wort Frau Fraktionsvorsitzender Sitzmann.

Herr Präsident, liebe Kolle ginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! In die ser schweren Stunde teilen wir gemeinsam das Entsetzen und die Trauer über die abscheulichen Anschläge, die am vergan genen Freitag in Paris stattgefunden haben.

Diese von allen Fraktionen am Montag gemeinsam beantrag te Debatte soll zeigen: Alle im Landtag vertretenen Fraktio nen, wir alle sind erschüttert über die Anschläge in Paris. Wir zeigen unser Mitgefühl mit den Angehörigen der Toten und den Verletzten. Wir alle stehen zu unseren französischen Nachbarn.

Nicht nur wir im Landtag tun das, nein, ganz Europa hat in der europaweiten Schweigeminute am Montag seine Anteil nahme zum Ausdruck gebracht. In Mahnwachen und Gedenk veranstaltungen in vielen baden-württembergischen Städten trauern die Menschen um die Toten und Verletzten. Die Er klärungen religiöser Gemeinschaften, der christlichen Kirchen wie der islamischen Verbände, formulieren sehr prägnant die Abscheu über diese Verbrechen. Viele Menschen überall auf der Welt haben sich in Kondolenzbücher eingetragen. Trau ernde zünden vor den französischen Botschaften und Einrich tungen Kerzen an und legen Blumen nieder. Die französischen Nationalfarben, die für Freiheit, Gleichheit, Solidarität stehen, sind zu Zeichen der europäischen Verbundenheit geworden.

Auch für uns gilt: „Nous sommes unis“, wir gehören zusam men, wir sind vereint mit den Menschen in Paris und in ganz Frankreich. Wir trauern mit den Menschen, die Angehörige verloren haben. Wir leiden mit denjenigen, die verletzt wur den, und wir nehmen Anteil an den Sorgen der Menschen, die über Nacht in einer Stadt aufgewacht sind, die zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres vom Terror gezeichnet ist.

Die Ziele der Terroranschläge haben die Attentäter sehr be wusst ausgewählt: eine Konzerthalle, wo ein Konzert statt fand, ein Fußballfreundschaftsspiel zwischen Frankreich und Deutschland, Cafés und belebte Plätze. Das sind Orte, an de nen Menschen sich begegnen. Das sind Orte, wo Menschen gemeinsam feiern. Im Stadion, in den Cafés und in der Kon zerthalle liegen Lebensfreude und Freiheit spürbar in der Luft. Das sind die Orte, an denen unsere gemeinsamen europäi schen Werte lebendig sind. Deswegen waren dies Anschläge, die sich gegen uns alle richteten.

Mehr denn je, meine Damen und Herren, muss es jetzt in der Tat darum gehen, selbstbewusst und überzeugt unsere gemein samen europäischen Werte zu leben. Wir lassen uns nicht ein schränken, wir stehen zu unserer offenen Gesellschaft, und wir leben unsere Werte, meine Damen und Herren.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Das ist die wichtigste Botschaft, die wir alle an all diejenigen senden, die unsere freiheitliche demokratische Grundordnung infrage stellen oder gar abschaffen wollen. Das ist unsere Bot schaft an die menschenverachtenden Terroristen. Wir stehen zu unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, und wir werden sie mit aller Kraft verteidigen.

Dabei wissen wir: Eine offene, eine liberale Gesellschaft wird nie völlig sicher sein. Aber wir müssen alles tun, um ein

Höchstmaß an Sicherheit zu gewährleisten. Doch einen hun dertprozentigen Schutz vor radikalisierten Tätern, die zu al lem bereit sind, einen hundertprozentigen Schutz vor Selbst mordattentätern kann es in einer offenen Gesellschaft leider nicht geben. Dies zu versprechen wäre unredlich.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nach den Anschlägen von Paris gesagt:

Wir wissen, dass unser freies Leben stärker ist als jeder Terror.

Darauf können und müssen wir alle gemeinsam bauen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Wenn wir heute über die Terroranschläge von Paris reden, dür fen wir nicht vergessen, dass sie in einer Reihe stehen. Sie ste hen in einer sehr traurigen Reihe von Terrorakten. Ich erinne re an den Anschlag vom 11. März 2004 in Madrid, der fast 200 Menschenleben forderte. Ich erinnere an die Anschläge, die am 7. Juli 2005 im Berufsverkehr in London stattfanden, mit 56 Toten und vielen Hundert Verletzten. Und ich erinne re an den Anschlag am 7. Januar dieses Jahres, als das Pariser Satiremagazin „Charlie Hebdo“ und ein jüdischer Supermarkt Ziele desselben Terrors waren, der jetzt wieder zugeschlagen hat. In diese Reihe gehören auch der Anschlag, der am 10. Ok tober in Ankara stattfand, und der Anschlag am 12. Novem ber in Beirut im Libanon. Auch der Absturz der russischen Touristenmaschine in Ägypten am 31. Oktober muss wohl zu dieser traurigen Reihe gezählt werden.

Ich rufe uns alle auf, diesen Kontext nicht aus dem Blick zu verlieren und unser Mitgefühl nicht auf diejenigen zu be schränken, die uns nahe erscheinen.

Dass Deutschland und Frankreich im europäischen Einigungs prozess eng verbunden sind, ist gut. Aber wenn wir begreifen wollen, was die Terrororganisation IS mit ihren Anschlägen erreichen will, müssen wir unseren Blick weiten und müssen in den Nahen Osten, nach Syrien, in den Irak, aber auch in die Türkei schauen, und wir müssen begreifen, dass diejenigen, die heute als Flüchtlinge zu uns kommen, vielfach genau vor diesem Terror fliehen, den wir selbst erlebt haben. In diesem Sinn, aber nur in diesem Sinn, meine Damen und Herren, hän gen die Terroranschläge von Paris und unsere Willkommens kultur zusammen.

Ich finde es wichtig, dass wir uns über alle Fraktionen hinweg heute die Zeit nehmen, um die Toten und mit den Verletzten und ihren Familien zu trauern, unserem Nachbarn Frankreich unser Mitgefühl und unsere Verbundenheit zu übermitteln und die Terroranschläge einzuordnen. Zu einem besonnenen Blick gehört es, vorschnelle Forderungen zurückzustellen.

Als Reaktion auf die Anschläge auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ und den jüdischen Supermarkt in Paris hat die grün-rote Landesregierung in diesem Jahr ein Sonderpro gramm zur Bekämpfung des islamistischen Terrors schnell aufgelegt und damit zielgerichtet reagiert. Wir freuen uns, dass das Kabinett gestern den Innenminister beauftragt hat, im Lichte der aktuellen Ereignisse diese Maßnahmen mit über 100 neuen Stellen zu überprüfen und zu berichten, ob gege benenfalls nachgesteuert werden muss.

Ich möchte aber auch die Frage in den Raum stellen, was zu den Attentätern von Paris sonst noch zu sagen ist. Es waren wohl durchgängig europäische Staatsbürger, und es verdich ten sich die Anzeichen, dass es sich dabei um eine verlorene Generation handelt. In dieser Altersgruppe gibt es sehr viele junge Menschen, die keine Perspektive haben. In Frankreich lag im vergangenen Jahr die Arbeitslosigkeit in dieser Alters gruppe bei fast 25 %. Gerade Kinder und Jugendliche mit Mi grationshintergrund haben häufig keinen Schulabschluss. Mangelnde Perspektiven sind oftmals der Nährboden für Ra dikalisierung und Gewalt.

Dies bedeutet, dass wir alles tun müssen – wir haben auch in der Vergangenheit bereits sehr viel getan –, damit alle Jugend lichen eine Chance und eine gute Perspektive bekommen. Es ist gut, dass wir in Baden-Württemberg bei den Jugendlichen eine Arbeitslosenquote von unter 3 % haben.

Auch das Modellprojekt zum islamischen Religionsunterricht ist ein wichtiges und richtiges Signal in diesem Zusammen hang. Es wird weiter ausgebaut und gemeinsam mit dem Bei rat, der dieses Projekt begleitet, umgesetzt und ausgeweitet. Dass immer mehr Schulen in unserem Land islamischen Re ligionsunterricht anbieten können, ist ein wichtiger und rich tiger Baustein.

Meine Damen und Herren, die Anschläge der Terrororganisa tion IS sind Anschläge auf unsere Lebensart, auf unsere ge meinsamen europäischen Werte, auf Demokratie, Toleranz und Meinungsfreiheit. Das klarste Zeichen können wir setzen, wenn wir diese Werte, diese Lebensart nicht aufgeben. Genau dafür sollten wir alle am heutigen Tag ein Zeichen setzen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Fraktionsvorsitzendem Schmiedel das Wort.

Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! Seit Jahren zieht sich eine blutige Spur der verbrecherischen Terrororganisation Baghdadi rund um den Globus – ob auf dem indischen Subkontinent, in Afrika, in Ägypten oder im Nahen Osten und auch in Westeuropa. Die Kollegin Sitzmann hat an die Anschläge in London, in Mad rid, in Paris im Januar und jetzt wieder erinnert. Es ist ein gu tes Zeichen, dass in diesen Stunden nicht nur viele Menschen zusammenstehen und sich der gegenseitigen Solidarität und Unterstützung versichern, sondern dass wir auch im Landtag von Baden-Württemberg diese Stunde nutzen, um Gemein samkeit zu demonstrieren, Gemeinsamkeit in dem unbeding ten Ziel, diesen terroristischen Angriffen zu entgegnen.

Deshalb bin ich sehr dankbar, dass in Baden-Württemberg die se schrecklichen Ereignisse nicht dazu benutzt werden, um parteipolitische Vorteile zu erzielen. Vielmehr sehen wir, dass jetzt Parteienstreit hintanstehen muss in dem unbedingten Ziel, zusammenzustehen und nach außen zu demonstrieren, dass die Demokraten in diesem Land, in Baden-Württemberg, wehrhaft sind, zusammenstehen und sagen: Wir bieten dem Terrorismus die Stirn.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe darauf hingewiesen, dass die ganze internationale Gemeinschaft von diesen verbrecherischen Terrormilizen be droht ist und dass es deshalb auch einer gemeinsamen inter nationalen Anstrengung bedarf, um diesen Terror zu besiegen.

Es ist ein gutes Zeichen, dass in der Syrien-Konferenz in Wien erste Ansätze gefunden wurden, dass diejenigen, die aktiv, auch militärisch aktiv, gegen den sogenannten Islamischen Staat vorgehen, sich jetzt zusammenfinden, sich absprechen und sagen: Nur gemeinsam, in einer konzertierten Aktion lässt sich das Problem lösen. Jeder für sich allein wird es nicht schaffen, den Terroristen die Stirn zu bieten. Denn wir haben es mit der bisher am stärksten ausgestatteten Terrormiliz in unserer Geschichte zu tun, was die materiellen und mensch lichen Ressourcen, aber auch die potenzielle Zerstörungskraft anbelangt.

Das ist eine Riesenherausforderung, die ein einzelnes Land überfordert. Deshalb ist es gut, dass sich diejenigen, die auch militärisch in Syrien aktiv sind, zusammentun und sagen: Wir müssen uns absprechen, wer welche Aufgaben übernimmt und was das Ziel ist, damit es endlich gelingt, diesem Terror Ein halt zu gebieten, und damit eine Chance besteht, in Syrien ei nen Waffenstillstand herbeizuführen, den dieses Land ganz dringend braucht.

Wir stehen in Baden-Württemberg vor der Herausforderung, zu prüfen: Sind die Maßnahmen, die wir bisher als Reaktion auf die terroristische Gefahr ergriffen haben, ausreichend, sind sie angekommen, sind sie gut umgesetzt, gibt es zusätzliche Aufgaben? Die Landesregierung hat rasch nach den Ereignis sen im Januar bereits im Februar im Ersten Nachtrag für den Doppelhaushalt ein Antiterrorpaket geschnürt. Das ist jetzt weitestgehend umgesetzt. Wir werden prüfen, ob die Anstren gungen, die unternommen wurden, ausreichend sind oder ob man nachsteuern muss. Es ist natürlich die Frage – ganz kon kret, da wir es jetzt mit Terroristen zu tun haben, die auch Ge rät verwenden, das man üblicherweise in kriegerischen Aus einandersetzungen benutzt –, ob die Ausrüstung unserer Po lizei zur Abwehr von Waffen dieser neuen Qualität, die zum Einsatz kommen, ausreicht oder ob da nachgesteuert werden muss.

Wir werden jetzt im Zweiten Nachtrag beschließen, die Schlagkraft der Polizei auch dadurch zu erhöhen, dass poli zeifremde, vollzugsfremde Aufgaben durch Angestellte bei der Polizei erledigt werden. Das entspricht noch einmal 216 Stellen im Vollzug. Wir werden auch ganz sicher darüber re den und dann miteinander in den Haushaltsberatungen darü ber diskutieren, ob wir uns weiterhin eine Wiederbesetzungs sperre bei der Polizei auferlegen wollen – die Wiederbeset zungssperre bewirkt ja, dass für einen bestimmten Zeitraum auch im Vollzug Stellen nicht wirksam sind, weil sie einfach nicht wiederbesetzt werden können – oder ob wir nicht auch an dieser Stelle einen Schritt nach vorn machen, um die Voll zugskraft unserer Polizei zu stärken.