Protocol of the Session on October 28, 2015

Ich komme gleich darauf zu sprechen.

Das Zweite ist: Vor der Einrichtung einer Gemeinschaftsschu le kann man natürlich nicht fragen: „Sind 40 Schüler da oder nicht?“ Man muss erst einmal eine Prognose aufstellen, ob es 40 Schüler geben wird oder nicht. Darauf verweist das Minis terium immer wieder nach dem Motto: Bei Prognosen kann man sich irren. Das ist richtig. Wenn Sie sich jetzt gleicher maßen geirrt hätten, nach oben wie nach unten, könnte man sagen: „Okay, Irren ist menschlich.“ Aber es ist nicht so. Die Zahl der Fälle, in denen Sie zu optimistisch geschätzt haben, ist deutlich größer als die Zahl der Fälle, in denen Sie zu pes simistisch geschätzt haben. Abgesehen davon: Sie haben je de Menge von Standorten genehmigt, die schon nach der Pro gnose bei unter 40 Schülern lagen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Ich darf das einerseits unter Hinweis auf die Drucksache vom August 2015 belegen, aber ich will es auch einmal ganz sim pel an meinem eigenen Wahlkreis belegen. In diesem Wahl kreis gibt es fünf Gemeinschaftsschulen. Meersburg: Progno se 40 Schüler; im Schnitt der letzten Jahre tatsächlich 30, das heißt, in der Summe der Jahre nie die Zahl 40 erreicht. Ge meinschaftsschule Überlingen: Prognose 67 Schüler; tatsäch lich im Schnitt der letzten Jahre 24; wie gesagt, Zielgröße wä re 40. Man hat die Prognose verfehlt, und man hat die Min destgröße verfehlt. Macht aber nichts! Die Schule gibt es wei terhin. Gemeinschaftsschule Schreienesch, Friedrichshafen:

Prognose 57; tatsächlich 47. Gemeinschaftsschule Graf So den, Friedrichshafen: Prognose 112 – eine ehemalige Real schule, deswegen hier eine höhere Prognose –; tatsächlich 89. Gemeinschaftsschule Salem: Prognose 47. Das war noch oh ne Schließung der Realschule; die ist dann gegen den Willen der Schule geschlossen worden. Dadurch ist hier ausnahms weise die Zahl der Schüler höher als die Prognose, nämlich 83. Würde man aber jetzt noch die Abwanderung der Real schüler mit berücksichtigen, dann würde man auch hier se hen, dass das Potenzial bei Weitem nicht ausgeschöpft wor den ist.

Selbst bis in dieses Jahr hinein – obwohl Sie so langsam ja ei gentlich gemerkt haben müssten, dass diese Ministandortpo litik problematisch ist – lassen Sie noch Gemeinschaftsschu len in einer Größenordnung von 20 Schülern statt 40 zu. Ich möchte exemplarisch auf das Beispiel Ofterdingen verweisen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Es gibt noch wei tere Beispiele!)

Tatbestand ist schließlich, meine Damen und Herren, dass die Schülerzahlen sinken. Im Schuljahr 2014/2015 hatten wir 62 Gemeinschaftsschulen mit steigenden Schülerzahlen – erfreu lich für Sie –, aber 124 – genau die doppelte Zahl – mit sin kenden Schülerzahlen. Gemessen an den Anmeldezahlen des Jahres 2015/2016, also des laufenden Schuljahrs, lautet der Anteil der Gemeinschaftsschulen mit sinkenden Schülerzah len wie folgt: Regierungspräsidium Stuttgart 62 %, Regie rungspräsidium Freiburg 54 %, Regierungspräsidium Karls ruhe 63 %, Regierungspräsidium Tübingen 54 %. Landesweit verzeichnen 59 % der Gemeinschaftsschulen sinkende Schü lerzahlen.

Abgesehen davon: Früher waren es weniger Schulen mit sin kenden Schülerzahlen, mittlerweile sind es mehr. Ich will das jetzt in Zahlen nicht mehr im Einzelnen ausführen, weil sich meine Redezeit dem Ende zuneigt.

Ich will aber noch einmal einen Blick in die Zukunft werfen. Beispiel Regierungsbezirk Tübingen: Wir haben in diesem Regierungsbezirk 58 Gemeinschaftsschulen. Davon haben be reits 19 Schulen weniger als 19 Schüler pro Klasse. Bei 16 ist die Grenze erreicht.

(Glocke des Präsidenten)

Kollege Müller, gestatten Sie ei ne Zwischenfrage der Kollegin Gurr-Hirsch?

Bitte schön, Frau Kollegin.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Das kann man doch nach Feierabend machen! – Gegenruf der Abg. Ni cole Razavi CDU: Da haben wir nie Zeit!)

Herr Abg. Müller, mir macht Sorge, wenn ich höre, dass 59 % der Gemeinschafts schulen unter der berechneten Schülerzahl liegen, dass die Schulträger, sprich die Kommunen, hier in eine Investitions richtung gelenkt werden, die dann eine finanzielle Fehlleis tung produziert. Gibt es schon Aufschreie von Kommunen,

(Zuruf der Abg. Muhterem Aras GRÜNE)

die Millionen in Ganztagseinrichtungen investieren?

Das ist mir bis jetzt nicht bekannt. Aber es ist klar: Wenn die Wirklichkeit so gnadenlos auf den Tisch kommt, von Jahr zu Jahr mehr, dann wird man sich fra gen: Haben wir aufs falsche Pferd gesetzt?

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Das ist dann nicht nur das falsche Pferd gewesen, was die Schulkonzeption anbelangt, sondern natürlich auch in finan zieller Hinsicht. Die Kommunen sind die Gelackmeierten, und das ist das Tragische. Sie wollten ihre Standorte erhalten und erreichen im Prinzip neben Mehrausgaben, dass Standorte ge nauso gefährdet sind – mit einer gewissen Verzögerung – wie vorher.

Zurück zum Regierungspräsidium Tübingen. Wie gesagt, von 58 Schulen haben 19 Schulen bereits weniger als 19 Schüler pro Klasse, und 14 von diesen 58 Gemeinschaftsschulen sind nur einzügig.

Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen. Ich habe jetzt nicht davon gesprochen, mit welchen Methoden die Schüler zahlen möglichst nach oben getrieben worden sind. Ich will das jetzt im Einzelnen gar nicht schildern. Ich habe z. B. heu te noch eine Mail bekommen

(Zuruf der Abg. Muhterem Aras GRÜNE)

von einer Mutter, die beschrieben hat, dass es mittlerweile auch Tricksereien bei den Schulbezirkszuweisungen gibt,

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Es soll auch Schlecht redner in den Reihen der Abgeordneten gegeben haben!)

nur damit Kinder in die Gemeinschaftsschule gebracht wer den können.

Ich habe auch nicht von qualitativer Bewertung der Gemein schaftsschulen gesprochen. Diese Qualitätsfragen werden üb rigens mit den zunehmenden Flüchtlingskinderzahlen noch weiter strapaziert werden; denn man kann sich vorstellen, dass jetzt erst recht die Gemeinschaftsschule zur Quadratur des Kreises wird,

(Zuruf des Abg. Claus Schmiedel SPD)

wenn man sich klarmacht, welche pädagogischen Anforde rungen bei Flüchtlingskindern zu erfüllen sind.

Ich habe auch nicht davon gesprochen, welche Intransparenz es im quantitativen und qualitativen Vergleich gegenüber den Gemeinschaftsschulen gibt. Es ist gar nicht nötig, das alles zu erwähnen.

Die Zahlen sprechen für sich, und sie lassen einen simplen Schluss zu. Dieser Schluss heißt, dass das Experiment Ge meinschaftsschule schon am Ende der ersten Legislaturperi ode an seine Grenzen gestoßen ist, an seine Akzeptanzgren zen, dass es ein Auslaufmodell ist, was den Zuwachs anbe langt, und dass es am Ende ist, bevor es eigentlich richtig be gonnen hat.

So ist es, meine Damen und Herren, wenn man Politik gegen die Bürger und Schulpolitik gegen die Eltern macht.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jawohl! So ist es!)

Dann stößt man an die Grenzen der Wirklichkeit,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Genau!)

wie das leider in einigen anderen Bereichen der Bildungspo litik auch der Fall ist.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich Frau Kollegin Boser das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Müller, ich weiß und wir wissen, dass Sie von der Gemeinschaftsschule erst einmal nichts halten. Das hat schon Ihr Vorgehen in Ih rem eigenen Ort, in Salem, gezeigt,

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

als Sie damals die Einführung der Gemeinschaftsschule ver hindern wollten, mit welchen Mitteln Sie vorgegangen sind. Noch dazu haben Sie im Ausschuss Fragen gestellt, die ei gentlich in den Gemeinderat gehören.

Ich will an dieser Stelle eine ganz einfache Frage stellen. Wie interpretieren Sie folgende Zahlen? Ich sage jetzt keine Schul art dazu. Schuljahr 2010: 345 998 Schülerinnen und Schüler; Schuljahr 2013: 317 073 Schülerinnen und Schüler, ein Rück gang der Schülerzahl von 9 %. Welche Schulart kann das sein?

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Realschule!)

Wir sind beim Gymnasium. Sie wollen doch jetzt nicht allen Ernstes dem Gymnasium angesichts der sinkenden Schüler zahlen unterstellen, dies sei eine Schulart, die keine Beliebt heit mehr hat, der die Eltern keine Zukunft zuweisen und von der die Schüler weglaufen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Wissen Sie, man kann über Zahlen viel diskutieren, auch über das, was Sie gestern in Ihrer Pressemitteilung mit der Über sicht der Zahlen an den Gemeinschaftsschulen dargestellt ha ben. Ja, es gibt unterschiedliche Anmeldezahlen. Man kann die Zahlen drehen: Es gibt 30 %, die die Prognosen nicht er füllt haben. Man kann sagen, es gibt 70 %, die steigende Schü lerzahlen haben. Man kann es hin und her drehen, wie man will. Jeder zieht sich das heraus, was er am liebsten hören will.

Bei Ihnen ist völlig klar – man muss nur Ihr Regierungs- oder Wahlprogramm anschauen –, was Sie von der Gemeinschafts schule halten. Da gibt es Überschriften – ich hätte nicht er wartet, dass man so etwas in einem Wahlprogramm von einer Partei zu einer Schulart liest –: „Grün-rote Gemeinschafts schule funktioniert nicht“, „Gemeinschaftsschule gescheitert“. Ich weiß nicht, was man nach außen noch mehr sagen muss als einfach diese beiden Überschriften.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Es ist völlig klar, was Ihr Ziel in diesem Land ist. Sie kämp fen gegen die Gemeinschaftsschule, und alles andere, was Sie hier mit sachlichen Mitteln vorzutragen versuchen, ist einfach nur eine Farce.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Und Sie wollen die Realschu le zur Gemeinschaftsschule machen! Sie entwickeln sie weiter zur Gemeinschaftsschule!)