Protocol of the Session on October 14, 2015

Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen und Kollegen! Die Kommunalwahl 2014 liegt nun schon ein paar Tage zurück. Daher ist es schade, dass wir uns erst jetzt mit den Ergebnissen aus dieser Wahl und den sich dar aus ergebenden Veränderungen beschäftigen. Wir haben da mals eine Sollregelung vereinbart und wollten auch einmal nachschauen, ob diese tatsächlich zum Erfolg geführt hat.

Wir sprechen aber heute darüber. Es ist sozusagen nie zu spät. Wir werden uns anhand des Antrags noch einmal genau an schauen, welche Rückschlüsse wir daraus auch für die kom mende Kommunalwahl ziehen können.

Zunächst einmal konstatiere ich, dass es noch nie einen so gro ßen Anstieg bei den gewählten Bewerberinnen gegeben hat. Bei den Kreistagen stieg die Anzahl der gewählten Bewerbe rinnen um 16 % und bei den Gemeinderäten um 7 %. Das ist ein großer Sprung. Wenn wir uns aber anschauen, wo wir her kommen, so stellen wir fest, dass wir leider immer noch ganz unten sind.

Außerdem ist die Anzahl der Gemeinderäte in Baden-Würt temberg, in denen keine einzige Frau vertreten ist, von 72 bei der Kommunalwahl 1999 auf jetzt immerhin 22 gesunken. Al lerdings gibt es immer noch 22 Gemeinderäte, in denen kei ne einzige Frau vertreten ist.

So weit die guten Nachrichten. Ich glaube, wir können doch sagen, dass auch dieser kleine Sprung eindeutig auf diese Än derung, die Sollregelung, zurückzuführen ist.

Der Anteil der Frauen in Baden-Württemberg in den kommu nalen Gremien ist aber natürlich immer noch auf einem er schreckend niedrigen Niveau. Insgesamt liegt der Anteil der Frauen in unseren Gemeinderäten immer noch unter einem Viertel und bei den Kreistagen unter einem Fünftel.

Innerhalb der Europäischen Union stehen wir damit nur noch geringfügig vor Griechenland, Zypern und Malta. Bei unse rem Nachbarn Frankreich – wir wissen, dort gibt es ein Pari té-Gesetz – liegt der Anteil bei 40 %.

Ich will einfach einmal erläutern, wie diese Zahlen von außen betrachtet aussehen. Wäre Baden-Württemberg ein Beitritts kandidatenstaat für die Europäische Union, würden uns in den Beitrittsverhandlungen Auflagen erteilt, nach denen wir den Frauenanteil in den Kommunalparlamenten erhöhen müssten.

Die Europäische Union fördert solche Maßnahmen übrigens in ihrer Außenpolitik für Entwicklungsstaaten.

Welche Erklärungen finden wir für die schlechten Zahlen in Baden-Württemberg? Lassen Sie mich vorausschauend einen Blick in unser kommendes gleichstellungspolitisches Geset zesvorhaben werfen, in das Chancengleichheitsgesetz.

Wenn Frauen nach Inkrafttreten dieses Gesetzes deutlich zahl reicher in Gremien sichtbar vertreten sind, können sie Einfluss nehmen und mitgestalten, und das wird sich, wie ich meine, auch auf die Wahrnehmung der Wählerinnen deutlich auswir ken. Genau deshalb muss man politisch unterstützen, auch for dern, dass mehr Frauen in allen Gremien in Politik, Gesell schaft und Wirtschaft sichtbarer werden und vor allem dass sich ihre Zahl insgesamt vergrößert.

Ich würde sogar so weit gehen, die Vergabe von Fördermit teln des Landes mit dem Anteil von Frauen in den entspre chenden Gremien zu verbinden. Leider sind wir in der politi schen Diskussion noch nicht an diesem Punkt angelangt. Der Bund macht dies bereits an einigen Stellen. Warum nicht auch wir eines Tages? Wenn sich also nicht bald etwas Entschei dendes, das Bewusstsein, ändert, muss man hier vielleicht, wie auch in der aktuellen Situation der Wirtschaft mit der Frauenquote, auch über solche Instrumente nachdenken.

Wie aber haben die Parteien und Wählervereinigungen die Sollregelung umgesetzt? Wie wurde der Bitte des Landtags Folge geleistet, in die Satzungen der Parteien Regelungen auf zunehmen, welche der Partizipation von Frauen und damit der gleichberechtigten Teilhabe Rechnung tragen?

In der Stellungnahme finden wir folgende Antworten: Die CDU redet von starker Bewusstseinsveränderung und der Ab sicht, ein Drittel mehr Beteiligung von Frauen, sprich Man daten, erreichen zu wollen. Die Grünen haben ohnehin ein Frauenstatut. Auch die SPD hat neben ihrer bereits praktizier ten Frauenquote rechtzeitig vor der Kommunalwahl für die Listenaufstellung ein Reißverschlussverfahren beschlossen. Die FDP Baden-Württemberg hat gar nichts. Entsprechende Anträge fanden in dieser Partei auch nie eine Mehrheit.

Wenn wir uns nun die Ergebnisse der Kommunalwahl 2014 anschauen, können wir Folgendes feststellen: Die Grünen ha ben bezogen auf die Gemeinden, in denen eine eigene Liste aufgestellt wurde, die Gleichstellung nahezu erreicht.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Sehr richtig!)

Die SPD folgt an zweiter Stelle. Sie hat sich gegenüber 2009 verbessert. Aber auch bei uns ist noch deutlich Luft nach oben. Immerhin liegt hier der Frauenanteil bei den Kandidierenden bei 35,7 % und bei den Gewählten bei 33,3 %. Die anderen Parteien ziehen hinterher. Die Differenz zwischen dem Anteil der Frauen unter den Kandidierenden und den Gewählten steht in einem Zusammenhang dazu, wie wenig sich diese Partei en oder Vereinigungen zur Gleichstellung auf den Listen be kennen.

Bei der CDU liegt der Frauenanteil bei den Kandidierenden bei 24,7 % und bei den Gewählten bei 18,9 %. Bei der FDP sieht es noch schlimmer aus: Der Frauenanteil unter den Kan didierenden beträgt 30,1 % und der unter den Gewählten 17,7 %.

Ferner gibt es eine erhebliche Diskrepanz zwischen ländli chen und städtischen Wahlkreisen. So sieht man in vielen sehr kleinen Gemeinden aufgrund des noch immer vorhandenen konservativen Gesellschaftsbilds kaum eigene Listen bei der SPD und auch bei den Grünen.

Ich hätte bei der Änderung des Kommunalwahlrechts gern schärfere Regelungen zur Gleichstellung gehabt. Aber auch ich musste mich belehren lassen, dass hier verfassungsrecht liche Grenzen im Hinblick auf die Freiheit der Parteien beste hen. Aber ich füge auch hinzu: Es wird irgendwann zu disku tieren sein, ob die Freiheit der Parteien höher zu bewerten ist als Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes. Da geht es um die Durchsetzung der Gleichberechtigung und die Beseitigung von Nachteilen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen)

Aber es ist natürlich auch möglich, dass die Parteien selbst Beschlüsse mit dem Ziel fassen, die Chancengleichheit zwi schen Männern und Frauen bei den Wahlen zu gewährleisten. SPD und Grüne haben ganz konkrete Beschlüsse dazu in ih ren Satzungen. Deshalb stehen sie im Hinblick auf die Chan cengleichheit auch viel besser da als die CDU oder gar die FDP.

Jetzt würde ich Herrn Wolf – er ist nicht da – und auch Herrn Dr. Rülke – ebenfalls nicht da – gern fragen: Wann werden Sie in Ihren Parteien endlich solche Regelungen auf die Ta gesordnung Ihrer Parteitage bringen? Wir leben schließlich im 21. Jahrhundert.

Und noch etwas: Moderne Parteien müssen sich auch abgren zen von Ewiggestrigen. Am letzten Sonntag haben hier in Stuttgart über 5 000 Menschen u. a. mit dem Slogan demons triert: „Stoppt die Gender-Agenda!“

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Hier gibt es doch Meinungsfreiheit, oder nicht?)

Sie meinen damit u. a. genau die Prinzipien des Gender-Main streaming, die alle Frauenministerinnen, die die CDU in den letzten Jahren im Bund und in den Ländern gestellt hat, vor angetrieben haben und die nicht zuletzt auch von den jewei ligen CDU-Regierungschefs einschließlich der Bundeskanz lerin, Frau Dr. Merkel, unterzeichnet worden sind.

Wer läuft diesen Ewiggestrigen bei dieser Demo hinterher? Da lohnt ein Blick auf die Internetseite „Demo für alle“. Da steht neben einigem Unsäglichen auch der Satz „Stoppt die Gender-Ideologie“. Und wer findet sich denn unter den Un terzeichnern? Die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU Rhein-Neckar,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

die evangelischen Arbeitskreise der CDU aus Stuttgart und Heilbronn,

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Oh nein!)

die Junge Union Rems-Murr, und wenn ich mir vor Augen führe, wer da noch steht, kann ich nur sagen: unsägliche Ge sellschaft, in der sich da einige befinden.

(Zurufe von der SPD: Oi, oi, oi! – Abg. Claus Schmie del SPD: Das wird ja immer schlimmer! – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Haben Sie ein Problem mit Meinungsfreiheit?)

Meinungsfreiheit? Es geht hier um das Rollenbild in der Ge sellschaft, und diese Leute vertreten ein komplett rückwärts gewandtes Rollenbild.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sie wollen doch Ihr Bild aufzwingen!)

Sie müssen in der CDU einmal grundsätzlich klären, wo Sie die Rolle der Frau in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik se hen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Thomas Blenke CDU: Sie müssen auch einmal ein paar Rol len klären!)

Ich möchte mit einer bemerkenswerten Aussage des langjäh rigen SPD-Bundesvorsitzenden Hans-Jochen Vogel schließen. Er war damals aktiv an der Quotenregelung in der SPD betei ligt, und er sagte einmal: „Die Quote brachte mehr Frauen in die Parlamente und damit mehr Qualität.“ Dem ist nichts hin zuzufügen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort Frau Abg. Gurr-Hirsch.

(Zuruf von der SPD: Das wird jetzt schwierig! – Zu ruf von der CDU: Jetzt kommt Qualität!)

Sehr geehrte Frau Prä sidentin, liebe Kollegen und Kolleginnen! Sehr gut verstehe ich, dass Frau Wölfle unmittelbar nach der vergangenen Kom munalwahl im frühen Juni 2014 wissen wollte, ob die Soll vorschrift aus dem Kommunalwahlgesetz gewirkt hat. Viel leicht war es die Enttäuschung über den mageren Zuwachs um 1,9 Prozentpunkte von 22 % im Jahr 2009 auf 23,9 % in den Gemeinderäten oder von 16 % im Jahr 2009 auf 18,9 % bei den Kreistagen, die diesen Antrag dann 16 Monate in der Versenkung verschwinden ließ. Ich jedenfalls war enttäuscht über diesen zarten Zuwachs bei der Frauenbeteiligung.

Zusammen mit meinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern ha ben wir im Jahr 2013 im Vorfeld der Kommunalwahl über 40 Veranstaltungen zwischen dem Landkreis Waldshut und Mann heim, zwischen Offenburg und Sigmaringen gemacht. Dane ben lief parteiintern auch die Aktion „Frauen im Fokus“.

(Zuruf der Abg. Rita Haller-Haid SPD)

Wir wollten damit die Menschen in unserer Partei und die Menschen in den Gemeinden insgesamt motivieren, sich zur Verfügung zu stellen, aber vor allem bewirken, dass Frauen sich in den Gemeindeparlamenten aufstellen lassen. Aber mein Fazit ist: Es geht bei der Frauenbeteiligung seit 1980 langsam aufwärts, aber der Fortschritt ist eine Schnecke.

Woran liegt es? Bis vielleicht auf die größeren Städte, wo es um knallharte Kämpfe um Plätze auf der Liste geht, sind es

nicht unbedingt die Männer, die die Frauenkandidaturen ver hindert haben.

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: Genau!)

Es ist vielmehr so – Sie haben den ländlichen Raum und die kleinen Städte, die Mittelstädte angesprochen –, dass es zu nehmend schwieriger wurde, überhaupt Kandidaten zu finden, egal, ob männlich oder weiblich. Ich bin leider schon ziem lich gereift. Seit ca. 40 Jahren habe ich an der Aufstellung von Listen mitgewirkt, doch noch nie war es so schwierig wie heu te. Es ist weiß Gott keine Komm-Struktur bei den Kandida ten. Man muss sie vielmehr suchen, man muss sie beknien, man muss ihnen das Amt schmackhaft machen. Ich glaube, dass durch Quoten bei Frauen hier auch nichts erreicht wor den wäre, was die Bereitschaft zur Kandidatur insgesamt an geht.

(Zuruf der Abg. Beate Böhlen GRÜNE)

Wir wissen – Sie haben es angesprochen –, dass eine Quote sowieso nicht infrage kommt, weil sie den Artikeln 21 – Par teien – und 38 – Wahlen – des Grundgesetzes widerspricht. Möglicherweise kann es die Doppel- und Mehrfachbelastung sein, die die Menschen heute im Beruf und dann im Ehrenamt und in der Familie haben, die dazu führt, dass man die Über nahme eines Amts ablehnt und sich nicht zur Verfügung stellt. Möglicherweise ist es aber auch so, dass die Wähler gegen über den Mandatsträgern immer fordernder werden und zu nehmend kritisch auftreten. Ich glaube, das wollen sich viele nicht antun. Das zeigten auch die im Vorfeld geführten Ge spräche. Noch nie habe ich so viel Zeit und Kraft aufgewen det, um Bürgerinnen und Bürger für eine Kandidatur zu be wegen, wie bei der vergangenen Wahl.