Protocol of the Session on October 1, 2015

Es verwundert nicht, dass immer mehr junge Menschen nicht selbstständig werden wollen. Etwas zu unternehmen ist sus pekt, etwas zu unterlassen wünschenswert.

(Zuruf der Abg. Sabine Wölfle SPD)

Der Unterlasser ist der Held im Erdbeerfeld, wo der Lebens unterhalt aus der Staatskasse kommt und die Übernahme von Eigenverantwortung verdächtig macht.

(Abg. Wolfgang Raufelder GRÜNE: Zeit!)

Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum alle neuen Inno vationen nicht mehr aus Deutschland kommen? Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum wir bei der Digitalisierung einen Stehplatz auf den Zuschauerrängen haben? Bei neuen Technologien sind wir nur noch Mitläufer und nicht mehr Ge stalter.

(Abg. Nikolaos Sakellariou SPD: Redezeit!)

Das ist Ihre Wirtschaftspolitik. Die Unternehmen brauchen weniger Bürokratie und mehr Wettbewerbsfähigkeit. Frau Nahles sagt, der Mindestlohn und ihre Verordnungen „sind die größten Reformen seit Jahrzehnten und stärken die sozia le Marktwirtschaft“. Ludwig Erhard hätte das nicht gewollt. Er setzte auf Leistung des Einzelnen, nicht auf Bevormun dung und nicht auf Wellnessoasen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

An Ihrer Planwirtschaft wird sich die Welt nicht ausrichten, sondern an Leistung und Eigenverantwortung.

Ich hatte gehofft, der Himmel würde der Landesregierung ein wenig Hirn runterwerfen.

(Abg. Walter Heiler SPD: Sie hat er nicht getroffen!)

Aber so viel Hirn, da ist selbst der Himmel bei Ihnen überfor dert.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Karl Zimmermann CDU: Aloisius lässt grüßen!)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich das Wort Frau Abg. Lindlohr.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Zurück zum Thema „Mindestlohn in Handwerk und Mittelstand“, das die FDP/DVP beantragt hat. Heute ist der 1. Oktober. Heute ist der Tag, an dem der bran chenspezifische Mindestlohn in der deutschen Fleischindust rie, den es immer noch gibt, auf 8 € steigt. Er steigt auf 8 €, weil für diese schlecht bezahlte Branche ein Stufenplan aus gearbeitet worden ist, wie sie nach und nach den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 € erreicht. Diesen erreichen heute die Beschäftigten der Fleischindustrie noch nicht. Ab heute sind es 8 €, eine Folge des von CDU und SPD auf Bundesebene beschlossenen Mindestlohngesetzes.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Sie können sich heute hier entscheiden: Sind Sie dafür, dass auch die Beschäftigten in der Fleischindustrie heute dabei sind? Meine Fraktion unterstützt dies.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der Abg. Sabine Wölfle SPD – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Spärlicher Beifall! – Abg. Claus Paal CDU: Das ist ein Tarifvertrag! – Zuruf des Abg. Karl Zim mermann CDU)

Der Lohn wäre nicht gestiegen, wenn es diese Vereinbarung nicht gäbe, wie auch die Fleischindustrie nach und nach auf 8,50 € kommt.

(Zuruf des Abg. Claus Paal CDU)

Nun sind wir in Baden-Württemberg. Das Fleisch, das für die Wurst in den Supermärkten in unserem Land verarbeitet wird, wird ganz oft nicht in Fabriken bei uns hergestellt, sondern in den großen Fabriken z. B. in Niedersachsen. Deswegen ist Ba den-Württemberg als Arbeitsstandort nicht so sehr davon be troffen, die Verbraucherinnen und Verbraucher im Land aber sehr wohl.

Aber auch bei uns in Baden-Württemberg schützt der Min destlohn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Lohndum ping. Er trägt dazu bei, die Steuerzahlerinnen und Steuerzah ler von Zahlungen für aufstockendes Arbeitslosengeld II zu entlasten, und er trägt dazu bei, dass der Mittelstand und das Handwerk in unserem Land nicht in einem verzerrten, son dern in einem fairen Wettbewerb unterwegs sind und mit ih ren Kompetenzen und fair bezahlten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Aufträge an Land ziehen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Deswegen unterstützen wir den seit 1. Januar geltenden ge setzlichen Mindestlohn weiterhin ganz grundsätzlich. Es stimmt, dass das, was man messen kann, nämlich die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, in den entspre chenden Branchen gestiegen ist. Die Zahlen sind durchaus er heblich: im Gastgewerbe und im Handel mehr sozialversiche rungspflichtig Beschäftigte, weniger Aufstocker. Selbstver ständlich gibt es auch einen konjunkturellen Effekt. Diesen kann man nicht genau bemessen. Wir müssen die Daten neh men, die wir haben, und diese besagen: Es geht in die richti ge Richtung.

Natürlich ist nichts so gut, dass man es nicht noch verbessern kann. Das gilt ganz bestimmt auch für Beschlüsse von CDU und SPD auf Bundesebene. An dem bürokratischen Aufwand gab es berechtigte Kritik, gerade aus dem Handwerk und auch aus der Landwirtschaft. Darum begrüßen wir es, dass die Bun desarbeitsministerin den bürokratischen Aufwand beim Min destlohn nun verringert hat, dass die Dokumentationspflich ten in den neun Branchen bei langfristigen Beschäftigungs verhältnissen mit einem regelmäßigen monatlichen Arbeits entgelt von über 2 000 € brutto nicht mehr gelten, dass sie nicht mehr bei Familienangehörigen gelten und dass man für den Transitverkehr jetzt eine eigene Regelung finden muss. Das ist pragmatisch, das war an der Zeit, und das finden wir richtig.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Wir erwarten weiter von der Bundesregierung und den Bun desbehörden eine praktikable Herangehensweise. Viel Kritik am Mindestlohn bezieht sich ja eigentlich auf das Arbeitszeit gesetz, das jetzt auf einmal näher betrachtet wird. Dass Ar beitnehmer nicht mehr als acht Stunden am Tag arbeiten sol len, ist natürlich eine wichtige Errungenschaft der Arbeitneh merbewegung. Dennoch sieht die Praxis oft anders aus. Das ist nicht in jedem Fall ganz verwerflich. Es gibt beispielswei se Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hier in der Region,

die jeden Herbst zwei, drei Wochen lang in die Weinlese rund um Stuttgart gehen und da aushelfen, nachdem sie beim Daim ler mit der Schicht fertig sind. Solche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Betriebe sollten nicht unnötig gegän gelt werden. Die Ausnahmen, die man machen kann, die es für klassische Saisonarbeitskräfte schon gibt, sollten auch ganz praktisch Anwendung finden, damit die betroffenen Ar beitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihre Betriebe nicht in den Ruf der Illegalität kommen. Hier verlangen wir Augen maß.

(Beifall bei den Grünen)

Völlig fehl geht die Forderung, die der Kollege Rülke heute Morgen bei der Regierungserklärung ausgesprochen hat und die wir im Bund z. B. vom Abgeordneten Jens Spahn gehört haben, den Mindestlohn für Flüchtlinge auszusetzen.

(Abg. Rainer Hinderer SPD: Völliger Quatsch!)

Das ist wirtschaftspolitischer Unsinn, das ist gesellschaftspo litischer Unsinn, und dem stellen wir uns entgegen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Rainer Hinderer SPD: Bravo!)

Gesellschaftspolitisch ist es hochgefährlich, zu sagen: Es soll wieder eine neue Zeit des Lohndumpings kommen, weil die Flüchtlinge da sind. Wenn etwas Ängste schüren kann, dann so etwas. Das ist die völlig falsche Richtung.

Integrationspolitisch wäre das Signal, das damit verbunden wäre: Flüchtlinge sollen eigentlich nur im Niedriglohnsektor arbeiten und am besten auch möglichst lange als Aufstocker Transferleistungsempfänger sein. Denn bei unter 8,50 € ist es kaum anders möglich, über die Runden zu kommen. Daher kommen ja diese Zahlen bei den Aufstockern. Wir haben heu te gemeinsam gesagt: Integration von hier Ankommenden ist die nächste große Aufgabe. Also darf man auf keinen Fall die sen integrationspolitisch falschen Schritt machen, den Min destlohn hier auszusetzen.

Wirtschaftspolitisch würde tatsächlich die Aussetzung des Mindestlohns das Lohndumping in den prekären Branchen wie der eben zitierten Fleischindustrie wieder fördern. Dem stellen wir uns entgegen. Das wäre ein völlig falsches Signal. Ich danke durchaus dem Kollegen Volker Kauder im Deut schen Bundestag, der das jetzt inzwischen auch zurückgewie sen hat. Wir sind sehr froh, dass das wohl nicht kommen wird, und hoffen, dass alle Töne dazu auch bald vorüber sind.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das will auch unser Handwerk nicht. Die wollen gut zahlen und keinen verzerrten Wettbewerb. Gestern beispielsweise traf ich zufällig hier in der Lobby Herrn Thomas Conrady. Er ist Landesinnungsmeister der Gebäudereinigerinnung und Präsi dent der IHK Hochrhein-Bodensee. Er hatte gestern hier Ge spräche. Wir hatten auch schon Gespräche mit ihm. Vielleicht stehen Sie ja auch in Kontakt mit ihm. Er sagte: Jetzt bloß nicht den Mindestlohn wegen der Flüchtlinge aufheben!

(Ministerin Katrin Altpeter: Genau!)

Ich hoffe, er sagt es auch Ihnen, wenn Sie mit ihm sprechen.

(Abg. Nikolaos Sakellariou SPD zu CDU und FDP/ DVP: Sie müssen nur zuhören!)

Mit dieser Forderung, die Herr Rülke heute Morgen hier noch mals erhoben hat, tun Sie dem Handwerk und dem Mittelstand einen Bärendienst, und Sie schaden der Integration. Das kann sich unser Land nicht leisten.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Nikolaos Sakellariou SPD: Er hat gar nicht zugehört!)

Ich weiß sehr wohl, dass Herr Präsident Kulitz diese Forde rung aufgestellt hat. Aber es gibt auch ganz andere Perspek tiven, und ich denke, die IHKs werden sich hier mit ihren Po sitionen noch miteinander beschäftigen. Das Handwerk denkt schon in eine ganz andere Richtung. Es gibt eine Resolution des Beirats des BWHT vom März. Die fragen: Was sind denn jetzt die Folgen aus dem Mindestlohn? Die Folgen, die sie ab leiten, sind: Wir brauchen mehr soziale Sicherung für Solo selbstständige. In diese Richtung laufen die Gedanken bei un serem Handwerk, und das finden wir richtig.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Sie haben vielleicht gesehen: Es gibt eine dpa-Meldung von heute über eine Umfrage des BWHT unter seinen Mitglieds betrieben. Die Überschrift ist: „Gute Stimmung im Südwest handwerk“. Demnach gehen mehr als zwei Drittel der Betrie be optimistischer in das Jahr als im Vorjahr.

Wir unterstützen das Handwerk, den Mittelstand, die Arbeit nehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir unterstützen einen Min destlohn, der praktikabel umgesetzt wird und gegen Lohndum ping hilft, und das alles zum Wohl unseres Landes. In diese Richtung gehen wir.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Für die SPD-Fraktion er teile ich das Wort Herrn Abg. Hinderer.