Jetzt komme ich zu den andere Punkten: Das Gelingen der In klusion ist mit diesen Grundentscheidungen aber noch nicht gesichert. Die inklusive Beschulung muss auch verantwort lich umgesetzt werden. Ist das hohe Niveau der sonderpäda gogischen Förderung auch an den allgemeinen Schulen ga rantiert? Bleiben die früheren Sonderschulen erhalten, oder bluten sie langsam aus? Ist die Finanzierung solide und ver lässlich geregelt? Werden die Eltern unterstützt? Wird die Ver unsicherung, die bei Eltern und Schulen weiter gewachsen ist, endlich beseitigt? – All dies ist nicht der Fall.
In den schriftlichen Stellungnahmen und in der Anhörung im Ausschuss gab es eine breite Front der Zweifel und Befürch tungen. Zu viele Fragen sind ungeklärt, zu viele Probleme un gelöst. Ihr Gesetzentwurf wird an vielen Stellen als zu vage formuliert kritisiert.
(Abg. Sandra Boser GRÜNE: Jahrelang? Sie sind jahrzehntelang nicht vorangekommen! Das geht gar nicht!)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Karl-Wil helm Röhm CDU: Genau so ist es! – Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Das ist schon mutig, Kollegin!)
Ihnen ist die Zeit weggelaufen. Das sollen nun die Kinder und die Eltern, die Lehrkräfte, die Landkreise und die Schulträger ausbaden.
Meine Damen und Herren, die CDU-Fraktion nimmt die Be troffenen ernst. Wir haben Respekt vor dem, was uns die Be troffenen zu sagen haben. Wir haben deshalb die vorliegen den 19 Änderungs- und Entschließungsanträge eingebracht, die insbesondere folgende Ziele verfolgen:
Erstens: Wir wollen, dass bei beiden Wahlmöglichkeiten – In klusion an der allgemeinen Schule und Besuch einer Sonder schule – die bestmögliche Förderung sichergestellt ist. Des halb müssen die personellen, sächlichen und räumlichen Res sourcen an den allgemeinen Schulen von gleich hoher Quali tät wie an den Sonderschulen sein. An den Regelschulen müs sen im Interesse der Kinder mit und der Kinder ohne Förder bedarf ausreichend Lehrer vorbereitet sein.
Zweitens: Wir wollen, dass die Sonderschulen nicht ausblu ten. Deshalb beantragen wir, dass die Einstellung und Veror tung der Sonderpädagogen an den allgemeinen Schulen erst dann erfolgen kann, wenn auch die Unterrichtsversorgung an den Sonderschulen gesichert ist.
Drittens: Wir wollen, dass die Privatschulen, die 30 % der Schüler mit Behinderungen beschulen, dies zu fairen finanzi ellen Bedingungen tun können. Zwar bekommen die freien Schulen zusätzlich zum Klassenlehrer notwendige sonderpä dagogische Förderung bezahlt, aber sie müssen den Wegfall des Kopfsatzes hinnehmen; für die Finanzierung reicht das nicht.
Viertens: Wir wollen, dass die Außenklassen als gleichwerti ges Angebot der Inklusion neben der Beschulung in den Son derschulen und an der allgemeinen Schule angeboten werden.
(Abg. Thomas Poreski GRÜNE: Das ist keine Inklu sion! Das ist Integration! – Gegenruf des Abg. Georg Wacker CDU)
Fünftens: Wir wollen die Eltern nicht alleinlassen. Sie sollen nicht als Bittsteller von Pontius zu Pilatus laufen müssen und an den Reibungspunkten von pädagogischer Förderung, Ju gendhilfe und Eingliederungshilfe verzweifeln.
Sogar das Herzstück des Gesetzentwurfs, die Bildungswege konferenz, ist noch immer eine Blackbox. Die konkreten Ent scheidungskriterien, an welche Schule ein Schüler mit Behin derung empfohlen wird, sind für die Beteiligten nicht erkenn bar. Hier sind Konflikte vorgezeichnet.
Wir wollen deshalb den Eltern Elternlotsen durch den dichten Verwaltungsdschungel und einen Landesombudsmann zur Streitschlichtung zur Seite stellen.
Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat sich mit dem Gesetzentwurf auf den Weg gemacht, aber sie ist noch nicht am Ziel. Dem Gesetz zum Ausgleich kommunaler Auf wendungen stimmen wir zu, weil hier wesentliche Dinge wirklich auch geregelt sind.
Aber dem Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes können wir so nicht zustimmen. Zwar werden wichtige Grundentschei dungen richtig getroffen, aber zu viele Probleme sind unge löst. Wir stimmen dem Gesetz zu, wenn die Regierungsfrak tionen bereit sind, gemeinsam an einer Verbesserung des Ge setzes zu arbeiten, und wesentliche Punkte unserer Anträge unterstützen. Sonst können wir dem Gesetz nicht zustimmen.
Der Landes-Behindertenbeauftragte, Herr Weimer, hat uns bei der Anhörung zur Geschlossenheit aufgerufen. Sie haben un ser Angebot zur Zusammenarbeit weder gehört und schon gar nicht angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt besteht die Chance, Ei nigkeit nicht nur im Ziel, sondern auch in den wesentlichen Punkten der Umsetzung zu erzielen. Vertun Sie Ihre Chance nicht!
Frau Präsidentin, sehr ge ehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Zwischen der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs und der heutigen zweiten Lesung standen für den Bildungsausschuss zwei prägende Ereignisse: die Informationsreise nach Südti rol und die öffentliche Anhörung am 1. Juli.
Südtirol hat uns gezeigt, was es bedeutet, wenn eine Bildungs kultur inklusiv geprägt ist, wenn Kinder mit Beeinträchtigun gen von Anfang an ganz selbstverständlich dazugehören – in den Kindertagesstätten ebenso wie in den Grundschulen, in den beruflichen Schulen und selbstverständlich auch im Gym nasium.
Es war beeindruckend, wie pädagogische Fachkräfte, Lehre rinnen und Lehrer, Professorinnen und Professoren, Eltern so wie Politikerinnen und Politiker aus dem gesamten Spektrum offen über Probleme sprachen. Denn auch Südtirol ist keine heile Welt. Umso überzeugender war aber, dass niemand an irgendeiner Stelle daran gezweifelt hat, dass der Weg der In klusion der richtige ist, weil er für alle Kinder ein Gewinn ist – sozial und übrigens auch in Bezug auf die klassischen schu lischen Leistungsstandards.
Die Eindrücke in Südtirol haben uns bestätigt, dass der Weg, den wir mit der Schulgesetzänderung gehen, für uns in Ba den-Württemberg der richtige ist. Wir ermöglichen Inklusion, aber wir erzwingen nichts. Wir schaffen ein Wunsch- und
Wahlrecht auf inklusive Beschulung an einer allgemeinbil denden Schule, aber nicht unbedingt an einer bestimmten Schule. Wir geben der Schulverwaltung die Möglichkeit, be stimmte Profilierungen einzelner Schulen zu fördern und ein regional stimmiges inklusives Schulangebot zu gestalten.
Die Schulämter haben künftig die Ressourcensteuerung in der Hand. Dies würde über die Annahme Ihrer Änderungsanträ ge übrigens wieder abgeschafft. Alle Schulen werden so Schritt für Schritt inklusiv, aber nicht an jeder Schule wird das Gleiche stattfinden. Die Sonderpädagogik gewinnt in inklusi ven Settings sogar noch an Bedeutung. Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen können künftig entscheiden, ob sie von der allgemeinbildenden Schule angestellt werden wollen oder weiterhin der bisherigen Sonderschule, also einem künftigen sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum, zu gehören wollen.
Wir stellen für den Reformprozess jährlich zusätzliche Son derpädagoginnen und Sonderpädagogen ein, im nächsten Schuljahr allein 200 und bis 2022 1 350 – zusätzliche Son derpädagoginnen und Sonderpädagogen, wohlgemerkt.
Dieses Paket hat auch in der öffentlichen Anhörung am 1. Ju li überzeugt. Von der kommunalen Seite war angesichts der finanziellen Vereinbarung mit dem Land von einem fairen In teressenausgleich die Rede. Das kann man einmal zur Kennt nis nehmen.
Die Schulräte halten ebenso wie die unterschiedlichen Schul träger und die Gewerkschaften das Gesetzespaket für sinn voll. Von der Sonderpädagogik kam ausdrücklich Anerken nung, weil entgegen früherer Befürchtungen – da ist ja der Teufel an die Wand gemalt worden; Frau Dr. Stolz hat heute versucht, das noch einmal zu reanimieren – die sonderpäda gogische Fachlichkeit und Qualität uneingeschränkt gewahrt bleiben.
Frau Dr. Stolz, ich habe es Ihnen auch bei der letzten Rede ge sagt – und Sie haben bisher nichts Neues dazu beigetragen –: Ich bin der zuständige fachpolitische Sprecher meiner Frak tion. Ich musste zu keinem Zeitpunkt eine meiner Positionen ändern oder revidieren; sie finden sich 1 : 1 in diesem Gesetz.
Ich finde, das gehört zur Redlichkeit, statt zu behaupten, wir hätten hier früher Wunder was alles gefordert: Unsere Frakti on hat hier immer eine konsistente Linie vertreten.
Ich kann natürlich auch irgendwelche Politiker aus Ihren Rei hen zitieren, deren Aussagen Ihnen an dieser Stelle vielleicht unangenehm sind oder die zu einem anderen Diskussionsstand etwas anderes gesagt haben. Das ist nicht Gegenstand dieser Debatte.
Deswegen war es nur konsequent, dass auch die Opposition im Ausschuss nach der Anhörung nicht mehr gegen die grünrote Gesetzesvorlage gestimmt hat. Das war doch einmal ein Schritt nach vorn. Denn Reden, die wir in früheren Debatten gehört hatten – Sie hatten ja unterschiedliche Debattenanläs se geschaffen –, hörten sich ganz anders an.
Mittlerweile scheint bei Ihnen aber das Chaos ausgebrochen zu sein. Denn Sie haben uns ein völlig unstrukturiertes Sam melsurium von Änderungsanträgen geliefert, die zum Teil un seren gemeinsamen Zielen zuwiderlaufen, z. B. was die Sou veränität der Schulverwaltung angeht.
Der Verdacht drängt sich auf, dass Sie sich hier von außen ha ben zuarbeiten lassen, ohne auf die innere Schlüssigkeit zu achten.