Protocol of the Session on June 10, 2015

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Für die Landesregierung erteile ich das Wort Herrn Minister Stoch.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich möch te mit einem Zitat von Ludwig Wittgenstein beginnen, der ein mal gesagt hat:

Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen mei ner Welt.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich bin sehr angetan da von, dass alle hier im Landtag vertretenen Fraktionen der An sicht sind – das wurde auch durch Ihre Redebeiträge sehr deut lich –, dass der Erwerb der Sprachkompetenz ein zentrales Schlüsselelement für den Bildungserfolg eines jungen Men schen und damit auch für seinen gesellschaftlichen Erfolg ist.

Deswegen bringt es nichts, zu versuchen, das eine gegen das andere auszuspielen. Ich glaube, dass die Betrachtung nur dann richtig wird, wenn wir die beiden Elemente zusammen führen, und zwar im Sinne des Jugendlichen und im Sinne ei ner ganzheitlichen Bildung, auch im Sinne seiner Persönlich keitsentwicklung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es kann daher das eine stimmen und trotzdem nicht im Widerspruch zum ande ren stehen. Das eine, das ganz sicher stimmt, ist, dass für Men schen mit Migrationshintergrund, auch im Hinblick auf deren Integration in unsere Gesellschaft, gerade auch der Erwerb der eigenen Muttersprache von einer großen Bedeutung sein kann. Das steht nun mitnichten im Widerspruch zur Tatsache, dass der Sprachkompetenzerwerb in der deutschen Sprache natürlich eine ganz zentrale Voraussetzung für gelungene In tegration und für Bildungserfolg in Deutschland ist.

Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass der Erwerb guter Kompetenzen in der Muttersprache durchaus auch hilf reich sein kann und hilfreich ist, um eine andere Sprache zu erlernen. Sie ermöglicht es den Kindern, sich in der Sprache ihrer Eltern, Großeltern und Geschwister auszutauschen, und bringt sie auch in Kontakt mit ihrer eigenen Geschichte.

Kurz: Wir wissen heute, dass der Spracherwerb, auch der Mut tersprache, für die Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen eine große, eine wichtige Rolle spielt. Ver schiedene Studien – das haben wir auch in der Stellungnah me deutlich gemacht – zeigen, dass sich diejenigen Menschen auch besser in eine Gesellschaft integrieren, denen es gelingt, die verschiedenen Anteile dieser persönlichen Identität auf po sitive Weise miteinander zu verbinden und diese zu integrie ren.

Deswegen besteht auch überhaupt kein Widerspruch zur Po sition der Fraktion GRÜNE oder zur Aussage von Daniel An dreas Lede Abal. Wir halten es durchaus für sinnvoll, auch muttersprachlichen Unterricht in das reguläre Schulangebot zu integrieren. Nichts anderes hat er gesagt. Er hat gesagt, es wäre langfristig wünschenswert, hier Schritte gehen zu kön nen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle daran erinnern, wann und warum der muttersprachliche Unterricht, um den es hier geht, als Angebot entwickelt wurde. Es war naheliegend, dass die ser muttersprachliche Unterricht in Baden-Württemberg von den Auslandsvertretungen der jeweiligen Länder verantwor tet wird. Diese Konstruktion stammt noch aus einer Zeit, als ein Begriff ganz wichtig war,

(Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

nämlich der Begriff „Gastarbeiter“. Durch diesen mutter sprachlichen Unterricht sollte die Möglichkeit aufrechterhal ten werden, dass die Menschen in ihre Heimatländer zurück kehren.

Es wurde aber deutlich gemacht – Thomas Poreski hat es auch deutlich gesagt –, dass wir heute in einer anderen Situation le ben. Menschen, die heute in erster, zweiter oder dritter Gene ration bei uns sind, werden mit großer Wahrscheinlichkeit auch hier ihr Leben verbringen, hier ihre Bildungslaufbahn durchlaufen und anschließend hier einen Beruf ergreifen. Des wegen hat natürlich auch die Rolle dieses muttersprachlichen Unterrichts eine Veränderung erfahren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie reagieren wir auf diese veränderten Herausforderungen? Die Landesregie rung setzt sich vor diesem Hintergrund prioritär dafür ein, dass wir im Bereich der deutschen Sprache so früh wie möglich mit der Sprachförderung ansetzen. Dafür nimmt diese Lan desregierung auch sehr viel Geld in die Hand. Dies ist aus Sicht der Landesregierung eine prioritäre Aufgabe.

Dieser Tage habe ich dies auch im Zusammenhang mit der Vorstellung des Bildungsberichts deutlich gemacht. Schon im frühkindlichen Bereich haben wir beispielsweise das Sprach förderprogramm SPATZ deutlich verbessert. Wir haben die Gruppengrößen deutlich abgesenkt. Dadurch ermöglichen wir eine noch intensivere Betreuung, eine noch intensivere Sprach förderung für Kinder. Das Fördervolumen wurde zum aktuel len Kindergartenjahr um weitere 4 Millionen € auf rund 21 Millionen € aufgestockt. Eine weitere Aufstockung im nächsten Jahr um 2,5 Millionen € ist vorgesehen. Ich glaube, das macht deutlich, dass wir bei dem für Kinder wichtigen Sprachkompetenzerwerb in Baden-Württemberg früh anset zen wollen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Für die Betreuung und Förderung von Kindern aus Flücht lingsfamilien stehen weiterhin jeweils 1,2 Millionen € zusätz lich zur Verfügung. Im Nachtragshaushalt haben wir im Hin blick auf die gestiegenen Flüchtlingszahlen hier nochmals ei ne Anpassung vorgenommen. Auch im weiterführenden Be reich haben wir viel Geld und Ressourcen bereitgestellt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lieber Herr Schebes ta, das Bild, das Sie hier gezeichnet haben, trifft doch nicht die Realität. Schon für das vergangene Schuljahr haben wir 200 Stellen zusätzlich geschaffen, als im letzten Frühsommer deutlich wurde, wie stark die Flüchtlingszahlen ansteigen.

Wir haben auch im laufenden Jahr überall dort, wo es notwen dig war, Vorbereitungsklassen und an den beruflichen Schu len die VABO-Klassen einzurichten, umgehend reagiert. Das wurde von den Lehrkräften an den Schulen hervorragend um gesetzt. Die Schulleitungen und die Lehrkräfte haben hier tol le pädagogische und organisatorische Arbeit geleistet, um den Schülern ein Angebot machen zu können.

Im Nachtragshaushalt haben wir für das kommende Schuljahr nicht nur diese Stellen verstetigt, sondern das Angebot noch mals deutlich ausgeweitet, sodass wir zum kommenden Schul jahr für diesen Bereich gut 400 zusätzliche Deputate haben werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, als dieser Tage die neuen Flüchtlingszahlen und auch die Tatsache auf den Tisch kamen, dass der Anteil von schulpflichtigen Kindern höher ist, als wir ursprünglich angenommen hatten, haben wir na türlich reagiert. Wir sind derzeit dabei, zu prüfen, inwieweit dies auch für das kommende Schuljahr in der laufenden Leh rereinstellung noch berücksichtigt werden muss.

Wir können zusagen: Jeder junge Mensch, der nach BadenWürttemberg kommt und Sprachförderbedarf hat, bekommt diese Sprachförderung an den allgemeinbildenden Schulen bzw. an den beruflichen Schulen. Wir wollen, dass BadenWürttemberg eine Vorbildwirkung für die Integration von jun gen Menschen aus aller Welt entfaltet.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Dr. Ste fan Fulst-Blei SPD: Sehr gut!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Erwerb der deut schen Sprache ist nicht nur entscheidend für eine gelingende Integration, sondern ist auch eng mit der Frage nach der Bil dungsgerechtigkeit verbunden. Wir möchten, dass alle jungen Menschen ihren Potenzialen gemäß gefördert werden und in unserem Land den für sie bestmöglichen Bildungsabschluss erreichen. Wir möchten, dass der Bildungserfolg der Kinder eben nicht von Faktoren beeinflusst wird, die nichts mit ihrer Begabung oder Leistungsfähigkeit zu tun haben.

Wie Kollege Fulst-Blei angesprochen hat, haben wir mit dem Ausbau der Ganztagsschulen und mit der Einführung der Ge meinschaftsschulen bereits sehr viel getan, um herkunftsbe dingte Benachteiligungen von Kindern zu verringern oder möglichst zu eliminieren.

Damit nehmen wir den Verfassungsauftrag unserer Landes verfassung ernst. Dort steht nämlich ausdrücklich, dass ein Kind Anspruch auf eine Bildung hat, die von seiner Begabung abhängt und nicht von seiner wirtschaftlichen Lage oder sei ner sozialen Herkunft.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, deswegen sind für mich im Sinne einer Priorisierung Deutschkenntnisse und die Vermittlung dieser Kenntnisse an Kinder eine Grundvoraus setzung für eine erfolgreiche Bildungsbiografie. Dies steht nicht im Widerspruch dazu, dass auch der muttersprachliche Unterricht wichtig ist und dass wir langfristig natürlich auch den Anspruch aufrechterhalten müssen, diesen muttersprach lichen Unterricht an die heutigen Gegebenheiten anzupassen.

Wenn wir – das haben wir in der Stellungnahme zum Antrag auch deutlich gemacht – derzeit das Konsulatsmodell fortfüh ren wollen und dieses auch mit über 1 Million € pro Jahr un terstützen, dann machen wir damit deutlich, dass wir diesen Teil des Bildungsauftrags eines Landes ebenfalls für wichtig halten.

Für die Zukunft sehen wir hier aber natürlich noch deutliche Herausforderungen. Es würde mich sehr freuen, wenn uns al le Fraktionen hier im Landtag sowohl im Bereich der Flücht lingsarbeit, der Sprachförderung für Menschen, die zu uns kommen, als auch bei der Frage des muttersprachlichen Un terrichts an unseren Schulen unterstützen würden.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Gehen Sie noch auf den An trag ein? Kein Wort zum Antrag!)

Ich habe dazu doch etwas gesagt.

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort dem Kollegen Schebesta.

Bei der Bedeutung von Sprach förderung und der Rolle, die muttersprachlicher Unterricht im Hinblick auf Sprachkompetenzerwerb spielt, verstehe ich nicht, dass in der sachlichen Auseinandersetzung darüber der Vorwurf erhoben wird, man spiele das eine gegen das andere aus. Denn natürlich müssen wir uns darüber unterhalten, wel che Rolle muttersprachlicher Unterricht und der Sprachkom petenzerwerb, auch in der Muttersprache, für das Erlernen von Deutsch als Sprache des Aufenthaltslands spielten.

Da verstehe ich nicht, dass gesagt wird, das eine werde gegen das andere ausgespielt. Die Aussage, dass man eine Ankündi gung des Koalitionsvertrags nicht aufrechterhält, weil man mit diesem Geld anderes finanzieren wolle, kam doch nicht von uns. Das ist eine Ankündigung der Landesregierung. Da spielen nicht wir das eine gegen das andere aus, sondern von Ihnen wird eine Rangfolge formuliert.

Herr Minister, Sie haben gesagt, was Sie getan haben und was Sie im Nachtragshaushalt für das laufende Schuljahr und für das nächste Schuljahr tun. Sie hecheln in dieser Frage doch dem Bedarf hinterher, weil Sie bereits zu Beginn des Steigens der Flüchtlingszahlen einen Nachholbedarf bei der Sprachför derung für Kinder und Jugendliche, die später als im frühen Kindesalter nach Deutschland kommen, hatten. Wenn Sie an den Schulen mit Lehrerinnen und Lehrern sprechen, dann sa gen diese vor dem laufenden Schuljahr: „Wir brauchen mehr Angebote“, dann sagen sie in diesem laufenden Schuljahr: „Wir brauchen mehr Angebote“, und sie werden auch im nächsten Schuljahr sagen: „Wir brauchen mehr Angebote.“ Sie hecheln da dem Bedarf vor Ort hinterher und werden ihm nicht gerecht.

Zu der „Baustelle“, der Frage, wie wir den Lehrerinnen und Lehrern nach diesen Angeboten im Regelunterricht helfen, hört man gar nichts. Ich glaube, dass eine der großen Baustel len in der Bildungspolitik in den nächsten Jahren die Frage sein wird, wie wir mit den Schülerinnen und Schülern an den Schulen umgehen, die auch noch in der Schule einen Sprach förderbedarf haben und die die Mathematikaufgaben nicht deshalb nicht verstehen, weil sie in Mathematik Schwierig keiten hätten, sondern schlicht und ergreifend deshalb, weil sie das Deutsch des Lehrers nicht nachvollziehen können. Das bleibt eine Aufgabe.

Herr Minister, Sie haben jetzt gesagt, wegen dieser herkunfts bedingten Nachteile schafften Sie die Gemeinschaftsschule. Das bringt den Lehrerinnen und Lehrern an den anderen Schul arten eben überhaupt nichts. Da müsste mehr passieren. Das haben Sie nicht im Blick, und da sollte dringend etwas getan werden. Sie werden dem nicht gerecht.

Herr Kollege Fulst-Blei, ich verstehe schon, dass Sie versu chen, das Thema herunterzufahren und zu sagen, das sei ein Randthema. Ich habe gerade beschrieben, dass ich es nicht für

ein Randthema halte, wie wir mit der Sprachförderung von Kindern und Jugendlichen umgehen, welchen Anteil daran muttersprachlicher Unterricht hat und was für Aufgaben es dazu gibt.

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Ich habe nicht ge sagt: „Das ist ein Randthema“! Ich habe gesagt: Ihr Verhalten ist faktisch durchschaubar!)

Es wäre Ihnen aber vor allem deshalb recht, wenn das Ganze unter „ferner liefen“ laufen würde, weil Ihnen an dieser Stel le nachgewiesen wird, dass Sie während Ihrer Oppositions zeit große Töne gespuckt und gesagt haben, wie toll das alles funktionieren werde, wenn Sie an der Regierung seien,

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Was wir geliefert haben, davon könnt ihr euch eine Scheibe abschnei den! Was soll das denn jetzt?)

aber den ganzen Ankündigungen überhaupt nicht gerecht wer den

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Ach! So ein Quatsch!)

und diesen Punkt im Koalitionsvertrag auf einfachem Weg einsammeln.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Poreski, was doppelte Halbsprachigkeit angeht, bin ich völlig Ihrer Meinung. Aber Sie haben das allein auf diese sehr fachliche Ebene gezogen. Das verstehe ich aus grü ner Sicht, weil Sie eben völlig unzufrieden damit sind, was bei dieser Koalition im Ergebnis herauskommt.

(Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Woher wollen Sie das wissen?)

Mit dem, was bei diesem Anliegen des Koalitionsvertrags he rauskommt, sind Sie nicht zufrieden.