Protocol of the Session on September 28, 2011

Für die FDP/DVP spricht jetzt Herr Kollege Dr. Bullinger.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, werte Kol leginnen und Kollegen! Was Kollege Klein von der CDU hier ausgeführt hat, das kann ich uneingeschränkt für richtig er klären, und ich kann ihm zustimmen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Claus Schmiedel SPD: Ich habe schon immer gewusst, dass die FDP der Wurmfortsatz der CDU ist!)

Stichwort Wurmfortsatz: Ihre medizinischen Kenntnisse hin sichtlich des Wurmfortsatzes sollten Sie, glaube ich, einmal irgendwo überprüfen lassen.

Meine Damen und Herren, ich werde deshalb hier noch eini ge andere Gedanken hinzufügen. Das, was ich gerade von Ih nen, dem werten Kollegen der Grünen, gehört habe, könnte den Eindruck erwecken: Jeden Augenblick bricht das Elend aus; im Bundesland Baden-Württemberg ist es ganz schlimm. Warum werden wir von anderen Bundesländern so beneidet, und warum ziehen so viele Menschen zu uns? Doch nicht des halb, weil es hier so elend wäre, sondern deshalb, weil wir hier hervorragende, attraktive Arbeitsplätze haben und auch eine ganz ordentliche Bezahlung für die Leistungen, die un sere Mitbürgerinnen und Mitbürger am Arbeitsmarkt erbrin gen.

Meine Damen und Herren, wieder einmal befassen wir uns heute mit dem SPD-Dauerbrennerthema Tariftreuegesetz & Co. Wir haben bereits im Jahr 2007 unter der Drucksachen nummer 14/849 über einen Entwurf für ein Tariftreuegesetz diskutiert; im Vorfeld der Landtagswahl gab es erneut einen Gesetzentwurf hierzu. Damals haben Sie, meine Damen und Herren, den Gesetzentwurf eingebracht. Die letzte Debatte hierzu fand am 2. März 2011 statt. Sie sind heute in der Re gierung. Deshalb hätte ich eigentlich erwartet, dass ein Ge setzentwurf vorliegt, aus dem sich auch konkret ergibt, was Sie wollen, statt dass wir hier eine Aktuelle Debatte mit ir gendwelchen Hinweisen führen.

Mich würde vor allem interessieren, wie Sie zum europäi schen Recht stehen und wie der Gesetzentwurf, den Sie pla nen, dann ausschaut, dass er mit europäischem Recht konform ist. Ich weise dazu auf das Rüffert-Urteil des Europäischen Gerichtshofs hin. Mich interessiert auch, ob ein solcher Ge setzentwurf, wenn er europarechtskonform wäre, mehr als ei ne bloße deklaratorische Wirkung entfalten würde.

Übrigens ist der 1. Mai 2011 mit der Einführung der Arbeit nehmerfreizügigkeit verstrichen, ohne dass ganze Horden aus dem Osten unser Land überflutet hätten, wie dies manche Ge werkschafter oder auch SPD-Politiker befürchtet haben und wie Sie es an die Wand gemalt haben.

Beim gesetzlichen Mindestlohn gilt für uns unverändert, dass die Politik nicht für die Lohnfindung geeignet ist, sondern dass dies in erster Linie Sache der Tarifpartner ist und auch blei ben soll.

Sie bringen heute einen alten roten Ladenhüter namens „Flä chendeckender und branchenübergreifender Mindestlohn von

8,50 €“. Im Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20. April 2009 gibt es schon sehr viele gute und, wie ich glau be, auch ausreichende Beispiele. Dort steht schon heute – ich zitiere –:

Für die Auftragsausführung können zusätzliche Anforde rungen an Auftragnehmer gestellt werden, die insbeson dere soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte be treffen, wenn sie im sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen und sich aus der Leistungsbe schreibung ergeben. Andere oder weiter gehende Anfor derungen dürfen an Auftragnehmer nur gestellt werden, wenn dies durch Bundes- oder Landesgesetz vorgesehen ist.

Hier wollen Sie ansetzen.

Doch statt nur im Gesetz zu lesen, hätten Sie auch einmal ei nen Blick in die Handreichung „Die Berücksichtigung sozia ler Belange im Vergaberecht“ werfen sollen. Ich zitiere auch hieraus:

Auf der Grundlage der Vergaberechtsreform kann nun... sowohl die Beachtung grundlegender Sozialstandards bei Lieferleistungen aus Entwicklungs- und Schwellenländern als auch die Einhaltung von allgemein verbindlichen Min destlöhnen bei in Deutschland auszuführenden Dienst leistungen gefordert werden.

Allgemein verbindliche Mindestlöhne bestehen aufgrund des Arbeitnehmerentsendegesetzes und des Mindestarbeitsbedin gungsgesetzes.

Eines möchte ich doch noch erwähnen. Das Land hat bereits durch Ministerratsbeschluss vom 21. Juli 1997 – ich wieder hole: 1997 – eine Stammpersonalklausel eingeführt. Danach dürfen bei Hochbau- und Straßenbauaufträgen des Landes nur solche Unternehmen berücksichtigt werden, die mindestens 70 % der Bauleistung mit eigenem Stammpersonal erbringen. Diese Unternehmen müssen sich auch verpflichten, gegebe nenfalls nur solche Nachunternehmer zu berücksichtigen, die diese Anforderungen ebenfalls erfüllen. Das Stammpersonal muss dem öffentlichen Auftraggeber dies auch vorab nach weisen. Diese Liste muss bei Razzien den Mitarbeitern des Hauptzollamts, also der Finanzkontrolle im Hinblick auf die Schwarzarbeit, ausgehändigt werden.

Mit dieser eigentlich primär mit Zuverlässigkeitsaspekten be gründeten vertraglichen Verpflichtung wird einer zunehmen den Beschäftigung von Arbeitskräften aus Billiglohnländern auf den Baustellen des Landes entgegengewirkt und das hei mische Handwerk bzw. Baugewerbe geschützt. – So weit das Beispiel aus dem Baubereich.

Was nun Ihre Forderungen bezüglich der Ausbildung für je den Schulabgänger anbelangt, darf ich auf die soeben geführ te Aktuelle Debatte zur Bildung hinweisen.

Das wichtigere Thema, meine Damen und Herren, wird vor allem bei uns der Facharbeitermangel sein. Ich glaube, nicht fehlende Lehrstellen, sondern fehlende Lehrlinge, nicht feh lende Studienplätze, sondern weniger Hochschulabsolventen, insbesondere im natur- und ingenieurwissenschaftlichen Be reich, sind das Thema. Der demografische Wandel wird hier

sehr vieles verändern und das, was Sie vorhaben, auch erle digen.

Mit einem Tariftreuegesetz stellen Sie, meine Damen und Her ren von der SPD, eines unter Beweis: Sie sind und bleiben die Partei der Staatsdemokratie.

(Lachen der Abg. Helen Heberer SPD)

Sie wollen die Einrichtung einer Servicestelle beim Regie rungspräsidium Stuttgart sowie die Bildung einer Kommissi on zur Überprüfung der Höhe des Mindestlohns. Damit sind Sie auch Treiber von massivem Bürokratieaufbau statt Büro kratieabbau. Sie engen damit auch die freien Berufe, das Handwerk und den Mittelstand erheblich ein.

Diese Arbeitgeber, meine Damen und Herren, brauchen gute Mitarbeiter. Sie brauchen qualifizierte Mitarbeiter und nicht noch mehr Vorschriften – so, wie Sie es vorhaben. Mit Ihren Absichten unter dem Stichwort „Gute Arbeit“ sorgen Sie eher für weniger Arbeit und werden vor allem den Schwächeren hinsichtlich ihrer Wiedereinstiegs- und Aufstiegschancen kei nen Gefallen tun.

Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihr Zuhören.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Für die Regierung spricht nun die Ministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Her ren! Gute Arbeit sorgt für Teilhabe, und gute Arbeit sorgt da mit auch für ein gutes Leben. Deshalb hat sich die neue Lan desregierung zum Ziel gesetzt, Baden-Württemberg zu einem Musterland für gute Arbeit zu machen. Ich möchte an dieser Stelle bemerken: Als ich das Ministerium für Arbeit und So zialordnung, Familie, Frauen und Senioren übernommen ha be, habe ich alles Mögliche vorgefunden, aber keine aktive Arbeitsmarktpolitik. Dies, meine Damen und Herren, werden wir ändern.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Klaus Herrmann CDU: Die war im Wirtschaftsministerium angesiedelt!)

Ich möchte ein paar Zahlen nennen. Der Arbeitsmarkt in Ba den-Württemberg hat sich erfreulicherweise positiv entwi ckelt. Aber der Aufschwung geht leider an immer mehr Men schen vorbei. So waren im letzten Jahr in unserem Land rund 230 000 Menschen arbeitslos. 70 000 davon waren Langzeit arbeitslose, und 27 000 von diesen waren seit über zwei Jah ren arbeitslos. 7 000 dieser schon längere Zeit arbeitslos ge meldeten Menschen hatten gesundheitliche Einschränkungen, und fast 12 000 – Herr Klein, hören Sie zu; dies sage ich in Erwiderung auf Ihre Ausführungen von vorhin – verfügten nicht über eine abgeschlossene Berufsausbildung.

Ich denke, an dieser Stelle wird deutlich, wo die Herausfor derungen liegen, denen wir uns in der Zukunft stellen müs sen. Deswegen sage ich noch einmal: Wir wollen eine aktive Arbeitsmarktpolitik, und wir wollen gute Arbeit für mehr Teil habe der Menschen.

Das bedeutet zunächst einmal, Ordnung auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen, und zwar dahin gehend, dass Unternehmen, die ihren Beschäftigten Tariflöhne zahlen, im Wettbewerb nicht benachteiligt werden. Deshalb brauchen wir ein Tariftreuege setz, das sicherstellt, dass öffentliche Aufgaben des Landes und der Kommunen nur an Unternehmen vergeben werden, die ihren Beschäftigten auch Tariflöhne zahlen.

(Zuruf von der CDU: Das machen wir schon!)

Wenn Sie sagen, das alles geschehe schon heute, dann kön nen Sie doch eigentlich nichts gegen ein Tariftreuegesetz ha ben. Denn dann brauchen Sie sich zumindest an dieser Stelle überhaupt keine Sorgen zu machen, und alles bekommt noch seinen gesetzlichen Rahmen,

(Abg. Günther-Martin Pauli CDU: Mehr Bürokratie bringt nicht mehr Arbeit!)

und dann ist es gut.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Ein weiterer Punkt – er richtet sich allerdings an den Bund – ist die flächendeckende Einführung gesetzlicher Mindestlöh ne, um für einen fairen Wettbewerb zu sorgen. Denn es kann nicht sein, dass es teilweise Löhne gibt, die so niedrig sind, dass die Arbeitnehmer davon nicht leben können. Es gibt ei ne hohe Zahl von Menschen im Land, die aufstockende Leis tungen beziehen müssen, obwohl sie einer ordentlichen Tä tigkeit nachgehen. Dazu kann ich Beispiele nennen. Das ist durchaus nicht nur in Branchen der Fall, die irgendwo ganz unten angesiedelt sind, sondern das gilt auch für soziale Be rufe. Alleinerziehende Arbeitnehmer im sozialen Bereich mit zwei Kindern können in der Region Stuttgart auch dann nicht von ihrem Gehalt leben, wenn sie einer Teilzeittätigkeit im Umfang von 80 % nachgehen. Sie sind gezwungen, aufsto ckende Leistungen in Anspruch zu nehmen.

Ein ganz wichtiger weiterer Punkt im Hinblick auf die Ord nung auf dem Arbeitsmarkt ist: Die Leiharbeit muss wieder zu dem gemacht werden, was sie ursprünglich einmal sein sollte, nämlich ein zeitlich begrenztes Mittel zur Überbrü ckung großer Auftragsschwankungen. Leiharbeit darf nicht dazu führen, dass ganze Stammbelegschaften ausgewechselt und durch Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen ersetzt werden. Vor allem darf Leiharbeit, meine sehr geehrten Damen und Herren, nicht zu Lohndumping führen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Deshalb werden wir im Hinblick auf die Bundespolitik ge meinsam mit anderen Ländern entsprechende Initiativen er greifen. Das Tariftreuegesetz wird federführend vom Minis terium für Finanzen und Wirtschaft auf den Weg gebracht.

(Abg. Günther-Martin Pauli CDU: Und was machen Sie selbst?)

Dazu komme ich noch. Nur langsam. Haben Sie ein biss chen Geduld.

Ich möchte noch auf einen anderen Punkt eingehen, von dem vorhin auch schon die Rede war. Es wurde gesagt, für die Ar beitsmarktpolitik seien hauptsächlich der Bund und die Bun desagentur zuständig. Wenn das so ist, dass der Bund in die sem Maß für die Arbeitsmarktpolitik zuständig ist, möchte ich

ihn doch auffordern, seiner Verantwortung gerecht zu werden und nicht das zu tun, was geschehen ist: Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt sind Kürzungen vorgenommen worden.

Ich fordere Sie auf, dazu aufzurufen, dass ein absoluter Wan del am aktiven Arbeitsmarkt geschieht und dass letztlich, ins besondere für Langzeitarbeitslose, die Abkehr vom Prinzip „Fördern und Fordern“ eingeleitet wird. Gefördert wird näm lich nach der Instrumentenreform des Bundes überhaupt nicht mehr, sondern es wird in eine Ecke geschoben, und Teilhabe wird verweigert. Gerade Menschen, an denen der Aufschwung am Arbeitsmarkt bisher vorbeigegangen ist, wird dadurch die Chance genommen, wieder Zugang zur Erwerbsarbeit zu fin den.

Wir sind der Auffassung, dass eine sozial verantwortliche Po litik den Menschen auch Perspektiven bieten muss. Deshalb werden wir ein Arbeitsmarktprogramm auf den Weg bringen und durch einen sozialen Markt den Menschen, die schon lan ge arbeitslos sind, wieder Chancen für die Teilhabe am Er werbsleben eröffnen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Dabei wird es um das Schließen von Lücken bei den arbeits marktpolitischen Instrumenten gehen. Dazu sage ich deutlich: Es kann nicht sein, dass wir die Aufgaben übernehmen, die im Bund nicht oder nicht mehr gemacht werden. Trotzdem ist es uns auch angesichts des Fachkräftemangels nicht nur in der Zukunft, sondern auch schon in der Gegenwart wichtig, dass wir fördern, dass wir die Menschen, wo es geht, am Arbeits markt teilhaben lassen. Deswegen werden wir die Instrumen te an den Stellen weiterentwickeln, an denen es sinnvoll und zweckmäßig ist.

Wir wollen mehrere Elemente einbauen. Wir wollen durch nachhaltige Unterstützung und Betreuung in Aus- und Wei terbildung mehr Chancen für die Benachteiligten schaffen. Wir wollen Jugendliche, die Probleme haben und deshalb oft eine Ausbildung nicht zum Abschluss bringen können, inten siv in allen Belangen ihres Lebens begleiten, sodass es ihnen ermöglicht wird, eine Ausbildung zu beenden und in ihrem Beruf tätig zu werden.