Protocol of the Session on September 28, 2011

(Vereinzelt Beifall)

Ich bin fest davon überzeugt, dass die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber um dieses hohe Gut, das wir bei uns haben, wis sen. Sie stehen deshalb zur Tarifautonomie und zur Tariftreue.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, brauchen wir keine weiteren Gesetze, weshalb wir auch den im Januar von der SPD-Fraktion eingebrachten Gesetzentwurf für ein Tariftreuegesetz abgelehnt haben – u. a., weil wir darin einen hohen Bürokratieaufwand und Kostensteigerungen gesehen haben. Vor allem hatte sich auch die Frage gestellt, ob es über haupt mit europäischem Recht vereinbar ist.

(Zuruf des Abg. Walter Heiler SPD)

Jeder Mensch, der arbeitet – das möchte ich jetzt unterstrei chen –, sollte von diesem Einkommen seinen Lebensunterhalt bestreiten können. Darüber sind wir uns hier in diesem Raum wohl alle einig. Die Frage ist nur, ob wir dafür einen flächen deckenden und über alle Branchen gehenden einheitlichen Mindestlohn brauchen. Auch hier halten wir es nach wie vor für den besseren Weg, individuelle und flexible Lösungen zu suchen. Wir sollten dabei auf die verfassungsrechtliche Tarif autonomie achten. Wir sollten sie respektieren und auch stär ken, weil dies – ganz lapidar ausgedrückt – Ausdruck der so zialen Marktwirtschaft im Land Baden-Württemberg ist.

Deshalb haben wir den branchenspezifischen Mindestlöhnen zugestimmt, auf die sich die Tarifpartner festgelegt haben, wie z. B. letztens bei der Pflege. Wir haben dies mit eingeführt und entsprechend unterstützt. Damit will ich für die CDU-Frakti on hier im Landtag feststellen, dass wir nicht grundsätzlich gegen Mindestlöhne sind.

(Zuruf von der SPD: Bravo!)

Allerdings sollten die Tarifvertragsparteien bzw. die Spitzen organisationen dabei die Federführung haben und nicht über gangen werden. Dies gilt auch für die Branchen, in denen es derzeit keine festen Tarifbindungen gibt. Mindestlöhne soll ten dort, wo sie notwendig sind, individuell gestaltet werden. Sie sollten möglichst einvernehmlich festgelegt werden und nicht aus gesetzlich diktierten Regelungen bestehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Dr. Ulrich Goll FDP/DVP – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Sehr gut!)

Ähnliches gilt auch für den Bereich der Leiharbeit, der ange sprochen wurde. Wir wollen dieses Instrument grundsätzlich erhalten. Denn gerade in der Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich doch gezeigt, dass dieses Instrument sehr wirksam war. Wir wollen nicht – das sage ich hier an dieser Stelle unmiss verständlich –, dass dieses Instrument missbraucht wird, dass zunehmend Stammbelegschaften durch Leiharbeiter ersetzt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Wir sind bereit – das muss ich sagen –, mit allen Beteiligten über Konzepte zu sprechen, um Leiharbeit auf das zurückzu führen, was sie eigentlich sein soll. Die Leiharbeit soll für Ar beitnehmer eine Brücke in den allgemeinen Arbeitsmarkt und gleichzeitig für Arbeitgeber ein Flexibilisierungsinstrument sein.

Das von der früheren, CDU-geführten Landesregierung mit der Wirtschaft, den Gewerkschaften, den Arbeitsagenturen und den Kommunen ins Leben gerufene Ausbildungsbündnis war ein voller Erfolg. Gerade im wirtschaftlich sehr schwie rigen Jahr 2009 wurden rund 76 000 Ausbildungsverträge ge schlossen. In diesem Jahr gibt es in Baden-Württemberg erst mals mehr Ausbildungsstellen als Bewerber. Wichtig sind des halb die Weiterentwicklung und Intensivierung des externen Ausbildungsmanagements und vor allem die weitere Verbes serung von Bildung und Ausbildung. Da hilft kein Rechtsan spruch auf einen Ausbildungsplatz, meine sehr geehrten Da men und Herren, sondern nur die Befähigung zur Ausbildung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Wir müssen Vorsorge treffen, um zu erreichen, dass die Quo te der Schulabbrecher weiter sinkt. Wir müssen Vorsorge tref fen, damit die Absolventen vor allem ausbildungsfähig sind. Wir müssen auch dahin gehend Vorsorge treffen, dass der Staat beispielsweise über die Arbeitsagenturen zielgerichtete Hilfen zur Herstellung der Ausbildungsfähigkeit zur Verfü gung stellt.

Ein Ziel muss auch sein, meine sehr geehrten Damen und Her ren, den Anteil von rund 15 % eines Jahrgangs, die derzeit noch keinen Berufsabschluss haben, weiter zu reduzieren.

Aber wenn man diese Ziele erreichen und diese Zahlen ver bessern will, darf man nicht ein gutes und bewährtes Bil dungs- und Ausbildungssystem verwässern. Man darf es vor allem nicht verallgemeinern und auch nicht zur Beliebigkeit werden lassen. Dazu allerdings ist die grün-rote Landesregie rung mit ihrer rein ideologisch geprägten Einheitsschule auf dem besten Weg.

(Abg. Beate Böhlen GRÜNE: Oje!)

Vielmehr sollte das derzeitige Bildungs- und Ausbildungssys tem zielgerichtet und vor allem zukunftsorientiert weiterent wickelt werden. Denn nur dies bietet Baden-Württemberg die Gewähr dafür, dass weiterhin ein guter und gerechter Lohn bezahlt wird sowie weiterhin gute Arbeit geleistet wird und vor allem eine gute und höchst qualifizierte Ausbildung in un serem Land für alle jungen Menschen erfolgt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Für die Fraktion GRÜNE spricht nun Herr Kollege Schoch.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben von Herrn Abg. Klein gerade gehört, dass eigentlich mehr oder weniger alles in Ord nung sei. Ich denke, das ist leider Gottes nicht so. Wir haben zwar eine leistungsfähige und florierende Wirtschaft, wir ha ben bei uns aber auch sehr viele Defizite. Zum einen – darü ber haben wir heute schon diskutiert – haben wir Defizite im Bildungssystem, zum anderen bei der Ausbildung und den Ar beitsbedingungen. Aus diesem Grund führen wir heute diese Aktuelle Debatte mit dem Titel „Gute Arbeit in Baden-Würt temberg durch Tariftreue, Mindestlöhne und Ausbildung für jeden Schulabgänger“.

Ich möchte Sie mit einem vielleicht etwas provozierenden Ver gleich konfrontieren. Wir Abgeordneten erhalten ja Abgeord netenbezüge. Deren Höhe beruht auf entsprechenden Rege lungen, die sich der Landtag gibt. Diese Bezüge bekommen wir als gewählte Vertreterinnen und Vertreter ausbezahlt. Sie ermöglichen es uns, ohne existenzielle Nöte hierherzukom men und unserer Arbeit nachzugehen. Wir verwalten die Steu ergelder der Bürgerinnen und Bürger und versuchen, diese Mittel zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger einzusetzen.

(Zuruf von der CDU: Hoffentlich!)

Wir regeln bisher jedoch nicht, dass den Menschen, die mit ihren Steuern auch zu unseren Bezügen beitragen, in unserem Land Löhne bezahlt werden, von denen sie leben können. Da her ist es meiner Meinung nach nicht nachvollziehbar, dass es in unserem Land auch Unternehmen gibt, die Dumpinglöhne bezahlen und durch unsere Politik auch noch dafür belohnt werden.

Sehr geehrte Damen und Herren, unfaire Löhne sind eine der größten Bedrohungen des sozialen Friedens und des sozialen Zusammenlebens.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Arbeit muss existenzsichernd vergütet werden. Die Bundes regierung unterstützt jedoch mit ihrer derzeitigen Politik die Ausweitung des Niedriglohnsektors. 1,3 Millionen Erwerbs tätige verdienen so wenig, dass sie ihr Einkommen durch Leis tungen der Grundsicherung aufstocken müssen. Dies betrifft auch Erwerbstätige in Baden-Württemberg.

Derzeit ist ein Fünftel aller Beschäftigten im Niedriglohnsek tor tätig. Der Anstieg der Zahl der Minijobber in Deutschland auf 7,3 Millionen zeigt zudem, dass viele Menschen mehre ren Jobs nachgehen müssen, um finanziell über die Runden zu kommen. Das ist fast jeder vierte Beschäftigte, und das sind 45 % mehr als noch vor zehn Jahren. Ein gesetzlicher Min destlohn würde diese Entwicklung endlich stoppen. Denn für immer mehr Menschen reicht ihr Lohn nicht zum Leben aus.

Über 30 % der sogenannten Aufstocker verdienen einen Stun denlohn von weniger als 4,50 €. Der Anteil der Beschäftigten im Niedriglohnsektor in Baden-Württemberg liegt bei 20 %. Jeder Zweite, der aus dem Hartz-IV-System in Beschäftigung wechselt, verdient weniger als 7,50 € in der Stunde.

Statt Arbeit für alle bei fairem Lohn nahm prekäre bzw. un gesicherte Beschäftigung zu. Nach wie vor ist die Leiharbeits branche eine Niedriglohnbranche, die Zukunftsperspektiven aufzeigt – aber nicht für die Arbeitnehmer, sondern immer nur für die Leiharbeitnehmerbranche.

Jeder Achte ist trotz Vollbeschäftigung zusätzlich auf Hartz IV angewiesen. Tarifstandards wurden ausgehöhlt und Stamm belegschaften durch Hire-and-fire-Beschäftigte ersetzt. Alle Risiken der Flexibilisierung tragen ausschließlich die Beschäf tigten, während die Arbeitgeber sich ihrer Verantwortung ent ziehen.

Sehr geehrte Damen und Herren, diese Entwicklung trägt da zu bei, dass der Sozialstaat immer mehr zu einem Bedürftig keitsstaat wird. Um dem Ausfransen des Arbeitsmarkts nach unten einen Riegel vorzuschieben, brauchen wir gutes Geld für gute Arbeit, mindestens aber existenzsichernde Mindest löhne.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren, unverzichtbarer Bestandteil im öffentlichen Beschaffungswesen muss die Gewährleistung einer ordentlichen Bezahlung sein, um Lohn- und Sozialdum ping bei öffentlichen Aufträgen zu unterbinden. Es muss ver hindert werden, dass Unternehmen bei der Ausführung öffent licher Aufträge untertariflich entlohnte Beschäftigte einsetzen und sich damit ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile ver schaffen.

Eine derartige Praxis hat nicht nur unsoziale Folgen für die Beschäftigten. Sie gefährdet auch in erheblichem Maß die Wettbewerbsposition derjenigen Unternehmen, die tarifge bundene Arbeitsplätze anbieten. Das ist nicht nachvollzieh bar. Einem solchen Verdrängungswettbewerb aufgrund der massiven Wettbewerbsverzerrungen können sich leider insbe sondere mittelständische Unternehmen oftmals nur schwer entziehen. Sie müssen entsprechend reagieren.

Sehr geehrte Damen und Herren, nur durch einen Mindest lohn und ein Tariftreuegesetz kann verhindert werden, dass Arbeitskräfte von Arbeitgebern ausgebeutet werden und wett

bewerbsverzerrende Löhne auch noch mit öffentlichen Gel dern ausgeglichen werden.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ist nicht nur ein Slogan. Es ist ein Grundsatz international vereinbarter Arbeitsbedin gungen. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse müssen wieder unter den Schutz von Tarifverträgen und Sozialversicherun gen gestellt werden.

Arbeit muss sich wieder lohnen. Dieser richtigen Aussage, die leider immer wieder missbräuchlich von bestimmten Partei en und Politikern benutzt worden ist, müssen die richtigen At tribute zugeordnet werden: gute Arbeit, fairer Lohn, gleicher Lohn für gleiche Arbeit.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir meinen es ernst mit dem Schutz vor Lohnarmut. Wir wollen, dass Armut trotz Arbeit ein Ende hat, und werden deshalb zusammen mit der SPD ein Tariftreuegesetz auf den Weg bringen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Ein solches Gesetz wird darauf abzielen, durch den Einsatz von Arbeitskräften zu sozialverträglichen Arbeitsbedingun gen einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten und durch die Berücksichtigung qualitativer Anforderungen hochwertige, nachhaltige und am Gemeinwohl orientierte Leistungen für die öffentliche Hand zu generieren.

Die Vergabeentscheidungen öffentlicher Auftraggeber werden unter Berücksichtigung verschiedenster gesellschaftlicher und politischer Aspekte getroffen. Durch die Einbeziehung sozia ler Kriterien ebenso wie von Aspekten des Umweltschutzes und der Gleichstellung im Vergabeverfahren soll ein solches Gesetz deshalb auch dazu beitragen, den Vorbildcharakter der öffentlichen Hand im Interesse wichtiger Gemeinwohlbelan ge wie Sozialverträglichkeit, Ausbildung, Integration, Um weltschutz, aber z. B. auch Energieeffizienz und Innovation zu stärken. Ein solches Gesetz kann sich auch positiv auf den Ausbildungsmarkt auswirken, da die Attraktivität von Ausbil dungsplätzen auch von der Frage der Zukunftsfähigkeit eines solchen Berufs abhängt.

Gerade junge Menschen stellen sich die Fragen: Kann ich mit dem, was ich in diesem Beruf verdiene – außer dass er mir Spaß macht –, meinen Unterhalt sichern? Kann ich auch mei ne Familie davon ernähren? Oder ein Jugendlicher – eventu ell, weil er leistungsgemindert ist – stellt sich die Fragen: Be komme ich überhaupt eine entsprechende Förderung, wenn ich leistungsgemindert bin? Habe ich überhaupt eine Chance, am Arbeitsmarkt eine berufliche Perspektive zu bekommen?

Meine Damen und Herren von der Opposition, ich hoffe, wir haben Ihnen unsere Argumente für die Notwendigkeit von Mindestarbeitsbedingungen verständlich machen können, da mit Sie in naher Zukunft dem baden-württembergischen Ta riftreuegesetz zustimmen können. Nicht „Geiz ist geil“ ist un ser Motto, sondern Lohngerechtigkeit, Qualität und gute Ar beit.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Für die FDP/DVP spricht jetzt Herr Kollege Dr. Bullinger.