Protocol of the Session on September 28, 2011

und dass die Schere zwischen denen, die Leistungen erbrin gen, und denen, die bei diesem Schulsystem durch das Raster fallen, immer weiter auseinandergeht. In kaum einem ande ren Bundesland besteht eine so große Abhängigkeit zwischen der sozialen Herkunft und dem Bildungserfolg wie in BadenWürttemberg.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Das ist genau so!)

Das dreigliedrige Schulsystem trägt hierzu leider in besonde rer Weise bei. Denn durch die frühe Selektion der Kinder nicht nur nach Leistung, sondern auch nach sozialer Herkunft be fördert es dies in besonderem Maß.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Die Einführung der Werkrealschule hat diese Situation nicht verbessert, sondern noch weiter verschärft.

(Abg. Charlotte Schneidewind-Hartnagel GRÜNE: Jawohl!)

Denn mit der Einführung der Werkrealschule ist eine absurde Konkurrenzsituation zwischen Hauptschulen und Werkreal schulen entstanden, die die Schüler und Schülerinnen noch weiter unterteilt.

Für uns Grüne ist es eine der wichtigsten gesellschaftlichen Aufgaben, dafür zu sorgen, dass die Kinder und Jugendlichen unabhängig von Herkunft oder Geschlecht den bestmöglichen Bildungserfolg haben.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Glocke des Präsidenten)

Frau Kollegin Boser, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Wacker?

Am Ende meiner Rede, bitte.

Am Ende Ihrer Rede. Sind Sie einverstanden? – Gut.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Schlussfrage!)

Wir sind uns nach dem, was das dreigliedrige Schulsystem momentan aufweist, natürlich völlig klar darüber, dass wir auch Verbesserungen bei den be stehenden Schularten brauchen. Diese Verbesserungen wer den wir angehen.

Wir wollen mit der Einführung der Gemeinschaftsschule ein schulisches Angebot starten, das statt auszusortieren dem in dividuellen Bildungsweg eines Kindes gerecht wird, das das Kind immer wieder fördert und fordert. Eine Schule für alle, die es den Kindern ermöglicht, ihr eigenes Lerntempo zu ver folgen, eine Schule, die den Begabungen und Entwicklungen jedes einzelnen Kindes gerecht wird, hat die größte Aussicht auf Erfolg bei dieser Herausforderung, jedem Kind den best möglichen schulischen Abschluss zu ermöglichen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Dabei werden im Übrigen auch die Anforderungen der Wirt schaft aufgegriffen, die immer wieder bemängelt, dass es den Jugendlichen an Eigenständigkeit und Teamfähigkeit fehlt. Durch Lerngruppen, in denen die Schülerinnen und Schüler immer wieder neue Rollen bekommen – mal als Lehrende und mal als Lernende –, erfahren sie die Fähigkeit und die Not wendigkeit, sich in Gruppen zurechtzufinden, sich zu behaup ten und sich auszutauschen. Denn miteinander zu lernen heißt auch voneinander zu lernen. Dabei ist es natürlich unabding bar, dass wir aus Gründen der Vergleichbarkeit und als ver lässlichen Rahmen die Bildungsstandards als Grundlage für die Inhalte nehmen, die wir an den Schulen weitergeben.

Es wird dabei aber auch unsere Aufgabe sein, zu prüfen, wel ches Wissen in der heutigen Gesellschaft wichtig ist. Diesen neuen Anforderungen müssen wir auch Rechnung tragen. Da her wird es nicht ausbleiben, dass wir auch die Bildungsplä ne neu betrachten. Dabei muss gewährleistet werden, dass die Kinder und Jugendlichen auf die Herausforderungen der Zu kunft gut vorbereitet werden, indem sie beispielsweise wich tige Kompetenzen im Bereich der nachhaltigen Entwicklung erfahren. Dazu gehören Kenntnisse über einen nachhaltigen, ressourcenschonenden Umgang mit der Umwelt, aber auch vertiefte Kenntnisse über soziale und wirtschaftliche Kompo nenten der Nachhaltigkeit.

(Beifall bei den Grünen, der SPD und der FDP/DVP)

Hinzu kommen die gesteigerten Anforderungen im Bereich der Medien, weshalb das Thema Medienkompetenz im schu lischen Alltag fächerübergreifend mehr Raum bekommen soll.

Wie wichtig es dabei aber auch ist, dass die Schule nicht nur ein Lern-, sondern auch ein Lebensort ist, wird immer wieder in Studien und Vorträgen bestätigt. Denn die Kinder und Ju gendlichen benötigen für einen erfolgreichen Schulalltag nicht nur Phasen des Faktenlernens, sondern auch Phasen, in denen sie sich bewegen, musizieren, neue Dinge ausprobieren oder sich auch entspannen können.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Und das gibt es an den Schulen heute nicht? So ein Quatsch!)

Die Zeit dafür ist an den meisten Schulen leider nicht gege ben.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ich lade Sie ein, ich kann es Ihnen zeigen! An was für eine Schule ge hen Sie denn?)

Nicht nur Lernangebote, sondern auch Freizeitangebote sind für eine Schule, die erfolgreich arbeiten will, ein wichtiger Bestandteil. Ganztagsschulen leisten auch einen erheblichen Beitrag zur Erhöhung der Chancengerechtigkeit. Dies hat üb rigens gerade erst die Bertelsmann Stiftung bestätigt, die beim Thema Integration das Fehlen von Ganztagsschulen als einen wichtigen Faktor dafür herausgestellt hat, dass Baden-Würt temberg hier nicht so weit ist wie andere Bundesländer.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Hört, hört! – Abg. Volker Schebesta CDU: Wir haben die höchste Zahl von Ganztagsschulen und die niedrigsten Klassen stärken!)

Ein weiterer wichtiger Erfolgsfaktor ist eine gute Zusammen arbeit zwischen Schule, Lehrkräften und Eltern. Eine gut funk tionierende Erziehungspartnerschaft zwischen Schule und El ternhaus ist eine wichtige Basis, die den Kindern und Jugend lichen bei der Orientierung auf ihrem Bildungsweg und auf ihrem Weg ins spätere Berufsleben hilft.

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Dabei dürfen wir nicht verkennen, dass es in Baden-Württem berg inzwischen einen ausgeprägten Fachkräftemangel gibt, der durch das bestehende Schulsystem offensichtlich nicht aufgefangen werden konnte.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Hört, hört!)

Hier müssen wir aktiv werden und bislang ungenutzte Poten ziale durch frühe und gute Förderung vor allem der Sprach kompetenzen bei unseren Kindern und Jugendlichen erschlie ßen und nutzen.

(Abg. Peter Hauk CDU: Bildungshaus!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, was die grün-rote Koalition hier im Bereich der Bildung vorhat, ist kein Quan tensprung und auch keine Revolution. Vielmehr ist es längst überfällige Sacharbeit.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Führen Sie es doch verpflich tend ein!)

Diese wurde in diesem Land bisher eklatant verschlafen. Das ist zum Nachteil vieler Schulabbrecher und Schulabgänger, die es heute noch schwerer haben als in den vergangenen Jah ren, sich auf einem unruhigen Arbeitsmarkt zurechtzufinden.

Doch Bildung ist für uns zuallererst auch ein Wert an sich. Je des Kind und jeder Jugendliche sollte die Möglichkeit haben, seine Talente frei zu entfalten. Wir werden uns den Anforde rungen und den geänderten Ansprüchen der Gesellschaft stel len und in stetigem Dialog mit den Beteiligten vor Ort Lö sungsstrategien erarbeiten und umsetzen. Denn nur wenn man Bildung auch als etwas begreift, was nicht statisch ist, son dern auch einem Wandel unterworfen ist, bei dem sich die Rahmenbedingungen ändern können und bei dem die Wissen schaft neue Erkenntnisse mit auf den Weg gibt, kann man ei ne Gesellschaft weiterentwickeln. Es bringt nichts, starr an al ten Ideologien festzuhalten und etwas zu verteidigen, was schon lange nicht mehr der Lebenswirklichkeit sowie den Be dürfnissen der Gesellschaft und der Menschen entspricht.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Claus Schmiedel SPD: Sehr gut! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sie kommen doch mit alten Ideologien!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Pablo Picas so hat einmal etwas gesagt, was sehr gut zu Ihrer Haltung in der Bildungspolitik passt.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Gut zuhören!)

Die meiste Zeit wird damit vergeudet, festzuhalten, was man schon längst verloren hat.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Volker Schebesta CDU: Wir verlieren gerade das gute Bil dungssystem! – Zuruf des Abg. Claus Schmiedel SPD)

Stellen Sie sich den Veränderungen und hören Sie auf Ihre Kollegen in den anderen Bundesländern, die längst erkannt haben, dass die Bildungslandschaft Veränderungen braucht, anstatt ständig Schreckgespenster heraufzubeschwören und Ihre immer gleichen Vorwürfe zu äußern.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Dass müssen Sie mir einmal vorlegen!)

Verwenden Sie Ihre Energie darauf, die wichtigen Verände rungen mitzutragen und anzuerkennen. Denn Zukunftsfähig keit, Weitsicht und Nachhaltigkeit sind neben der Chancen gerechtigkeit die Kriterien, an denen sich unser Bildungssys tem und unsere Gesellschaft in den kommenden Jahren wer den messen lassen müssen.

Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Volker Schebesta CDU: Jetzt wissen wir noch immer nicht viel mehr als vorher! – Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Gestatten Sie jetzt ei ne Nachfrage?

Bitte, Herr Abg. Wa cker.

Sehr geehrte Frau Kollegin Bo ser, ich nehme noch einmal Bezug auf den Anfang Ihrer Re de. Stimmen Sie mir zu oder – anders, ergänzend gefragt – ist Ihnen bekannt,

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Was denn jetzt?)