Protocol of the Session on May 6, 2015

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich will dies mit einem weiteren Zitat einer der Preisträgerin nen des Aufsatzwettbewerbs vervollständigen. Selina Fucker vom Max-Planck-Gymnasium in Karlsruhe hat geschrieben:

Deswegen lasst uns Visionen für das Europa der Zukunft entwickeln. Visionen für eine europäische Schulbildung, Visionen für eine europäische Arbeitswelt, Visionen für eine europäische Staatsbürgerschaft, Visionen für eine wirklich gerechte und gute... Verteilung und Versorgung der Flüchtlinge, Visionen für dauerhaften Frieden in Eu ropa und darüber hinaus, Visionen für eine europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik und vor allem für ein eu ropäisches Leben.

Ich glaube, meine Damen und Herren, genau darum geht es: ein europäisches Leben zu gestalten. Es geht nicht darum, dass wir unsere Herkunft, unsere Sprache oder die Stadt vergessen, aus der wir kommen und wo wir aufgewachsen sind. Vielmehr geht es darum, dass wir ein europäisches Leben entwickeln, dass wir uns frei bewegen können, dass andere Menschen zu uns kommen können und hier eine sichere Heimat finden kön nen. All das sind Teile dessen, ein europäisches Leben zu ent wickeln, das gelingt und das Europa als Staatengemeinschaft enger zusammenschweißt, vor allem als eine Gemeinschaft, die darauf aufbaut, dass sich die Menschen in Europa freund lich und gleich begegnen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Für die SPD-Fraktion erteile ich in der zweiten Runde der Kollegin Haller-Haid das Wort.

Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! Ich finde es ganz erstaunlich, dass es eine Schülerin ist, die auf die Bedrohung hinweist, in der sich Eu

ropa eben auch befindet. Europa ist im Moment auch gespal ten: in Nord und Süd und in Arm und Reich. Aufgrund dieser Problematik wachsen auch der Unmut und der Zuspruch, den rechtspopulistische und nicht selten auch rechtsextreme Par teien erfahren. Wenn man sich einmal die Ergebnisse der Eu ropawahlen ansieht, kommt doch große Sorge auf. Mit Sorge blicken wir auch auf Ungarn, wo die Regierung immer häufi ger Forderungen provoziert, die mit den Wertevorstellungen der EU nicht vereinbar sind.

Doch dürfen wir nicht nur auf andere schauen, sondern wir müssen auch vor der eigenen Haustür kehren. Denn in Sachen Rechtsextremismus schaut die Welt bei uns genauer hin. Da ist eben nicht alles gut. Antisemitismus und Rassismus waren in dieser Gesellschaft nie ganz verschwunden. Das hat auch mit dem Verdrängen von Vergangenheit zu tun. Aber diese Er scheinungen werden nicht weniger, sondern – das macht mir Sorge – das Gegenteil ist der Fall. In den letzten Monaten hat das Bild unserer weltoffenen und toleranten Gesellschaft ei nen Riss bekommen – nicht allein durch „Pegida“, sondern auch durch die AfD.

Die Rechtsextremen selbst werden eindeutig gewaltbereiter. Ich will ein Beispiel zitieren. Die NPD Rhein-Neckar hat im Internet veröffentlicht:

Es ist zu hoffen, dass die ersten Opfer der Islamisten in Mannheim keine Bürger sind, sondern Politiker der Mul tikulti-Parteien wie SPD, Grüne und Linke. Sie können ruhig in ihrem Blut ersaufen.

Da kann man nur Brecht zitieren: „Der Schoß ist fruchtbar noch.“ Deshalb, finde ich, ist es gut, dass es hier im Landtag einen NSU-Untersuchungsausschuss gibt. Es ist auch gut, wenn wir uns des Themas Rechtsextremismus genau anneh men und wenn hier im Land mit der Bagatellisierung von rechtsextremen Tendenzen Schluss gemacht wird.

(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie Abgeord neten der CDU und der FDP/DVP)

Einen zweiten Punkt würde ich gern noch ansprechen. Die Wunden des Zweiten Weltkriegs – der Kollege hat es vorhin angesprochen – kommen durch die Finanzkrise natürlich er neut hoch, beispielsweise in vielen südlichen Ländern oder in Griechenland. Wir Deutschen, wir Besiegten, haben nach dem Krieg bald wieder gut gelebt. Anderswo gab es keinen Mar shallplan, und die Kriegsfolgen waren länger zu spüren. In Griechenland z. B. gab es erst eine große Hungersnot, dann einen Bürgerkrieg, das Land war destabilisiert, und schließ lich kam die Junta an die Macht.

Griechenland oder andere Länder, in die Deutschland einmar schiert ist, wären heute ziemlich sicher besser dran, hätte es den Zweiten Weltkrieg nicht gegeben – unseren Weltkrieg. Trotzdem sind wir jetzt die Reichen, die Gläubiger und die Gönner. Die anderen sind die Schuldner und die Bittsteller. Dass jetzt über Reparationen oder Forderungen nach Rück zahlung von Kriegskrediten diskutiert wird, ist doch verständ lich und nachvollziehbar.

Als Standardantwort kommt häufig: „Das ist lange her, lassen wir es gut sein.“ Aber genau das dürfen wir nicht tun – es gut sein lassen und unsere Vergangenheit ruhen lassen –, weil

sonst die Gefahr besteht, dass uns die Vergangenheit wieder einholt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Für die CDU-Fraktion erteile ich dem Kollegen Wolf das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch diese zweite Runde hat sicherlich einen etwas anderen Charakter als die zweite Runde in sonst übli chen Aktuellen Debatten. In dieser Debatte geht es ja nicht darum, streitig aufeinander zu reagieren, sondern nochmals den spürbaren und wohltuenden Schulterschluss zu dokumen tieren.

Mir ist es wichtig – vielleicht ist das in der bisherigen Debat te noch etwas zu kurz gekommen –, an diejenigen, für die das Leiden an jenem 8. Mai erst seinen Ursprung genommen hat – an die Vertriebenen –, herzlichen Dank und Anerkennung für ihre großartige Aufbauleistung in unserem Land und für unser Land zu sagen. Sie sind zu ganz wichtigen Leistungs trägern geworden. Ich finde, das hat in dieser Debatte auch Wertschätzung und Dank verdient.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Abge ordneten der Grünen und der SPD)

Diesem Dank folgt ein Appell, der von verschiedenen Red nern bereits benannt wurde. Ich will ihn aber unterstreichen. Bei der aktuellen Diskussion um Europa scheinen fiskalische Probleme im Vordergrund zu stehen – Finanzpolitik, Wirt schaftspolitik. Natürlich berührt das die Menschen, natürlich treibt das die Menschen um. Wir dürfen diese Themen auch nicht tabuisieren. Aber es muss immer wieder darauf aufmerk sam gemacht werden, dass Europa mehr ist als Geld und Zin sen. Europa ist über Jahrzehnte zu einer Werte- und Friedens gemeinschaft geworden. Das ist Europa, und das muss immer wieder in den Mittelpunkt gestellt werden.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Abge ordneten der Grünen und der SPD)

Mit Blick auf das, was die Kollegin Haller-Haid soeben ge sagt hat, wünsche ich mir auch diesen Schulterschluss aller demokratischen Parteien in diesem Haus. Ich will für meine Partei ausdrücklich zusagen: Wir beteiligen uns an diesem Schulterschluss gegenüber denjenigen, die sich veranlasst se hen, mit rechtsradikalen Parolen auf unsere Straßen zu ziehen oder sich im Netz zu bewegen. Von diesen distanzieren wir uns, und gemeinschaftlich protestieren wir und wehren wir uns gegen solche radikalen Auswüchse. Das darf es in unse rem Land Baden-Württemberg nicht geben.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Abge ordneten der Grünen und der SPD)

Dem Dank und dem Appell folgt die Hoffnung, dass diese wichtige Debatte hier keine Binnendiskussion bleibt, sondern dass es uns gelingt, das Ganze nach außen zu tragen, dass das, worin zwischen uns hier Einigkeit besteht, auch hinausgeht in die junge Generation, zu den Schülerinnen und Schülern, die heute hier diese Debatte zum Teil verfolgen können, dass die

Schüleraustausche, die Städtepartnerschaften, der europäische Wettbewerb, den der Minister soeben angesprochen hat, neue Impulse erhalten.

Manches scheint zur Routine zu werden, aber es ist notwen diger, wichtiger und aktueller denn je, dass auch in der Zu kunft immer wieder neu motiviert und gestaltet wird. Deswe gen ist meine Hoffnung auch mit Blick auf die junge Genera tion: Lassen Sie uns aus dieser Debatte, aus diesem Plenar saal den Geist dieses geeinten Europa ins Land hinaustragen, damit in der gesamten Gesellschaft allgegenwärtig spürbar wird: Wir sind Europa.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Abge ordneten der Grünen und der SPD)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich der Kollegin Lösch das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Auch ich möchte nochmals auf das Ge denken und die Erinnerung zu sprechen kommen, die auch ei ne Verpflichtung bedeuten. Da sind zum einen die riesigen Flüchtlingszahlen – Menschen, die aus verschiedenen Grün den bei uns Schutz suchen –, zum anderen aber auch die sich bildenden rassistischen und extremistischen Bewegungen, wie beispielsweise „Pegida“, oder ein gesellschaftliches Klima, in dem Angriffe auf Flüchtlinge bzw. Asylbewerber stattfinden, nicht zu vergessen die Angriffe auf „Charlie Hebdo“ und auch auf einen jüdischen Supermarkt.

Deshalb müssen wir gemeinsam fortwährend für ein demo kratisches und tolerantes Miteinander streiten. Rechtsextre men, antisemitischen und homophoben Gesinnungen dürfen wir keinen Nährboden geben und müssen ihnen entschieden entgegentreten.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

In der Tat müssen wir gar nicht so sehr nur in andere Länder schauen. Auch bei uns in Baden-Württemberg, vor der Haus tür, haben wir mit rechtsextremen Umtrieben genug zu tun – Stichworte: NSU-Morde, Untersuchungsausschuss.

Heute ist in der „Stuttgarter Zeitung“ ein Bericht – ich habe ihn vorhin gelesen –: Ein Kino in Burladingen wurde mit Na ziparolen beschmiert. Warum? Weil ein Film über den Hitler attentäter Georg Elser gezeigt werden sollte. Aus Angst wur de der Film abgesetzt. Jetzt läuft „Shaun das Schaf“.

(Abg. Günther-Martin Pauli CDU: Er läuft aber jetzt! Er läuft jetzt!)

Es kann nicht sein, dass es bei uns in Baden-Württemberg sol che Ängste gibt – nach all dem, was wir erlebt haben. Des halb bin ich dankbar und froh, dass immer mehr Menschen quer durch alle Alters- und Berufsgruppen, quer durch alle re ligiösen und politischen Überzeugungen gegen diesen Rassis mus, für Vielfalt sowie gegen Ausgrenzung und Diskriminie rung auf die Straße gehen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie Abgeord neten der CDU und der FDP/DVP)

Hier erfahren wir gelebte, funktionierende Vielfalt, zu der wir alle positiv beitragen. Nur das macht ein Gemeinwesen sta bil.

Zum Abschluss möchte ich Noach Flug, den ehemaligen Prä sidenten des Internationalen Auschwitz Komitees, zitieren:

Die Erinnerung ist wie das Wasser: Sie ist lebensnotwen dig und sucht sich ihre eigenen Wege in neue Räume und zu anderen Menschen. Sie ist immer konkret: Sie hat Ge sichter vor Augen und Orte, Gerüche und Geräusche. Sie hat kein Verfallsdatum.

Dass die Erinnerung lebensnotwendig ist und kein Verfalls datum hat, ist völlig richtig. Einen Schlussstrich kann und darf es nicht geben. Unsere Vergangenheit lastet bleibend auf uns und bedeutet eben auch eine fortwährende Verantwortung.

Für uns, die heutigen Menschen, ist diese Verantwortung je doch weniger mit Schuld verbunden als vielmehr immer mit dem Auftrag, wachsam zu sein. Wir müssen die Würde jedes Einzelnen schützen und jeglicher Menschenfeindlichkeit weh ren.

Gerade heute, in einer Welt, in der Kriege und internationale Konflikte wieder zunehmen, sind wir aufgerufen, an dem eu ropäischen Projekt weiterzubauen und den 8. Mai als Tag der Befreiung zum Anlass zu nehmen, die unglaublich friedens stiftende Kraft der europäischen Idee nicht aus den Augen zu verlieren und gemeinsam am europäischen Haus weiterzubau en.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie Abgeord neten der CDU und der FDP/DVP)

Für die Fraktion der FDP/DVP erteile ich das Wort dem Kollegen Reith.