Protocol of the Session on April 29, 2015

Das sind Themen für die nächsten Gipfel. Aber diese Fragen werden sich nicht von heute auf morgen lösen lassen. Des halb, meine Damen und Herren, gibt es keine Alternative zu „Mare Nostrum“. Das ist auch das, was wir wieder einfordern, wofür wir uns einsetzen: eine Seenotrettung, die sich eben nicht nur auf die europäischen Küsten beschränkt, sondern im gesamten Mittelmeer tätig ist. Die Alternative zu „Mare Nos trum“ heißt erneutes Sterben – Massengrab Mittelmeer.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Für die FDP/DVP-Fraktion ertei le ich dem Kollegen Glück das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht das Europa, das ich will, vor dessen Toren Flüchtlinge im Mittelmeer er trinken. Das ist nicht das Europa, das ich will, wo ertrunkene Frauen, Kinder und Männer als Abschreckung dienen sollen für andere, eine gefährliche Überfahrt anzutreten.

Ich bin zutiefst berührt, aber auch beschämt und frustriert; be rührt von den Menschen, die auf der Suche nach einem bes seren Leben dieses verlieren, und beschämt, dass wir, dass Eu ropa keine adäquate Antwort auf diese Fragen hat. Wir be

kommen es nicht einmal hin, dass wir einen gemeinsamen Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge in Europa etablieren. Wir schaffen es nicht einmal, dass wir in Europa einen Schritt vor wärts gehen und dann den nächsten Schritt vorwärts gehen, sondern wir gehen einen Schritt vorwärts und gehen dann wie der zwei Schritte zurück.

Ein Beispiel hat die Kollegin Haller-Haid gerade angespro chen: „Mare Nostrum“, das Seenotrettungsprogramm von Ita lien, wurde von der EU nicht übernommen, sondern ersetzt durch „Triton“, und dies wurde finanziell mit deutlich schlech teren Ressourcen ausgestattet. Nun wird nicht mehr vor der libyschen Grenze patrouilliert – worauf es ankommen würde –, sondern in europäischen Gewässern.

Beim EU-Flüchtlingsgipfel, den wir hatten, gab es viele, vie le Worte. Es gab in der Tat auch – zumindest in diesem Be reich – eine kleine Verbesserung, nämlich, dass „Triton“ mit mehr Geld ausgestattet wird. Aber die Schiffe und die Flug zeuge patrouillieren halt immer noch nicht dort, wo sie pat rouillieren müssten, nämlich vor Libyen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin frustriert, weil auch ich kein Patentrezept liefern kann, wie wir, der Landtag von Baden-Württemberg, als Gesetzgeber hier in Ba den-Württemberg direkt Einfluss darauf nehmen können.

Oder können wir vielleicht doch Einfluss darauf nehmen? Un ser Landesvorsitzender Michael Theurer hat im Nachgang zu dem letzten Schiffsunglück gesagt: „Wir müssen versuchen, die Lebensbedingungen vor Ort zu verbessern.“ Das ist alles richtig – das kann ich nur unterstreichen –, aber dazu kann das Land Baden-Württemberg nur „umschrieben“ etwas leisten.

Weiter: „Wir brauchen einen wirksamen Schutz an der EUAußengrenze, der auf der einen Seite Schlepper bekämpft und auf der anderen Seite Schiffbrüchige rettet.“ Auch das ist be stimmt richtig. Aber dazu kann das Land Baden-Württemberg nicht arg viel beitragen.

Und: „Wir brauchen einen gerechten Verteilungsschlüssel für die Flüchtlinge in der EU.“ Auch dazu können wir als Lan desparlament vielleicht nicht allzu viel beitragen. Wir können aber z. B. auf eine gerechte Kostenerstattung für unsere Kom munen achten. Das können wir machen.

Der letzte und vielleicht wichtigste Punkt: Wir brauchen aus unserer Sicht ganz klar ein Einwanderungsgesetz. Bei diesem Punkt ist auch Baden-Württemberg als Land gefragt.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Grundsätzlich ist es doch so: Das Asylrecht ist wichtig und richtig für die Menschen, die in ihren Heimatländern syste matischer Verfolgung ausgesetzt sind. Aber es gibt eben auch andere Menschen, Menschen, die aus wirtschaftlichen Grün den hierher nach Europa kommen wollen und ein besseres Le ben suchen. Ich habe selbst zwei Kinder, und – glauben Sie mir – ich würde auch versuchen, für meine Kinder das best mögliche Umfeld herauszuholen.

(Glocke des Präsidenten)

Kollege Glück, gestatten Sie – –

Ich lasse die Frage gern am Schluss zu.

Jawohl.

Aber das Asylrecht ist an dieser Stelle überfordert. Das Asylrecht ist für die Menschen da, die Asyl suchen, nicht für diejenigen, die einwandern wol len. Deswegen brauchen wir eine andere Art der legalen Ein wanderung nach Deutschland. Wir brauchen ein Punktesys tem. Dazu haben wir einen Fraktionsantrag eingereicht, Drucksache 15/6619. Darin ersuchen wir die Landesregierung, über eine Bundesratsinitiative ein Zuwanderungsgesetz zu eta blieren.

Ich mache jetzt hier keine Parteipolitik. Ich tue das nicht. Frau Haller-Haid, Sie haben mir dazu einige Steilvorlagen gege ben. U. a. hätte ich Sie fragen können: Wer stellt denn den Au ßenminister in der Bundesrepublik Deutschland?

(Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

Aber ich verzichte auf diese Frage. Die einzige kritische An merkung, die ich machen möchte, ist: Unser Antrag, in dem wir mehr als eine Seite lang konkrete Vorschläge machen, wie ein Einwanderungsgesetz aussehen könnte – mit einem Punkte system, mit Fördermaßnahmen zum Spracherwerb, mit Rege lungen für den Übergang von einem Asylrecht zu einem Ein wanderungsrecht, sodass auch ein Quereinstieg möglich ist; es ist mehr als eine DIN-A4-Seite voller konkreter Vorschlä ge –, wurde beantwortet auf einer halben Seite mit dem Ver weis darauf, Rheinland-Pfalz habe schon eine Initiative ein gebracht; diese wolle man unterstützen, was aber leider kom pliziert sei, weshalb das Ganze in den vier Ausschüssen bis her vertagt worden sei.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Warum haben Sie es nicht zu Ihrer Regierungszeit in Berlin gemacht?)

Meine sehr geehrten Damen und Herren – –

(Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

Jetzt brauchen wir doch einmal gar nicht zu brüllen, Herr Lede Abal. Bei diesem Thema könnte man doch wirklich ein mal die Klappe halten und gemeinsam an einem Strang zie hen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

Deswegen möchte ich an dieser Stelle noch einmal die Lan desregierung auffordern: Arbeiten Sie im Bundesrat darauf hin, dass schnellstmöglich ein Einwanderungsgesetz auf der Basis eines Punktesystems zustande kommt. Wir müssen bei aller Betroffenheit sagen: Es gibt vielleicht nicht arg viel, was Baden-Württemberg tun kann. Aber durch eine gerechte Kos tenerstattung an unsere Kommunen könnten wir etwas ma chen. Außerdem müssen wir Druck machen, dass wir ein Ein wanderungsgesetz bekommen; legale Einreise muss sich be zahlt machen.

Jetzt lasse ich die Frage zu.

(Abg. Beate Böhlen GRÜNE: Hat sich erledigt!)

Gut, hat sich erledigt.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE – Gegenruf des Abg. Andreas Glück FDP/ DVP: Immer diese Hineinschreierei! – Gegenruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Entschul digung, das ist hier keine Kirche!)

Dann darf ich für die Landesre gierung das Wort Herrn Minister Friedrich erteilen.

Herr Präsident, meine sehr ge ehrten Damen und Herren Abgeordneten, liebe Gäste! Ich möchte mich bedanken für die, wie ich finde, sehr sachliche und auch über alle Parteigrenzen hinweg sehr verbindende Debatte. Denn das, was wir an den Außengrenzen der EU, ins besondere an den Seegrenzen im Mittelmeer, erleben, be schämt uns und muss uns beschämen. Wenn wir sehen, dass Menschen, die nach einem besseren Leben suchen, vor Ge walt, vor der Vernichtung ihrer Existenzgrundlage, vor dem Zerfall ihrer Staaten und vor Verfolgung fliehen und dabei den Weg wählen – unfreiwillig wählen –, in Boote zu steigen, die nicht seetüchtig sind, und dabei selbst Opfer dieser Machen schaften von Schleppern werden und auf der Überfahrt ertrin ken, dann ist das für uns alle nicht das Europa, das wir uns vorstellen.

Die Wahrheit ist auch, dass all die Instrumente, die angespro chen worden sind, keine Lösung von jetzt auf nachher für die se Schwierigkeiten darstellen werden. Deswegen ist der Hin weis des Abg. Glück sehr berechtigt, dass wir es nicht nur nicht geschafft haben, durchgreifende Lösungen zu erzielen, sondern dass die europäischen Mitgliedsstaaten und die EU bei diesem Thema mäandern, dass sie keineswegs immer ge meinsam und in der richtigen Richtung an einem Strang zie hen.

Ich will die EU an dieser Stelle aber trotzdem in Schutz neh men. Denn nach wie vor ist die Frage der Sicherung von Au ßengrenzen, von Staatsbürgerschaftsrecht, von Asylrecht, von Flüchtlingsrecht zunächst Sache der Mitgliedsstaaten der EU. Die EU hat mit dem Gipfel ein erweitertes Mandat bekom men. Ich glaube trotzdem: Um das tatsächlich in eine Ge samtstrategie gießen zu können, brauchen wir auch verstärk te Zuständigkeiten und eine Verständigung in der EU auf ei ne gemeinsame europäische Politik und nicht das Verstecken hinter Verantwortlichkeiten der jeweils anderen zuständigen Ebene. Es braucht eine gemeinsame, eine umfassende Ant wort der Mitgliedsstaaten und der EU auf diese Herausforde rung statt des Weiterschiebens der Verantwortung von Gipfel zu Gipfel und von Regierungen zur Kommission und umge kehrt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich finde es wich tig in der Debatte, dass wir beim Thema „Bekämpfung der Fluchtursachen“ beginnen. Natürlich sind Themen wie See notrettung, Umgang mit Flüchtlingen, Integration, Unterbrin gung und natürlich Finanzierung wichtige Fragen. Aber wir sollten gemeinsam nicht die Hoffnung aufgeben, dass es uns tatsächlich gelingt, die vielen Krisen und die vielen Ursachen für Flucht auch anzugehen.

Ich finde den Umstand nach wie vor beschämend, dass wir, die EU-Mitgliedsstaaten, ein Vielfaches dessen, was für die Bekämpfung der Fluchtursachen eingesetzt wird, an Mitteln dafür ausgeben, Außengrenzen zu sichern und letztlich auch Grenzsicherung zu betreiben. Deswegen ist in einer Debatte um die EU-Flüchtlingspolitik das Wichtigste, mit der Frage zu beginnen: Was können wir tun – sei es durch Entwicklungs hilfe, sei es durch Sicherheitspolitik –, um Fluchtursachen auch wirklich anzugehen, damit die Menschen erst gar nicht aus ihrer eigenen Heimat wegziehen?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der Grünen und der SPD)

Das Zweite – da danke ich auch für die Bekenntnisse, die es in dieser Debatte u. a. von Ihnen, Herr Dr. Reinhart, gab –: Wir müssen legale Möglichkeiten der Zuwanderung in die EU stärken. In vielen Ländern, sei es in Afrika, sei es auf dem Bal kan, gehen die Menschen illegale Wege, weil sie überhaupt keine legale Möglichkeit der Zuwanderung haben. Wie ver zweifelt muss man denn sein, in ein solches Boot zu steigen oder sich irgendwelchen Schleppern – übrigens für viel Geld – anzuvertrauen, um zuwandern zu können? Was können wir gegen diese Verzweiflung tun?

Eine Möglichkeit ist, dass wir tatsächlich in der EU und auch in Deutschland endlich ein Einwanderungsgesetz schaffen, damit die Menschen nicht auf Asyl angewiesen sind, sondern auch humanitäre Möglichkeiten zur legalen Zuwanderung nut zen können. Da danke ich für die Impulse auch aus der FDP. Wir sind in einem laufenden Bundesratsverfahren, und Sie können sicher sein, Herr Abg. Glück, die Landesregierung un terstützt nach Kräften alles, was dazu führt, dass wir in Deutschland endlich ein richtiges Zuwanderungsrecht bekom men, um den Menschen legale Zuwanderungsmöglichkeiten anbieten zu können, damit sie sich nicht mehr illegalen Ma chenschaften anvertrauen müssen und eine Chance und eine Perspektive in der EU finden.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie Abgeord neten der FDP/DVP und der Abg. Friedlinde Gurr- Hirsch CDU)

Es wurde gemahnt, nicht parteipolitische Debatten zu führen. Das ist sicher richtig. Aber wir sollten Verantwortlichkeiten auch klar benennen. Ich bin der Meinung, dass unser jetziges Asylrecht nicht ausreicht, um legale Zuwanderungsmöglich keiten zu schaffen. Deswegen ist es dringend notwendig – – Ich hoffe, dass die CDU/CSU im Bundestag ihren Widerstand gegen ein echtes Zuwanderungsrecht in Deutschland aufgibt. Es gibt Vorschläge: Die FDP hat welche gemacht, die SPDBundestagsfraktion hat einen umfassenden Vorschlag vorge legt mit verschiedenen Möglichkeiten für eine Zuwanderung, die Grünen haben selbstverständlich auch Vorschläge vorge legt.

Es ist dringend geboten, dass wir nicht Thesen in die Welt set zen in der Art, wie es auch der Abg. Wolf gemacht hat – „Wir dürfen nicht durch die Hintertür zum Zuwanderungsland wer den“. Wir müssen endlich auch die Vordertüren aufmachen, um legale Zuwanderung zu ermöglichen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Wir begrüßen sehr den Beschluss, die Seenotrettungsmittel zu verdreifachen; das ist gut und richtig. Gut und richtig ist auch,

dass sich die deutsche Bundesregierung auch durch die Be reitstellung von Schiffen und die Bereitstellung von Trans portkapazitäten daran beteiligt, die Seenotrettungskapazitäten im Mittelmeer zu verbessern. Gleichwohl – das ist in der De batte richtigerweise gleich mehrfach angesprochen worden – braucht es dafür zwei Dinge. Das ist zum einen die Auswei tung des Zuständigkeitsgebiets. Ob das jetzt „Mare Nostrum“, „Triton“ oder einen anderen Titel hat, ist egal. Wichtig ist, dass die Seenotrettung dort stattfindet, wo tatsächlich die Boote in Gefahr geraten.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen, der SPD und der FDP/DVP – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/ DVP: Sehr richtig!)