Protocol of the Session on April 16, 2015

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 126. Sitzung des 15. Landtags von Baden-Würt temberg.

Urlaub für heute habe ich Herrn Abg. Bernd Hitzler und Herrn Abg. Karl-Wilhelm Röhm erteilt.

Krankgemeldet sind Frau Abg. Rosa Grünstein, Frau Abg. Viktoria Schmid und Frau Abg. Charlotte Schneidewind-Hart nagel sowie Herr Abg. Willi Stächele.

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt haben sich ganztägig Herr Minister Peter Friedrich, Herr Minister Winfried Her mann, Frau Staatsrätin Gisela Erler und Frau Staatssekretärin Marion von Wartenberg sowie ab 15:30 Uhr Frau Ministerin Theresia Bauer.

Wir treten damit in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Null Toleranz bei der Rockerkrimina lität – beantragt von der Fraktion der SPD

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 40 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Rednerinnen und Redner in der zweiten Runde gilt jeweils ei ne Redezeit von fünf Minuten. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten.

Das Wort für die SPD-Fraktion erhält Herr Kollege Sakella riou. – Bitte schön.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Es ist erforderlich geworden, das The ma „Null Toleranz bei der Rockerkriminalität“ wieder einmal in den Fokus zu nehmen. Erst in den vergangenen Wochen gab es wieder gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Rockern oder rockerähnlichen Gruppen, die natürlich Angst und Schrecken verbreiten. Konkret: Gestern war ein großer Artikel im „Südkurier“. Das Thema wabert also und kommt immer wieder zur Sprache. Es sollte deshalb auch von uns be handelt werden.

Dies sollte auch deswegen geschehen, weil in bestimmten Kreisen immer wieder einmal die Rocker auch romantisiert werden und als harte Kerle mit einer rauen Schale und einem weichen Kern beschrieben werden. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch um Leute, die zur organisierten Kriminalität ge

hören und schlimmste Straftaten begehen. Das ist auch keine allzu kleine Gruppe. Wir reden von immerhin 1 200 Rockern in Baden-Württemberg und von immerhin 800 Personen, die dem rockerähnlichen Bereich zuzuordnen sind.

Diese Gruppierungen begehen schlimmste Straftaten. Ich will einmal mit Waffengeschäften beginnen. Waffengeschäfte und damit zusammenhängend auch Tötungsdelikte sind absolut verabscheuungswürdige Straftaten. Erst vor Kurzem ist in die sem Zusammenhang wieder ein Mensch getötet worden und ein Mordversuch geschehen. Eine Person ist in der Folge noch heute schwerbehindert. Von 21 Beteiligten sind immerhin elf Rocker und Rockerangehörige zu Haftstrafen von bis zu acht Jahren verurteilt worden. Es handelt sich also um richtig bru tale Typen.

Es gibt leider Gottes auch Beziehungen von Rockern ins rechtsextremistische Milieu, deren Umfang immer deutlicher wird und uns auch in der NSU-Enquetekommission und im NSU-Untersuchungsausschuss deutlich geworden ist. Ich nen ne ein paar Beispiele: Der bayerische NPD-Funktionär Sascha Roßmüller, der zeitweilig NPD-Bundesvize war, gehört zur Führungsriege des Bandidos-Chapters in Regensburg. Der ExNPD-Kreisvorsitzende in Weimar gehört zur Unterstützungs gruppe der Hells Angels. Der Ex-NPD-Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein gehört zu den Bandidos. Mirko Appel vom „Selbstschutz Sachsen-Anhalt“ – das ist eine militante Neonazi-Schlägertruppe – gehört zu den Hells Angels. Die Neonazi-Kameradschaft „Werwolf“ gehörte zum inzwischen verbotenen Rockerclub „Schwarze Schar MC“. Auch in Mannheim in Baden-Württemberg ist das Clubhaus des „Ban didos MC“ immer wieder Veranstaltungsort für SkinheadKonzerte. Organisiert werden die von einem NPD-Stadtrat, der jetzt dort aktiv ist. Das heißt, auch in diesem Bereich sind die Rockerkriminellen aktiv.

Auch Drogenkriminalität ist eine wirklich üble Angelegen heit. Erst im Dezember 2014 wurde in Karlsruhe ein Netz aus gehoben. Dort wurde Folgendes gefunden: 10 kg Ampheta mine, Kokain, Cannabis, 45 000 € Dealergeld und eine Geld zählmaschine. Eine Geldzählmaschine! Daran, dass dort Geld mit Maschinen gezählt wird,

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Die Intelligenz reicht nicht aus!)

sieht man einmal, in welchem Umfang dort Umsätze gemacht werden. Da geht es also um Umsätze in einem Umfang, der wirklich verachtenswert ist.

Besonders ekelhaft, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind die Delikte, die mit Menschenhandel, mit Zwangsprostitution von

jungen Frauen etwa aus Bosnien oder aus Rumänien in Bor dellen zu tun haben. Daran machen sich die gegelten Bordell besitzer natürlich nicht die Finger schmutzig. Wenn es darum geht, diese jungen Frauen gefügig zu machen, ihnen Gewalt anzutun und sie mit Gewalt in der Prostitution zu halten, kom men diese Rockerbanden ins Spiel. Der Kampf gegen dieses absolut verabscheuungswürdige Verhalten ist bei der Landes regierung, beim Innenminister und bei der Polizei gut aufge hoben.

Was macht denn die Regierung? Null Toleranz bei der Ro ckerkriminalität. Zunächst einmal wird – damit trifft man die se Herrschaften in ihrer Ehre – ein Kuttenverbot verhängt, das auch durchgesetzt wird. Vereinsverbote werden durchgesetzt. Die Red Legion ist im Jahr 2013 verboten worden, und da ist die Polizei auch hinterher. Durch die Polizeistrukturreform ist es jetzt möglich geworden, spezielle Rocker-Sachbearbeiter in den Polizeipräsidien einzurichten, bei denen sich das Knowhow bündelt, bei denen auch V-Leute geführt werden können und ein flächendeckendes Netzwerk zur Bekämpfung der Ro ckerkriminalität geschaffen wurde.

Aber ganz wichtig ist es – da ist die Landesregierung zu Recht hinterher –, eine grundsätzliche waffenrechtliche Regelung hinzubekommen, wonach jeder, der zu einer Rockergruppe gehört, automatisch als unzuverlässig eingestuft wird und nicht mehr in den Besitz von Waffen kommen kann. Das ist eigentlich die zentrale Möglichkeit, um hier aufzuräumen. Denn für alle Arten von Kriminalität, die von den Rockern ausgehen, werden ja geradezu auch Waffen benötigt.

Jetzt komme ich zum eigentlichen Grund, warum die heutige Aktuelle Debatte aus meiner Sicht so wichtig ist. Im Moment lesen wir in den Zeitungen viel über Ermittlungspannen bei der Polizei, über Schlamperei bei der Polizei. Dabei gerät ein bisschen aus dem Blick, dass die Polizeibeamtinnen und Po lizeibeamten in Baden-Württemberg als wahrscheinlich ein zige Berufsgruppe in einem Feld arbeiten, in dem sich der Gegner an keine Spielregeln hält. Wir, die Abgeordneten – Regierung, Opposition –, halten uns bei unseren Auseinander setzungen an ein Regelwerk.

(Zuruf von der SPD: Wir schon!)

Die Journalisten haben Regelwerke, auch im Sport gibt es Re geln, die von beiden Lagern im Grunde eingehalten werden. Die Einzigen, die wirklich im Sumpf tätig sind, wo sich die Gegner nicht an Regeln halten und sich geradezu als Outlaws, als Gesetzlose betrachten, sind die Polizeibeamten, denen je doch ihrerseits genau auf die Finger geschaut wird, wenn dort Fehler passieren. Und es passieren natürlich Fehler,

(Abg. Thomas Blenke CDU: Absolut richtig, was Sie sagen!)

weil in dieser Gemengelage die Polizeibeamten oft genug in dem Dilemma, in dem sie sich bewegen, alleingelassen wer den und auch eine riesige Verantwortung haben.

Ich möchte, dass auch heute das Signal ausgesandt wird: Wir brauchen die Polizei, um die Rockerkriminalität zu bekämp fen. Die Polizei macht das gut, aber in dem Sumpf, in dem sich die Beamtinnen und Beamten bewegen, möchte niemand von uns sein, weil das ein rechtloser Raum ist. Diese verant

wortungsvolle Aufgabe sollte heute an dieser Stelle honoriert werden.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Kollegen Blenke.

Herr Präsident, werte Kollegin nen und Kollegen! Null Toleranz bei der Rockerkriminalität – wer will dagegen schon etwas haben? Die jüngsten Aufmär sche in Stuttgart und in Ludwigsburg haben gezeigt, wie ak tuell und wie ernst die Bedrohung zu nehmen ist. Kollege Sa kellariou hat das völlig richtig ausgeführt.

Rockerkriminalität wird seit Jahren bundesweit der organi sierten Kriminalität zugerechnet. Dahinter verbergen sich schwerste Straftaten. Ich nenne nur Rauschgifthandel, übels te Gewaltdelikte im Umfeld von Rotlichtmilieus und im Tür steherbereich. Der Trend hält an. Es ist eine zunehmende in ternationale Vernetzung zu beobachten. Die Gefährlichkeit nimmt zu.

Mit ihrem martialischen Auftreten stellen die Rockerbanden eine Bedrohung der öffentlichen Sicherheit dar, ganz zu schweigen von den Straftaten, die eben genannt wurden. Sie sind streng hierarchisch organisiert und stellen sich als ein Staat im Staate dar. So ist auch das Selbstverständnis. Doch das Gewaltmonopol liegt allein beim Staat und ist von den Si cherheitsbehörden – da haben Sie völlig recht, Kollege Sakel lariou – konsequent durchzusetzen.

Dieser Aufgabe stellen sich die Sicherheitsbehörden in Ba den-Württemberg bereits seit Langem. Es war Ihr Vorgänger, Herr Minister Gall – Innenminister Rech –, der bereits im Jahr 2004 eine entsprechende Konzeption vorgelegt hat. Das war auch Gegenstand mehrerer Innenministerkonferenzen, soweit ich informiert bin.

Nicht nur die Polizei hat die Rocker im Visier, sondern auch der Verfassungsschutz. Der Verfassungsschutz beobachtet die Lageentwicklung. Er erforscht Verbindungen. Das zeigt, lie be Kolleginnen und Kollegen, dass auch in diesem Bereich ein schlagkräftiger Verfassungsschutz in der Sicherheitsarchi tektur unseres Landes unverzichtbar ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, die CDU ist hier völlig bei Ihnen: null Toleranz bei der Rockerkriminali tät. Eigentlich ist das unter uns Demokraten hier im Hause doch ein selbstverständlicher Konsens. Deswegen fragen wir uns schon: Weshalb macht die SPD eine demokratische Selbst verständlichkeit zum Gegenstand einer Aktuellen Debatte? Ist es für die Sozialdemokraten vielleicht schon eine Erfolgsmel dung, wenn sie bei einem Sicherheitsthema einmal keinen Dissens mit ihrem Koalitionspartner haben, sodass es sich lohnt, das als Punkt 1 auf die Tagesordnung zu setzen?

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Wollen Sie Ihrem Innenminister vielleicht ein Forum bieten, sich einmal positiv als durchsetzungsfähiger Macher zu prä sentieren? Oder wollen Sie vielleicht von Problemen ablen ken? Sie haben selbst welche genannt, Herr Sakellariou. Das

wäre aus Ihrer Sicht verständlich, nachdem durch die Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses immer drängendere Fra gen auch in Richtung des Innenministeriums aufgeworfen werden.

Auch sonst ist in diesem Bereich bekanntlich einiges schief gelaufen. Ich könnte jetzt natürlich wieder die missglückte Polizeireform nennen. Aber es gibt noch etwas Weiteres: Es gibt zum Glück aktuell eine Einigung in Berlin zur Speiche rung der Verbindungsdaten. Herr Minister Gall, ich begrüße ausdrücklich – da haben Sie uns bei sich –, dass Sie das so of fen unterstützen. Wir sind gespannt, wie sich die Landesre gierung dieses Mal insgesamt zu dem Thema verhalten wird.

Wann setzen Sie sich endlich – um bei Pleiten, Pech und Pan nen weiterzumachen – beim Schutz der Bevölkerung vor Sauf gelagen durch, nachdem jetzt schon die fünfte Freiluftsaison in den Innenstädten beginnt und außer Ankündigungen von Ihnen nichts geschieht?

(Abg. Walter Heiler SPD: Das hat mit dem Thema gar nichts zu tun!)

Wann legen Sie mehr als nur hilflose Konzepte gegen die stei gende Zahl von Wohnungseinbrüchen vor? Wann tun Sie end lich etwas gegen Schlepperbanden?

(Abg. Walter Heiler SPD: Wovon reden Sie jetzt, Herr Blenke?)

Unsere Polizisten sind mittlerweile so verunsichert, dass sie bei Blockaden vor Asylunterkünften noch nicht einmal mehr die Personalien aufnehmen.

Letztlich noch einmal zum Verfassungsschutz: 20 Stellen wer den abgebaut, dann werden wieder 15 Stellen hinzugefügt. Was soll dieser Eiertanz?

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

In der Tat wäre null Toleranz bei Rockerkriminalität eine will kommene Ablenkung von Pleiten, Pech und Pannen.

In der Sache sind wir absolut bei Ihnen, wenn es darum geht, die Rockerkriminalität konsequent zu bekämpfen. Wir sind auch gespannt auf Ihre Konzepte, die Sie uns nachher vortra gen werden, Herr Minister. Aus Ihrem Umfeld kam schon die Forderung nach Waffenverbotszonen. Mich würde interessie ren, was damit konkret gemeint ist. Unseres Wissens ist das öffentliche Tragen von Waffen schon heute verboten. Bitte er läutern Sie uns daher, was noch dahintersteckt. Ich weiß es wirklich nicht, und es würde mich interessieren.

Wir fordern Sie auch auf, die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts konsequent durchzusetzen, wo nach schon die Mitgliedschaft in bestimmten Rockergruppen ausreicht, um Waffenerlaubnisse zu versagen. Das bedeutet, man kann auf der Basis der aktuellen Rechtsprechung Anträ ge auf Waffenerlaubnisse konsequent ablehnen und bestehen de Erlaubnisse, sollte es sie geben, konsequent widerrufen. Tun Sie das bitte. Die bloße Mitgliedschaft in bestimmten Ro ckergruppen reicht dazu aus.