Protocol of the Session on March 11, 2015

(Beifall bei den Grünen)

Der zweite Punkt ist an die FDP/DVP gerichtet. Schiedsge richtsverfahren als Chancen für den Mittelstand zu begreifen, das finde ich – –

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Wer hat denn das erzählt?)

Das haben Sie vorhin gesagt. Sie haben gesagt, der badenwürttembergische Mittelstand brauche Schiedsgerichtsverfah ren, weil es unserem Land nur damit gut gehe.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Nein! Ich habe gesagt, unser Mittelstand braucht Verfahren!)

Wenn Sie einmal hören, was der Verband von Herrn Reinhart, der jetzt nicht mehr anwesend ist, zu den Schiedsgerichtsver fahren sagt, dann ist die Sache völlig klar. Wir greifen mit sol chen Schiedsgerichtsverfahren die Demokratie an.

Das wird beispielsweise daran deutlich, dass Philip Morris Uruguay verklagt, nur weil in Uruguay ein Nichtraucher schutzgesetz auf den Weg gebracht wird. Dabei verklagt Phi lip Morris den Staat wegen verloren gegangener Gewinne. Daran wird deutlich, was auf uns zukommen kann. Ähnliches gilt, wenn ein amerikanisches Unternehmen Kanada verklagt, weil es wegen eines Fracking-Moratoriums dort kein Gas för dern kann.

Das sind die Aussichten, denen wir uns gegenübersehen, wenn wir nicht frühzeitig unsere Demokratie verteidigen.

Bei Schiedsgerichtsverfahren zeigt sich genau das Phänomen, vor dem Montesquieu bereits 1748 gewarnt hat. Bei zwei Ver tretern von Wirtschaftsunternehmen und einem Schiedsrich ter entsteht nämlich die Situation, dass wechselnde Hüte auf gesetzt werden, sodass Legislative, Exekutive und Judikative in einem Saal sitzen. Diese sind aber nicht öffentlich bestellt, sondern werden privat eingerichtet.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sprecht ihr jetzt vom Jagdrecht, oder was?)

Das betrachten Sie als Chance für den Mittelstand. Ich muss Ihnen sagen, es überfordert unsere Leute, wenn sie mit gro ßen Unternehmen an einem Tisch sitzen und mit diesen ver handeln, wobei die Richter nicht öffentlich bestellt worden sind, sondern im freien Feld Recht sprechen sollen.

Insofern haben Sie nichts dazugelernt. Ich will noch weiter gehen. Vielleicht sagt Ihnen der Chill-Effekt etwas. In Aust ralien beispielsweise ist ein Gesetzgebungsverfahren auf Eis gelegt worden, weil ein Tabakunternehmen gegen Neuseeland geklagt hat. Das zeigt, dass die Legislative auf Schiedsge richtsverfahren reagiert im Vorgriff auf eine mögliche Ent scheidung in einem anderen Land. So darf sich die Demokra tie aber nicht einschränken lassen. Diese Debatte hat gezeigt, welch gespaltenes Verhältnis Sie zur Demokratie haben.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Für die SPD-Fraktion erteile ich dem Kollegen Funk das Wort.

Verehrte Kollegen! Um es noch einmal ganz deutlich zu machen: Ich will keine Zweifel auf kommen lassen – vielleicht versteht es die FDP/DVP in der zweiten Runde –, dass die Regierungsfraktionen – namentlich die SPD-Fraktion – zu einem erfolgreich abgeschlossenen Freihandelsabkommen stehen, soweit die Chance gegeben ist, diese Verhandlungen zu einem auch für die Bürger zufrieden stellenden Ergebnis zu führen. Daran gibt es gar keinen Zwei fel.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Muhterem Aras GRÜNE)

Für uns gilt – ich habe es vorhin angesprochen – die Erklä rung, die wir im vergangenen Jahr im Landtag verabschiedet haben. Ich kann nicht erkennen, dass einer derjenigen, auf die es ankommt – damit meine ich nicht die FDP/DVP, sondern die Regierung –, sich davon auch nur ein Jota entfernt hätte. Ich denke, wir müssen uns alle zugestehen, dass es in diesem laufenden Prozess nach wie vor sehr viele offene Fragen gibt.

Herr Kollege Reinhart, an dieser Stelle möchte ich auf das ein gehen, was Sie gesagt haben. Ich sehe durchaus die Chancen, die damit verbunden sind. Man kann das auch zur Genüge nachlesen. Sie haben aber nicht umsonst in diesem Zusam menhang von „glauben“ gesprochen. Dem halte ich entgegen, dass Glauben nicht Wissen ist. Es sind viele Hoffnungen da mit verbunden. Wir alle können noch nicht sagen, wo wir am Ende dieser Reise herauskommen.

Tatsache ist, die Regierung und die sie tragenden Fraktionen wissen natürlich um die Bedeutung guter Rahmenbedingun gen. Baden-Württemberg ist das Exportland Nummer 1. Die se gute Position verdanken wir den großen baden-württem bergischen Firmen wie Daimler, Bosch und Porsche und na türlich auch den Mittelständlern, aber auch dem Arbeiterfleiß und den Innovationen.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Und der „Altlast“ der Regierung!)

Das lassen wir einmal dahingestellt, Herr Kollege Bullin ger.

Wer also Handelshürden und Kostenstrukturen reduzieren will, kann damit natürlich Betriebe stärken und Firmen wett bewerbsfähiger machen. Insofern sind die Harmonisierung und das gegenseitige Anerkennen von Standards durchaus er strebenswert. Bislang kosten zusätzliche Zertifizierungs- und Genehmigungsverfahren viel Geld und sind oft überflüssig.

Hoffnung knüpft sich auch an ein wie auch immer geartetes Wirtschaftswachstum. Ob und in welcher Form es kommt, vermag ich – jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt – nicht vorherzusagen.

Ich ziehe für mich das Fazit, dass sich das Verhandeln lohnt. Es geht um zufriedenstellende Lösungen, aber nicht um jeden Preis. Als Sie vorhin den Bauernverband zitiert haben,

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Auch nicht aufgepasst!)

ist mir aufgefallen, dass der Präsident des Bauernverbands erst am vergangenen Wochenende im Ostalbkreis gesagt hat, er

sehe in den laufenden TTIP-Verhandlungen durchaus die Ge fahr, dass die Interessen der Landwirtschaft zu kurz kommen. Das ist in Ihren Augen aber sicherlich nicht einer der üblichen Panikmacher.

Genauso ernst zu nehmen sind für mich die Bedenken, die die kommunalen Landesverbände im Zusammenhang mit diesen Verhandlungen ins Feld geführt haben. Die kommunalen Lan desverbände, der Landkreistag, der Städtetag und der Gemein detag, sprechen von erheblichen Risiken, weil sie der Auffas sung sind, dass zur kommunalen Selbstverwaltung auch die Organisationsfreiheit der Kommunen bei der Daseinsvorsor ge gehört.

Die Europäische Union hat den Handlungsspielraum der Kommunen bisher akzeptiert. Beim Freihandelsabkommen geht es jetzt aber um sogenannte Marktzugangsverpflichtun gen, die diese kommunale Freiheit durchaus aushöhlen kön nen. Wie halten wir es denn künftig mit Trinkwasser, Abwas ser, öffentlichem Personennahverkehr, Krankenhäusern und sozialen Dienstleistungen? Wollen Sie diese alle einem welt weiten Wettbewerb unterwerfen? Sicher nicht.

Die TTIP-Diskussion ist vor allem deshalb gut, weil sie hilft, Fehler zu vermeiden, die bei früheren Liberalisierungen ge macht worden sind. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf das unselige System des Cross-Border-Leasings und die Liberalisierungsabenteuer verschiedener Kommunen.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Genau! Wer woll te das in Pforzheim?)

Wir wollen der Wirtschaft helfen. Wir wollen aber auch die Bürger vor Fehlentscheidungen schützen, wie sie – gerade wurde es angesprochen – Herr Kollege Rülke als Stadtrat in Pforzheim mit zu verantworten hatte.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Sehr richtig!)

Auch dort ist das der FDP nicht bekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

Da es der Fraktionsvorsitzende der FDP/DVP auch gern macht, wie zuletzt bei seiner Neujahrsrede an Dreikönig, will ich zwei Zitate einflechten. Ein Zitat stammt vom Komiker Heinz Erhardt, der gesagt hat – Sie kennen das, Herr Rülke –:

Manche Menschen wollen glänzen, obwohl sie keinen Schimmer haben.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen)

Ich finde, das ist in Ihrem heutigen Debattenbeitrag auch deut lich geworden. Lassen Sie mich zur Ehrenrettung der FDP aber auch Walter Scheel zitieren:

Aufgabe eines Politikers ist es nicht, das Populäre zu tun, sondern das Richtige zu tun und es populär zu machen.

Genau das geschieht in Baden-Württemberg.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Bravo-Rufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, es lie gen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aktu elle Debatte beendet und Punkt 1 der Tagesordnung erledigt.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – S-21-Filderbahnhof, wo kein Wille, da kein Weg – Landesregierung vertut Jahrhundertchance – beantragt von der Fraktion der CDU

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 40 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Rednerinnen und Redner in der zweiten Runde gilt jeweils ei ne Redezeit von fünf Minuten. Ich darf die Landesregierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten.

Für die Fraktion der CDU erhält die Kollegin Razavi das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehr ten Damen und Herren! Bei der morgendlichen Zeitungslek türe mag sich heute mancher Leser gefragt haben: „Was ist denn das jetzt für ein Murks?“ Das Projekt Stuttgart 21 wird geteilt, die Gäubahn wird erst Jahre später angebunden, und der Minister vermeldet über dpa: „Da bin ich aber dagegen.“ Was für eine Show, Herr Minister! Dabei ist das alles doch das Ergebnis Ihrer vermurksten Politik. Sie haben über Jahre die Verhandlungen verzögert und erschwert, und die Begeis terung für Ihren Deal hat genau fünf Tage angehalten.

(Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

Aber all das war ja absehbar.