Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Bildungszeitgesetz Baden-Württemberg (BzG BW) – Drucksache 15/6403
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Be reits im Jahr 1976 hat sich Deutschland völkerrechtlich ver pflichtet, einen Freistellungsanspruch für Zwecke der Weiter bildung einzuführen. Nach fast 40 Jahren sorgen wir in Ba den-Württemberg jetzt endlich dafür, dass dieser Ankündi gung Taten folgen.
Mit diesem Entwurf eines Bildungszeitgesetzes kommen wir nicht nur unseren internationalen Verpflichtungen nach, son dern wir setzen auch neue Maßstäbe für gute Arbeit, für le benslanges Lernen und für die Fachkräftesicherung in unse rem Land. Niemand von uns bestreitet, dass gerade die beruf liche Weiterbildung entscheidend für die Stärke unseres Stand orts ist. Ebenso wenig wird bestritten, dass die Unternehmen in diesem Bereich schon heute Außergewöhnliches leisten.
Mit dem Bildungszeitgesetz ergänzen wir das Erfolgsmodell der beruflichen Weiterbildung in Baden-Württemberg. Diese Ergänzung braucht das Land, wenn es auch in Zukunft ein starker Standort bleiben will.
Dafür brauchen wir nicht nur gut ausgebildete Fachkräfte. Wir brauchen auch Fachkräfte, die ihr ganzes Berufsleben lang leistungsfähig bleiben. Das geht nur dann, wenn sie körper lich und geistig fit bleiben. Mit dem Bildungszeitgesetz un terstützen wir genau das. Wenn sich Menschen neben dem Be ruf weiterbilden, wenn sie sich gesellschaftlich einbringen, dann ist das nicht nur ein Gewinn für jeden Einzelnen, für die Gesellschaft und den sozialen Zusammenhalt, sondern das ist auch ein Gewinn für die Unternehmen.
Mitarbeiter werden so stressresistenter, gesünder und leis tungsfähiger. Diesen Zusammenhang kann man nicht einfach zur Seite wischen, wenn wir über eine moderne Fachkräftesi cherung reden. Wer das bestreitet, verschließt die Augen vor der Realität.
Es gibt noch ein weiteres Argument: Baden-Württemberg steht als Standort im Wettbewerb um die klügsten Köpfe, insbeson dere auch mit anderen Bundesländern. Mit diesem Bildungs zeitgesetz schaffen wir einen neuen Standortvorteil in diesem Wettbewerb.
Kommen wir zu den wichtigsten Eckpunkten des Entwurfs. Der Gesetzentwurf regelt einen bezahlten Freistellungsan spruch für Zwecke der Weiterbildung an fünf Tagen pro Ka lenderjahr. Anspruchsberechtigt sind neben den Arbeitneh merinnen und Arbeitnehmern auch die Beamtinnen und Be amten. Beschäftigte in Berufsausbildung sind nur einge schränkt anspruchsberechtigt, weil sie zumindest für die be rufliche Weiterbildung keine Freistellung brauchen, da sie sich noch in der Erstausbildung befinden.
Der Zeitraum von fünf Tagen pro Kalenderjahr ist völlig an gemessen und im bundesweiten Vergleich üblich. In diesen fünf Tagen können sich die Beschäftigten beruflich oder po litisch weiterbilden oder sich für ehrenamtliche Tätigkeiten qualifizieren.
Ich meine, damit erreichen wir eine absolut sinnvolle Ergän zung der betrieblichen Weiterbildung, die bei uns eine lange und erfolgreiche Tradition hat – auch dank des großen Enga gements der Unternehmerinnen und Unternehmer in unserem Land.
Wir haben in diesen Gesetzentwurf bewusst einen Schwer punkt und auch einen Vorrang für die berufliche Weiterbil dung aufgenommen. Deshalb knüpfen wir an die gute Tradi tion des lebenslangen Lernens in Baden-Württemberg an und entwickeln sie zeitgemäß weiter. Wir schaffen ein Bildungs zeitgesetz für das 21. Jahrhundert.
Die Beschäftigten bekommen durch dieses Gesetz die Mög lichkeit, sich über ihre originäre betriebliche Tätigkeit hinaus in anderen Bereichen weiterzubilden. Fortbildungen im Sin ne des Bildungszeitgesetzes sind dabei nicht auf den konkre ten Arbeitsplatz beschränkt. Denn es geht gerade darum, dass sie berufliche Qualifizierungen bekommen, die ihnen dann er möglichen, sich jenseits des konkreten Arbeitsplatzes beruf lich weiterzuentwickeln.
Nun haben sich insbesondere die Gewerkschaften und der Volkshochschulverband dafür starkgemacht, dass der Bereich der allgemeinen Weiterbildung ebenfalls in das Bildungszeit gesetz aufgenommen wird. Die Landesregierung – auch ich – hat sich bewusst entschieden, den Geltungsbereich einzugren zen und präzise definierte Anwendungsbereiche zu schaffen. So stellen wir sicher, dass nicht jede beliebige Weiterbildung durch einen Freistellungsanspruch gefördert wird und damit auch Diskussionen, die aus anderen Bundesländern bekannt sind, hier nicht geführt werden können. Es wird eben gerade nicht der Tauchkurs vor Mallorca oder irgendein beliebiger Handarbeitskurs unterstützt, wie manchmal von uninformier ten Leuten, die nicht einmal in der Lage waren, den Gesetz entwurf richtig zu lesen, suggeriert wird.
Wir wollen stattdessen die Bereiche stärken, die den sozialen Zusammenhalt und eine funktionierende Gesellschaft fördern. Dafür wird zuallererst Teilhabe benötigt. Deswegen zählen auch Alphabetisierungsmaßnahmen für Beschäftigte mit un zureichenden Deutschkenntnissen zur beruflichen Weiterbil dung. Denn Schreiben und Lesen eröffnen neue Möglichkei ten und sind wichtige Voraussetzungen für erfolgreiche Wei terbildung – egal, ob im Betrieb oder außerhalb.
Damit können wir auch dazu beitragen, dass ausländische Fachkräfte schneller bei uns ankommen – nicht nur fachlich, sondern auch gesellschaftlich. Denn auch Weiterbildung soll te Teil der Willkommenskultur hier in Baden-Württemberg sein.
Bildungszeit schafft Leistungsfähigkeit. Deswegen werden Maßnahmen zur Gesundheitsprävention von der beruflichen
Weiterbildung erfasst. Zahlreiche Studien belegen, dass Mit arbeiterinnen und Mitarbeiter heute einer höheren Arbeitsbe lastung ausgesetzt sind. Damit steigt nicht nur das Risiko für körperliche, sondern auch für psychische Beschwerden. Das hat Folgen für unseren Standort und die Produktivität. In Deutschland stieg von 2004 bis 2011 die Zahl der Krankheits tage wegen Burn-outs um das 18-Fache. Das macht deutlich: Auch deshalb brauchen wir das Bildungszeitgesetz.
Denn so unterstützen wir nicht nur lebenslanges Lernen, son dern tragen auch dazu bei, dass Mitarbeiterinnen und Mitar beiter lebenslang Leistung erbringen können. Damit entlasten wir auf lange Sicht den Sozialstaat bei den Gesundheitsaus gaben. Wir sorgen so nicht nur für gute Arbeit, sondern unter stützen auch gesundes Leben und sichern die Handlungsfä higkeit unseres Sozialstaats.
Wer jetzt noch von Wirtschaftsfeindlichkeit dieses Gesetzes redet, dem ist einfach nicht mehr zu helfen.
Meine Damen und Herren, die Bildungszeit erstreckt sich auch auf politische Weiterbildung. Denn sie ist der Schlüssel zu Teilhabe und Mitwirkung am gesellschaftlichen, sozialen und politischen Leben. Sie ist die Basis für ein funktionieren des demokratisches Gemeinwesen. Gerade diese Landesre gierung steht für eine Politik des Gehörtwerdens. Dazu ge hört, dass wir politisch mündige Beschäftigte wollen, die sich einbringen, einmischen und mitgestalten. Das stärkt unsere Gesellschaft; das stärkt unsere Demokratie.
Dies gilt auch für das Ehrenamt. Baden-Württemberg ist d a s Land des Ehrenamts. In keinem anderen Bundesland sind so viele Bürgerinnen und Bürger ehrenamtlich engagiert wie bei uns. Wir wissen gerade aus den vielfältigen Bereichen des Ehrenamts, dass die Qualifizierung von Ehrenamtlichen eine höhere Bedeutung gewinnt – die Anleitung, die Unter stützung derjenigen, die sich ehrenamtlich einbringen. Wir sorgen endlich dafür, dass dieses Engagement eine weitere Anerkennung findet.
Details zur Freistellung für die Qualifizierung im Ehrenamt werden durch eine gesonderte Rechtsverordnung geregelt. Diese Verordnung wird die Bereiche des Ehrenamts festlegen, in denen für Qualifizierung eine Freistellung ermöglicht wird, wobei dies in enger Absprache mit den betroffenen Organisa tionen geschehen wird.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, uns, der Landesregierung, ist durchaus bewusst, dass die Frei stellung von Beschäftigten für die Unternehmen eine Heraus forderung ist.
Deswegen haben wir in den vorliegenden Gesetzentwurf Re gelungen aufgenommen, die dafür sorgen, dass aus der Her ausforderung keine Überforderung wird. Neben den aus dem Bundesurlaubsgesetz bekannten Ablehnungsgründen kann ein
Arbeitgeber auch dann den Anspruch auf Bildungszeit ableh nen, wenn bereits 10 % der zur Verfügung stehenden Bil dungszeit in einem Betrieb beansprucht werden. Ebenso wer den Kleinstbetriebe mit weniger als zehn Personen durch ein Ablehnungsrecht vor Überforderung geschützt. Werden in ei nem Betrieb bereits Bildungsmaßnahmen angeboten, die den Zielen des Bildungszeitgesetzes entsprechen – damit ist ins besondere die berufliche Weiterbildung gemeint –, so werden diese auf den Freistellungsanspruch des Einzelnen angerech net.
Herr Minister, Sie haben eingangs erklärt, dass Sie hier einen völkerrechtlichen Vertrag umsetzen, über den vor 40 Jahren verhandelt wurde. Es ist die Convention C140 – Paid Educational Leave Convention. Wis sen Sie – nachdem Sie jetzt eine Ausnahme für die Kleinstun ternehmer schaffen –, was dieser völkerrechtliche Vertrag zu Kleinstunternehmern regelt? Und warum machen Sie da Un terschiede?
Wir machen den Unterschied deshalb, weil wir in der schwie rigen Balance zwischen dem berechtigten Anliegen der Un ternehmen und dem berechtigten Anliegen der Beschäftigten auf Erfüllung des völkerrechtlichen Anspruchs einen Aus gleich hergestellt haben – so wie andere Bundesländer auch.
Wenn Sie, Herr Löffler, weiter gehende Vorstellungen haben, dann können Sie gern entsprechende Änderungsanträge ins Gesetzgebungsverfahren einbringen.
Herr Minister – Sie sind ja ein Stück weit auch noch Finanzminister in diesem Land –, ich unterstelle, dass Sie auch noch zu dem Block „Kosten“ kom men werden. Die Kosten sind – davon gehe ich aus – für die Unternehmer nicht unerheblich. Es geht nicht um die Frage der Freistellung, um das Ersetzen von Arbeitskräften, sondern auch um die Kosten, die dahinterstehen. Ich unterstelle jetzt einmal, dass Sie dazu keine große Auskunft geben können. Ich möchte von Ihnen aber gern wissen, was für die Landes verwaltung an Kosten bzw. Kostenersatz durch dieses Gesetz entsteht.
Wir haben das im Gesetzentwurf thematisiert. Wenn Sie hin einschauen, erkennen Sie es. Es ist schwierig, zu der Kosten
folge genaue Zahlen zu nennen. Das hat etwas damit zu tun, dass selbst die Erfahrungen anderer Bundesländer schwer als Vorbild für Baden-Württemberg herangezogen werden kön nen. Laut der Auskunft aus anderen Bundesländern ist die In anspruchnahmequote der entsprechenden Freistellungsansprü che relativ gering; das muss man ehrlicherweise sagen. Inso fern sind die Kosten überschaubar. In anderen Bundesländern hat auch niemand daran gedacht, entsprechende Freistellungs ansprüche wieder abzuschaffen. Das spricht dafür, dass die Belastung sehr gering ausfällt. Sie kennen die Zahlen: Inan spruchnahmequoten von unter 2 %.
Wir schaffen aber in Baden-Württemberg ein Bildungszeitge setz für das 21. Jahrhundert. Das bedeutet im Unterschied zu anderen Bundesländern, dass es einen Vorrang der beruflichen Weiterbildung gibt, das heißt der Angebote für berufliche Wei terbildung, die Betriebe schon vorhalten.