Protocol of the Session on June 4, 2014

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Warten wir einmal ab!)

Ich denke, das ist ein weiterer wichtiger Schritt. Wir gehen nach und nach die Themen in Baden-Württemberg an. Wir ha ben keine Politik des Stillstands, wie Sie sie in den letzten 58 Jahren betrieben haben.

(Abg. Sabine Kurtz CDU: 58 Jahre? Das ist doch ein Witz! – Zuruf des Abg. Ulrich Müller CDU)

Wir gestalten Baden-Württemberg mit. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Ich freue mich auf die ersten Ganztags grundschulen mit ihren pädagogischen Konzepten, die im Ge setz verankert sind, die keinen Modellversuch darstellen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Käppeler das Wort.

Herr Präsident, meine sehr ge ehrten Kolleginnen und Kollegen! Zum ersten Mal überhaupt berät der Landtag den Gesetzentwurf der Landesregierung zur Verankerung der Ganztagsschulen in Baden-Württemberg. Was den Anlass angeht, so ist für diese Gesetzgebung bemer kenswert, dass es – ähnlich wie bei der regionalen Schulent wicklung – erneut die grün-rote Landesregierung ist, die nach einer Einigung mit den kommunalen Landesverbänden eine

weitere offene Baustelle von Schwarz-Gelb schließt. Dafür möchte ich im Namen der SPD-Landtagsfraktion unserem Kultusminister ganz herzlich danken.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Claus Schmiedel SPD: Im Namen des ganzen Hauses!)

Ein Blick zurück zeigt, dass das Thema Ganztagsschule von den Vorgängerregierungen nur stiefmütterlich behandelt wur de. Anders gesagt: Sie wollten sie nicht, und erst als sich der Wind politisch pro Ganztagsschule drehte, als Sie merkten, dass Sie am Ende der Bewegung standen, haben Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP/DVP, Ihr Fähn chen in den Wind gehängt.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Zurufe von der SPD: So ist es!)

Die Folge: Baden-Württemberg ist 2011 das Bundesland mit der niedrigsten Ausbauquote im Ganztagsschulbereich gewe sen. Dabei gab die rot-grüne Bundesregierung vor über zehn Jahren mit dem IZBB-Programm die Initialzündung für den Ausbau.

(Staatssekretär Ingo Rust zur CDU: Da waren Sie noch dagegen!)

Die Erkenntnis über die verfehlte Bildungspolitik kam CDU und FDP/DVP allerdings nicht während der eigenen Regie rungszeit, sondern danach. Einmal mehr lässt sich belegen, dass Schwarz-Gelb in der Vergangenheit der Mut für groß ange legte Reformen fehlte. Über 1 200 genehmigte Schulversuche ohne eine gesetzliche Regelung waren das Ergebnis. – Ganz nebenbei, Herr Wacker: Wo war denn da Ihre regionale Schul entwicklungsplanung, die Sie nun plötzlich für die Ganztags schule einfordern?

(Beifall bei der SPD)

Die Bilanz einer seriösen Bildungspolitik sähe anders aus.

Wir hingegen ermöglichen mit der gesetzlichen Verankerung einen systematischen Anschluss an den massiven Ausbau der Betreuungsangebote im Bereich der frühkindlichen Bildung durch eine Schwerpunktsetzung im Grundschulbereich und im Bereich der Grundstufen an Förderschulen.

Eine Ausweitung auf weitere Schularten werden wir in den kommenden Jahren sicher noch diskutieren. Gleichwohl gilt es zu konstatieren, dass der Ausbau im Grundschulbereich aufgrund der Vielzahl von Schulen im Land insgesamt, der geringen Zahl bereits genehmigter Schulstandorte sowie der geringeren Wochenstundenzahl im Regelbetrieb mit hohen In vestitionssummen in Verbindung steht. Ein Ganztagsbetrieb an 70 % der Grundschulen – das ist unsere Zielmarke bis 2023 –, an dem 50 % der Schülerinnen und Schüler teilnehmen, er fordert einen Ressourcenrahmen von über 147 Millionen €. Hinzu kommt dann noch der Bereich der Grundstufen an För derschulen, sodass wir 2023 mit einem anwachsenden Mehr bedarf von über 150 Millionen € jährlich rechnen.

Wo „Ganztag“ draufsteht, muss auch rhythmisiertes Lernen in hoher Qualität drin sein. Das funktioniert zwar auch mit Ehrenamtlichen, aber eben nicht ausschließlich.

Die Kolleginnen und Kollegen von der Opposition erinnern sich vielleicht an die Zweite Beratung des Gesetzentwurfs der FDP/DVP-Fraktion am 22. Januar. Die FDP/DVP wollte 800 Deputate bzw. 40 Millionen € für den Ausbau von Ganztags schulen einsetzen, und das in allen Schularten. Ihr Oppositi onsentwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen, wäre Kreisliga gewesen; mit unserem Gesetzentwurf spielen wir ab sofort in der Bundesliga.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Deshalb stellen wir gegenüber der bisherigen Regelung zu sätzliche Lehrerwochenstunden zur Verfügung. Dies bedeu tet für diese Schulen eine glasklare Qualitätssteigerung. Leh rerinnen und Lehrer kümmern sich in entsprechenden Ange boten um die individuelle Förderung der Ganztagsschulkin der. Dies ist eine deutliche Ansage gegen die gängige Nach hilfepraxis, die Begüterte sich leisten können, Menschen mit kleinem Einkommen jedoch nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Vor allem in der Realschule!)

Das Land übernimmt die Verantwortung für die Mittagsauf sicht und kommt damit einer der wesentlichen Forderungen der kommunalen Seite nach. Diese wiederum erhält durch die se Entlastung die Möglichkeit, Betreuungsangebote am Ran de der Ganztagsschule bedarfsorientiert einzurichten bzw. fortzuführen.

Ganztagsschulen stellen nicht nur einen wichtigen Schritt hin zu mehr Bildungsgerechtigkeit dar, sondern führen auch zu einer verbesserten Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ent sprechend flexibel gestaltet sich die neue gesetzliche Rege lung. Beteiligte können flexibel auf die Bedarfe vor Ort re agieren. So sind Ganztagsschulkonzeptionen an drei oder vier Tagen mit jeweils sieben oder acht Zeitstunden möglich. Eben falls wählbar ist, ob alle Schüler oder nur Teile der Schüler schaft am Ganztagsbetrieb teilnehmen.

Ich möchte Sie, lieber Herr Dr. Kern, daher bitten, nicht wie der das traurige Lied der Liberalen von der fehlenden Wahl freiheit zu singen. Mehr Flexibilität geht gar nicht, als wir mit dem geplanten Gesetz nun verankern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen – Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Doch!)

Sehr geehrte Damen und Herren, für die bessere Vernetzung mit außerschulischen Partnern ermöglicht ein Kooperations budget die verlässliche finanzielle Ausgestaltung der Zusam menarbeit. Das Vorhandensein einer Ganztagsschule ist also auch eine Chance für sämtliche außerschulischen Bildungs partner, sich systematisch mit einer solchen Schule zu vernet zen.

Zugleich gilt, dass die Kooperationsangebote über eine ver gleichbare Qualität verfügen müssen. Hierbei begrüßen wir ausdrücklich die Rahmenvereinbarung des Kultusministers mit dem Landessportverband sowie die Vereinbarung mit ei ner Vielzahl außerschulischer Partner, die vorgestern getrof fen wurde. Diese Vereinbarungen geben den Beteiligten vor

Ort Sicherheit und belegen zugleich, dass der Erfolg der Ganz tagsschule auf einer breiten gesellschaftlichen Basis ruht.

Betrachtet man die aktuelle Zahl der eingereichten Anträge auf Ganztagsschulbetrieb, so lässt sich belegen, dass die neue Konzeption auf ein sehr hohes Interesse bei Schulträgern und Schulgemeinschaften stößt. So wurden zwischenzeitlich über 181 Anträge auf Einrichtung einer Ganztagsschule nach neu em Konzept für das kommende Schuljahr 2014/2015 einge reicht – und das, obwohl die Antragsfrist bis zum 30. April dieses Jahres äußerst knapp bemessen war. Zum Vergleich: Im Schuljahr 2012/2013 gab es landesweit lediglich an 336 von 2 556 Grundschulen überhaupt ein Ganztagsschulange bot. Das lag u. a. an der hohen Hürde von mindestens 20 Schü lern pro Jahrgang, also mindestens 80 Kindern in der Grund schule. Damit haben Sie, Herr Wacker, es insbesondere Schu len im ländlichen Raum fast unmöglich gemacht, zu Ganz tagsschulen in offener Form zu werden.

(Abg. Jörg Fritz GRÜNE: Hört, hört! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Aha!)

Sich jetzt hier hinzustellen, wie bei der letzten Diskussion, und zu mäkeln, die Mindestzahl von 25 Kindern pro Schule sei für eine kleine Grundschule zu viel und kleine Grundschu len würden daher benachteiligt, ist ganz schön ironisch.

(Zurufe von der SPD: Aber hallo! – Peinlich!)

Es zeigt einzig – das freut mich –, dass Sie die Rolle der Op position allmählich annehmen.

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Die CDU hat kein Herz für den ländlichen Raum! – Gegenruf des Abg. Georg Wacker CDU: Das sagt der Ober-Städter!)

Die vorliegenden Anträge belaufen sich – Stand vorgestern, 2. Juni 2014 – auf insgesamt 181, 167 davon in Wahlform und 14 in verbindlicher Form. Es handelt sich dabei um 15 För derschulen und 166 Grundschulen. Dabei wurden 93 neue An träge gestellt; 88 Schulen beantragen eine Umwandlung vom alten zum neuen Konzept.

Diese Zahlen sind beeindruckend; denn sie legen nahe, dass das neue Konzept mit einer verbesserten Ressourcenausstat tung für Schulen sehr attraktiv ist. Zugleich zeigt sich, dass mit dem neuen Gesetz der Ganztagsschulausbau erst richtig in Fahrt kommt und dass es gelingen wird, Baden-Württem berg im Bereich Ganztagsschule quantitativ und qualitativ nach vorn zu bringen.

Das heutige Ganztagsschulgesetz ist einmal mehr Beleg für eine bildungsgerechte Politik, die für die Familien und für un ser Land gleichermaßen gut ist.

Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie mich kurz auf ei ne weitere bedeutsame Änderung eingehen, die mit der heu tigen Gesetzesänderung auf den Weg gebracht wird: die Drit telparität in der Schulkonferenz. Die dpa meldete gestern: „Protest gegen Entmachtung der Lehrer in Schulkonferenz verhallt“. Dies kann ich nur gutheißen. Als Schulleiter und als ehemaliger Lehrer kann ich mich in den drei vergangenen Jahrzehnten in meinem Umfeld an keine einzige strittige Fra

ge erinnern, in der die Lehrerschaft ihre „Macht“ ausspielen musste. Dass nun der Philologenverband von „Entmachtung“ redet, während der Landeselternbeirat die neue Regelung be fürwortet,

(Zuruf von der CDU: Ja, klar!)

wirft ein bezeichnendes Licht auf die Interessenvertretung der Gymnasiallehrer. Demokratie soll dort nur theoretisch vermit telt werden, und niemand darf auf den Gedanken kommen, dass Lehrer in ihrer Funktion auch Dienstleister für die Ge sellschaft, für Eltern und Schüler sind, und dass sie sich auch als solche verstehen sollten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen)

Dieser Schritt ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Grün-Rot Bürgerbeteiligung ernst nimmt.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Dasselbe gilt für das neue Schulleiterbesetzungsverfahren. Bisher war es so, dass die Schulverwaltung dabei das letzte Wort hatte. Schulkonferenz und Gemeinderat hatten nur Pla cebofunktion. Selbst ein Veto hatte nur aufschiebende Wir kung. Zukünftig werden sowohl ein Vertreter der Schulkon ferenz als auch ein Vertreter der Stadt oder der Gemeinde von Anfang an in das Besetzungsverfahren eingebunden. Selbst wenn dienstrechtliche Gründe wie Befähigung und Eignung auch weiterhin ausschlaggebend sein werden, so können doch die Interessen von Schulkonferenz und Schulträger besser in die Auswahl des Schulleiters oder der Schulleiterin einfließen. Denn wir wissen alle: Ein guter Unterricht hängt von einem guten Lehrer ab, eine gute Schule von einer guten Schullei tung.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Käppe ler, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich komme zum Schlusssatz. – Sehr geehrte Damen und Herren, auch wenn heute noch kei ne Abstimmung ansteht, sondern erst in der Zweiten Beratung, fordere ich Sie doch heute schon dazu auf, zuzustimmen. Stel len Sie einmal Ihre taktischen Spielchen hintenan, tun Sie das, was Sie denken; denn im Grunde sind auch Sie überzeugt: Dies ist ein gutes Gesetz, auf das wir gemeinsam stolz sein können.