Prügelknabe ist immer die Polizei. Sie hat bei ihren Einsätzen unter einem hohen Aggressionsniveau, einer sinkenden Hemm schwelle für Gewalttaten und Respektlosigkeit zu leiden. Sie steht bei Konfrontationen zwischen rechts und links oft regel recht zwischen den Fronten. Es ist aus unserer Sicht unerträg lich, dass diejenigen, die die Ordnung zu wahren haben, die die Demonstrationsfreiheit gerade zu sichern haben – auch de rer, die sie ausnutzen, um gewalttätig zu werden –, tätlichen Angriffen ausgesetzt sind.
In Ulm wurden im Mai vergangenen Jahres bei Aktionen von 500 Linksextremisten 29 Polizeibeamte zum Teil schwer ver letzt. In Freiburg gab es im November 2009 eine Demonstra tion mit einem sogenannten schwarzen Block. Dabei wurden glücklicherweise „nur“ zwei Polizeibeamte verletzt, was der guten Schutzausrüstung der Polizei zu verdanken war. In die sem Zusammenhang ist es schon bemerkenswert, dass sich die Grünen hier im Haus veranlasst sahen, sich in einem An trag kritisch mit dem „massiven Polizeieinsatz“ bei genau die ser Veranstaltung in Freiburg auseinanderzusetzen,
und behaupten, der Einsatz sei massiv und unverhältnismäßig gewesen. Ich darf Ihnen aus der Stellungnahme des Innenmi
nisteriums zu diesem Antrag zitieren – es ging um 150 ver mummte Personen, nicht um „einzelne Personen“, wie es im Antrag der Grünen heißt –:
... wurden... Straftaten wie Körperverletzungen, versuch te Körperverletzungen, versuchte gefährliche Körperver letzungen, Beleidigungen, Landfriedensbruch und weite re Vergehen nach dem Versammlungsgesetz festgestellt.
Da stelle ich die Verhältnismäßigkeit eines solchen Polizei einsatzes nicht infrage. Es geht darum, die Ordnung zu wah ren und Straftaten zu verhindern.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Bravo!)
Meine Damen und Herren, der vorhin genannte Anstieg im Bereich des Linksextremismus im vergangenen Jahr war in weiten Teilen sicherlich durch die Bundestagswahl und die Europawahl sowie den NATO-Gipfel in Baden-Baden und Kehl verursacht. Das mag die Begründung sein. Aber ich will ganz klar sagen: Eine Rechtfertigung kann dies in keiner Wei se darstellen. Es zeigt nämlich im Gegenteil die Perversion linksextremistischer Gewalt. Die Wahlen sind doch gerade die Grundlage der Demokratie und damit auch der Demonstrati onsfreiheit. Die NATO, die hier ihren Gipfel durchgeführt hat, garantiert bei uns seit 60 Jahren Demokratie, Freiheit und da mit indirekt auch die Demonstrationsfreiheit.
Deshalb, meine Damen und Herren: Demokratie muss wehr haft sein. Wir halten die jetzt in der Innenministerkonferenz vereinbarte Erhöhung des Strafrahmens bei Widerstandshand lungen gegen Polizeibeamte für sehr gut und sehr richtig. Das ist die richtige Antwort. Das muss so sein.
Wir halten Gewaltandrohungen bei Nichterreichen politischer Ziele für völlig inakzeptabel. Wer solche Drohungen aus spricht, ist intolerant und missachtet grundlegende Spielre geln im Umgang mit demokratisch zustande gekommenen Entscheidungen.
Ich sage dies auch ganz bewusst vor dem Hintergrund, dass ein Kollege unseres Hauses, Herr Drexler, sich wegen seines Einsatzes für Stuttgart 21 derzeit exakt solchen Drohungen ausgesetzt sieht.
Auf weitere Folgerungen, die insbesondere aus dem beängs tigenden Anstieg der Zahl der Straftaten im Bereich des Links extremismus, aber auch aus den anhaltend zu verzeichnenden Straftaten im Bereich des Rechtsextremismus zu ziehen sind, will ich in der zweiten Runde zu sprechen kommen.
Herr Präsident, werte Kollegin nen und Kollegen! Ich möchte mit einem eingeschränkten Lob für die CDU-Fraktion beginnen. Sie wollen mit dieser Debat te das Thema Extremismus zu einem Ihrer Themen machen. Wir haben seit Jahren darauf gewartet, Sie geradezu dazu ge drängt. Zwei Zahlen mögen dies belegen: Seit Beginn der letz ten Legislaturperiode, also seit 2001, kamen aus Ihren Reihen ganze 15 Anträge zu diesem Bereich; von uns waren es 51.
15 : 51 – das ist die Relation. Das ist ein Indikator der Arbeit im Ausschuss und im Parlament. Wir haben diese Arbeit ge prägt. Wir prägen sie weiter, aber wir sind froh darüber, wenn Sie sich dieser Aufgabe nun zuwenden, denn das ist um der Sache willen nötig.
Zum Inhaltlichen: Sie stellen den Linksextremismus in den Mittelpunkt Ihres Debattenbeitrags, verweisen auch auf den spürbaren Anstieg der Zahl linksextremistisch motivierter Straf- und Gewalttaten. Ich sage Ihnen: Sie tun das zu Recht. Ich tue das übrigens auch, auch wenn ich über andere Arten von Extremismus anderswo spreche.
Der Anstieg der Zahl linksextremistisch motivierter Gewalt taten ist besorgniserregend und provoziert geradezu die Fra ge: Was tun Sie denn dagegen? Was tut der Innenminister, was tut die Kultusministerin, was tun Sie als Fraktion dagegen? Sie haben doch die Mehrheit, Sie stellen die Regierung. Le gen Sie also doch bitte schön ein Programm auf, das sich ziel genau mit den Fragen des Linksextremismus befasst und ziel genau Antworten gibt,
und lassen Sie nicht immer die Polizeibeamtinnen und -beam ten die Folgen der Entwicklung ausbaden. Denn wahr ist auch, dass Links- und Rechtsextremisten am Rande von Demonst rationen zu Gewalt neigen, dass es zu Übergriffen auf friedli che Demonstrationsteilnehmer und auch zu Übergriffen ge genüber der Polizei kommt.
Wir schließen daraus erstens: Polizeibeamte müssen in beson derer Weise geschützt werden. Zweitens: Es ist eine Weiter entwicklung von Deeskalationsstrategien gefragt. Drittens, fürchte ich, hilft es wenig, nur auf verschärfte Strafen hinzu wirken. Hier müssen wir tiefer bohren. Ich denke, diese De batte kann unter Umständen ein Anfang sein.
Nun zu der Frage, liebe Kolleginnen und Kollegen: Warum fällt es Ihnen eigentlich so schwer, mit dem Thema Extremis mus umzugehen, und warum tun Sie sich so schwer, adäqua te Antworten zu finden? Wir von der SPD-Fraktion meinen: Das hängt mit dem in Ihren Reihen häufig gebrauchten Tota litarismusbegriff zusammen, also dieser fatalen Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus. Deshalb will ich darüber
reden, was unterschiedliche Extremismusarten eint und was sie voneinander trennt. Denn nur, wenn wir das berücksichti gen, können wir auch die adäquaten Antworten geben.
Der entscheidende Punkt ist, dass das Grundgesetz die Wür de des einzelnen Menschen in den Mittelpunkt stellt und alle anderen Werte, Garantien und Pflichten davon ableitet. Diese Vorrangstellung von Artikel 1 des Grundgesetzes, demzufol ge das Kollektiv dem einzelnen Menschen zu dienen hat, in dem aller staatlichen Gewalt die Verpflichtung auferlegt ist, die Würde des einzelnen Menschen zu achten und zu schüt zen, besagt doch, dass im Konfliktfall in dem Spannungsfeld zwischen Individuum und Kollektiv derjenige die gesamte Ar gumentationslast zu tragen hat, der die Rechte des Kollektivs zulasten des Individuums stärken will.
Im Rechtsextremismus ist es genau umgekehrt, im Linksex tremismus auch, und ich behaupte, auch im Islamismus. Das ist das, was diese Extremismusarten eint: die Trennlinie zum Grundgesetz. Aber die Begründungszusammenhänge, die da zu führen, sind grundverschieden. Da sage ich Ihnen: Es ist eben ein fundamentaler und auch ein qualitativer Unterschied, ob jemand die Gleichwertigkeit oder die Ungleichwertigkeit von Menschen zum Maßstab seiner Entscheidungen macht.
(Beifall bei der SPD und der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wollen Sie etwas schönreden?)
Wer dies nicht berücksichtigt, kann auch keine adäquaten Ant worten geben. Deshalb halten wir es für grottenfalsch, wenn Schwarz-Gelb in Berlin die Programme gegen Rechtsextre mismus zusammenkürzen will, um die übrig gebliebenen Mit tel dann irgendwie für Projekte gegen einen wie auch immer gearteten Extremismus einzusetzen.
(Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Deswegen die Zusam menarbeit mit der Linken! – Gegenruf des Abg. Claus Schmiedel SPD: Zuhören lernen!)
Im gleichen Zeitraum waren es in Baden-Württemberg acht. Die Zahlen zeigen, vor welchen Herausforderungen wir ste hen. Da verwundert es uns schon und irritiert uns, wie Ihre Wahrnehmung bisweilen ist. Beispielsweise finden im an den Wahlkreis des Ministerpräsidenten angrenzenden Nachbar wahlkreis rassistische, gewaltverherrlichende, den National sozialismus verherrlichende Konzerte statt. Das ist d i e Droge zum Einstieg in die Szene. Und Sie brauchen ausge rechnet die Antifa, die Sie darauf hinweist.
Weder der Ministerpräsident noch die örtlichen Abgeordne ten finden die Kraft, sich von diesem Pamphlet zu distanzie ren.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Marianne Wonnay SPD: Genau! – Abg. Claus Schmiedel SPD: So sieht es aus! – Zurufe von der CDU – Unruhe)
(Glocke des Präsidenten – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Keine Kritik am Präsidenten! – Abg. Karl-Wil helm Röhm CDU: Belehrungen des Präsidenten sind nicht notwendig! – Unruhe)
(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sie wollen die lin ke Szene schönreden! – Zuruf des Abg. Peter Hauk CDU)
Jeder vierte junge NPD-Kader kommt inzwischen aus BadenWürttemberg. Wir finden in der Freiburger Gegend bomben fähiges Material. Bis heute warten wir auf eine Aussage dar über,