Stephan Braun

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Last Statements

Herr Präsident, werte Kollegin nen und Kollegen! Ich möchte mit einem eingeschränkten Lob für die CDU-Fraktion beginnen. Sie wollen mit dieser Debat te das Thema Extremismus zu einem Ihrer Themen machen. Wir haben seit Jahren darauf gewartet, Sie geradezu dazu ge drängt. Zwei Zahlen mögen dies belegen: Seit Beginn der letz ten Legislaturperiode, also seit 2001, kamen aus Ihren Reihen ganze 15 Anträge zu diesem Bereich; von uns waren es 51.
15 : 51 – das ist die Relation. Das ist ein Indikator der Arbeit im Ausschuss und im Parlament. Wir haben diese Arbeit ge prägt. Wir prägen sie weiter, aber wir sind froh darüber, wenn Sie sich dieser Aufgabe nun zuwenden, denn das ist um der Sache willen nötig.
Zum Inhaltlichen: Sie stellen den Linksextremismus in den Mittelpunkt Ihres Debattenbeitrags, verweisen auch auf den spürbaren Anstieg der Zahl linksextremistisch motivierter Straf- und Gewalttaten. Ich sage Ihnen: Sie tun das zu Recht. Ich tue das übrigens auch, auch wenn ich über andere Arten von Extremismus anderswo spreche.
Das Gewaltmonopol liegt beim Staat. Daran darf es keinen Zweifel geben.
Der Anstieg der Zahl linksextremistisch motivierter Gewalt taten ist besorgniserregend und provoziert geradezu die Fra ge: Was tun Sie denn dagegen? Was tut der Innenminister, was tut die Kultusministerin, was tun Sie als Fraktion dagegen? Sie haben doch die Mehrheit, Sie stellen die Regierung. Le gen Sie also doch bitte schön ein Programm auf, das sich ziel genau mit den Fragen des Linksextremismus befasst und ziel genau Antworten gibt,
und lassen Sie nicht immer die Polizeibeamtinnen und -beam ten die Folgen der Entwicklung ausbaden. Denn wahr ist auch, dass Links- und Rechtsextremisten am Rande von Demonst rationen zu Gewalt neigen, dass es zu Übergriffen auf friedli che Demonstrationsteilnehmer und auch zu Übergriffen ge genüber der Polizei kommt.
Wir schließen daraus erstens: Polizeibeamte müssen in beson derer Weise geschützt werden. Zweitens: Es ist eine Weiter entwicklung von Deeskalationsstrategien gefragt. Drittens, fürchte ich, hilft es wenig, nur auf verschärfte Strafen hinzu wirken. Hier müssen wir tiefer bohren. Ich denke, diese De batte kann unter Umständen ein Anfang sein.
Nun zu der Frage, liebe Kolleginnen und Kollegen: Warum fällt es Ihnen eigentlich so schwer, mit dem Thema Extremis mus umzugehen, und warum tun Sie sich so schwer, adäqua te Antworten zu finden? Wir von der SPD-Fraktion meinen: Das hängt mit dem in Ihren Reihen häufig gebrauchten Tota litarismusbegriff zusammen, also dieser fatalen Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus. Deshalb will ich darüber
reden, was unterschiedliche Extremismusarten eint und was sie voneinander trennt. Denn nur, wenn wir das berücksichti gen, können wir auch die adäquaten Antworten geben.
Der entscheidende Punkt ist, dass das Grundgesetz die Wür de des einzelnen Menschen in den Mittelpunkt stellt und alle anderen Werte, Garantien und Pflichten davon ableitet. Diese Vorrangstellung von Artikel 1 des Grundgesetzes, demzufol ge das Kollektiv dem einzelnen Menschen zu dienen hat, in dem aller staatlichen Gewalt die Verpflichtung auferlegt ist, die Würde des einzelnen Menschen zu achten und zu schüt zen, besagt doch, dass im Konfliktfall in dem Spannungsfeld zwischen Individuum und Kollektiv derjenige die gesamte Ar gumentationslast zu tragen hat, der die Rechte des Kollektivs zulasten des Individuums stärken will.
Im Rechtsextremismus ist es genau umgekehrt, im Linksex tremismus auch, und ich behaupte, auch im Islamismus. Das ist das, was diese Extremismusarten eint: die Trennlinie zum Grundgesetz. Aber die Begründungszusammenhänge, die da zu führen, sind grundverschieden. Da sage ich Ihnen: Es ist eben ein fundamentaler und auch ein qualitativer Unterschied, ob jemand die Gleichwertigkeit oder die Ungleichwertigkeit von Menschen zum Maßstab seiner Entscheidungen macht.
Wer dies nicht berücksichtigt, kann auch keine adäquaten Ant worten geben. Deshalb halten wir es für grottenfalsch, wenn Schwarz-Gelb in Berlin die Programme gegen Rechtsextre mismus zusammenkürzen will, um die übrig gebliebenen Mit tel dann irgendwie für Projekte gegen einen wie auch immer gearteten Extremismus einzusetzen.
Ich sage Ihnen: Wir, die SPD-Fraktion, nehmen jede Spielart des Extremismus ernst.
Wir relativieren nichts, wir verharmlosen nichts. Deshalb auch ein Blick auf die Opferzahlen.
Die Anzahl der Todesopfer rechter Gewalt in Deutschland seit 1990 beträgt 140.
Im gleichen Zeitraum waren es in Baden-Württemberg acht. Die Zahlen zeigen, vor welchen Herausforderungen wir ste hen. Da verwundert es uns schon und irritiert uns, wie Ihre Wahrnehmung bisweilen ist. Beispielsweise finden im an den Wahlkreis des Ministerpräsidenten angrenzenden Nachbar wahlkreis rassistische, gewaltverherrlichende, den National sozialismus verherrlichende Konzerte statt. Das ist d i e Droge zum Einstieg in die Szene. Und Sie brauchen ausge rechnet die Antifa, die Sie darauf hinweist.
Da macht die Junge Union in Göppingen mit ihrer „Eislinger Erklärung“ seit Wochen Schlagzeilen.
Weder der Ministerpräsident noch die örtlichen Abgeordne ten finden die Kraft, sich von diesem Pamphlet zu distanzie ren.
Herr Präsident, könnten Sie für ein bisschen Ruhe sorgen, da mit ich durchkomme.
Ich dachte, ich könnte mir das Ganze einteilen. Dann lassen Sie mich bitte zum Ende kom men.
Jeder vierte junge NPD-Kader kommt inzwischen aus BadenWürttemberg. Wir finden in der Freiburger Gegend bomben fähiges Material. Bis heute warten wir auf eine Aussage dar über,
wie weit sich hier Tendenzen vom Rechtsextremismus zum Rechtsterrorismus zu verfestigen scheinen. In diesem Punkt ist der Verfassungsschutz etwas ahnungslos.
Vom Minister haben wir bisher in diesem Bereich keine Ant wort bekommen.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Es ist gut, wenn Sie sich mit dem Thema Extremismus befassen. Es ist gut, wenn Sie sich mit dem Linksextremismus befassen. Aber geben Sie die se fatale Gleichsetzung auf. Sie ist nicht zielführend. Sie hilft niemandem. Sie trägt zu einer Trübung der Wahrnehmung bei.
Herr Präsident, werte Kollegin nen und Kollegen! Zunächst, um ein Missverständnis auszu räumen: Herr Innenminister, auch wir waren für die Erhöhung des Strafrahmens in § 113 StGB. Wir haben dies begrüßt. Wir haben uns dafür eingesetzt. Denn es ist völlig klar, dass Ge walt gegen Polizeibeamte, gegen Feuerwehrleute und andere nicht akzeptabel ist, überhaupt nicht geht und bekämpft wer den muss. Wir alle in diesem Haus sind uns darüber einig, dass das Gewaltmonopol beim Staat liegt und nur dort zu sein hat. Ich denke, hier gibt es keinen Dissens.
Jetzt zu einem zweiten Missverständnis, auf das Sie, Herr Blenke, mich persönlich angesprochen haben.
Ich möchte Sie bitten, das im Protokoll später noch einmal nachzulesen. Im Zusammenhang mit Freiburg habe ich die Antifa nicht erwähnt. Die Antifa habe ich im Zusammenhang mit Mühlacker, dem Nachbarkreis neben dem Wahlkreis des Ministerpräsidenten, erwähnt.
Dort ist es in der Tat so, dass wir über Jahre hinweg diese rechtsextremistischen Konzerte haben, diese Propagandamu sik, von der wir alle hier wissen, dass dies die Einstiegsdroge für die Szene ist. Deshalb sage ich, dass wir hier nicht auf In formationen der Antifa angewiesen sind. Genauso wie Sie fin de ich es beschämend, wenn wir von der Antifa Informatio nen bekommen, weil wir beide auch wissen, wie diese zustan de gekommen sind. Rechtsbruch ist Rechtsbruch. Das darf nicht gerechtfertigt werden,
und es ist keine seriöse Quelle, auf die man sich dann bezie hen kann.
Zu der Frage, die sich im Zusammenhang mit Freiburg auf getan hat, wissen wir nun, dass dieser Bombenbastler zum ei nen ein NPD-Kader war und zum anderen in der autonomen nationalistischen Szene tätig war. Die Frage, die uns hier be schäftigt – darauf haben wir bis heute noch keine befriedigen de Antwort –, lautet: Inwieweit lassen diese Vorkommnisse auf sich verfestigende Tendenzen bezüglich eines Übergangs vom Rechtsextremismus zum Rechtsterrorismus schließen? Diese Frage halten wir für sehr notwendig, und wir bitten Sie, dem auch nachzugehen. Ich weiß nicht, ob Sie, Herr Minis ter, heute etwas dazu sagen können oder ob Sie uns dazu noch etwas nachliefern werden.
Es hat mich gefreut, dass Sie, Herr Blenke, sagen, die Pro gramme gegen Rechtsextremismus sollten in diesem Umfang erhalten bleiben, und es sollten noch Programme gegen Links extremismus hinzukommen. Wenn das so ist, dann sind wir auf Ihrer Seite. Dann haben Sie unsere Unterstützung. Aber unser Problem ist, dass Schwarz-Gelb in Berlin einen Koali tionsvertrag unterschrieben hat, mit dem genau das Gegenteil beabsichtigt wird.
Die Koalition in Berlin will die Programme gegen Rechtsex tremismus eindampfen, und was dann übrig bleibt, soll in Pro gramme gegen Extremismus allgemein umgewandelt werden. Da sagen wir: Das geht nicht. Das ist nicht zielgenau, und es reicht nicht aus. Es ist deshalb nicht zielgenau, weil die Be gründungszusammenhänge dieser verschiedenen Extremis musarten unterschiedlich sind. Ich muss dem Extremismus al so auf unterschiedliche Weise begegnen.
Aus diesem Grund weise ich darauf hin, dass es ein Unter schied ist, ob jemand beispielsweise die Gleichwertigkeit oder
die Ungleichwertigkeit zum Maßstab seiner Entscheidung macht. Diese sind doch für das Programm mitbegründend.
Deshalb unsere Bitte: Geben Sie die Gleichsetzung in diesem Fall auf. Denn so können wir nicht zielführend agieren.
Im Übrigen sind wir hier einer Meinung. Ich denke, wir sind bei diesem Thema in weiten Teilen einer Meinung, und dafür bin ich dankbar.
Herr Kollege, geben Sie mir recht, dass wir zum einen die NPD und zum anderen zweimal die Republikaner hier im Landtag hatten, dass der Jugendverband der NPD in Baden-Württemberg ein Viertel aller Mitglieder bundesweit hat und sich deren Mitgliederzahl innerhalb von zwei oder drei Jahren verdoppelt hat?
Ich stelle fest: Der Innenminister hat einen durchaus vernünftigen Vorschlag vorgelegt. Sie haben jetzt gesagt, die vorgesehene Enthaltung zu dem letzten Teil sei aufgrund von sachgerechten, sehr überdachten Überlegungen und aufgrund von Schwierigkeiten innerhalb der eigenen Koalition zustande gekommen. Ich frage den Innenminister: Halten Sie denn Ihre Position, die Sie in diesem Entschließungsantrag festgeschrieben haben, aufrecht? Und ich frage den Herrn Justizminister:
Gilt das, was Sie am 11. Juni in einem dpa-Gespräch gesagt haben, heute noch immer? Darin sagten Sie nämlich – ich zitiere –:
Ich hätte mir eine noch weiter gehende Debatte darüber vorstellen können, inwieweit großkalibrige Waffen für sportliche Wettkämpfe wirklich benötigt werden.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, dass das Einbestellen des Schulleiters Bosch angesichts der Tatsache, dass der weit überwiegende Teil der Hauptschullehrer und der Hauptschulrektoren schon lange nicht mehr an die Zukunft dieser Schulform glauben, irgend etwas zu einer konstruktiven Lösung beitragen kann?
Ich frage die Landesregierung:
Erstens: Trifft die Meldung des „Mannheimer Morgen“ vom 21. April dieses Jahres zu, in der der Geschäftsführer des Studienzentrums Weikersheim zitiert wird mit den Worten, „alle CDU-Minister waren bei uns“, Kultusminister Rau sei in vier
Wochen der nächste, und wie beurteilt dies die Landesregierung angesichts der bekannt gewordenen Umstände?
Zweitens: Wie beurteilt die Landesregierung den Umstand, dass dem Präsidium des Studienzentrums Weikersheim ein Klaus Hornung angehört, der schon mit dem Neonazi Claus Nordbruch gemeinsame Sache gemacht hat, dass dem Präsidium ein Stefan Winckler angehört, der erst in allerjüngster Zeit zusammen mit Hans-Helmuth Knütter publizierte, der schon einmal zu Saal- und Straßenschlachten aufruft, zusammen mit Gisa Pahl, die die Domain des Deutschen Rechtsbüros hält, einem Zusammenschluss bundesweit tätiger, extrem rechter Anwälte, zusammen mit Claus-M. Wolfschlag, Referent bei der Aktivitas der rechtsextremen Burschenschaft Danubia, die vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtet wird, zusammen mit Judith Wolter von „pro Köln“, mehrfach namentlich erwähnt im Verfassungsschutzbericht NordrheinWestfalens, zusammen mit Josef Schüßlburner, Referent bei der rechtsextremen Gesellschaft für Freie Publizistik, und den Umstand, dass der Geschäftsführer des Studienzentrums Weikersheim gleichzeitig die Geschäfte der Hans-Filbinger-Stiftung führt und dort mit dem Vorstandsmitglied Albrecht Jebens zusammenarbeitet, den die neurechte Zeitung „Junge Freiheit“ als „Hans Dampf in allen rechten Gassen“ beschreibt und der nicht nur bei der Gesellschaft für Freie Publizistik referierte, sondern sich 2002 auch in deren Vorstand wählen ließ, und ist die Landesregierung bereit, daraus Konsequenzen zu ziehen, wenn ja, welche und bis wann?
Herr Kollege Noll, vielleicht ist mir das entgangen, aber wer hat denn hier das Wort „Konsumterror“ in die Debatte eingeführt?
Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute in Deutschland über die Integration von Menschen mit Migrationshinter
grund sprechen, dann sprechen wir über Versäumnisse der Vergangenheit, Herausforderungen der Gegenwart und eine Zukunftsaufgabe ersten Ranges. Das gilt übrigens in ganz besonderem Maße für Baden-Württemberg, denn unser schönes Bundesland ist ein Einwanderungsland par excellence,
ein Umstand, den Sie von der konservativen Seite über Jahrzehnte geleugnet haben. Dennoch sprechen die Zahlen des Statistischen Landesamts für sich.
In keinem anderen Flächenland in Deutschland leben so viele Menschen mit Migrationshintergrund wie in BadenWürttemberg: 2,7 Millionen. Jeder vierte Baden-Württemberger hat einen Migrationshintergrund; bei Minderjährigen sogar jeder dritte.
Diese Menschen gehören einfach dazu, haben vielfach einen deutschen Pass und bereichern unser Land kulturell, sozial und auch im wahrsten Sinne des Wortes – sie zahlen Steuern und Sozialabgaben, arbeiten als Facharbeiter, Erzieherin, Arzt oder Pflegekraft, als Entwicklungsingenieur oder Rechtsanwältin – und tragen so zum Bruttoinlandsprodukt bei. Viele mittelständische und große Unternehmen bauen auf ihre interkulturelle Kompetenz, und oftmals sind sie selbst als Unternehmer und Arbeitgeber tätig. Dies alles ist bei uns in Baden-Württemberg Realität, aber es ist nur der schöne Teil der Realität.
Der andere Teil hat mit Ihrer jahrzehntelangen Realitätsverweigerung zu tun. Herr Rüttgers würde vermutlich von einer Ihrer Lebenslügen sprechen. Denn wer Einwanderung leugnet, braucht sich um Integration kaum zu kümmern. Die Folgen können Sie hier bei uns in Baden-Württemberg besichtigen: 7,6 % der jungen Ausländer verlassen die Schule ohne qualifizierten Abschluss.
36 % der jungen Migranten und 43 % der jungen Ausländer haben keine abgeschlossene Berufsausbildung – hier bei uns in Baden-Württemberg.
Die Erwerbslosenquote von Menschen mit Migrationshintergrund ist mit 13 % doppelt so hoch wie die der Nichtmigranten – hier bei uns in Baden-Württemberg. Das ist eine Dokumentation politischen Versagens.
Darüber brauchen wir nicht zu streiten; das ist Realität: schwarz auf weiß belegt vom Statistischen Landesamt.
Die Frage ist: Was haben Sie daraus gelernt? Wo sind Ihre politischen Antworten? Wir wollten Ihnen die Gelegenheit geben, dies darzulegen, und haben deshalb den Antrag gestellt.
Ich muss Ihnen sagen: Die Stellungnahme ist enttäuschend. Sie haben kein Konzept. Schlimmer noch: Sie wissen noch nicht einmal, was Sie wollen.
In Ihrer Stellungnahme, Herr Minister, zählen Sie so ziemlich jedes Förderprogramm auf, an dem Sie in irgendeiner Form beteiligt sind. Ich will hier an dieser Stelle gar nicht darüber streiten, in welcher Höhe und ob das im Einzelfall so gerechtfertigt ist. Aber eines müssen Sie sich doch vorhalten lassen: Hier ein Modell und dort ein Modell, da eine Beteiligung und dort noch eine Beteiligung – das ist ein Sammelsurium, ein Flickwerk, aber kein Konzept, geschweige denn ein umfassendes, schlüssiges und nachhaltiges Integrationskonzept. Es wird den Menschen nicht gerecht, und das ist auch nicht gut für unser Land; denn wir sind nicht in der Lage, auch nur auf eine einzige Begabung verzichten zu können. Das Schlimmste ist: Dieses Sammelsurium ist sogar noch der beste Teil Ihrer Stellungnahme.
So richtig unterirdisch ist der erste Teil. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Die Frage ist ganz klar und verständlich gestellt. Ich zitiere:
… welche konkreten thematischen und inhaltlichen Schwerpunkte die Landesregierung zur Weiterentwicklung der Integrationspolitik, insbesondere zum angekündigten Integrationsplan setzt und wie sie diese finanzieren wird
Klarer geht es nicht. Was für eine Steilvorlage! Das ist nahezu ein Geschenk an Sie. Jede Regierung mit einem bisschen Gestaltungswillen würde sich die Finger danach lecken. Und was machen Sie? Sie eiern herum und verstecken sich hinter dem Bund: Man könne noch keine Schwerpunkte setzen, heißt es da, man warte noch die Ergebnisse des Nationalen Integrationsplans ab, der für Sommer 2007 angekündigt sei. Anderthalb Jahre nach der Landtagswahl will die Landesregierung damit beginnen, sich Gedanken zu ihrer Integrationspolitik zu machen!
Sie verweisen auf Gremien, in denen Sie vertreten sind, aber Sie verweigern eine Aussage darüber, was Sie in diesen Gremien wollen, welche Ziele Sie dort verfolgen. Sie schicken doch nicht nur Beobachter dorthin! Haben Sie wirklich keinen Gestaltungswillen? Und das als Vertreter eines der größten Flächenländer und eines Einwanderungslandes par excellence! Herr Goll, Sie sind Integrationsbeauftragter. Sie können mit diesem Papier überhaupt nicht zufrieden sein.
Deshalb schlage ich vor: Kommen Sie nach vorn,
und sagen Sie, was Sie wirklich wollen,
woran es hakt und an wem es hakt. Wir helfen Ihnen – vielleicht.
Klar ist auf jeden Fall: Integration ist eine Herausforderung der Gegenwart und eine Zukunftsaufgabe ersten Ranges. Das Parlament muss sich dieser Aufgabe verstärkt zuwenden. So wie bisher darf es nicht weitergehen. Deshalb fordern wir Sie auf und werden dies auch beantragen, dem Parlament jährlich einen Integrationsbericht vorzulegen, der hier zu debattieren ist.
Über die Handlungsfelder, die zu bearbeiten sind, werde ich in der nächsten Runde sprechen.
Herr Minister, lieber Kollege Kluck, natürlich ist Integration ein zweiseitiger Prozess. Das ist doch eine banale Feststellung. Banaler geht es doch gar nicht.
Aber wir sind doch hier im Landtag von Baden-Württemberg und gestalten Landespolitik. Also sprechen wir über die Aufgaben des Landes!
Das, was das Land zu tun hat und was es zu leisten hat, das sind die Aufgaben, über die wir hier sprechen werden.
Wenn Sie jetzt hier von einer „grotesken Verzerrung der Wirklichkeit“ sprechen, Herr Minister,
dann würde ich mich an Ihrer Stelle einmal an das Statistische Landesamt wenden. Die Zahlen, die ich hier vorgetragen habe, sind die Zahlen des Statistischen Landesamts. Mit dem, was Sie gesagt haben, haben Sie ein vernichtendes Urteil über das Statistische Landesamt gesprochen. Denn demnach nimmt man die Realität einfach nicht zur Kenntnis.
Wir sprechen hier von 36 % junger Migranten und von 43 % der Ausländer insgesamt, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben.
Das ist doch kein politischer Erfolg, den Sie hier haben, aber es ist Realität. Ich halte Ihnen entgegen: Sie haben versucht, hier darzustellen, wie sehr Sie in Integrationsfragen engagiert sind und wie glänzend Ihre Bilanz ist.
Nein, ich ziehe das jetzt hier durch.
Ich halte Ihnen entgegen: Es geht hier um eine Gruppe, die mit fehlenden Sprachkenntnissen, fehlenden Schulabschlüssen, einer hohen Schulabbruchquote, hoher Jugendarbeitslosigkeit und manchmal mangelndem Bildungsbewusstsein der Eltern identifiziert wird. Das sind die Erhebungen des Statistischen Landesamts. Sie sprechen eine ganz klare Sprache. Das ist der Befund!
Unsere Überzeugung ist: Auf den Anfang kommt es an. Was wir hier investieren, verzinst sich doppelt. Daraus ergeben sich Handlungsfelder.
Also fangen wir dort an, wo Kinder mit Migrationshintergrund unter Umständen das erste Mal mit deutscher Sprache in Berührung kommen, nämlich in den Kindertagesstätten.
Wo sind denn das viel diskutierte verpflichtende Kindergartenjahr, kostenfreier Kindergartenbesuch, die Sprachtests im Vorschulalter?
Welche konkreten Pläne haben Sie hier? Wie wollen Sie sie finanzieren?
Sie sprechen vom Orientierungsplan 2009/2010. Worauf warten Sie denn eigentlich noch?
Ihre Zögerlichkeit hat doch zu dem Problem beigetragen. Glauben Sie denn jetzt ernsthaft, dass Ihre Zögerlichkeit dazu beiträgt, diese Probleme wieder zu lösen? Andere Bundesländer sind da schneller. Schauen Sie nach Nordrhein-Westfalen.
Dort gibt es bereits ab dem nächsten Jahr Sprachstandsfeststellungen, und zwar verpflichtend für jedes Kind. Sie hinken hinterher!
Die Ausbildung von Erzieherinnen orientiert sich noch immer rein am deutschsprachigen Kind. Eine Beteiligung an Weiterbildungsmaßnahmen etwa der Sprachförderung und der Sensibilisierung für bilinguale Lebenssituationen verweigern Sie noch immer.
Doch. – Das rächt sich doppelt. Ihnen fehlt ein schlüssiges Konzept für die Sprachförderung an Kindergärten. Das, was Sie hier mit der Landesstiftung machen, reicht doch nicht aus.
Im Übrigen warten die Träger darauf, zu erfahren, wie es weitergehen soll. Kollege Wölfle hat das angesprochen. Wo ist denn eine Aussage dazu, wie es weitergehen soll, wenn die Modellphase abgeschlossen ist? Sie hängen hinterher.
Und wo ist Ihr Beitrag zur Elternarbeit, etwa zur Sprachförderung vor allem von Müttern? Wie wollen Sie dies verstetigen, wie wollen Sie dies ausweiten? Was ist Ihrer Ansicht nach der Part des Landes und was der der Kommunen? Dreh- und Angelpunkt bleiben eben die Frühförderung von Sprache und interkulturelle Erziehung.
Was Sie hierbei nicht schwerpunktmäßig an Maßnahmen durchführen, müssen Sie schließlich für Nachbesserungen ausgeben.
Die Kommunen haben Ihnen zur Sprachförderung längst eigene Vorschläge gemacht, die über die Finanzierung durch die Landesstiftung hinausgehen. Aber wie verhalten Sie sich dazu? Sie haben nichts dazu gesagt.
Lassen Sie mich zum Schluss aus dem Buch „Migration und Integration: Testfall für unsere Gesellschaft“ zitieren. Es stammt von Rita Süssmuth und lohnt sich zu lesen. Sie nennt folgende Schwerpunkte: intensiver Ausbau der vorschulischen Sprachförderung und Sprachstandstests von Kindern im Alter von vier und fünf Jahren,
die Defizite ausgleichen, Intensivierung der Elternarbeit, Ausbau der Ganztagsschulen, interkulturelle Kompetenzen in der Lehrerausbildung
systematisch und verpflichtend verankern, mehr pädagogische Fachkräfte mit Migrationshintergrund in allen Bildungseinrichtungen,
zusätzlichen Förderunterricht für Schülerinnen und Schüler mit unzureichenden Deutschkenntnissen einrichten.
Die Umsetzung dieser Reformmaßnahmen verträgt keinen Aufschub, sagt Rita Süssmuth.
Recht hat sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union. Sie hinken hinterher. Sie haben noch einiges zu tun und könnten in diesem Bereich mutiger sein. Doch auch für einen Integrationsminister, Herr Goll, ist das noch zu wenig.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Zuwanderungsgesetz ist evaluiert. Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der Union, müssen sich die Augen reiben: Das Gesetz, gegen das Sie sich so lange gestemmt haben, hält der Praxis stand. Was haben Sie nicht alles gegen dieses Gesetz vorgebracht! Es schaffe einen unkontrollierten Zugang von Ausländern, es gefährde die innere Sicherheit, es sei nicht sozial verträglich. Inzwischen wissen wir es schwarz auf weiß: Unsere Wirtschaft ist auf Zuwanderung angewiesen, unser Land ist auf Zuwanderung angewiesen. Sie haben das bloß viel zu lange ignoriert. Frei nach Rüttgers sind Sie einer Lebenslüge aufgesessen.
Dieses Gesetz hat sich bewährt. Aber es gibt nichts Gutes, was man nicht noch besser machen könnte. Deshalb will ich über den punktuellen Verbesserungs- und Änderungsbedarf sprechen. Dieser besteht zweifelsohne beim Zugang von geduldeten Migrantinnen und Migranten zum Arbeitsmarkt.
Der Evaluierungsbericht mahnt an, dass § 11 der Beschäftigungsverfahrensverordnung einer inhaltlichen Klarstellung bedarf. Das ist richtig, widerspricht aber der Linie der Landesregierung. Die Gründe für die Versagung einer Arbeitsgenehmigung sind klarer zu definieren. Es muss klar sein, wann ein geduldeter Zuwanderer diese Versagensgründe selbst zu vertreten hat und wann nicht. In der Praxis kommt es viel zu häufig immer wieder zu zweifelhaften Situationen, beispielsweise dann, wenn Geduldeten durch eine aufenthaltsrechtliche Entscheidung der Ausländerbehörden eine Arbeitserlaubnis verweigert wird – Kollege Wölfle hat dies eben dargelegt –, und dies, obwohl diese Menschen zuvor eine gültige Arbeitserlaubnis und einen Job hatten. Ich denke, so macht man Menschen unnötig zu Empfängern von Transferleistungen. Das schadet diesen Menschen, das schadet den Beitragszahlerinnen und -zahlern in die Sozialsysteme, das schadet im Übrigen auch dem Handwerk und dem Mittelstand.
Das muss korrigiert werden. Ich hätte mir da eigentlich eine deutliche Initiative des Landes gewünscht. Wenn Sie, Herr Minister, in Interviews Integration und ein dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis als Voraussetzung für ein Bleiberecht fordern, müssen Sie auch politisch die entsprechende Voraussetzung schaffen. Da haben wir bis jetzt leider wenig gesehen.
Zweitens: Das One-Stop-Government, welches das Gesetz für die Erteilung von Arbeitserlaubnissen vorsieht, kann man unserer Ansicht nach zu Recht kritisieren. Gedacht war an eine Verfahrenserleichterung, an eine Entbürokratisierung. Die Ausländerbehörden sollten mit einem einzigen Verwaltungsakt über die Arbeitsgenehmigung entscheiden. Doch die Praxis, wonach bei jedem Jobwechsel ein Zustimmungsverfahren der Ausländerbehörde notwendig ist, widerspricht den heutigen Realitäten auf dem Arbeitsmarkt, besonders im Niedriglohnsektor. Die Ausländerbehörden können bei dem Tempo häufig nicht mithalten, das die kurzfristig und häufig wechselnden Zeitverträge erfordern, die in diesem Sektor gang und gäbe sind. Gerade dort arbeiten eben viele der geduldeten Migrantinnen und Migranten, nehmen Jobs an, für die sich keine einheimischen Kräfte finden. Diese One-Stop-Regelung sollte zum Ermöglicher werden. Sie ist in der Praxis zum Hemmschuh und zum Verhinderer geworden. Dies muss geändert werden.
Drittens eine Anmerkung zum Arbeitsmarktzugang von geduldeten Migrantinnen und Migranten. Ich weise darauf hin, dass die Ausländerbehörden freiwillig so gut wie keinen Gebrauch von § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes machen. Danach soll einem ausreisepflichtigen Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Abschiebung ohne Verschulden des Abzuschiebenden rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist und die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte damit die unsägliche Praxis von Kettenduldungen verhindert werden. Doch diese Kettenduldungen nehmen kein Ende. Nicht nur dies, sie erweisen sich als ein Verhinderungsinstrument im wahrsten Sinne des Wortes. Sie verhindern einen eindeutigen Rechtsstatus. Sie verhindern für viele Familien die Chance, ein normales, ein würdiges Leben zu führen. Sie verhindern Integration.
Das können wir alle nicht wollen. Das widerspricht auch dem eigentlichen Willen des Gesetzgebers. Deshalb fordere ich Sie, Herr Minister, auf: Wirken Sie auf die Behörden ein, den eigentlichen Willen des Gesetzgebers stärker zu achten, den Zugang von Geduldeten zum Arbeitsmarkt tatsächlich zu erleichtern und den Menschen ein Leben in Sicherheit und Würde zu ermöglichen.
Letztes Stichwort: Bleiberechtsregelung für geduldete Ausländerinnen und Ausländer, eher bekannt unter „Altfallregelung“. Dass sie kommen muss, darüber sind wir uns in diesem Haus inzwischen einig. Wir meinen darüber hinaus, wir alle sollten eines – ungeachtet einiger Stimmen aus verschiedenen politischen Lagern – akzeptieren: dass nämlich ein dauerhaftes Bleiberecht für Migrantinnen und Migranten mit einer Arbeitserlaubnis verbunden sein muss, und zwar zwingend.
Sie, Herr Minister, sagten der Zeitung „Die Welt“ vor zwei Wochen:
Wer bei uns bleiben will, muss sich selbst ernähren können.
Aber dann muss man auch dafür sorgen, dass er arbeiten darf. Deshalb fordern wir Sie auf, sich für diese Arbeitserlaubnis einzusetzen. Die Innenministerkonferenz muss hier in den nächsten Tagen zu einer tragfähigen und endgültigen Lösung kommen.
Bis diese Regelung allerdings in Kraft tritt, vergeht noch Zeit. Manche, die dann unter die Altfallregelung fallen würden, sind bis dahin von Abschiebung bedroht. Das betrifft beispielsweise Familien, deren Kinder hier geboren und aufgewachsen sind, oder Eltern, die zum Teil gut integriert sind, die sich ehrenamtlich, bürgerschaftlich für andere einsetzen. Beispiele dazu haben Sie vorhin gehört. Sie abzuschieben würde diesen Menschen nicht gerecht. Sie abzuschieben wäre auch politisch widersinnig, wenn sie schließlich ohnehin unter die Altfallregelung fallen würden.
Deshalb fordern wir Sie, Herr Minister, erneut auf: Stoppen Sie die Abschiebung derer, die nach Inkrafttreten der Altfallregelung ohnehin unter diese fallen würden. Darum bitten wir Sie herzlich. Wir stimmen dem Antrag Drucksache 14/506 zu.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Frage, wie weit Baden-Württemberg bei der Zuwanderungsbegrenzung und -steuerung Schrittmacher in Deutschland in ausländerrechtlichen Fragen und Asylfragen ist, hat Ute Vogt sehr eindrucksvoll das kontrastiert, was Sie, Herr Minister, ausgeführt haben.
Ich wende mich nun der Frage zu, inwieweit unser schönes Bundesland Schrittmacher in Fragen der Integration und da vor allem im Bereich der Förderung der Sprachkompetenz ist. Denn wir sind uns ja darüber einig, dass das Zuwanderungsgesetz erstmals der Sprachkompetenz die zentrale Schlüsselfunktion zuweist, und das ist gut so. 600 Stunden verpflichtender Sprachkurs, 30 Stunden Orientierungskurs, nach fünf Jahren eine Prüfung, die über den weiteren Aufenthalt entscheidet – das ist auf der einen Seite ein Angebot des Staates, das vorwiegend vom Bund bezahlt wird.
Auf der anderen Seite besteht die Verpflichtung derjenigen, die aus Drittstaaten künftig zu uns kommen. Denn es geht bei diesem Zuwanderungsgesetz nicht um diejenigen, die bereits bei uns sind, nicht um diejenigen, die aus EU-Staaten kommen. Für diese Gruppen trägt das Land die politische Verantwortung, und zwar genau für die Gruppen, die häufig mit fehlenden Sprachkenntnissen, fehlenden Schulabschlüssen, einer hohen Schulabbruchquote, einer hohen Jugendarbeitslosigkeit und manchmal mangelndem Bildungsbewusstsein der Eltern identifiziert werden. Die Frage ist: Was haben Sie für diese Gruppen getan? Haben Sie den politischen Gestaltungsspielraum tatsächlich genutzt?
Fangen wir bei den Kindertagesstätten an, also dort, wo die Kinder mit Migrationshintergrund unter Umständen das erste Mal intensiver mit der deutschen Sprache in Berührung kommen.
Es ist erstens festzustellen, dass die Ausbildung von Erziehern und Erzieherinnen diesen Umstand bis heute kaum berücksichtigt. Sie orientiert sich immer noch ausschließlich am deutschsprachigen Kind. Die Beteiligung an Weiterbildungsmaßnahmen, etwa der Sprachförderung oder der Sensibilisierung für bilinguale Lebenssituationen, verweigern Sie beständig. Schrittmacher sehen jedenfalls anders aus.
Zweitens: Ihnen fehlt bis heute ein schlüssiges Konzept für die Sprachförderung in Kindertagesstätten. Das Projekt der Landesstiftung „Sprachförderung im Vorschulalter“ ist bestenfalls eine Ergänzung, aber kein Ersatz für eine umfassende vorschulische Sprachförderung.
Wer einen besonderen Bedarf an der Förderung des Hörverstehens, des Sprechvermögens aufweist, darf doch nicht erst ein oder eineinhalb Jahre vor Schulbeginn Förderung erfahren. Da ist es um Längen zu spät. Darin sind wir uns doch im Grunde einig. Das wissen Sie so gut wie wir. Also
tun Sie etwas! Sie agieren bis jetzt sehr zögerlich und halbherzig. Das schadet unseren Kindern, und das schadet unserem Land.
Sie beklagen häufig völlig zu Recht, dass viele Kinder bei der Einschulung hier bei uns in Baden-Württemberg eine verzögerte Sprachentwicklung aufweisen – 20 000 bis 25 000 Kinder Jahr für Jahr und beileibe nicht nur solche mit Migrationshintergrund. Dann sollten Sie aber in die Gänge kommen und wenigstens das umsetzen, was Sie selbst erkannt haben.
Kommen wir zu den Schulen. Auch die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern hält in diesem Bereich den Anforderungen der Wirklichkeit kaum stand. Schulungen im Bereich „interkulturelle Kompetenz, Umgang mit bilingualen Lebenssituationen“ sind nicht verpflichtend. Das kommt bestenfalls in „Orchideenfächern“ vor. Ein Blick in eine Hauptschulklasse reicht, um zu sehen, wie ungenügend dies ist.
Die Schulpraxis wird dem zweisprachigen Hintergrund von Migrantenkindern bei uns nicht gerecht. Das liegt an der Ausbildung der Lehrkräfte, am Abbau von Stütz- und Förderkursen und am Rückzug aus der Schulsozialarbeit. Die viel zu frühe Selektion schadet Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in ganz besonderem Maße. Denn für sie sind die vier Jahre Grundschule viel zu kurz, um sprachliche Defizite auszugleichen. Dies führt sie häufig in die Hauptschulen und die Förderschulen, weil ihre sprachlichen Defizite natürlich nicht nur in Deutsch, sondern auch in den anderen Fächern durchschlagen. Was für eine Vergeudung von Begabungen, auf die wir so dringend angewiesen wären, und wie ungerecht gegenüber diesen Kindern und Jugendlichen!
Was eine gezielte Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund angeht, so sind Sie wahrlich kein Schrittmacher, sondern stolpern hilflos und lustlos herum. Wie wäre es, wenn Sie Integration einmal als einen zweiseitigen Prozess erkennen würden, bei dem man nicht nur fordert, bei dem nicht nur jene mit Migrationshintergrund einen Beitrag zu leisten haben, sondern auch Sie? Wie wäre es, wenn Sie einmal anerkennen würden, dass Menschen mit Migrationshintergrund auch über Erfahrungen und Begabungen verfügen, die man vielleicht noch nicht so erkannt hat, die sich möglicherweise von den unseren unterscheiden, aber die es zu entdecken, zu fördern und zu nutzen gilt, und zwar zugunsten dieser Menschen und zugunsten unseres Landes? Dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, würden wir in Baden-Württemberg in diesem Bereich vielleicht zum Schrittmacher werden.
Heute können wir nur feststellen: Das Ziel, Schrittmacher in Sachen Integration, in Sachen Sprachförderung zu sein, ist gut. Der Weg dahin ist jedoch noch weit und die Batterie verdammt schwach.
Herr Kollege Rülke, ich habe Sie leider nicht richtig verstanden. Wer hat denn zu welchem Zeitpunkt welche Zwangsmaßnahmen gefordert? Wann haben Sie denn das letzte Mal davon gelesen? Vor fünf Jahren, vor zehn Jahren?