alle Verbände bestätigen immer gern, dass sie sich insbeson dere gegenüber dem Gymnasium hinsichtlich der Versorgung mit Lehrerstunden eklatant benachteiligt fühlen. Denn den Re alschulen signalisiert man im Grunde: Wenn ihr zwischen 95 und 100 % Versorgungsquote habt, dann ist es gut. Bei den Gymnasien hingegen muss es immer etwas mehr als 100 % sein.
Das macht uns deutlich: Die Instrumente greifen nicht. Es gibt Rahmenbedingungen, die vor Ort für bestimmte Schularten die Situation noch erschweren, und Sie haben Ihr Ziel ver fehlt, obwohl manche der Instrumente in den letzten Jahren aufgestockt wurden.
Deshalb bin ich jetzt ganz gespannt, zu hören, wie wir dieses Problem in Zukunft vielleicht besser in den Griff bekommen können.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Bevor ich mit meinen Ausführungen zur Unterrichtsversorgung beginne, möchte ich noch eine kleine Replik auf die allgemeine bildungspolitische Debatte und die Aussagen, die heute Morgen gemacht worden sind, geben.
Herr Rülke hat heute Morgen gesagt, in der Bildungspolitik seien von der Landesregierung keine Reformen mehr ge wünscht. In diesem Kontext ist auch die Aussage der Minis terin in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ zu se hen, in der sie die Bildungspolitik der Landesregierung fol gendermaßen beschrieben hat – ich zitiere –:
Ich denke, diese Aussagen muss man sich, wenn wir heute über dieses Thema reden, noch einmal vergegenwärtigen. Was bedeutet das? Herr Schebesta, Sie haben es im Prinzip auch zugegeben und haben gesagt: Wenn Sie in der Opposition wä ren, dann würden Sie das auch kritisieren.
Man kann natürlich die Statistiken wälzen, wie man möchte; eines bleibt bestehen: Wir haben es hier seit Jahren mit einem strukturellen Defizit an den beruflichen Schulen zu tun. Als im Haushaltsplan 2007/2008 die Produkte und die Zielvorga ben für diesen Bereich eingeführt worden sind, hat man fest gelegt: Die Zielformulierung der Landesregierung für die Un terrichtsversorgung an den beruflichen Schulen liegt bei 96 %. Aufgrund der Debatte, die wir dann im Rahmen der Haus haltsberatungen geführt haben, hat man gemerkt, dass es ei gentlich nicht sonderlich schicklich ist, in der mittelfristigen
Finanzplanung eine Perspektive in der Bildungspolitik derge stalt aufzuzeigen, dass man sagt: Man möchte bildungspoli tisch an den beruflichen Schulen eigentlich gar nicht über die 96 % Unterrichtsversorgung hinaus.
Was hat man daraufhin gemacht? Man hat kein Aktionspro gramm aufgelegt. Man hat aber nicht gesagt, das Problem müsse jetzt behoben werden, sondern man hat einfach die Pro duktinformation als Zielperspektive aus dem Haushalt heraus genommen. Da kann ich nur sagen: Super, so kann man es na türlich machen. Aber die Realität holt die Landesregierung natürlich ein.
Ich muss Ihnen schon sagen: Die Realität holt Sie im doppel ten Sinn ein, nämlich dahin gehend, dass alle Reformbemü hungen – das ist auch die Aussage, die Sie gemacht haben – offensichtlich auch daran scheitern, dass die Zufriedenheit vor Ort in den Schulen nur sehr mäßig ist, wenn regelmäßig Un terricht ausfällt, wenn Vertretungen nicht organisiert sind. Herr Mentrup hat beschrieben, wie das konkret abläuft. Viele von Ihnen haben in ihrem Wahlkreis vor Ort sicherlich auch schon Briefe von Eltern und Lehrern bekommen, die absolut unzu frieden darüber sind, dass Schule eben nicht mehr verlässlich ist, was den Stundenplan angeht und was die Inhalte angeht.
Frau Ministerin, daher müssen Sie sich natürlich an Ihren Äu ßerungen messen lassen. Wenn Sie sagen, Sie wollten jetzt keine Reformen mehr machen, Sie wollten zunächst schauen, was in der Schule und im Unterricht eigentlich passiert, dann müssen Sie doch die Forderung erfüllen, dass die Qualität ge währleistet ist. Sie und wir brauchen in unserer Bildungspo litik natürlich eine Perspektive, wie man diesem Mangel, der von Jahr zu Jahr nur verwaltet wird, und wie man dieser Un zufriedenheit bei den Eltern und Schülern mittelfristig begeg net.
Wenn ich mir jetzt aber die Anträge und Ihre Stellungnahmen dazu durchlese, finde ich daüber nichts. Herr Schebesta, es ist schön und gut, wenn Sie sagen, dass bei den beruflichen Schu len aufgrund der demografischen Entwicklung nicht so viele Deputate herausgenommen werden. Sie sagen: „Wir lassen die Deputate drin.“ Aber ich frage Sie: Worin besteht dann der Fortschritt? Wir haben eine Finanz- und Wirtschaftskrise, und Sie sind damit zufrieden, dass man das, was man aus dem Sys tem holen wollte, darin lässt. Aber wir wissen genau, dass nicht allen jungen Leuten in den beruflichen Schulen, die jetzt nach der Berufsausbildung keine Arbeitsstelle bekommen, die Möglichkeit der Technikerschule oder des einjährigen Berufs kollegs eröffnet wird.
Das Wirtschaftsministerium trägt das wie eine Monstranz vor sich her. Wir diskutieren auch in der Enquetekommission da rüber, dass voraussichtlich von 2015 bis 2030 eine große, ei ne erhebliche Anzahl von qualifizierten jungen Leuten auf dem Arbeitsmarkt fehlen.
Diese Menschen brauchen wir. Wir können es uns heute nicht leisten, diese Ressourcen brachliegen zu lassen.
Ich gebe Ihnen in einem Punkt recht: Man kann sich nicht von heute auf morgen neue Lehrer aus den Rippen schnitzen. Das ist klar. Sie müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass wir eine Situation haben, die Sie über Jahre hinweg zu verantwor ten haben. Sie haben sich da durchgewurstelt. Sie haben das einfach so gelassen. In einem Jahr liegt das strukturelle Un terrichtsdefizit an den beruflichen Schulen bei 4,5 %, im an deren beträgt es 3,8 %. Wenn sich da ein wenig im Zehntel bereich ändert, feiern Sie das schon als große Veränderung.
Sie sind aber nicht bereit, zu sagen, wie Sie das eigentlich än dern wollen. Bezüglich der Direkteinsteiger wissen Sie auch, dass das Problem besteht, dass sich die jungen Ingenieure, wenn die Wirtschaft – wie wir alle hoffen – wieder anzieht, natürlich gut überlegen werden, ob sie tatsächlich als Lehrer an die beruflichen Schulen gehen.
Der Korridor, den Sie hier mit den zusätzlichen Vergütungen eröffnet haben, ist zudem begrenzt. Da tut sich schon jetzt ei ne Lücke auf, der man sehenden Auges begegnen muss und gegen die man etwas machen muss.
Was brauchen wir also? Die Landesregierung muss sich dazu bekennen, dass wir, um das strukturelle Defizit an den beruf lichen Schulen zu reduzieren, ein Aktionsprogramm brauchen, damit das in den nächsten zwei, drei Jahren bereinigt ist. Auch die Bugwelle der Überstunden an den beruflichen Schulen muss angegangen werden. Herr Schebesta, wir brauchen au ßerdem – auch im Zuge des demografischen Wandels – eine drastische Aufstockung der Deputate in diesem Bereich. Im letzten Schritt wurde die Zahl der Krankheitsvertretungen von 1 250 auf 1 266 erhöht. Um dieses unwürdige bürokratische Konstrukt, wie Sie es eben mit Schöpfmitteln praktizieren, zu beenden, brauchen Schulen und Eltern vor Ort auch wirklich Verlässlichkeit. Sie brauchen kein bürokratisches Hin und Her, sondern eine angepasste, schnelle und zumindest verlässliche Krankheitsvertretung.
Das brauchen wir. Da brauchen wir eine Antwort. Diese Ant wort müssen Sie liefern. Wenn Sie schon keine weiteren Re formen im Schulsystem machen wollen, so müssen Sie zu mindest Ihre Hausaufgaben in diesem Punkt erledigen.
Frau Präsidentin, verehr te Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! „Die Realität holt uns ein“, Herr Lehmann. Wer fen wir doch einmal einen Blick auf die Realität.
Herr Dr. Mentrup hat eben bezweifelt, dass die Krankheits welle einen Einfluss auf die Unterrichtsversorgung im letzten Herbst gehabt habe. Herr Dr. Mentrup, nach der Stichproben erhebung im November 2008 war mit einem Anteil von 56 % Krankheit der häufigste Grund für die Abwesenheit von Lehr kräften in den Schulen. Im letzten Herbst betrug dieser Anteil 66 %. Wer die Wahrnehmung dieses Zusammenhangs verwei gert, der verweigert auch die Wahrnehmung der Realität. Ein
um zehn Prozentpunkte gestiegener Anteil an Krankschrei bungen hatte natürlich auch seine Auswirkungen auf die Un terrichtsversorgung.
Ich möchte weiter einen Blick auf die Stichprobenerhebung vom November 2009 werfen. Aus unserer Sicht ist hierbei ein sehr positiver Effekt erkennbar. Ausgerechnet in den beiden Schularten, die hinsichtlich der Unterrichtsversorgung bisher unsere Sorgenkinder sind, nämlich in den Förderschulen und den beruflichen Schulen, ist eine deutliche Verbesserung zu verzeichnen. Im beruflichen Bereich hat sich der Unterrichts ausfall von 4,5 auf 3,6 % vermindert. Es bedeutet auch Wahr nehmung der Realität, wenn man sich klarmacht, in welcher Situation die beruflichen Schulen sind. Diese Verminderung ist schon ein Erfolg.
Die Situation an den beruflichen Schulen – das klang in den Beiträgen meiner Vorredner schon an – ist in einem engen Zu sammenhang mit der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung zu sehen. Es zeigt sich auch in diesem Schuljahr: Im Bereich der Teilzeitberufsschulen ist die Zahl der Schülerinnen und Schü ler deutlich gesunken. Ihre Zahl ist nach ersten Schätzungen um 5 900 zurückgegangen. Im Vollzeitschulbereich hingegen ist die Zahl der Schülerinnen und Schüler um etwa 2 000 ge stiegen. Diese Entwicklung verschlechtert auch die Situation der beruflichen Schulen. Es ist durchaus schwierig, diesen Wechsel aufzufangen.
Die Landesregierung hat im letzten Jahr und auch im laufen den Schuljahr auf diese Situation reagiert. Herr Schebesta hat es schon angesprochen: 100 Stellen zusätzlich gab es im Mai 2009.
Die neueste Schülerprognose rechnet im beruflichen Bereich mit sinkenden Schülerzahlen für das nächste Schuljahr. Den noch bleiben die 180 Stellen, die rechnerisch an sich frei wür den, im System.
Es wurde auch bereits angesprochen: Die Klassenteilersen kung wird im Bereich der beruflichen Schulen zu weiteren 150 Deputaten führen. Wir sind hier mit Sicherheit auf dem richtigen und auf einem guten Weg.
Dennoch macht uns das schon angesprochene strukturelle De fizit im beruflichen Bereich große Sorgen. Aus unserer Sicht müssen wir weiter daran arbeiten und uns überlegen, wie wir dieses strukturelle Defizit abbauen können. Wir müssen auch in den nächsten Jahren die demografische Rendite in diesem Bereich abschöpfen. Wir sollten also auch in den nächsten Jahren rein rechnerisch frei werdende Lehrerstellen im beruf lichen Bereich nicht streichen, sondern dort belassen
und, wo immer dies möglich ist, durch Umschichtungen auch hier zu einer Aufstockung der Zahl der Stellen kommen.
Lassen Sie mich noch einen Blick auf die Situation an den an deren Schulen in unserem Land werfen. Ich möchte noch ein mal darauf hinweisen – man kann es nicht oft genug sagen; auch an dieser Stelle ist dieser Hinweis angebracht –, dass die Landesregierung versprochen hat und dieses Versprechen hält: Alle frei werdenden Stellen, die durch einen Rückgang der Schülerzahlen entstehen, werden im System gehalten. Das ist bundesweit einmalig. Wir haben durch die Qualitätsoffensive
Bildung – auch das hat Herr Schebesta schon angesprochen – in diesem Schuljahr und auch in den nächsten Schuljahren die Möglichkeit, 4 000 zusätzliche Lehrer in unserem Land ein zustellen. Auch das ist bundesweit einmalig.
Meine Damen und Herren, vor zwei Jahren habe ich in Ver sammlungen gesagt: „Leute, wenn ich 1 000 Lehrer mehr hät te, würde ich sie euch geben.“ Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal sagen kann: Wir haben die Mittel für 4 000 zusätzli che Lehrer und werden sie auch entsprechend einsetzen.
Aus unserer Sicht ist auch die zunehmende Flexibilität im Stellenausschreibungsverfahren des Kultusministeriums sehr wichtig. Das ist ein wichtiger Schritt nach vorn. Wir haben vorzeitige Stellenausschreibungen schon im November, vor allem im Bereich der Gymnasien und der beruflichen Schu len, die dazu dienen, die Lehrerinnen und Lehrer frühzeitig zu binden. Wir haben ein zeitliches Vorziehen des Listenaus wahlverfahrens. Wir haben ein früheres Nachrückverfahren, und wir haben auch die vorgezogene Sonderausschreibung für den ländlichen Bereich. All das sind wichtige Maßnahmen, und sie greifen auch.
Durch diese Maßnahmen haben wir im letzten Jahr, im Jahr 2009, 3 000 Lehrerinnen und Lehrer im Land frühzeitig bin den können. Die Planungssicherheit für unsere Schulen ist im laufenden Jahr deutlich besser, als das in der Vergangenheit der Fall war.
Aber auch hier ein Dennoch – es klang schon an –: Wir wün schen uns, dass die vorgezogenen Stellenausschreibungen mit Blick auf das dann folgende Schuljahr auch für die anderen Schularten bereits im November durchgeführt werden kön nen, vor allem auch für den Realschulbereich. Wir wünschen uns mit Nachdruck – das wünschen wir uns schon lange, und daran halten wir fest – mehr Personalhoheit, mehr Budgetho heit für die Schulen vor Ort,