Dennoch müssen wir zugeben, dass Ängste vorhanden sind. Diese lassen sich nicht durch staatliche Dekrete, sondern nur durch Dialog und gegenseitiges Verständnis beseitigen.
Auch klarere Strukturen in den muslimischen Religionsgemeinschaften könnten dazu beitragen, dass man dort die richtigen Ansprechpartner für die Politik findet. Wir wünschen uns eigentlich eine demokratisch zustande kommende repräsentative Institution, die alle auf dem Boden des Grundgesetzes stehenden muslimischen Religionsgemeinschaften vertritt. Wichtig ist das auch für unseren Religionsunterricht. Denn wir Liberalen wollen – das möchte ich hier noch einmal bekräftigen – an unseren Schulen einen islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache. Wir müssen dort mehr Energie hineinpacken, damit wir damit vorankommen.
Wir wollen, dass den Kindern nicht in irgendwelchen Hinterzimmern eine merkwürdige Version des Korans oder des Islams eingebläut wird, sondern wir wollen, dass das von ausgebildeten Fachkräften vermittelt wird.
Meine Damen und Herren, weil Minarette teilweise als Bedrohung empfunden werden, müssen wir uns permanent um Integration bemühen. Wir wollen das friedliche Zusammenleben aller Menschen, egal, welcher Religion sie angehören. Die Grundlagen dafür sind die Beachtung der Rechte anderer, Dialog, Toleranz und gegenseitiges Verständnis.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kluck, in Sachen Religionsfreiheit haben Sie alles Notwendige gesagt. Ich will zu Beginn ein Wort von Frau Staatsrätin Dr. Hübner aufgreifen und umformulieren. Die Aussage der Frau Staatsrätin aufgreifend formuliere ich: „Wie wir mit Menschen mit Migrationshintergrund umgehen, das ist der Lackmustest für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.“ Genau darum geht es heute. Ein Teil davon ist die Religionsfreiheit. Ich möchte gerade vor dem Hintergrund dessen – auch wenn jetzt eine Delegation aus der Schweiz hier ist – einmal sagen: Wir waren schon einmal weiter.
Ich möchte ein Bild der Stadt Zamość bringen, die im Jahr 1580 – heute ist sie Partnerstadt von Schwäbisch Hall – als ideale Stadt, als der Lebensraum der Zukunft aus damaliger Sicht auf der grünen Wiese geplant wurde. Dort waren von Anfang an für sämtliche Religionen und Religionsgemeinschaften ihre eigenen Tempel vorgesehen. Das war damals das Ziel, weil man genau wusste: Um zu wirtschaftlicher Blüte zu kommen, braucht man maximale Toleranz, und man braucht ein maximales Interesse der Menschen, in diese Stadt zu ziehen.
Friedrich der Große, den ich jetzt einmal zitieren möchte, hat 1740 einen Satz gesagt, der wunderbar zu dem heutigen Thema passt. Ich zitiere Friedrich den Großen:
Alle Religionen sind gleich und gut, wenn die Leute, so sie professionieren, ehrlich Leute sind. Und wenn Türken und Heiden kämen und wollten das Land peuplieren, so wollen wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen.
Das ist jedenfalls der Stand, den wir wieder erreichen müssen. Wenn wir uns die heutigen Umfragen anschauen, lesen wir, dass 78 % der Bevölkerung Ängste haben, also weit hinter diese Zeit zurückgefallen sind. Dann ist die Politik gefor
Wir müssen das aber auch im eigenen Interesse tun. Heute ist viel über Demografie gesprochen worden. Nur stichwortartig: Wir wissen, dass die Menschen in Deutschland ohne Migrationshintergrund einen Altersdurchschnitt von 44,2 Jahren und diejenigen mit Migrationshintergrund einen Altersdurchschnitt von 35,2 Jahren haben. Das sind neun Jahre Unterschied, die die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft sichern.
Schon heute haben mehr als die Hälfte der Beschäftigten im Krankenhauswesen in Baden-Württemberg einen Migrationshintergrund – mehr als 50 % der Beschäftigten! Das heißt, wenn wir zukunftsfähig sein wollen, müssen wir die roten Teppiche ausbreiten und müssen die Ersten sein, die die Menschen hierher holen, gerade auch vor dem Hintergrund der Globalisierung und der Klimaflüchtlinge, die wir zu erwarten haben.
Es wird damit gerechnet, dass wir allein in der Bundesrepublik Deutschland mittelfristig weitere sechs Millionen Menschen aufnehmen müssen, die aus Klimagründen ihre Heimat verlassen müssen und die hier ihre Aufnahme werden finden müssen.
Jetzt stellt sich die Frage: Tun wir in diesem Bereich genug? Jetzt kommen wir zu der Verantwortlichkeit der Landespolitik, zu den Baustellen der Integrationsarbeit.
25 % aller Menschen in Baden-Württemberg haben einen ausländischen Pass, sind zugewandert oder haben einen Migrationshintergrund. Bundesweit sind es 19 %. Das heißt, wir haben hier eine Vorreiterrolle. Wir haben bei den Menschen unter 30 Jahren sogar ein Drittel mit Migrationshintergrund bzw. mit ausländischem Pass – ein Drittel aller Menschen! Wir haben die besten Voraussetzungen, das Musterländle für Integration zu werden. Wir sind es aber nicht, und zwar aus mehreren Gründen:
Wir versagen uns die Unterstützung der doppelten Staatsangehörigkeit. Ich bin selbst als Grieche auf die Welt gekommen, bin in Griechenland geboren.
Ich bin assimiliert, würde ich einmal sagen. Warum? Weil man mir im Alter von zwölf Jahren die doppelte Staatsangehörigkeit angeboten hat. Damals unter Willy Brandt gab es das Angebot der Bundesregierung, allen Kindern von deutschen Müttern, unabhängig von der Staatsangehörigkeit dieser Kinder, dieses Recht zusätzlich zu geben. Ich weiß nicht, wie viel dieses Entgegenkommen dazu beigetragen hat, dass ich heute hier stehe und mich als assimiliert bezeichnen kann. Dieses Entgegenkommen des Staates hat wahrscheinlich dazu geführt, dass ich mich in diesem Umfang dazu bekannt habe.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Reinhold Gall SPD: Wo ist das Problem, Herr Kollege Zim- mermann? Was will Zimmermann damit sagen? – Unruhe)
Die doppelte Staatsangehörigkeit war überhaupt kein Problem, Herr Zimmermann. Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun. Aber die Frage des Umgangs mit Menschen mit Migrationshintergrund ist die Frage des Angebots der doppelten Staatsangehörigkeit. Baue ich Hürden auf, oder mache ich es leicht?
(Abg. Karl Zimmermann CDU: Sie sind nur in die- sem Parlament oder auch in Griechenland? – Gegen- ruf des Abg. Norbert Zeller SPD: Herr Zimmer- mann!)
Dies ist eine Frage der Abschiebepraxis. Erlaube ich weiterhin, dass Menschen, die hier integriert sind, Kinder und Jugendliche, die hier groß geworden sind, abgeschoben werden, und dies in einer Form, die nicht mehr schön ist? Erlaube ich, dass Familien, die hier geduldet werden, auch in den nächsten zwei Jahren wieder im Dreimonatsrhythmus gesagt bekommen können: „Ihr müsst wieder ausreisen“?
All diese Dinge spielen eine Rolle bei der Frage, ob sich Menschen hier wohlfühlen, wie sie integriert werden, wie sie hier aufgenommen werden. Diesbezüglich machen wir hier einiges falsch.
Auf die Bildung komme ich in der zweiten Runde zu sprechen. Dann werde ich mich vertieft mit ihr befassen.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Gute Politik beginnt mit der Beachtung und Betrachtung der Realitäten, und die Lösung von Problemen beginnt mit deren Benennung. Was in anderem Zusammenhang lapidar klingen mag, muss bei einer Debatte zur Integrationspolitik ins Gedächtnis gerufen werden. Denn ich kenne kein Handlungsfeld der Politik, in dem es so viele Tabuzonen gibt. Wir werden dem Thema und den Menschen, die bei uns leben, und denen, die zu uns kommen, nur gerecht, wenn wir auf der politischen Ebene unaufgeregt und ohne ideologische Scheuklappen unseren Beitrag leis ten.
Dazu gehört die Feststellung, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. In der Dekade von 1991 bis 2001 sind mehr Menschen nach Deutschland gekommen als in die klassischen Einwanderungsländer Kanada und Australien zusammen. Es gehört aber auch dazu, dass wir sagen: Der Zustrom hat in den letzten Jahren stark nachgelassen. Im Jahr 2005 ergab sich im Saldo gerade einmal die Zahl von 79 000 Menschen mit ausländischem Pass, die sich in Deutschland niedergelassen haben. Einwanderung und Integration haben eben viel mit wirtschaftlichem Aufschwung zu tun. In wirtschaftlich starken Jahren ist das Thema wesentlich unaufgeregter zu diskutieren als in wirtschaftlich angespannten Jahren.
Zu den Tatsachen gehört ferner, Herr Sakellariou, dass Deutsch land und speziell Baden-Württemberg zu großen Integrationsleistungen fähig sind. Diese Erfolgsgeschichte begann nach dem letzten Weltkrieg, in ganz schwieriger Zeit, mit der Aufnahme von Millionen Heimatvertriebenen, zwar mit der gleichen Sprache, aber vielfach mit einer anderen Kultur, Religion oder Geschichte.
Noch heute hat nicht nur jeder vierte Baden-Württemberger einen ausländischen Pass, sondern ein weiteres Viertel der Baden-Württemberger sind Heimatvertriebene oder Abkömmlinge von Heimatvertriebenen.
Ich beziehe mich dabei auf Herrn Professor Bude von der Universität Kassel, der Baden-Württemberg unlängst bescheinigt hat, auch in den letzten vier Jahrzehnten eine gute Integra tionspolitik mit vielen Gewinnern gemacht zu haben. Aber wo es Gewinner gibt, gibt es leider auch Verlierer, wenige Verlierer; um diese gilt es sich zu kümmern. Das machen wir.
Im Übrigen sind wir alle Gewinner, denn die Zuwanderung hat uns in vielfältiger Art und Weise und nicht nur auf dem Feld des kulturellen Lebens Bereicherung gebracht.
Gibt es Versäumnisse insoweit, als man möglicherweise speziell den damals so genannten Gastarbeitern keine stärkeren Integrationsmöglichkeiten gegeben hat? Möglicherweise ja. Darf das zu Schuldzuweisungen führen? Eindeutig nein, denn die Erwartungshaltungen auf beiden Seiten – bei denen, die gekommen sind, und bei denen, die bereits hier waren – waren bis in die Achtzigerjahre hinein noch völlig andere. Ich habe neulich mit dem italienischen Generalkonsul in Stuttgart Kontakt gehabt. Er hat in diesem Gespräch gesagt: „Viele Italiener haben noch heute den gepackten Koffer im Kopf.“ Das ist keine gute Voraussetzung für Integration, denn Integration ist Bring- und Holschuld zugleich.
Fakt ist auch: Es gibt für Integration kein Patentrezept, weil die Gruppe der zu Integrierenden zu heterogen ist. Ich nehme als Beispiel einmal die Stadt, in der ich lebe: Fellbach hat 44 000 Einwohner, darunter ebenfalls etwa 25 % mit ausländischem Pass,