Protocol of the Session on July 29, 2009

Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich können die Schulen nicht alles leisten. Die Aufklärung über beide Diktaturen auf deutschem Boden ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir alle sind aufgerufen und gefordert, unsere Kinder und Enkel über unsere Geschichte zu informieren und zu unterrichten. Nur wenn wir unsere Vergangenheit kennen, können wir auch unsere Zukunft gestalten. Sorgen wir also dafür, dass wir alle unsere Vergangenheit so wahrnehmen, wie sie war, und nicht so, wie wir sie uns wünschen. Und lassen Sie es dabei: Die DDR war vom Anfang bis zum Schluss ein Unrechtsstaat!

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Jawohl!)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Vossschulte.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Aufgrund der Studie „Soziales Paradies oder Stasi-Staat?“ der FU Berlin wurde der Antrag „Erinnerung an DDR-Diktatur wachhalten“ gestellt.

Eine Regierung, die es nötig hat, ihre Bürger hinter Mauern und Stacheldraht einzusperren, damit sie ihr nicht vollends davonlaufen, dürfte wohl weit von einem sozialen Paradies entfernt sein. Dass es sich bei der DDR um eine Diktatur handelte, deren Zahl der Menschenrechtsverletzungen Legion war, wird niemand, der sich bei gesundem Menschenverstand mit der DDR beschäftigt hat, bezweifeln. Dass es jedoch Menschen gibt, welche die bösartigen und inhumanen Seiten dieses Regimes beschönigen und verdrängen, kann nicht mehr damit erklärt werden, dass der Mensch geneigt ist, das Ungute eher zu vergessen als das Angenehme, das ihm in seinem Leben widerfährt. Nein, das setzt ein bestimmtes ideologisches Interesse voraus.

Deshalb gilt es, unseren Schülern deutlich zu machen, dass diese DDR-Diktatur, das SED-Regime, eine deutsche Diktatur war, die gerade erst 20 Jahre her ist. Es gilt auch, deutlich zu machen, was an Menschenrechtsverletzungen geschah, was an Schrecken und Grauen in solchen Systemen verbreitet wird, wie gefährdet der Einzelne darin ist, insbesondere dann, wenn er aufbegehrt oder auch nur sein Recht zugesprochen bekommen will, wie sehr er entwürdigt wird, wenn er sich der vorgegebenen politischen Meinung zu beugen hat, ohne eine andere Ansicht äußern, geschweige denn diskutieren zu dürfen.

Deshalb gilt es, die Entstehung dieser Diktatur im Jahr 1946 aufzuzeigen. Es gilt, das Unmenschliche, das Inhumane des SED-Regimes offenzulegen und unseren Jugendlichen vor Augen zu führen, wie sorgsam mit demokratischen Errungenschaften umzugehen ist, um jenen Kräften keinen Raum zu geben.

Um begreifen zu können, wie es zu dieser Diktatur kam, und um das daraus Folgende, nämlich die Alleinherrschaft der SED, beurteilen zu können, muss man allerdings wissen, was überhaupt damals, im Jahr 1946, geschehen ist. Das heißt, die Fakten müssen bekannt sein. Erst dann kann eine Bewertung erfolgen.

Deshalb, meine Damen und Herren, stimmen wir der ersten Ziffer des vorliegenden Änderungsantrags nicht zu. Die Rolle der Nationalen Front, der Blockparteien, die ja allgemeiner Bestandteil des Systems waren, muss natürlich ebenfalls im Unterricht behandelt werden. Das ist ganz unzweifelhaft.

(Zuruf von der SPD)

Dies wird in Abschnitt II und III unseres Antrags durchaus abgedeckt.

Es wundert mich nicht, dass das Ergebnis der Studie „Soziales Paradies oder Stasi-Staat?“ so miserabel ausgefallen ist, ist doch das Lernen von Fakten seit Jahrzehnten an unseren Schulen in Misskredit, indem es aus der linken Ecke als überflüssiges, stupides Büffeln diskreditiert wird.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD und der Grü- nen)

Beurteilen sowie kreatives Entwerfen einer humanen Zukunft kann nur auf der Basis von Wissen geschehen, will es nicht in Utopie ausarten.

(Zurufe von der SPD)

Ja, meine Damen und Herren, dann erinnern Sie sich bitte einmal daran, was in den Achtzigerjahren und den späten Siebzigerjahren in den Schulen los war, wenn der Lehrer den Schülern nur ein Gedicht aufgeben wollte.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD, u. a. Abg. Reinhold Gall: Mein Gott! Das ist 30 Jahre her! Wir haben 2009!)

Diese Dinge haben leider Gottes eine sehr lange, nachhaltige Wirkung.

(Abg. Ute Vogt SPD: Wer war denn damals Kultus- minister?)

Auch deshalb müssen wir unserer Schuljugend dieses Wissen vermitteln, damit sie, die ja erst nach dem Fall der Mauer geboren sind, die ja selbst keine Vergleichsmöglichkeiten haben, weil sie Gott sei Dank keine dieser bösen Zeiten unserer Geschichte erlebt haben, begreifen, dass es sich lohnt, sich für den Erhalt der demokratischen Ordnung und der sozialen Marktwirtschaft einzusetzen. Auch wenn dadurch kein idealer Zustand des menschlichen Daseins erreicht wird, so doch zumindest einer, der sehr viel Elend verhindern kann.

Es gilt insbesondere Zeitzeugen einzuladen, weil sie authentisch über das berichten, was passiert ist, und weil sie die Schüler in emotionaler Weise ansprechen.

Ich wünsche mir, dass der 3. Oktober in unserem Land wieder mehr Gewicht erhält und nicht lediglich als Feiertag wahrgenommen wird.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Die Anstrengungen der Landesregierung sind so, wie sie in der Drucksache dokumentiert sind, richtig und begrüßenswert. Die gute Arbeit der Landeszentrale für politische Bildung ist bekannt und wird sich auch hier wieder bestätigen. Wir vertrauen auf unsere Lehrerinnen und Lehrer. Geben wir ihnen so viel Freiraum wie möglich und auch die nötige Hilfestellung, um den Schülern dieses Stück deutscher Geschichte nahezubringen. Interessant ist zu erfahren, wie weit die Vorbereitungen seitens der Landeszentrale gediehen sind.

Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Ich finde es schade, dass die Medien nicht über den 51. Schülerwettbewerb des Landtags berichtet haben, der zum Titel hatte: „20 Jahre Mauerfall – Gibt es die Mauer in den Köpfen noch?“

Lassen Sie mich mit den Worten des bekannten Trompeters Ludwig Güttler aus Dresden schließen:

Aber schon der Name unseres Landes Deutsche Demokratische Republik war eine Lüge. Sie war nicht deutsch, sondern der sowjetisch besetzte Teil von Deutschland. Sie war auch keine demokratische Republik, sondern eine Diktatur. Eine Diktatur des Proletariats. Der Vernichtungswille des Andersgläubigen, des Andersdenkenden, des Anders-sich-Gebenden war doch evident.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Mentrup.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Mir ist nicht ganz klar, ob wir über das Thema reden, das Sie in Ihrem Antrag aufgegriffen haben, oder ob wir, Herr Wetzel, ein ganz anderes Fass aufmachen sollen, das eine sehr populistische Zuspitzung einer Problematik ist, die hier völlig unangemessen ein ganz wichtiges Thema überbordet.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Beide, mein Vorredner und meine Vorrednerin, haben von dieser Studie berichtet, und die Ergebnisse sind erschreckend. Sie sind besonders erschreckend – Herr Wetzel, Sie haben darauf hingewiesen –, weil dieses Bewusstsein offensichtlich vor allem in Ostdeutschland nicht vorhanden ist. Denn es ist in der Tat so, dass noch vor 20 Jahren,

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

kurz bevor die Mauer endlich geöffnet wurde, Menschen verschleppt, gefoltert und inhaftiert wurden.

Es ist schade und ein Problem – das gibt diese Studie auch wieder –, dass es vor allem im Osten eine sehr anekdotische Aufarbeitung der Geschichte gibt. Jeder weiß von seinen Eltern oder aus der Nachbarschaft, was es da an Erlebnissen gibt. Als jemand, der seit 1965 jedes Jahr mehrere Wochen in der DDR war, könnte ich dazu einen ganzen Beitrag leisten. Aber es ist nicht klar, wie das am Ende zu bewerten ist, welche grundsätzlichen Erkenntnisse sich aus diesen Erfahrungen ergeben, wie zu unterscheiden ist: „Was ist Diktatur, was ist

nicht Diktatur?“ und wie der Korridor individueller Handlungsmöglichkeiten zu beschreiben ist. Denn es geht nicht darum, Herr Wetzel und Frau Vossschulte, nur zu fragen, wer böse ist, wer nicht böse ist und wer gut war. Es geht vielmehr darum, auszuloten: Hätte jeder die Möglichkeit gehabt, seine ethischen Überzeugungen durchzusetzen? Wie hätte man sich verhalten, wenn man selbst in einer solchen Situation gewesen wäre? Warum haben sich die eigenen Eltern eventuell so verhalten? Was lehrt uns das, um in Zukunft Unrechtsregime und Gewalt gegen die Bürger, Tendenzen, die wir in unserer Gesellschaft nicht dulden dürfen, rechtzeitig zu erkennen? Das ist doch das Bildungsziel, um das es geht.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)

Da kommt es auf Fakten an, liebe Frau Vossschulte. Da haben Sie völlig recht. Auch uns stinkt in vielen Bereichen unserer Bildungspläne, dass es allmählich zu einer Beliebigkeit kommt. Ich erinnere mich noch gut an die Sitzung des Schulausschusses, in der wir diskutiert haben, wann das Thema „Diskriminierung von Homosexuellen“ in den Bildungsplan aufgenommen wird. Uns wurde gesagt, das werde dort im Gegensatz zu früher nicht mehr explizit aufgeführt, sondern Diskriminierung sollten die Lehrer an einem Beispiel erklären: Sie können es am Beispiel der Juden oder der Homosexuellen erklären; das bleibt dem Lehrer überlassen. Das kann doch nicht sein! Da bin ich bei Ihnen: Wir brauchen eine klare Ansage, welche geschichtlich relevanten Daten und Umstände zu vermitteln sind. Aber wer macht denn die Bildungspläne in diesem Land, und wer ist seit Jahren für die Bildungspolitik verantwortlich, Frau Vossschulte? Die „linken Spinner“ sind es mit Sicherheit nicht gewesen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Zuruf des Abg. Volker Schebesta CDU)

Jetzt komme ich zu Ihren Zitaten. Wenn der Umstand so ist, wie Sie ihn beschreiben und wie er in der Studie deutlich wurde, dass man sich im Osten nicht richtig über eine generelle Geschichtsdebatte einigen kann, nützt es auch nichts, Herr Kollege Wetzel, immer nur zu sagen: „Ihr müsst endlich erkennen, dass ihr in einer Diktatur und in einem Unrechtsregime gelebt habt.“ Sie können solche Äußerungen natürlich aus dem Zusammenhang reißen und einen Riesenpopanz aufbauen. Aber Sie können das Ganze auch als einen Versuch werten, eine emotionale Verbindung zu Menschen herzustellen, die über Generationen hinweg zunächst einmal selbst begreifen müssen: Warum haben wir denn mitgemacht? Warum haben unsere Eltern mitgemacht? Wie kann ich diese biografische Erfahrung mit meiner neuen politischen Bewertung in Übereinstimmung bringen? Daher ist es unfair, alle diese Äußerungen aus dem Zusammenhang zu reißen.

Das ist der Versuch einer Diskussion, die zeigt, dass man mit einer platten Schwarz-Weiß-Rhetorik überhaupt kein Geschichtsbewusstsein erzeugt.

(Beifall des Abg. Nikolaos Sakellariou SPD)

Das hat aber nichts damit zu tun, Herr Wetzel, dass irgendjemand in der Sozialdemokratie – – Es ist aufgrund der Historie unserer Partei wirklich fast unverschämt, ausgerechnet uns einen solchen Vorwurf zu machen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Hans-Pe- ter Wetzel FDP/DVP – Gegenruf des Abg. Dr. Nils Schmid SPD)

Welche Partei außer der unseren hat genau das alles am eigenen „Leib“ erlitten? Welche Partei außer der unseren hat nach der Maueröffnung mühsam damit beginnen müssen, die Strukturen wieder aufzubauen, sich in das Bewusstsein der Bevölkerung zu bringen? Da haben Sie es sich leicht gemacht.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Vor allem die Kollegen von der CDU haben bestehende Strukturen, vorhandene Parteimitglieder und bestehende Namen ohne großes Problem übernommen.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Die ganzen Blockflö- ten!)

Das und nicht das Verhalten der Sozialdemokratie müssen Sie im Osten erklären.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)