Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Die Große Anfrage der CDU-Fraktion hat den Status quo des Religionsunterrichts der christlichen Konfessionen im Blick, und der Antrag der Fraktion GRÜNE zielt auf einen meines Erachtens notwendigen Veränderungsbedarf. Zu beiden Aspekten möchte ich kurz und grundsätzlich Stellung nehmen.
Vorweg zunächst einige Feststellungen zum Religionsunterricht. Die rechtlichen Grundlagen sind – ich denke, das wird übereinstimmend in diesem Haus so gesehen – völlig eindeutig und unstreitig: Staatskirchenverträge, Artikel 7 des Grundgesetzes, Artikel 18 der Landesverfassung, Schulgesetz usw. Ohne diese Grundlagen irgendwie infrage stellen zu wollen, sollte aber dennoch aus historischer Perspektive bedacht werden, dass der Hintergrund dafür eine weitgehende religiöse Homogenität der Bevölkerung war. Heute befinden wir uns – ob wir das nun gutheißen oder nicht, spielt überhaupt keine Rolle – im Übergang zu einem Pluralismus von konkurrierenden Religionen, Weltanschauungen und Überzeugungen. Genau vor diesem Hintergrund steht die SPD-Fraktion für eine Gleichstellung und eine Gleichwertigkeit von Religions- und Ethikunterricht.
Der Verfassungsrang von Religionsunterricht bleibt völlig unbestritten. Er wird sich auch in seiner Praxis immer wieder
auch neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Herausforderungen anpassen, z. B. in seinen konfessionell kooperativen Formen, die jetzt ausprobiert werden. Ethikunterricht als frei wählbare Alternative zum Religionsunterricht wirkt einem allgemeinen religiösen und ethischen Analphabetismus entgegen und zeigt jungen Menschen – und zwar gerade denen, die nicht religiös orientiert sind –, wie Grund überzeugungen gelernt und gelebt werden können.
Immer mehr Bundesländer tragen diesem Tatbestand Rechnung. Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Rheinland-Pfalz, Bayern, überall gibt es Religionsunterricht ab Klasse 1. Das ist, meine Damen und Herren, die richtige Perspektive. Die ist auch für uns wünschenswert.
Natürlich! Selbstverständlich auch Religionsunterricht ab Klasse 1. Aber Ethik als Alternative zum Religionsunterricht ab Klasse 1 gibt es in den von mir genannten Bundesländern. Das ist, wie gesagt, auch für unser Bundesland wünschenswert. Ich weiß, das ist nicht von heute auf morgen zu verwirklichen, aber wir müssen uns endlich auf den Weg machen, wir müssen Weichen stellen, und die wichtigste Weichenstellung hierfür ist, die Wertevermittlung und das Erlernen von Moral an den Schulen so zu verankern, dass erkennbar ist, wo was und wie etwas vermittelt wird. Oder, im „Pädagogensprech“: Lernort, Didaktik und Methodik müssen klar sein.
Der gute und auch von Ihnen immer wieder gern zitierte Hartmut von Hentig hat ein wirklich tolles schulartübergreifendes Vorwort zu den Bildungsplänen geschrieben. Er hat die Vermittlung von verantwortungs- und wertebewusstem Verhalten als Schulauftrag beschrieben. Das sind mahnende und fast schon beschwörende Worte, die da stehen. Aber, meine Damen und Herren, diese Worte müssen eingelöst werden, und das geht nur in der Unterrichtspraxis. Sonst verschwindet die se konkrete schulische Aufgabe irgendwo im Nirwana von fächerübergreifenden Kontexten.
Werte müssen vermittelt und Moral kann gelernt werden. Das didaktische Handwerkszeug hierfür ist vorhanden. Jetzt müssen Ausbildungskonzepte forciert und Stunden- und Lehrerkontingente schrittweise, wie Herr Kretschmann gesagt hat, bereitgestellt werden. Nur so kann das entstehen, was kurz- oder langfristig flächendeckend notwendig sein wird, nämlich ein lehrplanverankerter, früh einsetzender Ethikunterricht.
Meine Damen und Herren, ich sage nochmals: Mit uns wird es eine institutionelle Abwertung des Religionsunterrichts zugunsten des Ethikunterrichts nicht geben.
Religionsunterricht in seiner Bekenntnisbindung in existenziellen Fragen, in Fragen des Glaubens, auch in Fragen der Transzendenz – so sehe ich das zumindest – hat einen Mehrwert. Eine religiös begründete Ethik ist eine persönliche Kraftquelle, auch für mich. Das alles ist aber kein Grund, Ethikunterricht zugunsten des Religionsunterrichts schulpraktisch
oder auch bildungstheoretisch zu vernachlässigen. Das tun wir aber, wenn wir ihn auf die späten Klassen verlegen.
Unser – und ich meine, unser gemeinsames – politisches Ziel muss eine Lösung sein, die der religiösen Bindung in der Schule angemessenen Raum gibt und gleichermaßen auf die Pluralität von Herkunft und Religionen der Schülerinnen und Schüler eine wirkliche, eine realistische Antwort gibt. Diesbezüglich ist bei der Landesregierung kaum Bewegung zu sehen. Das beklagen wir sehr.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Bedeutung des Religionsunterrichts für die persönliche Entwicklung und Entfaltung von Schülerinnen und Schülern kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, zumal der Religionsunterricht Themen aufgreift, die im Unterricht sonst nur teilweise oder gar nicht vorkommen. Ich erinnere z. B. an zwischenmenschliche Beziehungen wie Freundschaften, an existenzielle Randsituationen des Lebens wie Sterben, Tod und – ich ergänze – Auferstehung oder das Leben mit einer Behinderung. Er greift Themen von historischer Brisanz wie „Auschwitz, Juden und wir“ auf oder betont Verantwortung gegenüber der Schöpfung: „Gottes schöne neue Welt“. Wer Religionsunterricht erteilt hat, kennt die Themen und weiß, wie wichtig er – das habe ich schon einmal gesagt – für die persönliche Entfaltung und Entwicklung von jungen Menschen, von Schülerinnen und Schülern ist.
Dass dieser Unterricht als Religionsunterricht – ich glaube, da sind wir uns über alle Fraktionen hinweg einig – nur konfessionsgebunden erteilt werden kann, ist klar. Religion ohne Bekenntnis gibt es nicht. Die Neutralität des Staates verlangt geradezu, dass der Staat, der sonst sehr wohl Werte wie Demokratie und andere solcher Werte setzt, im religiösen Bereich solche Werte nicht festlegt. Deshalb kann der Religionsunterricht inhaltlich, wie das Kollege Kretschmann auch schon gesagt hat, anders als bei Didaktik und Methodik nicht vom Staat festgelegt werden.
Meine Damen und Herren, der Religionsunterricht wird bei uns je nach Schultyp zweistündig oder einstündig erteilt. Bisher haben sich, wie ich meine, auch kaum Menschen gefunden, die sich groß daran stören, dass es diesen konfessionsgebundenen Unterricht gibt. Wir führen ihn auch in allen Schularten durch, außer an Berufsschulen, wo uns teilweise leider die Zeit dafür fehlt. Herr Staatssekretär, das Kultusministerium oder das Land ist also nicht daran „schuld“, dass der Religionsunterricht an Berufsschulen teilweise ausfällt. Das liegt vielmehr schlichtweg an der Organisation des Unterrichts – so zumindest der leitende Oberstudiendirektor eines Berufsschulzentrums in Rottweil, der die Sache als jemand, der als Kirchengemeinderat in der katholischen Kirchengemeinde weit davon entfernt ist, den Religionsunterricht nicht zu bejahen, in der Tat als ein organisatorisches Problem beschrieben hat.
Der Unterricht wird von kirchlichen und – danach wurde im Antrag auch gefragt – staatlichen Lehrkräften erteilt, die, wie
ich meine, hervorragend ausgebildet sind. Es war gut, diese Unterscheidung hervorzuheben; denn es gibt einen Knackpunkt hinsichtlich der berühmten Geschichte mit den Ersätzen für Religionsunterricht, der von kirchlichen Lehrkräften erteilt wird. Die Einschätzungen gehen von Vergütungen zwischen 28 und 38 % aus. Nehmen wir einmal die höhere Zahl, dann verbleiben immer noch 62 %. Es war Ministerpräsident Erwin Teufel, der wiederholt gesagt hat, dass er dies wisse, aber auch um die hohen finanziellen Mittel wisse, die aufzubringen wären, um dieses Problem auf einmal zu lösen.
Lassen Sie es mich einfach bei der Bemerkung im Namen meiner Fraktion bewenden: Es ist sinnvoll, wenn wir hier das letzte Wort noch nicht gesprochen haben. Der Kirchenvertrag, der vor nicht allzu langer Zeit ausgehandelt worden ist, sieht vor, dass man eine gewisse Fortschreibung der Ersätze für Religionsunterricht, gehalten von kirchlichen Lehrkräften, vornimmt.
Meine Damen und Herren, die zweite Initiative zielt auf das Thema Ethik. Ich möchte zunächst einmal hervorheben, dass Ethik ein Ersatz für den Religionsunterricht ist. Wer am Religionsunterricht – aus welchen Gründen auch immer – nicht teilnehmen will und sich davon abmeldet, sollte die Möglichkeit haben, den Ethikunterricht zu besuchen. Ich habe an dieser Stelle wiederholt gesagt: Er ist für die Liberalen nicht gleichrangig, sondern gleichwertig. Auch die Leistungen im Ethikunterricht werden benotet – wie die im Religionsunterricht. Es gibt keinerlei Diskriminierung, Kollege Kretschmann. Der Unterschied ist darin zu sehen, dass zuerst Religion, der bekenntnisorientierte Religionsunterricht, als ordentliches Lehrfach genannt wird. Wer sich davon abmeldet, geht dann nächstrangig in den Ethikunterricht.
(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Ist das die li- berale Position? – Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/ DVP)
Ja, das ist die liberale Position. Ich bin auch Vorsitzender der Kirchenkommission der FDP auf Bundesebene. Das ist auch dort die liberale Position, Herr Kretschmann.
In der Tat wird dieser Ethikunterricht erst ab Klasse 8 erteilt. Man kann sich sehr wohl darüber unterhalten, warum er erst ab Klasse 8 erteilt wird und nicht früher. Meine Damen und Herren, die FDP/DVP kann sich durchaus vorstellen, dass der Ethikunterricht ab dem Eintritt in eine weiterführende Schule, also ab Klasse 5, eingeführt und angeboten wird. Der Unterricht kann natürlich auch klassenstufenübergreifend stattfinden. Sie wissen, dass acht Interessenten erforderlich sind, damit ein Fach überhaupt unterrichtet wird. Aber dies kann man sich für die Klassenstufen 5, 6 und vielleicht noch 7 vorstellen. Ich halte es allerdings für wenig sinnvoll – wir sind für den Erhalt unserer kleinen Grundschulen auf dem Land –, dies logistisch und in der Organisation auch für alle Grundschulen durchzuführen.
Herr Kollege Kretschmann, ich habe mir einmal die Mühe gemacht, das auszurechnen. Sie haben darauf hingewiesen: An den Grundschulen sind 28,4 % der Schüler ohne Konfession oder haben eine andere Konfession als die evangelische bzw. die katholische. Viele dieser Schüler ohne Konfession nehmen dennoch am evangelischen oder am katholischen Religionsunterricht teil. Ihr Anteil unter allen Schülern beträgt 17,7 %. Bleiben also 10,7 % für vier Klassen übrig, die des
halb keinen Religions- bzw. keinen Ethikunterricht haben, wenn Ethik nicht ab Klasse 1 angeboten wird.
Ethikunterricht ab Klasse 5 an den weiterführenden Schulen gleichwertig zum Religionsunterricht einzuführen ist in Ordnung. Er ist aber nicht gleichrangig. Ansonsten sind wir froh, dass wir für unser Staatswesen den bekenntnisorientierten Religionsunterricht haben.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir sozusagen als Vorbemerkung, auf das einzugehen, was auch Kollege Kretsch mann zu Recht angesprochen hat. Werteerziehung im Allgemeinen stellt zunächst einmal einen Gesamtbildungsauftrag unseres Schulwesens dar. Werteerziehung ist Bestandteil des Unterrichts.
Hartmut von Hentig hat dies in seinem Vorwort zu den Bildungsplänen sehr schön beschrieben. Er stellt in seinem Vorwort sogar einen Gottesbezug her, obwohl der Unterricht außerhalb des Religionsunterrichts nicht konfessionsbetont ist. Damit muss man sagen, dass der Werteunterricht insgesamt ein wichtiges Fundament hat – auch in der Gestaltung unserer Bildungspläne, die wir im Jahr 2004 konzipiert haben – in Form des fächerübergreifenden Unterrichts, aber genauso in Form von modellhaftem Verhalten seitens der Lehrkräfte. Denn Werteerziehung findet im praktischen alltäglichen Umgang auch so statt, dass sich Lehrkräfte und Schüler untereinander als Vorbilder verhalten sollten.
Ich stimme des Weiteren mit der Haltung überein – insofern glaube ich an dieser Stelle, einen Konsens zwischen allen Rednern feststellen zu können –, dass der Religionsunterricht ein hohes Gut ist. Der Religionsunterricht hat auch für die Landesregierung einen besonders hohen Stellenwert als konfessionsbetonter und bekenntnisorientierter Unterricht. Dass der Religionsunterricht von den Kirchen gestaltet wird, ist kein Geheimnis, und der Staat ist Partner der Kirchen, indem er die ordentliche Durchführung des Unterrichts gewährleis tet.
Meine Damen und Herren, dennoch richten wir als Landesregierung ein besonderes Augenmerk darauf, dass der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach aufrechterhalten wird. Der Ethikunterricht ist Wahlpflichtfach und wird als Ersatzfach gewertet. Er besitzt nach der Rechtsprechung nicht die Gleichrangigkeit mit dem Religionsunterricht.
Aber ich darf in diesem Zusammenhang darstellen, dass sich einige Bundesländer in dieser Frage sehr wohl auf gefährliches Glatteis begeben haben. Wir erinnern uns: Mitte der Neunzigerjahre wurde in Brandenburg das Fach LER als Ethik unterricht im weiteren Sinne eingeführt,
als nicht bekenntnisorientierter Unterricht. Der Religionsunterricht wurde stattdessen aufgelöst. Durch ein Bundesverfassungsgerichtsurteil konnte die vorrangige Stellung des Religionsunterrichts dort nicht mehr wiederhergestellt werden. Das heißt, in dem Moment, in dem wir uns auf das gefährliche Glatteis begeben und den Religionsunterricht abstufen wollen, daneben einen nicht bekenntnisorientierten Unterricht auf gleicher Ebene stellen, ist das schon ein Einstieg in den Ausstieg aus dem hohen Stellenwert des Religionsunterrichts. Deswegen empfehle ich uns, den Blick nach Brandenburg und genauso nach Berlin als mahnende Beispiele zu richten. Letzteres hat Kollege Hoffmann selbst als weiteres Beispiel angeführt.
Ich glaube, meine Damen und Herren, dass wir aufgrund unserer Erziehungsziele in der Landesverfassung den Auftrag haben, den Raum dafür zur Verfügung zu stellen, dass junge Menschen die Frage nach dem Sinn des Lebens und gleichzeitig die Frage nach Gott stellen dürfen und damit ein klares Fundament ansprechen, auf dem unser Bundesland BadenWürttemberg entstanden ist.