Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es war wirklich eine Sternstunde des Deutschen Bundestags. Ich hätte nicht mehr geglaubt, dass man nach sechs Jahren noch zu einem Ergebnis kommt. Das macht offenkundig, dass bei der Zustimmung von doch fast zwei Dritteln der Abgeordneten zu der jetzt gefundenen Regelung die maximale Balance zwischen Selbstbestimmung einerseits und Respekt vor dem Leben andererseits gefunden worden ist. Deshalb glaube ich, dass man die Debatten jetzt nicht nachstellen sollte, lieber Kollege Lasotta.
Eines zum Thema Reichweitenbegrenzung, die ja so gar nicht mehr gegeben war. Das bitte ich auch den Menschen draußen im Land verständlich zu machen; darum geht es ja heute. Was für eine Konsequenz hat jetzt dieser Beschluss des Deutschen Bundestags? Sie alle haben, glaube ich, in Ihrer Umgebung schon mehrfach erlebt, dass Menschen mit schwerster Krankheit, die aber noch weit vom Todeszeitpunkt entfernt war, also nicht unumkehrbar war, gesagt haben: Ich will keine Chemo mehr, ich will nicht die nächste Operation. Das ist Selbstbestimmung. Es gibt nicht die Pflicht, alles an sich tun zu lassen, um möglicherweise wieder gesund zu werden oder zumindest nicht so schnell zu sterben. Diese Selbstbestimmung gestehen wir jedem zu, solange er einwilligungsfähig ist. Das geschieht zu Recht. Wenn der Arzt sich nicht daran hält, begeht er eine Körperverletzung.
Warum – diese Frage kann man mir nicht beantworten – soll das nicht auch in dem Fall gelten, dass ich diese Selbstbestimmung nicht mehr bekunden kann, weil ich im Koma liege oder weil ich aus anderen Gründen nicht mehr dazu fähig bin? Warum soll es mir dann benommen sein, diesen Willen klar zu formulieren? Es geht um den Willen, auch zu sagen: „Nein, ich möchte nicht weiter mit lebensverlängernden Maßnahmen behandelt werden.“ – Das nur zum Thema Reichweitenbegrenzung.
Lassen Sie mich die Vorteile der jetzt gefundenen Regelung für die Menschen hier im Land diskutieren.
Vorteil 1: Alle, die schon Patientenverfügungen haben – das sind ca. acht Millionen Menschen –, stünden, wenn andere Lösungen wie notarielle Beglaubigung, Beratungspflicht usw.
gekommen wären, jetzt vor der Situation, dass all diese Patientenverfügungen hinfällig gewesen wären. Jetzt besteht Sicherheit. Wer schon jetzt eine Patientenverfügung schriftlich verfasst hat, weiß: Die gilt weiter.
Zweiter Punkt: Die Beratungspflicht wurde herausgenommen, aber es ist wichtig, zu sagen: Selbstverständlich ist jeder gut beraten, sich beraten zu lassen, und zwar sich einerseits medizinisch beraten zu lassen und sich andererseits mit den Angehörigen zu beraten. Denn das ist nämlich der Punkt – da gebe ich Ihnen, lieber Kollege Lasotta, recht –: Der Ärztepräsident Hoppe hat gesagt: „Sterben ist nicht normierbar.“ Wir sollten nicht die vermeintliche Sicherheit vermitteln: Wenn schriftlich etwas niedergelegt wurde, ist alles geklärt. Nein, es wird weiterhin, weil es nicht normierbar ist, immer wieder Konstellationen geben, in denen trotz Patientenverfügung nicht klar ist, wie in jener Situation der mutmaßliche Wille wäre. Deswegen ist das, was der Justizminister gesagt hat, ein wichtiger Aspekt. Eigentlich macht das Ganze nur Sinn, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn es neben der Patientenverfügung eine Vorsorgevollmacht gibt, damit in dem Fall, in dem Ärzte im Einzelfall entscheiden müssen, auf der Basis dessen, was schriftlich festgelegt worden ist, der sogenannte mutmaßliche Wille zuverlässiger als bisher festgestellt werden kann.
Lassen Sie mich schließen. Ich glaube, wir geben den Menschen damit mehr Selbstbestimmungsrecht, wenn es um ihr persönliches Krankheitsgeschehen am Lebensende geht. Wir geben ihnen vor allem die Chance, über den Punkt der eigenen Selbstbestimmungsfähigkeit hinaus Verantwortung für ihre Angehörigen zu übernehmen. Wie viele Menschen sind in einer solchen Situation wirklich an der Grenze der Entscheidungsfähigkeit, wenn ihnen nichts vorliegt? Deswegen macht es Sinn, dass die Angehörigen in der Betreuungsverfügung oder in einer Vorsorgevollmacht als Betreuer schon benannt worden sind. Dann erst ergibt sich ein rundes Bild, und ich kann sicher sein, dass ich meinen Angehörigen und übrigens auch den Ärzten diese Unsicherheit ein Stück weit nehme. Insofern gibt dies mehr Rechtssicherheit.
Es ist aber schon so: Normierbar ist das alles nicht. Ich kann nur appellieren, dass jede und jeder diese Verantwortung künftig übernimmt – man muss es nicht –, im eigenen Interesse, aber auch im Interesse seiner Angehörigen und derjenigen, die dann zu entscheiden haben. Ich glaube, dies ist eine ganz große Aufgabe unserer beiden Ministerien, des Sozialministeriums und des Justizministeriums, aber auch des ehrenamtlichen Engagements. Ich kenne das aus dem Landkreis Esslingen und aus vielen anderen Landkreisen: Seniorenbeiräte widmen sich sehr der Beratung über diese Dinge. Ich glaube, sie können jetzt – so, wie es der Justizminister gesagt hat – die Menschen in diesem Land künftig auf einer rechtlich noch sichereren Grundlage beraten.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist bezeichnend, dass hauptsächlich juris tisch und weniger praktisch über dieses Thema diskutiert wird; denn in der Praxis treten ganz andere Problemkonstellationen
auf als bei einer theoretischen Diskussion im Parlament. Genauso bezeichnend ist es, dass Sie sich mit dem Argument meiner Kritik, dass es keine Reichweitenbeschränkung gibt, sondern auch die Möglichkeit einer Festlegung für ärztliche Therapien für Erkrankungen, die nicht unweigerlich zum Tode führen, überhaupt nicht auseinandergesetzt haben. Das ist mein Hauptkritikpunkt.
Ich sage nicht, dass insgesamt alles schlecht ist, und ich habe auch betont, dass eine Patientenverfügung für die letzte Lebensphase bei einer Erkrankung, die unweigerlich zum Tode führt, selbstverständlich richtig und sinnvoll ist und auch schon bisher anerkannt wird. Was machen Sie aber mit jemandem, der mit 20 Jahren in einer Patientenverfügung schreibt: „Wenn ich einen Autounfall oder einen Motorradunfall habe und eventuell eine Schädigung des Gehirns oder des Rückenmarks auftritt, möchte ich keine ärztliche Therapie haben“? Sie geraten in ethische Probleme, tatsächlich die aktuelle Lebenssituation beurteilen zu können, wenn Sie 20 Jahre später eine solche Patientenverfügung in der Hand haben, da die Ehefrau oder irgendjemand anders sie vorbeibringt.
Deswegen ist mit dem jetzigen Gesetz nicht alles gelöst. Die Diskussionen werden weitergehen. Sterben ist eben nicht normierbar.
Zu Recht haben die Kirchen, die evangelische Kirche und die Deutsche Bischofskonferenz, an dem Gesetz Kritik geübt und gesagt, dass ihnen die Ausgewogenheit zwischen Lebensschutz und Selbstbestimmungsrecht hinsichtlich der Frage, die ich eben beschrieben habe, fehlt und ein gesellschaftliches Signal – dass jeder alles für sich regeln kann und damit die Probleme gelöst werden – entstehen könnte, wenn man nicht ausgewogen darüber diskutiert. Nein, weiterhin muss eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben stattfinden, und selbstverständlich muss auch die aktuelle Lebenssituation beurteilt werden. Ich halte dies auch unter christlichen Aspekten und unter ethischen Aspekten, die in unsere Behandlungstherapien eingeflossen sind, für wichtig.
Insbesondere die Ärzte, die Bundesärztekammer, sprechen von einer Pseudoregelung. Ausgerechnet das Gesetz, das am meisten kritisiert wurde, ist jetzt letzten Endes beschlossen worden.
Ein Fehler, den ich noch herausstellen möchte, ist, dass es keine ärztliche Beratungspflicht gibt. Sie haben heute dargestellt, dass es toll sei, dass es da keine Pflicht gibt.
Ich glaube aber, in diesen Fragen, die sehr komplex sind, ist es wichtig, sich auch Rat zu suchen. Man kann jedem Menschen, der überlegt, ob er eine Vorsorgevollmacht oder eine Patientenverfügung ausfüllt, eigentlich nur raten, mit seinem
um die entsprechenden Regelungen treffen zu können. Ich halte diesen Entwurf in diesem Punkt für schlecht, im Gegensatz zu den anderen Gesetzentwürfen, die im Deutschen Bundestag beraten wurden, in denen diese Beratungspflicht enthalten war. Ich glaube, dies hätte ein Stück weit mehr Sicherheit gegeben.
Zum anderen muss man auch klar betonen, dass kein öffentlicher Druck auf und keine Pflicht für diejenigen entstehen darf, die in einer solchen Situation sind,
ihren pflegenden Angehörigen nicht zur Last fallen zu wollen. Wenn eine öffentliche Diskussion unter dem Gesichtspunkt geführt würde, dass man am Lebensende alles regeln könne, dürfen die Schwächsten und Ärmsten nicht Leidtragende sein, indem sie in einen öffentlichen Druck geraten, das ab einem gewissen Zeitpunkt entsprechend regeln zu müssen.
Deswegen müssen auch die kritischen Worte, die von den Kirchen, von den Ärzten, von der Hospizbewegung, von der „Aktion Lebensrecht für Alle“ und anderen genannt wurden, mit in diese Debatte einfließen. Ich habe heute diese Kritikpunkte nur vorgebracht, damit nicht der Eindruck entsteht, jetzt wäre Rechtsicherheit da, jetzt wäre für die Menschen alles in Ordnung, und damit wären die Probleme gelöst.
Was muss man den Menschen raten? Informieren Sie sich ausführlich! Dies ist ganz entscheidend. Es gibt eine hervorragende Broschüre der katholischen und der evangelischen Kirche über die Patientenverfügung, in der die Probleme abgewogen werden. Ich kann auch als Arzt und als Katholik nur raten: Treffen Sie keine Festlegung über die Bereiche hinaus, die unweigerlich zum Tod führen! Ich glaube, dass der Einzelne da überfordert ist. Ich selbst würde mir nicht zutrauen, für die anderen Lebenssituationen irgendeine Entscheidung zu treffen, weil ich überhaupt nicht weiß, in welcher Situation wir mit unseren medizinischen Möglichkeiten in 20 Jahren sind.
Ich glaube, dass es viel wichtiger ist, die Kliniken nicht weiter unter einen Ökonomisierungsdruck zu setzen, sondern diejenigen, die dann die Entscheidungen tatsächlich treffen, auch so auszustatten, dass mit den Patienten, mit den Angehörigen, mit den Betreuern Gespräche geführt werden können, um dann die tatsächliche individuelle Lebenssituation ermitteln zu können. Dies ist viel wichtiger als jede gesetzliche Festlegung.
(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen – Abg. Andreas Hoffmann und Abg. Stefan Mappus CDU: Sehr gut!)
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir hatten die Debatte eigentlich unter dem folgenden Aspekt angefangen: Der Bundestag hat sechs Jahre lang über dieses Projekt diskutiert. Er hat es auch über Fraktionsgrenzen hinaus offen diskutiert und hat das Thema vor allem auch durch – ich sage es einmal so – zahllose Anhörungen von Sachverständigen, von Betroffenen von allen Seiten beleuchtet.
Wenn Herr Kollege Lasotta uns vorhin Beispiele versprochen hat, so ist er sie schuldig geblieben. Wenn er anspricht, dass die Ärzte in der Vergangenheit sorgsam mit diesem Thema umgegangen seien, dann muss ich schon fragen: Wer entscheidet denn – dies war in der Vergangenheit leider viel zu häufig der Fall – beim Vormundschaftsgericht? Beim Vormundschaftsgericht sitzt nämlich wieder ein Jurist, der sich mit Kunstprodukten beschäftigt, nämlich mit so etwas wie dem „mutmaßlichen Willen“.
Wir wollen doch, um den Menschen gerecht zu werden, dieses Kunstprodukt „mutmaßlicher Wille“ nur auf die Fälle einschränken, bei denen wir anders nicht weiterkommen. Warum muss ich einen mutmaßlichen Willen künstlich zu einer Zeit erzeugen, zu der der Mensch nicht mehr selbst die Entscheidung, seinen Willen bekunden kann, wenn ich die Chance habe, seinen wirklichen Willen zu erfahren?
Ich darf Sie bitten, bei der Debatte eines zu berücksichtigen: Wir sprechen gerade in einer Art und Weise über die Patientenverfügung, als ob das ein Formular aus dem Internet wäre, auf das man seine Unterschrift setzt oder eben nicht setzt. Die Patientenverfügung gibt alle Möglichkeiten, in jedem Einzelfall für sich selbst zu entscheiden, in welchen Situationen der behandelnde Arzt, der Betreuer und der Angehörige welche Entscheidung treffen soll. Das Thema der Reichweitenbegrenzung – das ist ein sehr abstrakter Begriff – ist die Beschränkung darauf, dass ich diesen Willen, sich nicht weiter behandeln lassen zu wollen, auf bestimmte Fälle reduziere. Zu diesem Zeitpunkt habe ich doch noch die Möglichkeit, meinen Willen selbst zu artikulieren und zu bilden.
Tun wir doch nicht so, als ob es nur d i e Patientenverfügung gäbe oder eben keine. Ganz wichtig ist mir auch – das haben Herr Kollege Wetzel und Justizminister Goll ebenfalls gesagt –, dass es jedem unbenommen ist, eine Patientenverfügung zu erstellen oder dies nicht zu tun. Ich denke aber, die Menschen, die es tun, denken in dieser Situation zum einen an das, was ihr eigener Wille ist, zum anderen aber auch sehr intensiv an ihre Angehörigen. Ich habe es vorhin gesagt.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: So ist es!)
Es wäre nicht richtig, die Angehörigen in dieser Situation allein zu lassen. Sie können nämlich nicht mehr fragen; sie sind
hin- und hergerissen zwischen lebenserhaltenden Maßnahmen und dem Ziel, den Betreffenden in Würde sterben zu lassen. Ganz vorn im Grundgesetz steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das würdige Sterben, das jeder selbst in der Hand halten muss, sollte auch jemandem zugestanden werden, der in dieser letzten Phase die Entscheidung nicht mehr selbst treffen kann, sondern der diese Entscheidung noch zu einem Zeitpunkt trifft, zu dem er sie bewusst treffen kann.
Ihre Aussage war auch: Was ein 20-Jähriger bei Erstellung einer Patientenverfügung entscheiden würde, kann sich ändern. Das ist unbenommen. Aber bleiben wir doch einmal realistisch. Wann entscheiden sich Menschen dafür, eine Patientenverfügung zu errichten? Justizminister Goll hat diesen Zeitpunkt noch nicht erreicht. Er hat vorhin gesagt, er habe noch keine gemacht.