Protocol of the Session on June 17, 2009

Die Regierung darf jeweils fünf Minuten lang Antworten geben, während die Abgeordneten aus dem Parlament jeweils zwei bis drei Minuten lang ihre Fragen stellen können. So ist das jetzt für die Übergangsphase beschlossen worden. Daran muss man sich halten. Man kann das nach der Übergangsphase wieder ändern. Dafür gibt es dann sicherlich Anträge.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Das müssen wir auch än- dern! Das ist nämlich langweilig!)

Beim zweiten Teil der Regierungsbefragung kommt die erste Frage von der Fraktion GRÜNE. Ich darf Frau Abg. Lösch bitten, ihre Frage an die Regierung zu richten. Ich möchte dazu noch einmal sagen: Sie hat jetzt bis zu drei Minuten Zeit. Vielleicht kann man sich das einmal merken.

Drei Minuten, keine fünf Minuten?

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe eine Frage an die Sozial- und Gesundheitsministerin zum Thema Diamorphinabgabe. Am 28. Mai hat der Bundestag mit Mehrheit – –

(Minister Ernst Pfister unterhält sich mit Abg. Claus Schmiedel SPD.)

Jetzt warte ich einmal, bis sich die Herren hier vorn auch beruhigen.

(Minister Ernst Pfister: Entschuldigung! Ich musste die Frage noch beantworten!)

Am 28. Mai hat der Bundestag mit Mehrheit einem fraktionsübergreifenden Antrag zugestimmt, der die gesetzliche Re- gelung für eine diamorphingestützte Substitution enthält, sodass man die bisher nur modellhaft zugelassene Behandlung

Schwerstabhängiger mit künstlichem Heroin endlich gesetzlich als Regelversorgung zugelassen hat.

Damit wurden die positiven Ergebnisse der Modellversuche bestätigt, die von 2002 bis 2006 in sieben deutschen Städten, darunter auch Karlsruhe, durchgeführt wurden. Die Studienergebnisse liegen seit Januar 2006 vor und belegen, dass durch die heroingestützte Therapie überhaupt erst ein Teil schwerst abhängiger Süchtiger erreicht wurde, dass sich bei 80 % der Behandelten der Gesundheitszustand gebessert hat, keine anderen illegalen Drogen konsumiert wurden und die Kriminalität zurückgegangen ist. Dies wird übrigens in den Ergebnissen der im Januar 2008 vorgelegten Follow-up-Studien bestätigt.

Durch die Entscheidung des Bundestags hat eine unendliche Geschichte tatsächlich noch ein gutes Ende gefunden. Obwohl sich vor allem die CDU-Landtagsfraktion im Vorfeld gegen eine diamorphingestützte Substitution ausgesprochen hat, erwarten wir von der Landesregierung, dass sie schnellstmöglich ein Konzept entwickelt und umsetzt, das die Abgabe von Heroin an Schwerstabhängige flächendeckend und praxisnah ermöglicht. Dazu schlagen Vertreterinnen und Vertreter von Städtetag, den Fachverbänden oder der Landesstelle für Suchtfragen vor, passende Versorgungsstrukturen von den betroffenen Menschen aus zu entwickeln – die zuständigen Stellen sollten also möglichst dezentral organisiert und leicht erreichbar sein –, das heißt, die kontrollierte Heroinabgabe auch bei ambulanten Trägern einzurichten. Wir teilen diese Ansicht und wollen nicht nur auf stationäre Einrichtungen wie die Zentren für Psychiatrie zurückgreifen, sondern auch personell entsprechend ausgestattete ambulante Praxen einbeziehen und vor allem auch auf die Karlsruher AWO-Ambulanz – Karlsruhe hat als einzige Stadt in Baden-Württemberg an dem Modellversuch teilgenommen – zurückgreifen können.

Wie man der Presse entnehmen konnte, hat die CDU-Landtagsfraktion ein Konzept erarbeitet, das die Abgabe von Diamorphin auf die Zentren von Psychiatrie reduziert und nach dem eine psychiatrische Therapie obligatorisch sein sollte.

Wie erwähnt, haben sich viele Experten und Fachleute dagegen für eine ambulante Therapie ausgesprochen mit der Argumentation, dass die Suchtkranken nur so in ihrem normalen Lebensumfeld auf Dauer erreicht und stabilisiert würden. Dabei soll selbstverständlich auch eine psychosoziale Betreuung erfolgen.

Welches Konzept sollte nach Meinung des Sozialministeriums umgesetzt werden, und wie viele Standorte für die Behandlung von Schwerstabhängigen sieht das Konzept der Landesregierung dabei vor?

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Für die Landesregierung erteile ich Frau Sozialministerin Dr. Stolz das Wort.

Der derzeitige Verfahrensstand ist, dass der Bundestag den Weg für eine Behandlung von schwerstabhängigen Heroinkranken frei gemacht und gewisse Rahmenbedingungen vorgegeben hat. Das Gesetz kommt am 10. Juli in den Bundesrat. Dann müssen, angefangen bei der Bundesärztekammer bis zum

Bundesarzneimittelgesetz, bis hin zur Vergütung der Ärzte noch einige Dinge geregelt werden. Für das Land heißt das letztlich, dass wir eine Verordnung erarbeiten müssen, die die Rahmenbedingungen von Landesseite aus vorschreiben wird.

Es gibt eine AG Substitution im Ministerium für Arbeit und Soziales, in der alle Fachleute, die mit Substitution zu tun haben, zusammensitzen. Diese Arbeitsgruppe wird natürlich Empfehlungen geben. Es wird wichtig sein, dass wir das Konzept im Verbund mit den Fachleuten in enger Abstimmung mit der Kassenärztlichen Vereinigung, mit den Kommunen, die für die psychosoziale Begleitung zuständig sind, und mit den Ligaverbänden als Trägern bisheriger Substitutionsangebote erstellen. Das heißt, das Konzept gibt es noch nicht.

Die Frage, in welchen Städten genau welches Angebot vorgehalten wird, kann ich im Moment noch nicht beantworten. Wir sitzen da mit den Fachleuten zusammen. Wir gehen aber davon aus, dass das Angebot sicher nicht flächendeckend vorgehalten wird, sondern an einzelnen Schwerpunkten, die kompetent ausgestattet sein müssen.

Wir gehen davon aus, dass die Zentren für Psychiatrie hier auch eine wesentliche Rolle spielen. Die Beteiligung der Zentren für Psychiatrie heißt, dass wir hier Kompetenz der Zentren einbringen können, Kompetenz in der Suchtbehandlung, aber auch Kompetenz in dem, was Sicherheit betrifft, also was den Umgang mit Drogenkranken betrifft. Das heißt aber nicht, dass die Behandlung in den Zentren stationär durchgeführt wird. Vielmehr muss die Kompetenz der Zentren für Psychia trie durchaus auch in Satellitenverbünden abgegriffen werden.

Langer Rede kurzer Sinn: Wir werden mit dieser Arbeitsgruppe besprechen, in welchen Städten unter welchen Rahmenbedingungen hier ein Angebot vorgehalten wird. Mir wird es wichtig sein, dass dieses Angebot in hoher fachlicher Qualität vorgehalten wird.

Frau Ministerin, es kommen weitere Fragen. Bleiben Sie bitte vorn am Rednerpult. Andernfalls verlieren wir viel Zeit durch das Hin- und Herlaufen.

Die CDU-Fraktion hat keine Frage. – Für die SPD-Fraktion, Frau Abg. Haußmann.

Frau Ministerin, auch wir freuen uns, dass der Bundestag den Durchbruch geschafft hat, nachdem der Landtag nicht bereit war, die Weichen zu stellen.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Die CDU!)

Die CDU und die FDP/DVP.

Uns ist es sehr wichtig, dass wir hier ein niederschwelliges Angebot haben. Sie sagen, Sie wollten die Schwerstabhängigen zukünftig in stationäre Einrichtungen bringen. Was passiert z. B. mit der Einrichtung in Karlsruhe, die eine hervorragende Arbeit gemacht hat? Wir dürfen die Latte sicher nicht sehr hoch legen. Wir wollen ja, dass es einen niederschwelligen Zugang gibt, um viele Schwerstabhängige zu erreichen.

Das Ministerium wird ein Konzept vorlegen. Dieses Konzept ist noch nicht vorgelegt worden. Wir gehen davon aus, dass wir die Erfahrungen mit den Modellprojekten, bei denen es in der Tat darum ging, die Schwerstabhängigen in ihrem sozialen Umfeld zu stabilisieren, in unsere Vorschläge einbringen werden.

Zu einer weiteren Frage, bitte, Frau Abgeordnete.

Frau Sozialministerin Stolz, Sie haben eben gesagt, Sie legten Wert darauf, dass es sich um hoch kompetente Einrichtungen handle, die in Baden-Würt temberg künftig Angebote, die genehmigt werden, unterbreiten dürfen. Halten Sie die Karlsruher AWO-Einrichtung für hoch kompetent? Das ist die erste Frage.

Ich habe eine zweite Frage. Mit dem wissenschaftlichen Abschlussbericht zu dem Modellversuch liegen ja Erfahrungen vor. Halten Sie die Erkenntnisse, die darin getroffen wurden, für richtig, oder halten Sie sie für fehlerhaft? So gibt es auch Aussagen von Abgeordneten, wonach die Ergebnisse der Studie fehlerhaft beschrieben worden seien.

Der Bundestag hat entschieden und hat die Erkenntnisse dieser Studie so bewertet, dass er diese Therapie quasi freigegeben hat. Das ist, sage ich einmal, ein Datum für uns und ist auch nicht weiter zu diskutieren.

Wir sind jetzt gefordert, Rahmenbedingungen zu formulieren, unter denen diese Therapie in Baden-Württemberg angeboten werden kann. Ich habe schon gesagt: Dabei geht es um verschiedene Fragestellungen. Es geht zum einen um die Ärzte. Es geht um die ärztliche Kompetenz, um die Frage: Welche Weiterbildung brauchen die Ärzte, um diese Therapie anzubieten? Ich gehe davon aus, dass die Ärzte, die schon bisher substituieren, eine Zusatzweiterbildung benötigen. Aber dies muss besprochen werden.

Es geht ferner darum, wie die psychosoziale Begleitung durchgeführt und sichergestellt wird. Es geht auch darum, über die Frage zu diskutieren: Wo sind schon Kompetenzen, wo sind Strukturen im Land, auf die man zurückgreifen und auf denen man aufbauen kann?

Ich denke, mit dieser Offenheit werden wir unser Konzept erstellen.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Ist die Karlsruher Einrichtung hoch kompetent?)

Zu einer weiteren Frage erteile ich Frau Abg. Lösch von der Fraktion GRÜNE das Wort.

Sehr geehrte Frau Ministerin, die Ergebnisse der Modellstudie haben bestätigt, dass wissenschaftlich erwiesen ist, dass die Abgabe von Heroin unter ärztlicher Aufsicht sinnvoll ist. Teilt die Landesregierung die Ansicht, dass die Erkenntnisse der Modellstudie somit eine ausreichende Grundlage darstellen, um damit ein landesweites Konzept zu entwickeln? Wie bewerten Sie in diesem Zusam

menhang die Aussage des CDU-Fraktionsvorsitzenden, der die Erkenntnisse der in Karlsruhe gewonnenen Ergebnisse – laut Presse – für fehlerhaft hält?

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Die Erkenntnisse sind, dass von 50 Probanden 18 übrig geblieben sind!)

Herr Kollege Zimmermann, die Antwort gibt die Landesregierung.

(Heiterkeit bei der CDU)

Frau Ministerin, bitte.

Ich denke, es wäre einfach zu viel erwartet, dass ich Meinungen, die jeder äußern kann, kommentiere.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich muss zur Kenntnis nehmen, dass der Bundestag diese Therapieform praktisch freigegeben hat und dass die Länder die Aufgabe haben, für ein ordentliches Umsetzen dieser Therapie Sorge zu tragen. Diese Aufgabe werden wir im Gespräch mit den Fachleuten, die wir im Land haben, erfüllen.

(Zuruf des Abg. Franz Untersteller GRÜNE)

Ich gehe davon aus, dass wir ein Konzept vorlegen werden, mit dem Fachleute und all diejenigen, die diese Therapie begleiten, sehr gut leben können, und dass wir mit den Kompetenzen, die wir im Land vorzuweisen haben, gute Arbeit vor Ort möglich machen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)