Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 66. Sitzung des 14. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie. Ich darf Sie bitten, die Plätze einzunehmen und die Gespräche einzustellen.
Meine Damen und Herren, auf Ihren Tischen finden Sie einen Vorschlag der Fraktion GRÜNE für eine Umbesetzung im Petitionsausschuss (Anlage). Ich stelle fest, dass Sie der vorgeschlagenen Umbesetzung zustimmen. – Kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Meine Damen und Herren, unter den Gästen auf der Zuhörertribüne gilt mein besonderer Gruß dem Türkischen Generalkonsul Ümit Yardim. Herr Generalkonsul Yardim ist seit November 2008 im Amt. Er hat seinen Sitz in Stuttgart und ist für die Regierungsbezirke Stuttgart und Tübingen zuständig.
Herr Generalkonsul, ich darf Sie im Landtag von BadenWürttemberg herzlich begrüßen und Ihnen einen informativen Aufenthalt in unserem Hause wünschen.
Meine Damen und Herren, am 23. Mai vor 60 Jahren ist das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom Parlamentarischen Rat verkündet worden. Damals elf Länder bildeten fortan ein föderales Staatswesen. Auch wir als Landtag von Baden-Württemberg haben Anlass, diesem Datum Reverenz zu erweisen.
Unsere Hochachtung gilt vornehmlich den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates, die von den drei südwestdeutschen Landtagen entsandt worden waren. Alle hatten bei der Schlussabstimmung über den Verfassungsentwurf am 8. Mai 1949 mit Ja gestimmt: aus Baden Friedrich Maier und Anton Hilbert, der im März 1949 für Hermann Fecht nachgerückt war; aus Württemberg-Hohenzollern Carlo Schmid und Paul Binder; aus Württemberg-Baden Fritz Eberhard und Gustav Zimmermann sowie Theodor Heuss und Adolf Kühn, die im Februar 1949 an die Stelle von Theophil Kaufmann und Felix Walter getreten waren.
Der Landtag von Württemberg-Baden und der Badische Landtag haben dem Grundgesetz am 18. Mai 1949 zugestimmt; der Landtag von Württemberg-Hohenzollern folgte drei Tage später.
Nach der Nazidiktatur und ihren Menschheitsverbrechen einen neuen, stabilen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat zu begründen, das verlangte zuvorderst zweierlei: glaubwürdige ethische Entschiedenheit und den festen Willen, das parlamentarische Regierungssystem institutionell so zu sichern, dass es nicht mehr von zerstörerischen Kräften lahmgelegt werden kann.
Die Verfassungen der drei südwestdeutschen Länder dienten dabei als Muster. Prägende Elemente des Grundgesetzes haben nicht zuletzt baden-württembergische „Gene“, z. B. der Artikel 67, das konstruktive Misstrauensvotum, oder die Tatsache, dass die Grundrechte im ersten Abschnitt der Verfassung statuiert sind.
Eine Würdigung wäre unvollständig, ohne an Theodor Eschenburg zu erinnern, der den Artikel 118 als maßgeschneiderte Plattform für die Bildung des Südweststaats erdacht hatte und zusammen mit Gebhard Müller von außen in die Arbeit des Parlamentarischen Rates einzubringen wusste.
Das Grundgesetz bewährte sich vom ersten Tag an als Garant der Grundrechte, als staatspolitisches Regelwerk, als Bauplan für eine verlässliche, friedliche und dennoch wehrhafte Demokratie und als Sockel für das Erfolgsmodell „Soziale Marktwirtschaft“.
Identität stiften konnte das Grundgesetz hingegen zunächst nicht für alle Deutschen. Es sollte ja auch nur ein Provisorium sein, das die deutsche Teilung nicht zementiert. Seine Entstehung war zudem wenig spektakulär. Über die Diskussionen des Parlamentarischen Rates hatten nur wenige Tageszeitungen regelmäßig berichtet. Und die materiellen Sorgen jener Zeit relativierten im Bewusstsein der Menschen ohnehin vieles.
Zu den wichtigsten Entwicklungen der vergangenen sechs Jahrzehnte gehört deshalb, dass das Grundgesetz sehr nachhaltig zum Inbegriff unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung geworden ist. Der Alltag hat gezeigt: Das Grundgesetz verhindert den notwendigen Wandel nicht. Aber es garantiert bei allem Veränderungsdruck feste persönliche und gesellschaftliche Kernbereiche.
Die Bürgerinnen und Bürger wissen das Grundgesetz auf ihrer Seite. Genau das wollten die Mitglieder des Parlamentarischen Rates erreichen. Durch das Grundgesetz formulierten sie eine radikale Absage an jede Art von Totalitarismus, Willkür und Überhöhung des Staates. Sie manifestierten das Primat des Rechts, und ihr Leitbild war der dienende Staat, der Staat, der für die Menschen da ist.
Dahinter stand zugleich eine große Erwartung an den Einzelnen, nämlich die Erwartung, dass er die garantierte Freiheit auch für die Gemeinschaft nutzt. Das heißt, Freiheit bedarf persönlich gelebter Werte, individuell praktizierter Ideale und eines Gewissens für das Ganze.
Eine Verfassung beschreibt, wie ein Gemeinwesen sich sieht und nach welchen Maximen es seine politische, ökonomische und soziale Wirklichkeit gestalten will. Zwischen Realität und Verfassungstext bestehen unweigerlich Spannungsverhältnisse. In sechs Jahrzehnten Grundgesetz ist dieser Dualismus immer eine Aufforderung gewesen, sich zurückzubesinnen und den Grundgedanken unserer Ordnung unter veränderten Bedingungen Geltung zu verschaffen.
Davon müssen wir uns in Zukunft leiten lassen. Denn alles, was den Kern des Grundgesetzes ausmacht, ist wesentlich für das Gelingen der europäischen Integration und für die Akzeptanz der Globalisierung. Denken wir an Freiheit, an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, denken wir an das Sozialstaatsgebot und an das Strukturprinzip, das für unser Land existenziell ist, den Föderalismus.
60 Jahre, wie ich meine, glückliche und gute Jahre, auf dem Fundament des Grundgesetzes sollten uns, angelehnt an Goethe, sagen lassen: „Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen.“
des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Gemeinsamer zieldifferenter Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung in Baden-Württemberg – Drucksache 14/4153 (geänderte Fassung)
Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Gemeinsamer Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderungen – Drucksache 14/4248
c) Antrag des Abg. Marcel Schwehr CDU, der Abg. Marianne Wonnay u. a. SPD, der Abg. Renate Rastätter u. a. GRÜNE und des Abg. Dieter Ehret FDP/DVP und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Ersatzschulgenehmigung für die Inte grative Waldorfschule Emmendingen – Drucksache 14/4293
Das Präsidium hat für die Begründung zu a bis c eine Redezeit von jeweils fünf Minuten und für die Aussprache über die drei Anträge eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt, wobei gestaffelte Redezeiten gelten. Ich darf Sie bitten, sich zu einigen, wer die fünfminütige Redezeit für die Begründung zu c in Anspruch nimmt.
Herren! Heute ist wirklich ein guter Tag. 60 Jahre Grundgesetz, das ist wirklich ein Grund zum Feiern. Deswegen habe ich mich entsprechend gewandet und meine Garderobe in schwarz-rot-gold gewählt.
Aber dieser Tag ist auch ein guter Tag für die Freie Waldorfschule Emmendingen. Es ist deshalb ein guter Tag, weil das Kultusministerium angekündigt hat, in dieser Rechtssache nicht in Berufung zu gehen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Ur- sula Haußmann SPD: Das wäre ja auch noch schöner gewesen! Unglaublich!)
Ich möchte Ihnen, Herr Staatssekretär, hier nicht vorgreifen. Aber Sie gestatten mir sicher, dass ich an dieser Stelle einen herzlichen Gruß an die Freie Waldorfschule Emmendingen sende, im Namen meiner Fraktion, persönlich, und ganz besonders natürlich auch im Namen meines Abgeordnetenkollegen Dieter Ehret, in dessen Wahlkreis die Schule liegt.
Es ist aber nicht nur ein guter Tag für diese Schule, sondern auch für die Bildungspolitik in unserem Land insgesamt.
Meine Damen und Herren, „Angst vor dem Andersartigen entsteht dort, wo es keine Beziehungen gibt.“ Diesen Satz möchte ich aus einem Brief zitieren, der mich im September des vergangenen Jahres erreicht hat. In diesem Brief heißt es weiter:
Nichtbehinderte, die auf natürliche Weise von klein auf den Umgang mit behinderten Menschen lernen, entwickeln solche Unsicherheiten und Ängste nicht.
Diesen Brief schrieb mir eine Familie, die ein behindertes Kind an eben dieser Schule hat. Ich bin sicher, dass Familie Seidler damit einverstanden ist, dass ich gerade heute Passagen aus ihrem Brief zitiere. Dieser Brief hat mich sehr berührt, und er war eine der Ursachen dafür, dass ich mich in den letzten Monaten auch persönlich mit den Vorgängen an der Freien Waldorfschule Emmendingen und um diese Schule herum beschäftigt habe. Ein solches Engagement hat in unserer Fraktion übrigens eine lange Tradition, denn auch meine Vorgänger als schulpolitische Sprecher, Ernst Pfister und Heiderose Berroth, waren mit dieser Schule befasst. Sie haben entscheidend dazu beigetragen, dass diese Schule ihren integrativen Schulversuch überhaupt erst starten konnte.
erst über Jahre in der Kita integriert und dann über Jahre ausgesondert wird, um schließlich mit teuren Maßnahmen mühsam wieder reintegriert zu werden. Wir wollen für unseren Sohn größtmögliche Selbstständigkeit statt staatlicher Daueralimentation.
Darum, meine Damen und Herren, geht es heute in dieser Debatte. Es geht um Freiheit. Es geht um die Freiheit der Eltern, selbst zu entscheiden, wo ihr behindertes Kind unterrichtet werden soll. Es geht um die Chancen eines behinderten Menschen, sein Leben so selbstbestimmt und frei zu leben, wie es irgend möglich ist, und zwar mitten in unserer Gesellschaft.
Uns, gerade uns Liberale, hat diese Schule in Emmendingen so beschäftigt, weil sich an ihr dieses Freiheitsthema kristallisiert. Wir sind in dieser monatelangen Debatte noch einen großen Schritt weitergekommen. Hier möchte ich Kultusminister Rau ausdrücklich danken. Mit der von ihm angekündig ten Aufhebung der Sonderschulpflicht sind wir dieser Freiheit ein großes Stück näher gekommen. Jetzt wird es in Zukunft für Eltern deutlich leichter werden, zu entscheiden, wo ihr behindertes Kind unterrichtet werden soll.
Aber eines betonen wir mit großem Nachdruck: Ein Wahlrecht der Eltern ohne Einschränkung, wie Sie, meine Damen und Herren der Opposition, es fordern, wird und kann es nicht geben.