Protocol of the Session on November 5, 2008

Herr Abg. Dr. Schmid, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Mappus?

Herr Kollege, es hat jetzt etwas gedauert, bis ich zu Wort gekommen bin. Sie haben die Bundeskanzlerin als Kronzeugin für Ihre Argumentation angeführt.

(Abg. Christine Rudolf SPD: Guten Morgen!)

Ist Ihnen bekannt, dass in dem entsprechenden Kabinettsbeschluss eine Sonderklausel enthalten ist, die besagt, dass dann, wenn diese Regelung offensichtlich mit dem EU-Recht nicht konform ist, sie in diesen Teilen dann zurückgezogen werden würde? Würden wir beide dann, obwohl es sich in Berlin um eine Große Koalition handelt, unter Umständen zu dem Ergebnis kommen, dass diese Regelung einen relativ bemerkenswerten Charakter hat?

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Die hat einen bemer- kenswerten Charakter!)

Diese Regelung hat einen bemerkenswerten Charakter, weil die Volkswagen AG eine bemerkenswerte Geschichte und eine bemerkenswerte Bedeutung für den Automobilstandort Baden-Württemberg hat.

Eines ist klar: Dieser Kabinettsbeschluss zielt darauf ab, das VW-Gesetz europarechtskonform auszugestalten, und das sollten wir in Baden-Württemberg nicht hintertreiben.

(Beifall bei der SPD – Abg. Claus Schmiedel SPD: So ist es! – Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/ DVP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist richtig und wichtig: Die Politik muss in diesen Zeiten Handlungsfähigkeit zeigen, aber sie darf nicht durch überhastete Äußerungen auf Pressekonferenzen oder in Interviews selbst zur Unsicherheit beitragen. Deshalb erwarte ich auch eine Aufklärung über diese Äußerung, Herr Stächele.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kretschmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Barack Obama hat die Wahl in den USA gewonnen.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Das ist aber kein Grü- ner!)

Warum hat er sie gewonnen? Weil er den Bürgerinnen und Bürgern in den USA das glaubwürdige Versprechen machen konnte, dass es einen Wandel im Denken geben muss, dass sich das Denken nach den Erfordernissen des 21. Jahrhunderts richten und man das Denken des letzten Jahrhunderts überwinden muss.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Daraus können wir genau das entnehmen, was nach der Finanzmarktkrise notwendig ist, nämlich das „alte Denken“ zu verlassen und zu fragen, wie wir neu denken müssen, um die Probleme zu lösen. Was ist das „alte Denken“? Das „alte Denken“ heißt: kurzatmig und kurzfristig agieren, bestenfalls nur den übernächsten Tag im Auge haben, Aktionismus entfalten, wenn es Krisen gibt, anstatt in langen Linien zu denken und zu fragen, wie man das ökologische Gleichgewicht, wirtschaftliche Prosperität und soziale Gerechtigkeit auf Dauer erhält. Das sind die Herausforderungen, die sich aus der Finanzmarktkrise ergeben.

(Beifall bei den Grünen)

Diese Finanzmarktkrise hat das alles missachtet, und die Verantwortlichen haben nur kurzsichtig und kurzfristig gedacht. Die Finanzwirtschaft hat sich als ethikfreie Zone verstanden, wo spekuliert wurde, wo nur gezockt wurde.

(Minister Willi Stächele: Oi! Von welchem Land re- den wir jetzt?)

Aber wir alle wissen, dass wirtschaftliche Prosperität nur durch Kreativität entsteht und nicht durch Spekulation,

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Das sagt ein Grüner!)

dass man hart arbeiten muss, wenn man sich dauerhaft Wohlstand sichern will, und das nicht durch Zocken erreicht. Deswegen braucht die Wirtschaft einen klaren Ordnungsrahmen,

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

damit die Finanzmärkte sauber funktionieren, und sie muss auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sein.

Die Bonuszahlungen sind ein klassisches Beispiel. Da geht es in erster Linie gar nicht um die Höhe, obwohl es natürlich auch eine Frage der Gerechtigkeit ist, ob diese Leute so viel leisten, dass sie verglichen mit anderen so viel verdienen können. Das Entscheidende ist, dass sie im derzeitigen System für kurzfristiges Denken belohnt werden und nicht für ein langfristiges unternehmerisches Denken. Das ist das Erste, was man bei diesen ganzen Vorständen von DAX-Unternehmen ändern muss: Für die Gewinnerwartung dieser Leute darf nicht der nächste Quartalsbericht, sondern muss wieder langfristiges Denken Grundlage sein. Da liegt genau der Hase im Pfeffer. Das ist das „alte Denken“, das überwunden werden muss. Deswegen braucht der Markt eine klare, nachhaltige Ordnung.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Die Finanzkrise ist genau der Warnschuss, der zeigt, wohin dieses Denken führt, das auch die Umweltkrise verursacht: ein Fehlen an Nachhaltigkeit.

Deswegen halte ich es für eine mittlere Katastrophe, wenn der Ministerpräsident dieses Landes sagt, in dieser Situation sei es wichtig, zusätzliche Belastungen für die Wirtschaft, wie sie etwa durch europäische Klimaschutzauflagen entstünden, zu vermeiden, und was beispielsweise an Vorschriften für die Autoindustrie vorgesehen sei, müsse zurückgestellt bzw. revidiert werden. Das ist genau das „alte Denken“.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Reinhold Gall SPD)

Man denkt nur an den nächsten Tag und sieht nicht, dass die Umweltkrise haargenau die gleichen Ursachen hat wie die Finanzkrise, nämlich genau dieses kurzfristige Denken, das nicht über einen Tag hinausreicht.

Die ganze Autopolitik der Landesregierung ist gerade ein exemplarisches Beispiel für dieses „alte Denken“.

(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Genau!)

Es wird nicht gesehen, dass genau das unseren Automobilstandort in die Krise geführt hat, dass dort die Vorstände weiterhin auf dicke, fette, PS-starke Autos gesetzt haben und die ökologische Entwicklung, die sich anbahnt, verschlafen haben, statt auf spritsparende, leichte Modelle der Zukunft zu setzen. Das ist genau der Fehler gewesen.

Und was macht Oettinger? Er rennt denen noch hinterher und tritt weiter auf die Bremse. Bei denen, die schon auf der Bremse stehen, bremst er noch kräftig mit.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Dr. Hans-Peter Wet- zel FDP/DVP: Wie der Porsche von Herrn Schlauch! – Gegenruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Da passt er wahrscheinlich gar nicht hinein!)

Das ist einfach eine katastrophale Politik, die hier gemacht wird.

Ich möchte hierzu ein Zitat bringen:

Man kann nicht alles auf die Finanzmarktkrise abladen. Die deutschen Autobauer haben auch hausgemachte Probleme. Sie haben sich nicht rechtzeitig auf den Bau von umweltfreundlichen Autos eingestellt.

Das sagte Martin Zeil, der neue FDP-Wirtschaftsminister von Bayern. – Sie sollten, liebe FDP-Kollegen, also einmal ins „Ausland“ gehen, damit Sie von Ihrem marktradikalen Zeug herunterkommen.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rül- ke FDP/DVP: Ist Bayern für Sie Ausland? – Abg. Ste- fan Mappus CDU: Obama! Schauen Sie sich einmal dort den Automarkt an!)

An Ihrer Autopolitik kann man exemplarisch sehen, wohin dieses Denken führt.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Jetzt kommt’s!)

Sie stimmen jetzt der Aussetzung der Kfz-Steuer für ein Jahr zu.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Das ist Quatsch!)

Man muss sich einmal vorstellen, was das bedeutet. Um welche Größenordnungen geht es da eigentlich?

(Abg. Franz Untersteller GRÜNE: 2 Milliarden!)

Bei einem Benziner mit 2 Litern Hubraum macht das 135 € im Jahr aus, bei einem Diesel 309 € pro Jahr. Jeder Kfz-Händler gibt wahrscheinlich ein Vielfaches dieser Ersparnis an Rabatten, und trotzdem kaufen die Leute keine Autos.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Ojemine!)

Man sieht genau: Das ist dieser blinde Aktionismus: einfach etwas machen. Der einzige Effekt, den das hat, sind gigantische Steuerausfälle für die Länder in Höhe von 1 Milliarde € – für uns sind es wahrscheinlich 170 Millionen € –, und das in einer solchen katastrophalen Finanzsituation. Effekt null! Reine Mitnahmeeffekte, die keinerlei Wirkung erzielen und ökologisch völlig blind sind.