Protocol of the Session on October 2, 2008

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Deswegen haben wir die Befugnis zum Einsatz von automatischen Kennzeichenlesesystemen geschaffen. Dabei haben wir uns sehr sorgfältig – das versteht sich von selbst – an der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom März 2008 orientiert. Allerdings war diese Entscheidung so komplex, meine Damen und Herren, dass es wirklich nicht einfach war, eine Regelung zu treffen, die sowohl den einsatztaktischen als auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht wird.

Als politisch entscheidend müssen aus meiner Sicht folgende Gesichtspunkte gesehen werden:

Erstens: Ein flächendeckender Einsatz des automatischen Kennzeichenlesesystems wird nicht erfolgen. Das automatische Kennzeichenlesesystem wird unterstützend im Rahmen der bestehenden Fahndungstätigkeit eingesetzt und knüpft an die präventiven polizeilichen Kontrollmöglichkeiten an.

Zweitens: Durch das automatische Kennzeichenlesesystem wird niemand registriert oder kontrolliert – niemand! –, der

in keinem polizeilichen Fahndungssystem erfasst wird. Wenn also ein Autofahrer nicht im Fahndungssystem erfasst ist, dann wird er nicht registriert und wird nichts gespeichert, dann passiert gar nichts.

Dritter Punkt: Fahrzeuge werden nicht ohne Anlass oder Verdacht im polizeilichen Fahndungssystem ausgeschrieben. Fahrzeuge werden z. B. zur Fahndung ausgeschrieben – wenn ich das einfachste Beispiel nennen darf –, wenn sie entwendet wurden oder wenn sie von einer vermissten Person genutzt werden.

Letzter Punkt: Das automatische Kennzeichenlesesystem gibt nur bei ausgeschriebenen Fahrzeugen Alarm. Und nur in diesen sogenannten Trefferfällen wird das Fahrzeug angehalten bzw. wird das Kennzeichen überhaupt erfasst und gespeichert.

Darüber hinaus regeln wir den Einsatz des sogenannten IMSI-Catchers. Ich könnte es Ihnen übersetzen, aber ersparen Sie es mir.

(Abg. Ute Vogt SPD: Das hätten wir schon gern ge- hört!)

Also gut, Frau Kollegin Vogt. Jetzt habe ich lange genug Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Jetzt kriege ich es auch zusammen. Es heißt International Mobile Subscriber Iden tity.

(Beifall – Zuruf von der CDU: Bravo! – Abg. Ute Vogt SPD: Danke schön! – Abg. Winfried Mack CDU: Und auf Deutsch? – Heiterkeit – Zuruf von der CDU: Sprachtest!)

Dieses Gerät – ich sage Ihnen, wozu wir es einsetzen – dient zum einen der Standortermittlung einer Zielperson anhand ihres Mobiltelefons, zum anderen dient es der eindeutigen Identifizierung von unbekannten Telekommunikationsanschlüs sen, die von einer bekannten Zielperson genutzt werden.

Die Polizei darf künftig Telekommunikationsverbindungen zur Abwehr von Gefahren auch unterbrechen. Da sind wir im präventiven Bereich. Ich will Ihnen ein sehr aktuelles Beispiel nennen. Durch eine sogenannte gezielte Blockade von Mobilfunkteilnehmern kann beispielsweise die Zündauslösung von Sprengfallen verhindert werden. Sprengfallen werden häufig mit Mobiltelefonen ausgelöst. Wenn wir da mit einer Blockade reinkommen, dann können wir das verhindern.

Ergänzend zur klassischen Observation sehen wir eine Befugnis zur technischen Observation vor, die mit einem geringeren Entdeckungsrisiko verbunden ist. Mit dieser Regelung wird vor allem der Einsatz von satellitengestützten Navigationssys temen zur Positionsbestimmung, übersetzt GPS, ermöglicht.

(Abg. Thomas Blenke CDU: „Navi“!)

Meinetwegen.

Durch die Auswertung dieser Positionsdaten können Fahrzeugbewegungen und Standorte, Standzeiten nachvollzogen werden. Zur Verbesserung polizeilicher Datenbanken dürfen Daten von Personen, die wegen einer Straftat verurteilt wurden oder gegen die wegen eines Straftatverdachts ermittelt

wurde, künftig generell für zwei Jahre gespeichert werden. Ich komme auf diesen Aspekt zurück, weil er in der Tat umstritten war. Ich will Ihnen dazu sagen: Wenn diese Person während dieser Zeit nicht erneut in den Verdacht geraten ist, eine Straftat begangen zu haben, dann werden ihre Daten gelöscht. Derzeit dürfen solche Daten in polizeilichen Dateien nur vorgehalten werden, wenn prognostiziert werden kann, dass gegen die Betroffenen erneut zu ermitteln sein wird. Die sogenannte Wiederholungsprognose kann gerade bei Massen- und Bagatellfällen oft nicht gestellt werden. Das allein wäre nicht so schlimm, aber das führt dann dazu, dass Tatverdächtige bei erneuter Begehung einer Straftat nicht als Mehrfachtäter erkannt werden.

Zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom März 2004 in Bezug auf die strafprozessuale Wohnraumüberwachung den Schutz des sogenannten Kernbereichs privater Lebensgestaltung gefordert. Dieser Schutz wird auch für die präventive polizeiliche Wohnraumüberwachung gesetzlich geregelt.

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Ras terfahndung – ein weiterer Aspekt – nur zur Abwehr konkreter Gefahren für hochrangige Rechtsgüter eingesetzt werden darf. Diese Vorgabe setzen wir um. Aber ich sage auch ganz klar, dass wir am Instrument der Rasterfahndung festhalten. In meinen Augen ist sie nach wie vor ein unerlässliches Instrument, insbesondere zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus.

In diesem Zusammenhang greifen wir auch die rechtspolitische Diskussion über den besonderen gesetzlichen Schutz von Berufsgeheimnisträgern – das ist natürlich wichtig – auf. Das Polizeigesetz stellt künftig eine moderne Vorschrift für den Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Berufsgeheimnisträger im Hinblick auf die informationellen Befugnisse der Polizei zur Verfügung. Das heißt im Ergebnis: Erkenntnisse, die vom Zeugnisverweigerungsrecht der Pfarrer, der Geistlichen insgesamt in ihrer Eigenschaft als Seelsorger, der Strafverteidiger und der Parlamentsabgeordneten umfasst sind, unterliegen demnach einem absoluten Schutz. Daten dürfen in diesem Schutzbereich nicht erhoben werden; wenn sie auf irgendeine Art und Weise erlangt worden sind, dürfen sie nicht verwendet werden. Das ist der absolute Schutz.

Jetzt haben wir den Schutz der Heilberufe, der Beratungsberufe und der Medienberufe, also der Journalisten. Da wird der Schutz, soweit ein Zeugnisverweigerungsrecht besteht, verbessert. Hier darf eine Erhebung und Verwertung von Daten nur erfolgen, soweit dies zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr für Leib, Gesundheit oder Freiheit erforderlich ist. Das öffentliche Interesse an einer Gefahrenabwehr muss dies also rechtfertigen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in diesen Fällen.

Eine umfassende gesetzliche Novellierung ist auch Anlass, um gewisse Bereinigungen und Anpassungen vorzunehmen; das möchte ich abschließend sagen. Der Wohnungsverweis in Fällen häuslicher Gewalt hat sich in einem baden-württembergischen Modellversuch als ein sehr gutes Instrument erwiesen. Dieser Wohnungsverweis wird jetzt auch als Standardmaßnahme festgelegt, und es kann ein Rückkehr- und ein sogenanntes Annäherungsverbot angeordnet werden. Damit

wird der Wohnungsverweis auf eine klare Rechtsgrundlage gestellt. Das war mir schon wichtig; denn ohne Rechtsgrundlagen werden wir solche Maßnahmen natürlich nicht durchführen.

Zum Platzverweis und zum Aufenthaltsverbot: Diese werden gegenwärtig auf die polizeiliche Generalklausel gestützt. Künftig wird diese dann als Standardmaßnahme normiert, und Zuwiderhandlungen können mit Bußgeldern belegt werden.

Lassen Sie mich zusammenfassend sagen, meine Damen und Herren – wir werden im Einzelnen noch darüber diskutieren –: Die Landesregierung entwickelt mit der vorgelegten Novelle das Polizeirecht weiter – ich meine, mit Augenmaß –, passt es an die sicherheitspolitischen Herausforderungen an und reagiert damit auf die Notwendigkeiten. Wir werden damit in Baden-Württemberg ein moderates und ausgewogenes Polizeigesetz haben, das die Balance zwischen den Rechten der Bürger und den Bedürfnissen der Polizei bei der Gefahrenabwehr und der Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität wahrt.

Ich bin sicher, dass uns diese Balance gelungen ist. Damit sie gelingen konnte, haben wir uns über eine lange Zeit hinweg – das räume ich ein – sehr sorgfältig und sehr intensiv auch und vor allem mit dem Koalitionspartner über alle Aspekte unterhalten. Für sehr konstruktive Dialoge und für lange Diskussionen, die stets von dem Gedanken getragen werden, die se Balance zu wahren, geht mein Dank an den Kollegen Goll.

Ihnen danke ich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Blenke für die Fraktion der CDU.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Guter Mann!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schlägt die Landesregierung rechtliche Anpassungen der Arbeitsgrundlagen der Polizei an sich ändernde Gegebenheiten vor. Wir werden dies noch im Einzelnen beraten, aber ich will gleich vorweg für die CDU-Fraktion sagen: Wir stimmen dem zu.

(Zurufe von der SPD: Ach was! – Welche Überra- schung!)

Wir halten diese Anpassung von rechtlichen Grundlagen für erforderlich. Warum? Zum einen: Die Bedrohungslage durch den Terrorismus hat sich in den letzten Jahren weiterentwickelt und verschärft. Wir sind Zielland. Der islamistische Terrorismus ist in einem Netzwerk organisiert und besteht nicht mehr nur in kleinen, isolierten Zellen, und auch der ganz normale polizeiliche Alltag wandelt sich. Pöbeleien, Widerstandsdelikte, Rohheitsdelikte, Alkoholkonsum in den Innenstädten usw. nehmen zu.

Wir müssen die rechtlichen Instrumentarien so anpassen, dass die Polizei dem Anspruch der Bürgerinnen und Bürger, ihnen Schutz zu gewähren, auch gerecht werden kann.

Der vorliegende Gesetzentwurf berücksichtigt diese Punkte. Er ist in Teilen ein Kompromiss; das ist kein Geheimnis. Ich

möchte dem Innenminister und seinen Mitarbeitern, aber auch unserem Koalitionspartner sehr herzlich dafür danken, dass diese Lösung jetzt möglich geworden ist. Der Minister hat darauf hingewiesen, dass es intensive Verhandlungen waren. Aber ich möchte, Herr Kollege Kluck, ausdrücklich auch den Koalitionspartner einbeziehen.

Ein paar Eckpunkte, damit es ganz klar ist: In Diskussionen wird manchmal der Eindruck erweckt, wir wollten einen Überwachungsstaat. Niemand, auch wir nicht, will einen Überwachungsstaat. Es geht niemandem um eine dauerhafte Beschattung unbescholtener Bürger. In der gestrigen Debatte sagte jemand, er wolle nicht, dass Bürger rund um die Uhr überwacht werden. Das will auch niemand. Dazu müssten Sie sich schon den ganzen Tag über in eine Tiefgarage stellen, z. B. in die des Landtags, wo eine Videokamera ist. Aber das will niemand.

Es dürfen auch nicht unbegründet Ängste geschürt werden, sondern wir müssen die Polizei in die Lage versetzen, mit den entsprechenden Herausforderungen rechtlich gut umgehen zu können. Wir können nicht – um es anders auszudrücken – mit den Methoden des vorigen Jahrhunderts den Kampf gegen Kriminelle aufnehmen, gegen Terroristen, die technisch immer auf dem allerneuesten Stand sind.

Der Minister hat bei der Einführung eben die einzelnen Punkte des Gesetzentwurfs benannt. Ich will mich auf weniges beschränken. Für die polizeiliche Alltagsarbeit sind wichtige Bereiche dabei. Ich nenne nur die Erweiterung der Auskunftspflicht, die den Bürgern auferlegt wird, auf Angaben zur Sache, nicht nur zur Person. Die Telekommunikationsüberwachung zur Gefahrenabwehr wurde angesprochen. Mit dieser Telekommunikationsüberwachung können unter den dort nachzulesenden sehr engen Voraussetzungen und mit richterlicher Anordnung, also rechtsstaatlich abgesichert, Verbindungsdaten und dergleichen, aber nicht Gesprächsinhalte überwacht werden.

Ein Weiteres ist das angesprochene automatische Kennzeichenlesesystem. Mit diesem System – auch das ist wichtig – können zur Fahndung ausgeschriebene Fahrzeuge aus dem laufenden Verkehr herausgefiltert werden, aber auch nicht mehr als das. 99,9 % der Fälle werden nicht registriert, diese Fahrzeuge werden unbemerkt und unbesehen durchfahren. Aber die wenigen, die wir kriegen wollen, können damit im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Verkehr gezogen werden. Das muss sein; das ist erforderlich.

Für die polizeiliche Alltagsarbeit ebenfalls wichtig ist das Thema Videoüberwachung. Gerade in großen Menschenansammlungen oder zum Schutz der sogenannten weichen Ziele, die von Terroristen verfolgt werden, um möglichst großen Personenschaden anzurichten, sind solche Überwachungsmaßnahmen erforderlich.

Meine Damen und Herren, das im Entwurf vorliegende Gesetz ist insgesamt, wie der Herr Minister sagte, eine moderate Weiterentwicklung, eine Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen. Ich gehe ein Stück weiter, Herr Minister: Es ist ein Meilenstein für die Polizeiarbeit, denn es gibt der Polizei mit dem Vertrauen der Politik die erforderlichen rechtlichen Grundlagen, um tätig werden zu können.

Es ist kein Geheimnis – ich habe es vorhin auch kurz angesprochen –, dass wir vonseiten der CDU in dem einen oder anderen Bereich durchaus noch weiter gehende Maßnahmen für nötig halten würden. Ich darf Ihnen sagen: Nicht aus Regulierungswut, sondern aufgrund der Notwendigkeit muss das auch auf der Tagesordnung bleiben. Ich appelliere an den Koalitionspartner, dazu bitte nicht kategorisch Nein zu sagen. Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir nach den Beratungen den Gesetzentwurf so beschließen; das ist in Ordnung. Aber es muss die Bereitschaft des Parlaments und aller Kräfte da sein, wenn sich die Herausforderungen oder die Bedrohungslage ändern, auch darauf zu reagieren.

Ich nenne Ihnen nur zwei Beispiele. Das erste – das ist das Gravierendere oder Wichtigere –: Im Rahmen der vorbeugenden Telekommunikationsüberwachung muss es unter diesen eng umgrenzten Voraussetzungen auch möglich sein, Gesprächsinhalte aufzunehmen. Ich vermag nicht einzusehen, warum zwar nach der Strafprozessordnung bei einem Kapitalverbrechen nach erfolgter Straftat schon immer und unbestritten das Telefon abgehört werden kann, dies aber zur Verhinderung nach dem Polizeigesetz nicht möglich ist. Mir ist es lieber, ich kann ein schweres Verbrechen verhindern, auch wenn ich dafür einmal in die Grundrechte eingreifen muss – nicht massenhaft, sondern in ganz eng abgegrenzten Fällen. Das ist ein Thema, das für uns in der Debatte bleiben muss. Es ist jetzt nicht Gegenstand dieses Gesetzentwurfs; ich erwähne es jedoch der Vollständigkeit halber.

(Beifall des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist richtig! Völlig richtig!)

Ein zweiter Punkt ist das Stichwort Onlinedurchsuchung, die jetzt wohl auf Bundesebene, Herr Kollege Gall, kommen wird, die wir aber im Landesrecht nicht verankern können. Das wird sicherlich in der politischen Diskussion bleiben. Wir setzen aber mit dem jetzigen Gesetzentwurf, auf den sich die Koalition geeinigt hat,

(Heiterkeit des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Stimmt!)

einen wichtigen Meilenstein und machen einen guten Schritt zur Verbesserung der polizeilichen Arbeit.

Vielen Dank.