Protocol of the Session on October 2, 2008

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Sehr gut! Sehr richtig! – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Sehr gut!)

Das Wort erhält Herr Abg. Gall für die Fraktion der SPD.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Kolleginnen, werte Kollegen! Sie kennen das Sprichwort: Was lange währt, wird endlich gut. Leider muss ich sagen, dass dies für diesen Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung beraten, nicht zutrifft,

(Abg. Nicole Razavi CDU: Oh!)

obwohl es wirklich lange gedauert hat, bis Sie ihn eingebracht

(Abg. Ingo Rust SPD: Das dauert immer so lange!)

und auf die entsprechenden Rahmenbedingungen, die das Bundesverfassungsgericht gesetzt hat, reagiert haben.

Kollege Blenke, dieser Gesetzentwurf ist nicht nur – Sie sagten es selbst – ein Kompromiss, sondern er ist aus unserer Sicht auch ein schlechter Kompromiss, weil er deutlich macht, dass die Regierungsfraktionen in diesem Themenbereich weit entfernt von einer geschlossenen Meinung sind. Im Gegenteil, es wird deutlich, wie unterschiedlich ihre Auffassungen diesbezüglich sind.

Gut an dem Gesetz ist – das will ich ausdrücklich sagen –, dass der gesetzgeberische Aktionismus, der insbesondere von der CDU, angeführt vom Innenminister, ausgeht, jetzt gestoppt werden konnte.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Was hat der Schily ge- macht?)

So ist z. B. die Onlinedurchsuchung ebenso wenig im Gesetz enthalten wie der vom Innenminister immer wieder propagierte Vernetzungsatlas von Videoüberwachungen. Nicht enthalten ist auch die präventive Telefonüberwachung. Man kann also sagen, dass der Innenminister mit all den zentralen Punkten, die er in der Diskussion immer für wichtig gehalten hat, gescheitert ist. Ich muss sagen: Gott sei Dank ist er gescheitert.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Franz Untersteller GRÜNE – Zurufe von der SPD, u. a.: Bravo! – Abg. Norbert Zeller SPD: So ist es!)

Gut ist aber auch, meine Damen und Herren – das will ich sagen –, dass wesentliche Forderungen und Auffassungen, die die SPD-Fraktion immer wieder geäußert hat, jetzt in diesem Gesetz enthalten sind, weil sie unserer Polizei tatsächlich helfen und wirkungsvoller sein werden als all das andere, was Sie für wichtig halten.

Gut ist – da teile ich Ihre Auffassung – die Erweiterung der Auskunftspflicht zur Abwehr von Gefahren für Leben, Gesundheit und Freiheit. Gut ist auch der Einsatz von GPS-Geräten und IMSI-Catchern – auch dies wurde genannt –

(Abg. Thomas Blenke CDU: Was ist das auf Deutsch?)

zur Ortung von Fahrzeugen und Handys bzw. auch zur Unterbrechung von Telekommunikationsverbindungen.

Begrüßt werden von uns die verbesserten Beschlagnahmemöglichkeiten zum Schutz vor Straftaten und auch, dass die Beschlagnahme von Vermögenswerten erleichtert worden ist.

Akzeptiert kann von uns noch werden – das sage ich jetzt ein bisschen zurückhaltender – die Verfahrensvereinfachung bei Ingewahrsamnahme.

Richtig und wichtig ist für uns die Ausweitung der Kompetenzen des Grenzzolldienstes oder die rechtliche Klarstellung

auch dies wurde als Stichwort genannt – der Platzverweise und Wohnungsverweise.

Gleichwohl – auch das will ich sagen – können wir dem Gesetzentwurf in dieser Form nicht zustimmen, weil er in seiner Gesamtheit der Forderung nach Balance zwischen dem berechtigten Interesse nach Sicherheit seitens der Bürger und dem umfassenden Schutz von Bürger- und Freiheitsrechten nicht gerecht wird.

Der erwartete – ich muss sagen: der von Ihnen erwartete – Zugewinn durch die nahezu unbegrenzte Möglichkeit von Video überwachung und die viel zu weit reichenden Möglichkeiten der Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen ist für uns in einem demokratischen Staat ein zu starker Eingriff. Dies ist mit uns deshalb nicht zu machen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Was hat der Einzelne zu be- fürchten? Nennen Sie ein Beispiel!)

Wir haben uns in den Bereichen Videoüberwachung und Einsatz von Kraftfahrzeugkennzeichenlesegeräten bereit erklärt, einem anlassbezogenen Einsatz technischer Mittel zuzustimmen, aber nur dann, wenn eine akute Gefahr oder eine konkrete Gefährdung gegeben ist. Dies wurde aber so nicht aufgegriffen. Da will ich in die Richtung der FDP/DVP sagen: Da haben auch Sie bei den Gesprächen mit Ihrem Koalitionspartner versagt.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der SPD: Ah!)

Ebenso ist es auch bei der deutlichen Erweiterung der Speicherzeit von erhobenen Daten, die dem Kerngedanken der Videoüberwachung widerspricht. Denn man soll ja dann eingreifen, wenn eine konkrete Gefährdung besteht,

(Abg. Ingo Rust SPD: So ist es!)

und nicht erst Tage oder gar Wochen später.

Vieles in Ihrem Gesetz, meine Damen und Herren, stützt sich auf abstrakte Gefährdungen. Es ermöglicht, ja verursacht geradezu die Speicherung enormer Datenmengen, die kaum geeignet sein dürfte, Straftaten zu verhindern.

(Abg. Christine Rudolf SPD: So haben es die Amis auch einmal gemacht!)

Bei der Datenspeicherung von Prüffällen – auch das haben Sie angesprochen, Herr Innenminister; das muss man so deutlich sagen –, aus welchem Grund auch immer sie gespeichert werden, werden die Betroffenen unter einen Generalverdacht gestellt, mit dem diese dann immerhin zwei Jahre lang zu leben haben.

All dies zeigt, dass das Gesetz trotz Veränderungen aufgrund des Anhörungsverfahrens, die zugegebenermaßen stattgefunden haben, noch immer geprägt ist von einem Geist der starken präventiven Eingriffsrechte. Das Gesetz überdehnt unseres Erachtens an entscheidenden Stellen die Gesetzgebungskompetenz des Landes über den Bereich der Gefahrenabwehr hinaus. U. a. deshalb mussten Sie ja das Gesetz überhaupt erst novellieren, weil Ihnen die Rechtsprechung da entsprechende Vorgaben gemacht hat.

(Abg. Ingo Rust SPD: Richtig!)

Es setzt auch die Anlassschwelle für den Einsatz zusätzlicher technischer Mittel aus unserer Sicht viel zu niedrig an. Ein Beispiel ist die Geeignetheit des Mittels Kennzeichenlesegerät. Sie haben das angesprochen. Diese stellen wir in der von Ihnen vorgeschlagenen Form einfach infrage. Die Erfahrungen aus anderen Bundesländern zeigen doch, dass weder die Eingriffsintensität noch der personelle Aufwand, den man dafür betreiben muss, gerechtfertigt sind. In Bayern lag die Trefferquote beim Einsatz dieser Geräte gerade einmal bei 0,03 %, und davon waren die Hälfte lediglich säumige Versicherungszahler.

(Oh-Rufe von der SPD – Zurufe von der CDU)

Deswegen will ich auch heute die Feststellung treffen, dass es nicht hilfreich ist,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das stimmt!)

wenn Politiker mit ihren Formulierungen fortwährend den Worst Case bemühen.

(Zuruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

Zugegebenermaßen haben Sie sich heute damit zurückgehalten. Hierdurch wird nämlich häufig eine Wirklichkeitswahrnehmung herbeigeredet, die nicht der Realität entspricht und die letztendlich mehr Unsicherheit hervorruft als Sicherheit schafft.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE)

Deshalb, meine Damen und Herren, ist das Beste, was dem Gesetzentwurf so, wie er heute vorliegt, passieren konnte, dass in ihm all das, was Ihnen ganz besonders wichtig war, Herr Innenminister, gar nicht enthalten ist.

(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

Aber auch das, was noch darin enthalten ist, steht – zumindest zum Teil – auf verfassungsrechtlich wackligen Beinen. Und was verfassungsrechtlich bedenklich ist, wird von uns nicht mitgetragen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Franz Untersteller GRÜNE – Abg. Hans Georg Junginger SPD: Das ist schon immer so gewesen! – Zuruf von der CDU: Das war eine komische Rede! – Abg. Karl Zimmermann CDU: Und das nennt sich sicherheitspolitischer Spre- cher! – Gegenruf des Abg. Gunter Kaufmann SPD: Der Herr Zimmermann!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Sckerl für die Fraktion GRÜNE.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich komme mir hier fast vor wie auf einer Veranstaltung, in der ich über die künftige Reinigungsordnung für Kaninchenställe unterrichtet werde, aber nicht über ein Gesetz, das derart weitreichende Eingriffe in die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern in Baden-Würt temberg vorhat. Das ist heute tatsächlich ein Meilenstein, aber in einem negativen Sinn, Herr Kollege Blenke.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Positiv! Die Bürger wol- len Sicherheit! Darum geht es! – Gegenruf der Abg. Ute Vogt SPD)

Was Sie hier als Kuschelveranstaltung dartun, wird, wenn das zum Gesetz wird, die Bürgerrechte und die Freiheitsrechte der Menschen in diesem Land nachhaltig beeinflussen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Nennen Sie doch einmal ein konkretes Beispiel!)