Protocol of the Session on October 2, 2008

Könnte ich um ein bisschen Ruhe bitten?

(Glocke der Präsidentin)

Meine Damen und Herren, ich darf um Ruhe bitten.

Wir haben gestern gemeinschaftlich festgestellt, dass in der Zeit der frühkindlichen Bildung und Erziehung die Weichen für den Erfolg der späteren Bildungsbiografie gestellt werden und dass es sich um eine komplexe Förderung der sozialen, der motorischen und der sensorischen Entwicklung handelt, aus der ja dann die intellektuellen und künstlerisch-kreativen Kompetenzen erwachsen, und dass es um einen Bildungsauftrag geht, dem sich die Landespolitik verpflichtet fühlen muss und der sich später in der Schule und in der Ausbildung fortsetzt.

Es handelt sich eben auch um ein Stück Persönlichkeitsentwicklung, für die hier die Grundlagen gelegt werden.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, die Unterhaltungen außerhalb des Plenarsaals zu führen.

Wir wissen alle, dass jede Investition in den vorschulischen, in den frühkindlichen Bereich am Ende eine größere volkswirtschaftliche Rendite erbringt als alle Investitionen, die wir danach tätigen, und dass wir daher, was das Verhältnis zwischen Investition und Output betrifft, sicherlich den größten Erfolg bei kleinerem Aufwand erzielen können, anders als dies in späteren Entwicklungsphasen möglich wäre.

Nun gibt es im Bereich der frühkindlichen Bildung in BadenWürttemberg noch einiges zu tun. Wir haben hier noch drei große Baustellen. Der eine Bereich ist die Quantität der Kinderbetreuung. Sie entspricht noch nicht dem Bedarf in der Bevölkerung. Vor allem bei der Betreuung von unter Dreijährigen und den Ganztagsplätzen haben wir noch ganz erheblich aufzuholen.

Der zweite Punkt: Die Qualität muss gesteigert werden. Zwar wird der Orientierungsplan verpflichtend eingeführt, aber es ist noch nicht erkennbar, dass alle Kommunen und alle Aufgabenträger in der Lage sind, dessen Umsetzung mithilfe der nicht gleichzeitig auch erhöhten Mittel für Personal und Betrieb dieser Einrichtungen sicherzustellen. Nun ist zwar damit begonnen worden, über die Verbesserung der Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher und eine zusätzliche Akademisierung weitere Voraussetzungen zu erfüllen. Aber auch hier tut sich eine Baustelle auf.

Die dritte Baustelle ist die der Beitragsfreiheit. Denn es ist nicht nachzuvollziehen, dass wir auf der einen Seite sagen: „Die vorschulische und frühkindliche Bildung ist ein genauso vollwertiger Bildungsauftrag wie später die schulische Bildung. Die Institutionen müssen entsprechend staatlich ausgebaut und gefördert werden. Wir müssen auch verpflichtend einen Orientierungsplan und eine Sprachstandsdiagnose einführen“, andererseits jedoch für diesen Bildungsort zusätzliche Beiträge von den Eltern erheben, obwohl es eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, dass alle Kinder an diesem Bildungsangebot teilnehmen.

(Beifall bei der SPD)

Da die ersten beiden Punkte – Ausbau der Quantität und Ausbau der Qualität – eher etwas mit den Haushaltsberatungen zu

tun haben und die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür ja geschaffen sind, bringen wir heute den Gesetzentwurf ein, um die dritte große Baustelle anzugehen, nämlich die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass wir in diesen Kindertagesstätten die Beitragsfreiheit sicherstellen und damit einmal mehr betonen, dass uns dieser Bildungsort, der bereits vor der Schule besucht wird, wichtig ist, dass wir diesen Bildungsort für alle Kinder und ihre Eltern erreichbar machen wollen und dass wir es als Selbstverständlichkeit betrachten, dass dies eine Bildungsaufgabe des Landes mit dem Ziel ist, durchzusetzen, dass diese Einrichtungen allen offenstehen.

(Beifall bei der SPD)

Denn ähnlich wie beim Thema Quantität – es gibt schon jetzt ein großes Gefälle im Land zwischen den Orten, die fast eine Vollversorgung anbieten können, und Orten, in denen man noch völlig hinterherhinkt – oder beim Thema Qualität – manche Gemeinden können den Orientierungsplan locker einführen und umsetzen, während andere sich außerordentlich schwertun – gibt es auch bei der Beitragsbemessung innerhalb des Landes so große Differenzen, dass von einem einheitlichen und sozial gerechten Angebot an die Kinder und ihre Familien in keiner Weise gesprochen werden kann. Da gibt es Beispiele dafür, dass der Kindergartenbesuch beitragsfrei gestellt ist,

(Abg. Andrea Krueger CDU: Die Kosten sind ja auch nicht überall einheitlich!)

wie in Heilbronn oder Oberkochen. In anderen Fällen muss z. B. eine Familie mit einem Bruttojahreseinkommen von 25 000 € Jahresbeiträge für ein Kind bezahlen, die in Ulm bei 430 € und in Heidelberg bei 888 € liegen. Für zwei Kinder, die im Kindergarten betreut werden, fallen entsprechend Beiträge von 548 € bis 1 332 € – in Heidelberg – an; in anderen Fällen reicht die Spanne von 418 € bis 1 224 € bzw. von 539 € bis 1 936 €.

Daran wird noch einmal sehr deutlich, dass wir es bis heute nicht geschafft haben, einheitliche Lebensbedingungen und damit Chancengleichheit auch nur ansatzweise sicherzustellen. Ich kenne selbstverständlich die Diskussionen in den Kommunen und mit den freien Trägern, vor allem den konfessionellen Trägern, hierüber, die der Idee sozial gestaffelter Gebühren nicht immer sehr zugewandt sind.

Ich weiß, dass wir in der Lage sind, vielen Familien zu helfen, indem diese einen Anspruch auf Erstattung der Kindergartenbeiträge über wirtschaftliche Jugendhilfe haben. Das ist jedoch mit vielen Einzelfallprüfungen und viel Ämterbürokratie verbunden. Wir wissen aber von vielen Familien, vor allem von Mehrkinderfamilien, die nicht über ein überdurchschnittliches Einkommen verfügen, dass die Kindergartenbeiträge für sie eine erhebliche wirtschaftliche Belastung darstellen, die umso größer wird, je mehr Kinder die Einrichtung besuchen. Auch in diesem Punkt ist es die Aufgabe der Landespolitik, hier eine gerechte, gleichwertige Versorgung aller Kinder und ihrer Familien sicherzustellen.

Dies möchten wir erreichen, indem das Land die Beitragsfreiheit für den Kindergartenbesuch einführt und sich bereit erklärt, den Kommunen die daraus entstehenden Einnahmeausfälle zu erstatten.

Wir halten als SPD-Landtagsfraktion die bevorstehenden Haus haltsberatungen für eine geeignete Gelegenheit, um den finanziellen Rahmen, der uns zur Verfügung steht – und der hierfür ausreichend wäre –, auszuschöpfen, und wollen dies im Zuge der Haushaltsberatungen gemeinschaftlich umsetzen. Wir sind gern zu Gesprächen darüber, wo wir im Haushalt zu Umverteilungen kommen sollten, bereit und sind sicher, dass dies nicht zu einer erneuten Schuldenaufnahme führen würde.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Wir halten es aber für absolut nötig, die Erkenntnis, dass gerade die frühkindliche Förderung, der frühkindliche Bildungsauftrag wichtig und bedeutend sind, in ein bildungspolitisches Signal münden zu lassen und jetzt die gesetzliche Grundlage für den beitragsfreien Kindergartenbesuch zu schaffen.

Wir laden Sie herzlich zu einer Debatte hierüber ein und werden die anstehenden Sach- und Fachfragen gern noch im Ausschuss intensiv diskutieren.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält Frau Abg. Krueger für die Fraktion der CDU.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, es war ja vieles richtig von dem, was Sie, Herr Mentrup, gesagt haben.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Alles!)

Leider nicht.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Was war denn daran falsch?)

Vor allem deckt es sich nicht mit dem, was Sie hier mit Ihrem Gesetzentwurf einbringen. Denn der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf sollte eigentlich nicht „Kindergartenbeitragsfreiheitsgesetz“ heißen – ein Wortungetüm –, sondern „Kostenverlagerungsgesetz“. Das ist es nämlich in Wirklichkeit.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Die von Ihnen vorgegebene Zielsetzung ist in der Begründung des Gesetzentwurfs nachzulesen: Es soll die Voraussetzung dafür geschaffen werden, dass alle Kinder eine Kindertages einrichtung besuchen und dort gefördert werden. Dieses Ziel erreichen Sie so jedenfalls nicht.

Nach Angaben des Kultusministeriums – das wissen Sie ganz genau – besuchen im letzten Kindergartenjahr bereits heute 97 % aller Kinder den Kindergarten.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Mehr oder weniger re- gelmäßig!)

Nun kann es ja schon sein, dass genau die fehlenden 3 % diejenigen sind, denen es besonders gut täte, einen Kindergarten aufzusuchen. Aber wenn man gerade diese Kinder erreichen

will, dann geht das nicht einfach allein und wohlfeil über die Beitragsfreiheit. Abgesehen davon – Sie haben das teilweise selbst angesprochen – werden allerorts regelmäßig Beitragsreduzierungen für einkommensschwache Familien oder Mehrkinderfamilien ermöglicht, und immer mehr Kommunen stellen das letzte Kindergartenjahr beitragsfrei.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Aber Sie kennen schon die Erfahrungen aus Rheinland-Pfalz, Frau Krueger?)

Es ist zweifelsohne zu begrüßen, dass dies auf der kommunalen Ebene so gehandhabt wird.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Das heißt aber im Umkehrschluss auch, dass der Kindergartenbesuch schon heute eben nicht an den Beiträgen scheitert.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: So ist es!)

Wenn wirklich jedes Kind den Kindergarten besuchen soll, dann muss man konsequenterweise über die Einführung einer Kindergartenpflicht nachdenken.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Ja, genau!)

Vor dieser Frage aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben Sie sich gedrückt. Sie wollen lediglich Kosten in jährlich dreistelliger Millionenhöhe auf das Land verlagern, und dabei zeigen Sie noch nicht einmal seriöse Finanzierungen auf.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Was heißt „auf das Land verlagern“? Die Eltern entlasten!)

Mit dem bloßen Verweis auf noch nicht gesehene künftige Steuereinnahmen – so ist es nachzulesen –, auf die Auflösung nicht näher bezeichneter Rücklagen und auf gezielte, aber leider von Ihnen ebenfalls nicht beschriebene Haushaltsumschichtungen bleiben Sie hübsch blumig und unkonkret.

So einfach geht es aber leider nicht. Bei jährlichen Mehrkos ten für das Land von 250 Millionen €

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Es sind sogar 300 Millionen €!)